55. Eurovision Song Contest - 29. Mai 2010 | |
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Halle | Telenor Arena |
Motto | Share The Moment |
Moderation | Erik Solbakken, Haddy N'jie, Nadia Hasnaoui |
Pausen-Act | Madcon - "Glow" (Flashmob) |
Wertung | Jury-/Televoting 50/50% |
Teilnehmer | 39 Länder (Finale 25 / Semifinale jeweils 17) |
Siegerland: Deutschland | |
Interpretin: Lena | |
Titel: "Satellite" | |
Musik & Text: Julie Frost & John Gordon |
PLATZIERUNGEN UND PUNKTE
Finale - 29. Mai 2010 | |||
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Platz Land | Punkte | Startnr. | |
1. | Deutschland Lena "Satellite" | 246 | 22 |
2. | Türkei maNga "We Could Be The Same" | 170 | 14 |
3. | Rumänien Paula Seling & Ovi "Playing With Fire" | 162 | 19 |
4. | Dänemark Chanée & N'evergreen "In A Moment Like This" | 149 | 25 |
5. | Aserbaidschan Safura "Drip Drop" | 145 | 1 |
6. | Belgien Tom Dice "Me And My Guitar" | 143 | 7 |
7. | Armenien Eva Rivas "Apricot Stone" | 141 | 21 |
8. | Griechenland Giorgos Alkaios & Friends "OPA" | 140 | 11 |
9. | Georgien Sofia Nizharadze "Shine" | 136 | 13 |
10. | Ukraine Alyosha "Sweet People" | 108 | 17 |
11. | Russland Peter Nalitch & Friends "Lost And Forgotten" | 90 | 20 |
12. | Frankreich Jessy Matador "Allez! Ola! Olé!" | 82 | 18 |
13. | Serbien Milan Stanković "Ovo je Balkan" | 72 | 8 |
14. | Israel Harel Skaat "Milim" | 71 | 24 |
15. | Spanien Daniel Diges "Algo pequeñito" | 68 | 2 |
16. | Albanien Juliana Pasha "It's All About You" | 62 | 15 |
17. | Bosnien & Herzegowina Vukašin Brajić "Thunder And Lightning" | 51 | 6 |
18. | Portugal Filipa Azevedo "Há dias assim" | 43 | 23 |
19. | Island Hera Björk "Je ne sais quoi" | 41 | 16 |
20. | Norwegen Didrik Solli-Tangen "My Heart Is Yours" | 35 | 3 |
21. | Zypern Jon Lilygreen & The Islanders "Life Looks Better In Spring" | 27 | 5 |
22. | Moldau SunStroke Project & Olia Tira "Run Away" | 27 | 4 |
23. | Irland Niamh Kavanagh "It's For You" | 25 | 10 |
24. | Belarus 3+2 "Butterflies" | 18 | 9 |
25. | Ver. Königreich Josh "That Sounds Good To Me" | 10 | 12 |
Semifinale 1 - 25. Mai 2010 | |||
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Platz Land | Punkte | Startnr. | |
1. | Belgien | 167 | 10 |
2. | Griechenland | 133 | 13 |
3. | Island | 123 | 17 |
4. | Portugal | 89 | 14 |
5. | Serbien | 79 | 7 |
6. | Albanien | 76 | 12 |
7. | Russland | 74 | 2 |
8. | Bosnien & Herzegowina | 59 | 8 |
9. | Belarus | 59 | 16 |
10. | Moldau | 52 | 1 |
11. | Finnland Kuunkuiskaajat "Työlki ellää" | 49 | 5 |
12. | Malta Thea Garrett "My Dream" | 45 | 11 |
13. | Polen Marcin Mroziński "Legenda" | 44 | 9 |
14. | Estland Malcolm Lincoln "Siren" | 39 | 3 |
15. | EJR Mazedonien Gjoko Taneski "Jas ja imam silata" | 37 | 15 |
16. | Slowakische Republik Kristina Pelakova "Horehronie" | 24 | 4 |
17. | Lettland Aisha "What For? | 11 | 6 |
Semifinale 2 - 27. Mai 2010 | |||
1. | Türkei | 118 | 17 |
2. | Aserbaidschan | 113 | 7 |
3. | Georgien | 106 | 16 |
4. | Rumänien | 104 | 10 |
5. | Dänemark | 101 | 4 |
6. | Armenien | 83 | 2 |
7. | Ukraine | 77 | 8 |
8. | Israel | 71 | 3 |
9. | Irland | 67 | 12 |
10. | Zypern | 67 | 14 |
