59. Eurovision Song Contest - 10. Mai 2014 | |
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Halle | B&W Hallerne |
Motto | #JoinUs |
Moderation | Lise Rønne, Nikolaj Koppel & Pilou Asbæk |
Pausen-Act | Emmelie de Forest |
Wertung | Jury-/Televoting 50/50% |
Teilnehmer | 37 Länder (Finale 26, Semfinale 1 - 16 / Semifinale 2 -15) |
Siegerland: Österreich | |
Interpretin: Conchita Wurst | |
Titel: "Rise Like A Phoenix" | |
Musik & Text: Charly Mason, Joey Patulka, |
ALLGEMEINE INFORMATIONEN
Beworben hatten sich die Hauptstadt Kopenhagen und die mitteljütländische Kleinstadt Herning (bereits Veranstaltungsort der dänischen Vorentscheidung). Außerdem waren Bewerbungen aus Fredericia, Aalborg und Horsens hinzugekommen, hier hätte ein ausgedientes Gefängnis als Open-Air-Arena zur Wahl gestanden. Aalborg zog seine Bewerbung zurück, da man die geforderten 3000 Hotelbetten nicht vorhalten könne. Auch Frederica zog die Bewerbung zurück, da die EBU eine Halle ohne Säulen fordert, das könne man nicht erfüllen. Die Direktion des Parken Stadions in Kopenhagen (Austragungsort 2001) erklärte, es sei nicht möglich, das Stadion für die Dauer der Vorbereitungen (Aufbau, Proben und Shows - insgesamt 6 Wochen) den Fußballvereinen vorzuenthalten.
Kroatien, die Türkei, Slowakei, Zypern, Bulgarien, Bosnien & Herzegowina und Serbien nahmen am ESC 2014 nicht teil. Portugal und Polen kehrten zurück, so dass insgesamt 37 Länder am Start waren.
Austragungsort waren die B&W Hallen, ein ehemaliger Werft-Komplex mit mehreren Hallen, der zu einer "Eurovisions-Insel" gemacht wurde. Der Komplex liegt im Stadtteil Refschaleøen unmittelbar am Wasser und in der Nähe der "Kleinen Meerjungfrau". Wenn auch die Umgebung der Industriebrache alles andere als einladend war und für alle Aktiven eine ziemliche Zumutung darstellte, so hatte man das Innere der Werfthalle doch mit einer der visuell besten Bühnen der ESC-Geschichte ausgestattet.
Die Auslosung der Zuordnung zu den beiden Semifinalen erfolgte am 20. Januar 2014. Zu diesem Zweck wurden sechs Töpfe gebildet, in die die Länder nach ihrem Stimmverhalten in den letzten zehn Jahren verteilt wurden, um Nachbarschaftsvoting und Blockbildungen möglichst zu vermeiden. Allerdings wurde Schweden schon dem 1. Semifinale zugelost und Norwegen dem 2. Semifinale, um den Ticketverkauf in Skandinavien zu entzerren, auch Israel wurde schon vorab auf Wunsch dem 2. Semifinale zugeteilt. Bei der Auslosung wurde ebenfalls bestimmt, in welcher Hälfte des Semifinales die einzelnen Länder antreten und in welchem der Semifinale die BIG 5 und Gastgeber Dänemark werten, wobei Italien um das 1. Semifinale und Deutschland um das 2. Semifinale gebeten hat. Gastgeber Dänemark wurde die Startnummer 23 im Finale zugelost. Die Startreihenfolge der Semifinale wurde (wie erstmals 2013) wieder durch die TV-Produzenten festgelegt. Die Startreihenfolge für das Finale wurde festgelegt, sobald alle Finalisten feststanden.
Die EBU hatte die Regeln bzgl. der Wertung etwas verschärft: So mussten die nationalen Juroren bereits am 1. Mai 2014 öffentlich bekannt gegeben werden, Juroren durften nicht in den vergangenen zwei Jahren in einer nationalen Jury gewesen sein, und unmittelbar nach dem Finale sollten alle Jurywertungen in allen Einzelheiten öffentlich gemacht werden.
Nachdem das schwedische TV im letzten Jahr wieder zurück zu den Wurzeln ging und mit Petra Mede nur eine Moderatorin alle drei Shows moderieren ließ, ging das dänische TV nun wieder in die Vollen und bot ein Moderatoren-Trio auf, und zwar eine Frau mit zwei Männern: Lise Rønne, Nikolaj Koppel und Pilou Asbæk.