11. | Schweden Anna Bergendahl "This Is My Life" | 62 | 6 |
12. | Litauen InCulto "Eastern Europe Funk" | 44 | 1 |
13. | Kroatien Feminnem "Lako je sve" | 33 | 15 |
14. | Niederlande Sieneke "Ik ben verliefd (Sha-la-lie)" | 29 | 9 |
15. | Bulgarien Miro "Angel si ti" | 19 | 13 |
16. | Slowenien Ansambel Žlindra & Kalamari "Narodno zabavni rock" | 6 | 11 |
17. | Schweiz Michael von der Heide "Il pleut de l'or" | 2 | 5 |
ALLGEMEINE INFORMATIONEN
Der ausrichtende TV-Sender NRK hatte als Veranstaltungsort die neuerbaute Telenor-Arena ausgewählt. Sie ist Nord-europas größtes Indoor-Stadion mit ca. 23.000 Plätzen. Insgesamt 39 Länder haben einen Act nach Oslo entsandt. Wegen der Finanzkrise haben Ungarn, Andorra, Montenegro und San Marino abgesagt, Österreich blieb erneut fern wegen zu hoher Kosten und Unzufriedenheit mit dem Reglement, und in Tschechien fehlte nach dreimaligem Scheitern im Semifinale angeblich das Zuschauerinteresse. Die sog. Big 4 - Länder und der Gastgeber Norwegen waren für das Finale gesetzt, die restlichen 34 Länder wurden auf die beiden Semifinale aufgeteilt. Aus jedem Semifinale erreichten die besten Zehn das Finale.
Nachdem 2009 die hälftige Jurywertung nur im Finale zur Anwendung gekommen war, entschied die EBU, das 50/50-Splitvoting auch in den Semifinalen anzuwenden. Außerdem wurden die Telefonleitungen bereits nach dem ersten Lied freigeschaltet.
Erstmals in der ESC-Geschichte wurde für das Finale ein sog. "Flash-Mob" inszeniert. In mehreren europäischen Städten (z.B. Oslo, London, Ljubljana) und sogar auf dem Burgplatz in Düsseldorf trafen sich auf Anregung des NRK Tausende von ESC-Fans, um gemeinsam nach einer im Internet gezeigten Choreografie zu tanzen. Die "Postcards" wurden nach längerer Zeit wieder in den einzelnen Teilnehmerländern gedreht unter Beteiligung von ESC-Fans. So waren bei der deutschen Postkarte ECG-Mitglieder in Berlin vor dem Brandenburger Tor dabei.
Die Moderation übernahm ein Trio:
Erik Solbakken und Haddy N'jie moderierten die Show, Nadia Hasnaoui die Wertung.
Erik Solbakken ist Moderator von Kindersendungen im norwegischen Fernsehen.
Haddy N'jie ist eine norwegische Komponistin, Sängerin und Journalistin, ihr Vater stammt aus Gambia.
Nadia Hasnaoui moderierte seit 1991 verschiedene Formate im norwegischen Fernsehen. Ihr Vater stammt aus Marokko.
FAZIT
Deutschland gewann den ESC, und zwar in einer solchen Deutlichkeit, wie man sie selten erlebt hat. Das Gesamtpaket „Lena“ hat so ziemlich ganz Europa überrascht, aber auch überzeugt. So etwas aus Deutschland zu sehen und zu hören, damit haben wohl die wenigsten Zuschauer gerechnet. Da stellt sich eine junge Abiturientin auf diese Bühne, singt einen flotten Popsong und hopst dazu ein wenig herum. Keine ausgefeilte Choreographie hat es gebraucht, keine theatermäßige Inszenierung. Dass eine solche Performance zum Sieg führen kann, dürfte all diejenigen erschreckt haben, die wieder einmal das ganze doch so ESC - typische Arsenal an Kostümen und Requisiten aufgeboten hatten. „Das wollen wir nicht mehr sehen“ schien die Mehrzahl der Televoter und Juroren sich gedacht zu haben. Und so hagelte es nur so Höchstwertungen für Lena und ihr „Satellite“.