Lise Rønne und Nikolaj Koppel sind Moderatoren des dänischen Fernsehen, während Pilou Asbæk Schauspieler ist. Er dürfte vielen deutschen TV-Zuschauern bekannt sein aus der Serie "Borgen", in der er den Spin-Doktor der Premierministerin spielte.
In den Postcards wurden die einzelnen Interpretinnen und Interpreten gezeigt, wie sie jeweils die Nationalflagge ihres Landes auf unterschiedlich Art und mit unterschiedlichen Materialien zusammstellten.
FAZIT
Man durfte gespannt sein, wie Danmarks Radio (DR) den ESC organisieren würde auf der Halbinsel Refshaleøen, dem sog. „Eurovision Island“, auf dem „wie Phönix aus der Asche“ eine ehemaligen Werfthalle zum hochprofessionellen Austragungsort der größten Musikshow der Welt umgebaut wurde, zumindest was das Technische angeht. Und es war ziemlich beeindruckend, was man aus der Halle gemacht hatte: Eine wirklich unglaubliche Bühne mit wunderschönen Inszenierungen der einzelnen Acts. Es gab ein sehr sympathisches und humorvolles Moderatoren-Trio, einen beeindruckenden Pausen-Act mit Emmelie de Forest und einer mitreißenden Inszenierung des Songs „Rainmaker“, bei der alle Interpret*innen mit auf die Bühne kamen und sangen.
Es gab zahlreiche musikalische und optische Highlights, so das niederländische Duo The Common Linnets, die mit einer grandiosen Inszenierung ihrer doch eher ruhigen Country-Ballade überraschenderweise den zweiten Platz erreichen konnten und wohl kommerziel den erfolgreichsten Titel des Jahrgangs beisteuerten.
Mehr hinsichtlich der Optik mit tiefen ausgeschnittenen Blusen ihrer Backgroundsängerinnen, die sich u.a. ziemlich anzüglich an einem Butterfass und einem Waschbrett zu schaffen machten, punkteten Donatan & Cleo für Polen, was ihnen Platz 14 einbrachte.
Eine erfrischende Performance von SeBalter und ein ins Ohr gehender Song brachte die Schweiz ins Finale und dort auf Platz 13.
Im dritten Anlauf schaffte es endlich auch Valentina Monetta für San Marino ins Finale, allerdings landete sie hier nur auf Platz 24.
Der zweite Versuch von Paula Seling & Ovi nach ihrem dritten Platz in Oslo 2010 sollte mit "Miracle" das Wunder des Sieges bringen, aber sie landeten trotz eines kreisrunden Klaviers nur auf Platz 12.
Nur knapp am Finale vorbei, auf Platz 11 im Semfinale, landete die Fanfavoritin Suzy aus Portugal.
Das deutsche Damentrio Elaiza aus Deutschland hatte das Pech, dass die Produzenten sie im Finale zwischen die beiden Favoritinnen Conchita Wurst und Sanna Nielsen aus Schweden platzierten. So gingen sie dort ziemlich unter und erreichten nur den 18. Platz. Aber es hätte noch schlimmer kommen können, wären nicht die Widrigkeiten der Proben noch rechtzeitig behoben worden: So hatte man die drei Mädel in einen in dunklem Lila gehaltenen optischen "Gemischtwarenladen" gestellt. Und die Einstellung der Streamerkanone war letztlich auch richtig eingestellt, nachdem sie vorher dem Trio noch voll ins Gesicht geschossen hatte.
Die Wertung war äußerst spannend. Es gab mehrere Favoriten und eine äußerst würdige Siegerin Conchita Wurst, die zudem mit ihrem Sieg noch eine Botschaft verband, nämlich Toleranz und Akzeptanz jedes Menschen, egal wer er ist und wie er sich gibt. Selten war ein Finale auch emotional so berührend. Die Atmosphäre in der Halle war nahezu einzigartig, und damit zählt dieser ESC in der Gesamtschau mit zu den besten aller Zeiten.
DIE TEILNEHMENDEN - FINALE
1.Ukraine Mariya Yaremchuk "Tick-Tock" | Punkte: 113
M. & T.: | |
2. Teo "Cheesecake" | Punkte: 43
M.: Yury Vashchuk (Teo) | |
3. Dilara Kazimova "Start a Fire" | Punkte: 33
M. & T.: | |
4. Pollapönk "No Prejudice" | Punkte: 58
M. & T.: | |
5.
"Silent Storm" | Punkte: 88
M. & T.: | |
6, Paula Seling & OVI "Miracle" | Punkte: 72
M. & T.: | |
7. Aram Mp3 "Not Alone" | Punkte: 174
M.: Aram Mp3 | |
8. Sergej Ćetković "Moj svijet" |
Punkte: 37
M.: Sergej Ćetković | |
9. Donatan & Cleo "My Slowianie | Punkte: 62
M.: Witold Czamara | |
10. Freaky Fortune feat. "Rise Up" | Punkte: 35
M.: Freaky Fortune | |
11. Conchita Wurst "Rise Like a Phoenix" | Punkte: 290
M. & T.: | |
12. Elaiza "Is It Right" | Punkte: 39
M.: Elzbieta Steinmetz, | |
13. Sanna Nielsen "Undo" | Punkte: 218
M. & T.: | |
14. TWIN TWIN "Moustache" | Punkte: 2
M: Pierre Beyres, | |
15.Russland Tolmachevy Sisters "Shine" | Punkte: 89
M.: Dimitris Kontopoulos, | |
16. Emma "La mia città" | Punkte: 33
M. & T.: | |
17. Tinkara Kovač "Round And Round" | Punkte: 9
M.: Raay | |
18. Softengine "Something Better" | Punkte: 72
M.:Topi Latukka | |
19. Ruth Lorenzo "Dancing In The Rain" | Punkte: 74
M. & T.: | |
20. Sebalter "Hunter of Stars" | Punkte: 64
M. & T.: | |
21. András "Running" | Punkte: 143
M. & T.: | |
22. Firelight "Coming Home" | Punkte: 32
M. & T.: | |
23. Basim "Cliché Love Song" | Punkte: 74
M. & T.: | |
24. The Common Linnets "Calm After The Storm" | Punkte: 238
M. & T.: | |
25. Valentina Monetta "Maybe" | Punkte: 14
M.: Ralph Siegel | |
26. Molly "Children of | Punkte: 40
M. & T.: |
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE - 1
1.Armenien Aram Mp3 "Not Alone" | Punkte: 121
M.: Aram Mp3 | |
2. Aarzemnieki "Cake To Bake" | Punkte: 33
M.& T.: | |
3. Tanja "Amazing" | Punkte: 36
M.& T.: | |
4. Sanna Nielsen "Undo" | Punkte: 131
M. & T.: | |
5.
"No Prejudice" | Punkte: 61
M. & T.: | |
6, Hersi "One Night's Anger" | Punkte: 22
M.: Gentian Lako | |
7. Tolmachevy Sisters "Shine" | Punkte: 63
M.: Dimitris Kontopoulos, | |
8. Dilara Kazimova "Start a Fire" |
Punkte: 57
M. & T.: | |
9. Marija Yaremchuk "Tick-Tock" | Punkte: 118
M.: Mariya Yaremchuk | |
10. Axel Hirsoux "Mother" | Punkte: 28
M. & T.: | |
11. Cristina Scarlat "Wild Soul" | Punkte: 13
M.: Ivan Aculov | |
12. Valentina Monetta "Maybe" | Punkte: 40
M.: Ralph Siegel | |
13. Suzy "Quero ser tua" | Punkte: 39
M. & T.: | |
14. The Common Linnets "Calm After The Storm" | Punkte: 150
M. & T.: | |
15.Montenegro Sergej Ćetković "Moj svijet" | Punkte: 63
M.: Sergej Ćetković | |
16. András Kállay-Saunders "Running" | Punkte: 127
M. & T.: |
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE - 2
1.Malts Firelight "Coming Home" | Punkte: 63
M. & T.: | |
2. Mei Finegold "Same Heart" | Punkte: 19
M. & T.: | |
3. Carl Espen "Silent Storm" | Punkte: 77
M. & T.: | |
4. The Shin & Mariko "Three Minutes to Earth" | Punkte: 15
M.: Zaza Miminoshvili | |
5.