Wie immer, gab es auch dieses Mal handfeste Überraschungen bei der Wertung. Der als einer der Favoriten immer wieder genannte Vertreter des Gastgeberlandes, der norwegische Tenor Didrik Solli-Tangen, stürzte ebenso ab wie die ESC-Siegerin von 1993, Niamh Kavanagh, die es noch einmal wissen wollte.Und erstmals seit der Einführung der Semifinals scheiterte Schweden im Halbfinale. Anna Bergendahls Gitarren-Lied fiel halt auch aus dem Rahmen des sonst so üblichen Schweden-Pop.
Und einmal mehr gelang es der Favoritin der ESC - Fangemeinde, in diesem Jahr der Isländerin Hera Björk - ECG-Clubtreffen-Stargast 2009, nicht, eine gute Platzierung zu erreichen. Stattdessen belegte überraschender Weise die türkische Rock-Band maNga den zweiten Platz, und der Belgier Tom Dice konnte mit seinem ruhigen Gitarren-Titel immerhin Platz sechs erreichen.
Natürlich gab es auch in diesem Jahr wieder die eine oder andere ESC - typische Inszenierung, so die überladene Performance Armeniens und der verkitschte Auftritt der Weißrussen, passend zum Titel "Butterflies" mit Schmetterlingsflügeln ausgestattet! Die - wie man lesen konnte - äußerst kostenintensive Promotion-Maschinerie Aserbaidschans brachte der 19-jährigen Safura (in den Medien zur schärfsten Konkurrentin Lenas hochstilisiert) immerhin den fünften Platz ein.
Während des Auftritts des Spaniers Daniel Diges gelang es eine Störnfreid namens "Jimmy Jump", die Bühne zu stürmen. Er wurde von Sicherheitskräften abgeführt. Spanien durfte seine Performance als Nummer 26 wiederholen.
Die Niederländer versuchten es mit einem Lied von Vader Abraham, dem Vater der Schlümpfe, aber Sieneke erreichte mit "Ik ben verliefd (Sha-la-lie)" das Finale nicht, obwohl sie die Halle zum Mitschunkeln brachte.
Dieser 55. Eurovision Song Contest wird in die Geschichte eingehen, auch wegen der glänzenden Umsetzung durch den ausrichtenden norwegischen Sender NRK. Der verzichtete auf die vermeintlich schon unentbehrlichen riesigen LED-Animationen, brachte eine technisch perfekte Show auf den Bildschirm, der es aber dennoch an Charme nicht mangelte. Genial war der Pausenact. In einigen europäischen Städten (u.a. in Düsseldorf) waren zuvor lokale Flashmobs veranstaltet und von NRK gefilmt worden. Überall tanzten junge Menschen zur Musik des norwegischen Duos Madcon - "Glow". Und während der Wertungspause wurde ein Zusammenschnitt dieser Filme mit Bildern aus der Telenor-Arena in Oslo kombiniert, wo Madcon live auftraten und das gesamte Hallenpublikum mittanzte. Das in der Halle mitzuerleben als auch am Bildschirm anzusehen, war eine wahre Freude.
In Deutschland kannte der Jubel über diesen Sieg 28 Jahre nach Nicoles "Ein bisschen Frieden" keine Grenzen. Und bereits in der Sieger-Pressekonferenz in der Nacht des 29. Mai verkündete Stefan Raab, dass Lena ihren Titel im nächsten Jahr in Deutschland (in welcher Stadt auch immer) verteidigen wolle!
DIE TEILNEHMENDEN - FINALE
1.Aserbaidschan Safura "Drip Drop" | M.: Anders Bagge, | |
2. Daniel Diges "Algo pequeñito" | M. & T.: | |
3. Didrik Solli-Tangen ”My Heart Is Yours" | M. & T.: | |
4. SunStroke Project & "Run Away" | M.: Anton Ragoza, | |
5.