"My Słowianie - | Punkte: 70
M.: Witold Czamara | |
6, Conchita Wurst "Rise Like a Phoenix" | Punkte: 169
M. & T.: | |
7. Vilija Matačiūnaitė "Attention" | Punkte: 36
M.: Viktoras Vaupšas, | |
8. Softengine "Something Better" |
Punkte: 97
M.: Topi Latukka | |
9. Can-Linn feat. "Heartbeat" | Punkte: 35
M. & T.: | |
10. Teo "Cheesecake" | Punkte: 87
M.: Yuri Vaschuk (Teo) | |
11. Tijana "To The Sky" | Punkte: 33
M.: Darko Dimitrov, | |
12. Sebalter "Hunter of Stars" | Punkte: 92
M. & T.: | |
13. Freaky Fortune feat. "RIse Up" | Punkte: 74
M.: Freaky Fortune | |
14. Tinkara Kovač "Round And Round" | Punkte: 52
M.: Raay | |
15.Rumänien Paula Seling & OVI "Miracle" | Punkte: 125
M. & T.: Beyond51 |
(Fotos Teilnehmertabellen: © EBU / eurovision.tv. und ECG e. V.)
DIE WERTUNG - FINALE
DIE WERTUNG - SEMIFINALE 1 + 2
AUS DER PRESSE
Conchita Wurst gewinnt den ESC: Merci, Chérie Stern.de, 11.05. 2014 – Von Jens Meier Mit Conchita Wurst triumphieren Toleranz und Menschenrechte beim Eurovision Song Contest. Der Erfolg der bärtigen Lady ist nicht nur ein Sieg für Österreich, auch für ESC-Fans und Homosexuelle.
Drei Länder fehlen noch bis zum Ende der Abstimmung. Doch die Ukraine vergibt die entscheidenden Zähler: acht Punkte gehen an "Austria". Das reicht zum Sieg. Fans mit rot-weiß-roten Fahnen liegen sich jubelnd in den Armen. Mit lauten "Conchita, Conchita"-Rufen feiern die Österreicher das Ergebnis. Und nicht nur sie. Die ganze Arena von Kopenhagen steht Kopf. Egal ob Dänen, Deutsche, Spanier oder Isländer. Sogar Holländer, denen gerade alle Hoffnung auf den ersten Platz genommen wurde, freuen sich mit. Denn die Siegerin - und das ist das Neue und Einzigartige an diesem Triumph - hat nicht für ein Land gewonnen. Conchita Wurst siegt für eine Botschaft: von Akzeptanz, Toleranz und Menschenrechten. Was sich da am Samstagabend in den B&W Hallen von Kopenhagen abspielte, kommt einer Sensation gleich. Mit dem viertbesten Ergebnis aller Zeiten und insgesamt 290 Punkten gewann Conchita Wurst mit deutlichem Abstand den Eurovision Song Contest. Vor den von Musikkritikern hoch gelobten Countrysängern The Common Linnets aus Holland (238 Punkte) und der schwedischen Helene Fischer, Sanna Nielsen (218 Punkte), errang sie den ersten Sieg für Österreich seit 48 Jahren. Wurst erhielt 13 Mal die Höchstwertung von zwölf Punkten. Dass eine Frau mit Bart den ESC gewinnt, wird in die Annalen des Wettbewerbs eingehen. Es ist aber vor allem das Wie, das diesen Sieg ausmacht.
Die Dragqueen vom Lande Als schräger Vogel, von Favoriten wie dem Armenier Aram MP3 milde belächelt, startete Wurst in den ESC. "Was die?", hieß es noch Anfang der Woche empört, als einige es wagten zu mutmaßen, Wurst könnte eine Anwärterin auf die vorderen Plätze sein. Doch dann geschah das Unfassbare. Im zweiten Semifinale stieg Wurst wie der von ihr besungene Phönix aus der Asche empor. Wurst war maßlos unterschätzt worden. Als Drag Queen abgetan, die vielleicht in dunklen Kellerbars in Wien ihr Publikum findet, aber doch nicht vor 140 Millionen Fernsehzuschauern auf der größten Bühne der Welt. Von wegen!
Viele erkannten jetzt erst: Diese zierliche Person, hinter der eigentlich ein schwuler Mann mit dem bürgerlichen Namen Thomas Neuwirth steckt, kann wirklich singen. Das stellte Wurst am Samstagabend erneut unter Beweis. Divengleich trug sie ihr "Rise Like A Phoenix" vor. Nicht nur stimmlich einwandfrei, sondern auch von der Inszenierung grandios. In goldenes Scheinwerferlicht getaucht stand Wurst da und eroberte mit großen Gesten ihr Publikum. Langes Kleid, wallendes Haar, viva la Diva, die perfekte Interpretation einer österreichischen Sissi. Oder kurz: die Kaiserin.
Dabei kam es auf das Lied gar nicht so sehr an. Sicher, es passte perfekt zu dieser Geschichte vom schwulen Landjungen aus dem Salzkammergut, der auszieht in die Stadt, um eine große und gefeierte Diva zu werden. Aber die Qualität des Songs, der unter anderem von Ali Zuckowski, dem Sohn von Kinderliedsänger Rolf Zuckowski, geschrieben wurde, ist mittelmäßig. Die Kopie eines James-Bond-Songs. Da gab es bessere Balladen im Wettbewerb, aus Norwegen beispielsweise oder aus Montenegro. "Rise Like A Phoenix" wird erst in Kombination mit seiner Sängerin großartig.
Zwischen nervigen Fragen und Dauerlächeln Viele ihrer Fans hatten in den vergangenen Tagen auf einen Sieg gehofft. Doch laut auszusprechen wagte es kaum einer. Erst nach dem zweiten Semifinale deutet sich das Unfassbare mehr und mehr an. Wurst stieg in den Wettquoten der Buchmacher auf Platz zwei, konnte sich vor Interviewanfragen aus aller Welt kaum noch retten. Jeder wollte den Favoritenschreck mit Bart und Konfektionsgröße 38 kennenlernen. Das Wunder von Kopenhagen nahm seinen Anfang. Es erinnert ein wenig an die Geschichte einer gewissen Lena Meyer-Landruth vor vier Jahren in Oslo. Ebenso wie die Göre aus Deutschland versteht es Wurst perfekt, ihr Publikum für sich einzunehmen. Sie ist Princess Charming. Immer freundlich, immer lächelnd. Selbst nach dem 20. Interview und der hundertsten dummen Frage, ob sie sich zur Frau operieren lassen wolle, bleibt sie die coole, sympathische Lady ohne Starallüren. Eine Diva zum Anfassen, die mit Haut und Haaren für das lebt, was sie darstellt. "Ich bin froh, dass die Menschen meine Emotionen gespürt haben", sagt sie nach dem Sieg in Kopenhagen auf der Pressekonferenz. Und das haben sie. Man kann diese Abstimmung auch als Machtdemonstration des alten Westen deuten, der Putin die Zunge rausstrecken mochte. Schließlich kommen zwölf von dreizehn Höchstwertungen für Wurst aus westlichen Nationen. Dazu passen würden auch die Buhrufe vor und nach dem russischen Auftritt, die es in dieser Form beim Eurovision Song Contest noch nie gegeben hat. Doch diese These lässt die vielen, vielen Stimmen, die Conchita auch aus Ländern wie Russland, der Ukraine und ja, selbst aus Aserbaidschan, erhalten hat, außer Acht. Auch dort haben Menschen ihre Stimme der Frau mit Bart gegeben und damit für Toleranz und Menschenrechte gestimmt. Bravo!
Kampf der Menschenrechte Mit Wurst siegt nicht nur eine Lady mit Bart, sondern eine Missionarin für die Rechte von Schwulen und Lesben. "Sie ist unsere Siegerin", sagen viele homosexuelle ESC-Fans voller Stolz. Sie ist die Kämpferin für Menschenrechte, für Liebe, Frieden, Akzeptanz und Toleranz. Das klingt ein bisschen viel auf einmal. Doch die Weltverbesserin mit Bart passt offenbar hervorragend in eine Zeit, in der West- und Osteuropa in einer gegenseitigen Vertrauens- und Wertekrise steckt. Ein bisschen Conchita statt ein bisschen Frieden. Getrübt wird der Abend von Kopenhagen aus deutscher Sicht nur durch das schlechte Abschneiden von Elaiza. Die drei Musikerinnen hätten einen besseren als den 18. Rang verdient. So gut wie am Samstag waren sie bei keiner Probe. Schade, dass Europa ihre Qualität nicht erkannt hat. Sängerin Ela Steinmetz bedankte sich danach für die Unterstützung der vielen deutschen Fans und sah's pragmatisch: "Wir haben versucht, nicht letzter zu werden. Das hat geklappt." Auch sie gratulierte der Siegerin Conchita Wurst: "Das war wirklich verdient." Wurst habe nicht nur eine tolle Stimme, sondern sei auch für Toleranz eingestanden. "Ich freue mich, dass Europa so weit ist", sagte Steinmetz. Es ist 0.32 Uhr, als Conchita