"Life Looks Better | M.: Nasos Lambrianides, | |
6. Vukašin Brajić "Thunder And | M. & T.: | |
7. Tom Dice "Me And My Guitar" | M. & T.: | |
8. Milan Stanković "Ovo je Balkan" | M.: Goran Bregović | |
9.Belarus 3+2 "Butterflies" | M.: Maxim Fadeev | |
10. Niamh Kavanagh "It's For You" | M. & T: | |
11. Giorgos Alkaios & | M.: Giorgos Alkaios | |
12. Josh "That Sounds Good | M. & T.: | |
13. Sofia Nizharadze "Shine" | M. & T.: | |
14. maNga "We Could Be | M.: maNga | |
15.Albanien Juliana Pasha "It's All About You" | M.: Ardit Gjebrea | |
16. Hera Björk "Je ne sais quoi" | M. & T.: | |
17.Ukraine Alyosha "Sweet People" | M.: Olena Kucher, | |
18. Jessy Matador "Allez! Ola! Olé!" | M. & T.: | |
19. Paula Seling & Ovi "Playing With Fire" | M. & T.: | |
20.
"Lost And Forgotten" | M. & T.: | |
21. Eva Rivas "Apricot Stone" | M.: Armen Martirosyan | |
22. Lena "Satellite" | M. & T.: | |
23. Filipa Azevedo "Há dias assim" | M. & T.: | |
24. Harel Skaat "Milim" | M.: Torner Adaddi | |
25. Chanée & N'evergreen "In A Moment Like This" | M. & T.: |
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE 1
1.Moldau SunStroke Project & "Run Away" | M.: Anton Ragoza, | |
2. Peter Nalitch & Friends "Lost And Forgotten" | M. & T.: | |
3. Malcolm Lincoln ”Siren" | M. & T.: | |
4. "Horehronie" | M.: Martin Kavulic | |
5.
"Työlki ellää" | M. & T.: | |
6. Aisha "What For?" | M.: Janis Lusens | |
7.Serbien Milan Stanković "Ovo je Balkan" | M.: Goran Bregović | |
8. Vukašin Brajić "Thunder And | M. & T.: | |
9.Polen Marcin Mroziński "Legenda" | M.: Marcin Nierubiec | |
10. Tom Dice "Me And My Guitar" | M. & T.: | |
11. Thea Garrett "My Dream" | M.: Jason Cassar | |
12. Juliana Pasha "It's All About You" | M.: Ardit Gjebrea | |
13.
| M.: Giorgos Alkaios | |
14. Filipa Azevedo "Há dias assim" | M. & T.: | |
15.EJR Mazedonien Gjoko Taneski "Jas ja imam silata" | M. & T.: | |
16. 3+2 "Butterflies" | M.: Maxim Fadeev | |
17.
Hera Björk "Je ne sais quoi" | M. & T.: |
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE 2
1. InCulto "Eastern European Funk" | M. & T.: | |
2. Eva Rivas "Apricot Stone" | M.: Armen Martirosyan | |
3. Harel Skaat ”Milim" | M.: Torner Adaddi | |
4. Chanée & N'evergreen "In A Moment Like This" | M. & T.: | |
5.
"Il pleut de l'or" | M.: Michael.v.d. Heide, | |
6. Anna Bergendahl "This Is My Life" | M.: Bobby Ljunggren | |
7.Aserbaidschan Safura "Drip Drop" | M.: Anders Bagge, | |
8. Alyosha "Sweet People" | M.: Olena Kucher, | |
9.Niederlande Sieneke "Ik ben verliefd | M. & T.: | |
10.
Paula Seling & Ovi "Playing With Fire" | M. & T.: | |
11. Ansambel Žlindra & | M.: Marino Legović | |
12. Niamh Kavanagh "It's For You" | M. & T: | |
13. | M. & T.: | |
14. Jon Lilygreen & "Life Looks Better | M.: Nasos Lambrianides, | |
15.Kroatien Feminnem "Lako je sve" | M.: Branimir Mihaljević | |
16. Sofia Nizharadze "Shine" | M. & T.: | |
17.
maNga "We Could Be The Same" | M.: maNga |
(Fotos der Teilnehmertabellen: © EBU / eurovision.tv. und ECG e. V.)