Wurst auf der Bühne in Kopenhagen steht und ihre Trophäe in Empfang nimmt. "Im Rampenlicht zu stehen, das ist das, was ich mir immer für mich und mein Leben gewünscht habe", hatte sie zu stern.de gesagt. Jetzt steht sie auf der größten Musikbühne der Welt und genießt, während Tausende in der Halle ihr zujubeln. Conchita, die stolze Siegerin. Eine Botschaft an alle Hasser da draußen lässt sie sich nicht nehmen. "Wir sind nicht mehr aufzuhalten", sagte sie ins Mikrofon. Die homosexuelle Fangemeinde dankt es ihr mit tosendem Applaus. Danke, Conchita. Oder um es mit Udo Jürgens zu sagen: Merci, Chérie. |
Dragqueen siegt beim Eurovision Song Contest: Conchitas Liebesgrüße nach Moskau Spiegel online, 11.05.2014 - Von Arno Frank
Triumph der bärtigen Conchita Wurst aus Österreich: Sie machte den Eurovision Song Contest zu einem Referendum darüber, was in Europa gesellschaftlich akzeptiert wird und was nicht. Sie siegte - Russland wurde ausgebuht. Weit nach Mitternacht stand die Siegerin des "Eurovision Song Contest" offiziell fest. Es war nicht nur das viertbeste Ergebnis in der Geschichte des Wettbewerbs, es war auch ein im besten Sinne europäisches Ergebnis, der erste Sieg für Österreich seit 1966: Conchita Wurst konnte mit "Rise like a Phoenix" alle anderen Künstler auf die Plätze verweisen. Es war der Schicksalsabend einer Kaiserin.
War es auch ein unterhaltsamer Abend? Kommt darauf an, ob man sich auf die Songs oder darauf konzentrierte, wofür diejenigen standen, die sie zum Vortrag brachten. Wer auf die Frage nach seiner Lieblingsmusik mit dem Namen seines favorisierten Radiosenders antwortet, für den dürfte es ein vergnüglicher Abend mit hohem Wiedererkennungswert gewesen sein. Es gab eine italienische Version von Pink, eine finnische Version von Coldplay, eine niederländische Version von The Police, eine maltesische Version von Mumford & Sons und eine dänische Version von ELO. Griechenland wagte einen zaghaften Ausfallschritt in den Hip-Hop, Island warf sich dem Kindergartenpunk in die Arme. Ansonsten herrschte das übliche Nebeneinander von Augenzwinkern und Pathos, demonstrativer Lebensfreude und großen Gefühlen. Es wurden Anzüge und Kleider und Frisuren getragen. Wenn die Windmaschine lief, gab's auch mal Haut zu sehen. Tänzer tanzten, hüpften Trampolin oder fuhren auf Rollschuhen über die spiegelnde Bühne. Ganz bei sich war auch dieser ESC wieder in den obligatorischen Schnelldurchläufen, bei denen alle Nummern des Abends im Sekundentakt vorbeirauschten und so zu einem süßlichen, bunten und ungenießbaren akustischen Amalgam verschmolzen wurden.
Musik? Es geht um Politik beim ESC Nun wird allenthalben so hartnäckig behauptet, bei dieser Veranstaltung ginge es um Musik, dass höchstwahrscheinlich das Gegenteil richtig ist. Es geht um Politik, immer, und diesmal noch wesentlich mehr als sonst. Für die Schweiz trat ein pfeifender Wirtschaftsanwalt an, im Halbfinale warf sich ein junger Mann aus Bochum für Lettland ins Zeug. Für Deutschland ging eine Saarländerin mit polnischer Mutter und ukrainischem Vater ins Rennen - Elaiza belegten nur den 18. Platz. Das winzige San Marino hatte seine drei Minuten ebenso wie die letzte Diktatur auf europäischem Boden, Weißrussland. Diese Vielfalt nationaler Identifikationsmöglichkeiten, verbunden mit dem Zwang, nur für die anderen und damit das Gute im anderen wählen zu dürfen, immunisieren den ESC eben gegen geschmäcklerische Einwände - und machen ihn zugleich zu einem gesellschaftlichen Großereignis, bei dem es um mehr als nur den Spaß geht und wo ganz andere Dinge verhandelt werden als "gute" oder "schlechte" Musik.