DIE WERTUNG
DIE WERTUNG SEMIFINALE 1 + 2
AUS DER PRESSE
Love, oh Lovevon Matthias Oden und Anja Rützel , Financial Times Deutschland, 31. Mai 2010
Sie ging als einer der Favoriten nach Oslo, aber dass ihr Sieg so deutlich ausfallen würde, hätte keiner gedacht. Lenas Auftritt beim Eurovision Song Contest war ein Triumph – und ein Durchmarsch des Unkonventionellen. Er wird den Strauß einfach nicht los. Christian Wulff steht da, am Sonntagnachmittag auf dem Flughafen in Hannover, und findet keine Gelegenheit, seine Blumen an die Frau zu bringen. Gerade eben ist sie gelandet, drückt ihm erst mal einen Kuss auf die Wange – und wendet sich ab, um die beiden Moderatoren Matthias Opdenhövel und Sabine Heinrich zu begrüßen. Dann reden alle ein bisschen miteinander, Wulff steht daneben, die Blumen im Arm, und endlich, endlich gelingt es ihm doch noch, Lena Meyer-Landrut den Strauß zu überreichen. Er spricht vom „Symbol der großen Freude“ und von den „Grüßen der Frau Bundeskanzlerin“. Sie sagt „danke“ und stapft dann los, vorbei am roten Teppich, rüber zu den Fans, die schon seit Stunden warten: „Ihr seit ja verrückt“, ruft sie ihnen durchs Megafon eines Polizeiwagen zu. „Geht doch rein, es regnet.“ Es ist eine Szene, wie sie besser kaum symbolisieren könnte, warum Lena am Vortag beim Eurovision Song Contest die Konkurrenz auf die Plätze verwies und ihr Lied „Satellite“ knapp 30 Jahre nach Nicoles Pazifistenschnulze „Ein bisschen Frieden“ den Siegespokal nach Deutschland holte. Lena – das blieb nämlich auch in Oslo die Verkörperung unbekümmerter Unperfektheit und unberechenbarer Spontaneität, Wesenszüge, die nun nicht eben als sprichwörtlich typisch deutsch gelten. Zu Hause war sie in den vergangenen Monaten die bildungsbürgerliche Alternative zu Dieter Bohlens Hartz-IV-Sonnenbänkelsängern von DSDS. Nun, international, bildete sie den Gegenentwurf zu hoch geschnallten armenischen Showbrüsten, Hans-Klok-Föhnfrisuren aus Dänemark und weißrussischen Schmetterlingssängern: eine beim Tanzen in den Knien einknickende 19-Jährige, die zwischen den Versen hörbar nach Luft japste, und deren Bühnenauftritt ebenso minimalistisch war wie ihr Lied eingängig. Tatsächlich sollte das bohrend-betörende Leitmotiv von „Satellite“ der einzige Ohrwurm des Abends sein. Die restlichen Beiträge: das übliche Grand-Prix-Pandämonium aus über dramatisch vorgetragenen Schmachtballaden und wummerndem Neopop à la Balkandisko. Selbst den beiden treibendsten Beiträgen – Griechenlands Antikrisensong „OPA“ und Frankreichs stark an Ricky Martins Fußballhymne „Copa de la Vida“ erinnerndes „Allez! Olla! Olé!“ - fehlte das letzte bisschen Kraft, um sich von der Banalität des Durchschnittlichen befreien zu können. Und das war dann die vielleicht größte Überraschung des Abends: dass es nicht einen Kandidaten gab, der auch nur annähernd so begeisterte wie die Abiturientin aus Hannover. Bereits nach der sechsten Punktevergabe lag Lena in Führung, und während sich die besten ihrer Wettbewerber ein Rennen um Platz zwei und drei lieferten, geriet ihr Vorsprung nie wirklich in Gefahr. So fand das, was NDR-Kommentator Peter Urban den „kometenhaftesten Aufstieg der deutschen Popgeschichte“ nannte, seine Vollendung im Durchmarsch von Oslo: Mit 76 Punkten Vorsprung siegte Lena am Ende überdeutlich vor dem Zweitplatzierten Türkei. Rund 14,69 Millionen Fernsehzuschauer verfolgten den Song Contest – mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr, mehr als das zeitgleiche Länderspiel Deutschland-Ungarn und Vitali Klitschkos Boxkampf zusammen. Und spätestens als Lena während ihres Siegesauftritts die Deutschlandfahne verkehrt herum und wie ein besudeltes Handtuch über die Bühne trug, war klar, dass sie sich diese Rekordquote mehr als verdient hatte. „Total irreal“, lautete das recht fassungslose Fazit der Siegerin, die nach Stefan Raabs Willen auch nächstes Mal wieder antreten soll. Und damit hatte sie wohl irgendwie recht: Nach Jahren herzerweichender Niedrigqualität der deutschen Teilnehmer findet der Eurovision Song Contest 2011 nun ausgerechnet hierzulande statt. Oder, wie es ein begeisterter Zuschauer bereits in der Siegesnacht auf Twitter ausdrückte: „Jetzt Aktien kaufen, nun ist alles möglich!“ |
Europas Glückskindvon Holger Kreitling, Die Welt, 31. Mai 2010 Mit überwältigender Mehrheit gewann die 19-jährige Lena Meyer-Landrut den Eurovision Song Contest. Sie bleibt ein Rätsel: Es hat noch nie einen Star gegeben, über den man so wenig weiß.