Punkte für Russland wurden im Saal mit Buh-Rufen quittiert Spätestens bei der Stimmverteilung war es denn auch vorbei mit dem Spaß und der beschwipsten familiären Atmosphäre. Da wurde es frostig. Punkte für Russland wurden im Saal mit Buh-Rufen quittiert, was es in solcher Deutlichkeit bisher noch nicht gegeben haben dürfte. Moderator Peter Urban erklärte es zwar sogleich für "unklar", ob die Abneigung der Musik der beiden 17-jährigen Teilnehmerinnen oder doch ihrem Präsidenten galt. Das traurige Schauspiel wiederholte sich allerdings, als Russland seine 12 Punkte an Weißrussland vergab - dabei gab's auch 7 Punkte für die Ukraine. Schließlich war es allein die Teilnahme von Tom Neuwirth alias Conchita Wurst aus Österreich, die diesen ESC zu einem paneuropäischen Referendum darüber machte, was auf diesem Kontinent gesellschaftlich akzeptiert wird - und was nicht.
"We are unstoppable" Als Diva mit Vollbart, die übrigens mit "Rise like a Phoenix" einen tadellosen Bond-Song hinlegte, spaltete Neuwirth die Spaß- und Wirtschaftsgemeinschaft wieder entlang ihrer unsichtbaren Wertegrenze zwischen Ost und West. In Minsk und Moskau war gegen seinen Auftritt scharf protestiert worden. Punkte für den Travestiekünstler mussten daher zwangsläufig zum freiheitlichen Glaubensbekenntnis zu genau dem "Gayropa" werden, als das der Kreml Europa gerne abfällig bezeichnet. Am Ende kam es doch noch zu einem wirklich packenden Kopf-an-Wurst-Rennen zwischen Österreich und den Niederlanden. Die konnten sich mit dem Duo The Common Linnets und einem soliden Neo-Country-Beitrag auf der Bass-Basis von "Every Breath You Take" zwar musikalisch deutlich vom Rest des Feldes absetzen. An diesem Abend aber war die Wahl eine ideologische, und sie hätte deutlicher nicht ausfallen können. Conchita Wurst war sich der symbolischen Qualität ihres Sieges durchaus bewusst. Sie wusste genau, wofür sie stand, als sie sichtlich erschüttert und unter Tränen auf der Bühne die Faust reckte: "We are unstoppable!" Wenn das so ist, sollte einer Rolle als Bond-Girl nichts mehr im Wege stehen. |
Conchita Wurst beim ESC 2014 Triumph von Herz, Humor und Toleranz Süddeutsche.de, 11.05.2014 – Von Hans Hoff
Auf einmal bietet der Eurovision Song Contest so etwas wie eine große Vision: Conchita Wurst geht als strahlende Siegerin aus dem Wettbewerb hervor und Europa beweist, dass es toleranter ist, als erwartet. "Europa ist toleranter als manche vielleicht denken." Am Schluss, weit nach Mitternacht, sagt der altgediente ARD-Kommentator Peter Urban die schönsten Worte, und sie klingen so ergriffen, wie man es von einem ESC-Profi so wohl nicht erwartet hätte. Conchita Wurst hat in Kopenhagen den Eurovision Song Contest gewonnen, hat zwölf Punkte aus Gegenden bekommen, von denen man bisher annahm, dass man dort das Wort Toleranz nicht einmal buchstabieren könnte. Und Humorverständnis hat man dort auch nicht vermutet. Aber in diesem Fall sind enttäuschte Erwartungen die schönsten. Europa hat abgestimmt und einen Menschen mit Bart, der Frauenkleider und einen weiblichen Phantasienamen trägt, zum Sieger des größten Trällerwettbewerbes der Welt erkoren. In solch einem Fall wirken selbst Twittermeldungen wie warmer Regen. "This is Europe", schreibt dort eine kluge Frau, und ein ebensolcher Herr bekennt: "Bin irgendwie stolz auf Europa." Es ist kein einfacher Sieg, den Conchita Wurst da feiern darf, es ist ein Triumph von Herz, Humor und Toleranz, eine Bedeutungsexplosion, die aus der sonst gerne so seelenlosen Abfolge von durchprogrammierten Retortenhits eine bedeutsame Sache macht. Der ESC hat Europa nicht vereinigt, aber er hat gezeigt, dass Europa sich auf etwas einigen kann, wenn es um etwas geht.