Vierzig Meter können für einen Sieger eine verdammt lange Strecke sein, egal wie glückstrunken und freudeberauscht er ist. Es ist nach zwei Uhr in der Frühe, als Lena Meyer-Landrut die große Party nach dem Eurovision Song Contest erreicht. In einem Hotel im Stadtzentrum ist eine Etage freigeräumt, es gibt zum Erstaunen der anderen Teilnehmer des Wettbewerbs viel deutsche Bratwurst und kleine Frankfurter Würstchen. Im Tanzsaal ist die Stimmung bestens. Die Europäer wollen Lena feiern. Und sie wollen singen. „Love, oh love“. Der deutsche Tross steht auf einmal da, zu erkennen am Blitzlichtgewitter, Lena wird durch Gänge in Richtung Saal geschoben. Worte werden gebrüllt, erst erklingt aus den Lautsprechern das Lied „Congratulations“, dann unter großem Jubel „Satellite“, ihr Siegersong. 40 Meter weit kommt Lena in Richtung Tanzfläche, um dort vielleicht ein paar Tanzschritte für die Kameras zu wagen, 40 Meter, dann ist der Rummel zu groß. Der Pulk dreht sich, Lenas Gesicht ist bleich und starr, sie schüttelt den Kopf, Stefan Raab hält sie an der schmalen Schulter fest, glatzköpfige Männer kämpfen den Weg frei. In diesem Augenblick steht im schönen Gesicht der 19-Jährigen Ratlosigkeit, Schrecken und Furcht. Lena, das Glückskind Europas, die neue Prinzessin des internationalen Pop, will nur weg. Und es ist, als erkenne sie in diesem Moment tatsächlich, was in den kommenden Tagen, Wochen, Monaten auf sie zukommt. Nach 40 Meter Strecke. Sie schüttelt still den Kopf und geht wie ferngesteuert. Es ist ihr zu viel. Man weiß heute von der Sängerin Nicole wenig, nur, dass die letzte deutsche Siegerin des Song Contests immer noch „Ein bisschen Frieden“ singt. Seit nunmehr 28 Jahren. Nicole war damals 17 Jahre alt, Lena ist vor einer Woche 19 geworden. Es ist das Privileg der Gewinner, ihr Lied unaufhörlich vortragen zu dürfen, ob sie das will oder nicht, eine lange Zeit noch, und sie wird sich an viel Aufruhr gewöhnen müssen. Bei der After-Show-Party geht der Rückzug flott, eine breite Treppe herunter, durchs Foyer und raus. Die begeisterten Fans und die Fotografen bleiben zurück. Stefan Raab hatte vorher angekündigt, Lena und er wollten sich so richtig weg schießen, mit den Mitarbeitern feiern, Party machen. Anderswo. Ist das Mädchen anders als die Darstellerin und Sängerin von „Satellite“? Aber ja! Das ist eben, Teil ihres Erfolgs. In den drei Minuten auf der Bühne hat sie es geschafft, fast ganz Europa mit ihrem Auftritt zu bezaubern. Von 39 Nationen vergaben nur vier keine Punkte (Anm. d. Red.: Es waren 5 – Belarus, Israel, Moldau, Georgien und Armenien), mehrere Juroren sandten die zwölf Punkte direkt an „Lovely Lena“... Lenas ungezwungene Art, ihr Lächeln und ein sehr guter Popsong verführten so unterschiedliche Länder wie Estland, die Slowakei und die Schweiz zu Höchstwertungen. Sie kam, sang und siegte. Die Veteranen stimmen begeistert die Schlagerweisheit an: „Wunder gibt es immer wieder.“ ... Wie klar und vernünftig Lena Meyer-Landrut ist, wie schalkhaft und zugleich ausgekocht, beweist sie gleich nach dem Sieg. Vor der versammelten Presse sind ihre ersten Worte: „Hallo.“ Jubel und Fahnenschwenkerei im Publikum. „Hallo, ich bin Lena, ich bin 19 Jahre alt, und ich komme aus Hannover.“ Wie beim Formel-1-Rennen spritzen sie und Stefan Raab mit Sektflaschen die Meute nass, sie singen „Ich – liebe – deutsche – Land“ und schwenken die schwarz-rot-goldene Fahne. Dann folgen immer wieder Stimmungsbeschreibungen wie „Wahnsinn“, „irreal“, „surreal“, geschockt“. Wie „500 kleine Hundebabys“ freue sie sich, ruft Lena, und fügt eine Zahl hinzu, die irgendwie nicht korrekt wiederzugeben, jedenfalls enorm riesengroß ist und das ganze Glücksausmaß verdeutlichen soll. Wie immer rettet sich das fröhliche Mädchen in flapsige Gesten, in spleenige Ausflüchte, die nie richtig einleuchten, doch stets beredsam sind. Sie ist spontan, doch sich ihrer Wirkung sehr bewusst, auch wenn sie selbst darüber überrascht scheint, wenn 120 Millionen Europäer sie schlicht toll finden. Ihre gespielten Zusammenbrüche, ihr Teenager-Reichtum sind unschlagbar europäisch, Sie zeigt Generationen und Nationen, wie es ist, heute jung und froh zu sein. Wie der kurze Besuch bei Norwegens Kronprinzessin Mette-Marit direkt nach dem Sieg war, wird sie gefragt. Ehrliche Antwort: „So eine Prinzessin ist schon was Geiles.“ Ein ulkiges rosa Kostüm habe Mette-Marit getragen, erzählt Lena. Dann eine kleine Bedenkpause: „Komisch“ sei es gewesen, entfährt es ihr mit einem Kräuseln um die Nase, komisch im Sinne von seltsam. Und klar: Die Pop-Prinzessin redet hier nicht bloß über Mette-Marit. Wie sie sich jetzt fühle? „So wahnsinnig verdammt anders.“ Eben. (…) Der Siegeszug der Lena Meyer-Landrut ist eine der erstaunlichsten und mit Sicherheit positivsten Geschichten, die das Castingshow-Zeitalter der letzten Jahre hervorgebracht hat. Sie selbst hat mehrfach daraufhin gewiesen, dass noch vor wenigen Monaten ihr Leben ganz normal war. Lena stand auf keiner Bühne. Dann entschied sie heimlich, sich für den Wettbewerb „Unser Star für Oslo“ zu melden, sie wurde unter mehr als 4000 Bewerbern angenommen und setzte sich durch. Was sie vor der Entdeckung tat und dachte, weiß man nicht. Was sie heute denkt und jenseits der Glitzerwelt tut, weiß man auch nicht. Es hat wohl noch nie einen Star gegeben, über den so wenig bekannt ist. Wer ihre Familie ist, wer ihre Freunde sind – unbekannt. Es gibt kein Bild der Mutter, der Diplomaten-Großvater hält sich zurück, der leibliche Vater wurde von „Bild“ entdeckt, er hat Lena seit 16 Jahren nicht gesehen. Lena wehrt wie ihr Beschützer Stefan Raab konsequent alle Fragen über ihr Privatleben ab. Auch Sonntagnacht wurde sie gefragt, ob sie einen Freund habe und ihm vielleicht den Erfolg widme? Fehlanzeige. „I don't talk about my private life.“ Die Wunschtochter des deutschen Bürgertums bleibt verschlossen; so verschlossen und zurückhaltend übrigens wie das echte Bürgertum des 19. Jahrhunderts, von dem die glühenden Neuverfechter kaum eine Ahnung haben, es ebenfalls war. Man spricht darüber nicht. (…) Auf ihrem Album sind genug Songs, um die Hitparaden Europas für eine Weile zu bestimmen. Doch die Popgeschichte ist angefüllt mit überforderten Musikern, die den Erfolg verkraften müssen und zu ihren eigenen Darstellern wurden. Wird sich Lena weiter verhüllen können und ihre Stärken ausspielen, ohne einzufrieren? Stefan Raab sagt dazu, man werde behutsam planen und sie beschützen. Er bittet um Nachsicht mit der Künstlerin. Lena selbst hat in den letzten Tagen immer wieder Zuflucht zur Musik gesucht, hat mehrfach mit Mentor Stefan Raab gesungen und witzige Einlagen aufgeführt. Das hat wunderbar funktioniert. Sie soll plappern, sie soll Lena sein. Doch es bleibt eine Wahrheit: Die 40 Meter in der Nacht von Oslo waren ein Klacks. „Love, oh love.“ Vorhang auf. |
Unser Mädchenvon Edo Reents, Frankfurter Allgemeine, 31. Mai 2010 Lenas Sieg zeigt Europa, dass es noch über eine andere gemeinsame Währung verfügt.