Das sein, was man will Sicherlich hat nicht jedem das Lied "Rise Like A Phoenix" gefallen. Es ist nach wie vor eine bombastische Kitschexplosion, die in jedem James-Bond-Vorspann besser aufgehoben wäre als bei einem Schlagerfest. Aber sie wurde halt eben von Conchita Wurst präsentiert, von einer Frau, die zeigen wollte, dass man das, was man sein will, sein kann. Wenn man das Wollen nur mit großer Ernsthaftigkeit und Mut betreibt. "Wir sind eine Einheit", hat Wurst nach der Show gesagt und dann davon geredet, dass diese Einheit "unstoppable" sei. Unaufhaltsam. Nicht auszudenken, wenn nun aus diesem ESC auch noch so etwas wie eine kontinentale Bewegung für mehr Offenheit hervorginge. Es ist kaum anzunehmen, aber dass so etwas in Zeiten der Ukraine-Krise überhaupt denkbar ist, darf man als Wursts Verdienst betrachten. Was dieser ESC-Sieg für Europa bedeutet, wird sich zeigen, wenn alle Wortwitze über den Namen gemacht sind, wenn jede Frau sich einmal einen Bart angeklebt hat, wenn sogar bärtige Männer sich einen Bart angeklebt haben. Barbara Schöneberger stand nach der Siegerehrung mit einem künstlichen Bart auf der Reeperbahn, und sie sah ein bisschen so aus wie jene Frauen, die in "Das Leben des Brian" als Männer verkleidet zur Steinigung gekommen sind. Was normalerweise als Albernheit einer überdrehten Wuchtbrumme durchgegangen wäre, war in diesem Moment ein Ehrenbeweis, eine Reverenz an eine Kunstfigur, die wirklich zu wirken weiß. Da trat rasch in den Hintergrund, dass Conchita Wurst gar nicht für Deutschland als Siegerin in die Geschichte eingehen wird, sondern als Nachfolgerin von Udo Jürgens, der 1966 den Wettbewerb für Österreich gewann.
Die braven Mädchen von Elaiza Deutschlands Beitrag ist dagegen ein bisschen untergegangen. Für die braven drei Mädchen von Elaiza hat sich niemand wirklich interessiert. Sie sind im Schatten des großen Ereignisses gerade mal auf Rang 18 gekommen. Bei 26 Teilnehmern keine herausragende Position. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wo sie denn gelandet wären, wenn das mit Wurst nicht geschehen wäre. Es spielt schlicht keine Rolle. Nach dem Debakel im Vorjahr, als Cascada mit einer peinlichen Popnummer noch weiter hinten landete, reichte es schon, ein schönes Neofolkliedchen mit Würde zu präsentieren und alles zu geben. Elaiza haben alles gegeben und das war leider nicht genug. Pech gehabt. Kann passieren. Dass man mit folkigen Klängen durchaus weit kommen kann, bewies der holländische Beitrag von The Common Linnets. "Calm After The Storm" hieß der Countrysong der beiden Holländer, die sich als Duo mit Gitarren auf der riesigen Bühne einfach gegenüber standen und nur einen Bruchteil der in Kopenhagen verfügbaren Monstertechnik nutzten. Sie sangen einfach ein sehr schönes einfaches Lied, und sie wurden Zweite, wobei es lange tatsächlich so aussah, als könnten sie Wurst die Spitzenposition noch streitig machen.
Herbeigeredetes Duell zwischen Ukraine und Russland Auf dem dritten Platz landete Schweden, was in Ordnung ging und alle Lügen strafte, die vorab wieder einmal ein finsteres Ostkomplott prophezeit hatten. Natürlich schoben sich hier und da Nachbarländer ein paar Punkte zu, aber das mag am Ende einfach daran gelegen haben, dass in Nachbarländern, die möglicherweise noch die gleiche Sprache sprechen, nun mal oft die gleiche Musik populär ist. Auch das von vielen herbei geredete Duell zwischen der Ukraine und Russland fand nicht statt. Natürlich gab es aus den baltischen Staaten extrem wenige Punkte für den russischen Beitrag, aber das mag vielleicht einfach nur an der Musik gelegen haben. Nicht zu überhören waren indes die Buhrufe in der Halle, die oftmals Punkte, die an Russland gingen, begleiteten. Der Unmut aber trat sehr schnell in den Hintergrund angesichts der Spannung, die sich abzeichnete, als deutlich wurde, dass Conchita Wurst tatsächlich gewinnen könnte. Auf einmal lag da etwas in der Luft, das nach großer Vision roch. Der Eurovision Song Contest hat sich mit dieser Ausgabe wieder seinen Platz zurückerobert als Veranstaltung, die Länder nicht durch Konkurrenz trennt, sondern durch die Kraft der Musik und der in ihr liegenden Idee eint. |