War wenigstens das Koketterie – als sie hinterher sagte, sie sei nicht stark genug, die Trophäe zu tragen? Der Sieg Lena Meyer-Landruts beim Eurovision Song Contest in Oslo ist schon insofern historisch, als er der erste deutsche seit achtundzwanzig Jahren ist. 1982 gewann, siebzehnjährig, in einem rührend biederen Kleid, mit Föhnwelle und akustischer Gitarre Nicole mit dem Lied „Ein bisschen Frieden“; dieses Mal eine neunzehnjährige Abiturientin, ebenfalls als Solistin, in einem auffallend schlichten schwarzen Kleid, mit fast noch ein wenig ungelenken Bewegungen und dem eher konventionellen Liebeslied „Satellite“. Wieder war es das Unschuldig-Unbedarfte, das sich durchsetzte gegen Abgebrühteres. Ist die Zeit denn stehen geblieben? Dieser Sieg, der trotz der enormen Aufmerksamkeit wie aus dem Nichts kommt und mit den Tennis-Erfolgen Boris Beckers und Steffi Grafs zu vergleichen ist, war wohl eher deswegen möglich, weil die Zeiten sich geändert haben; er birgt insofern auch eine äußerst ästhetische Dimension. Nach dem Ende der Sowjetunion suchten die ost- und südosteuropäischen Ländern, die mit Macht, Selbstbewusstsein und lustvoller Unverbrauchtheit in diesen Wettbewerb drängten, Anschluss an die Ästhetik westlicher Unterhaltungsmusik: Statt der traditionellen, steif-kontrollierten Anmutung gaben in den vergangen Jahren durchchoreographierte, extrovertierte, bisweilen auch ordinäre, aber insgesamt austauschbare Darbietungen den Ton an. Von dieser gleichsam internationalisierten, schnell verbrauchten Ästhetik hebt sich Lena Meyer-Landrut auffällig ab. Auf öffentlichen Bühnen gibt es nichts, was nicht inszeniert wäre; aber der Auftritt dieser unausgebildeten Sängerin ließ einen Willen zur Stilisierung kaum erkennen und käme insofern dem nahe, was wir unter einer natürlichen Ausstrahlung verstehen, die in Zeiten des Überdrusses an Konfektionsware einfach besser ankommt. Dabei wäre es verfehlt, hier eine besonders ausgeprägte individuelle Note zu wittern. Lena Meyer-Landrut wird vor allem für das bewundert, was nicht individuell an ihr ist: dass sie sich vernünftigerweise reifer, cooler gibt, als sie ist. In Übersee würde man sie ein „all American girl“ nennen; hier attestiert man ihr, zu Recht, die keineswegs sonderlich beflissene Nettigkeit und Natürlichkeit des Mädchens von nebenan, das auch unter größter Anspannung und Belagerung, aber vor allem auch im größten Triumph auf dem Teppich bleibt und niemanden provoziert. Das ungeachtet ihres attraktiven Äußeren Harmlos-Unverruchte wirkte auch deswegen so überzeugend, weil sich seine Präsentation keiner Absicht zu verdanken schien, die, bei einem Hintermann namens Stefan Raab, natürlich trotzdem dahinter steckte. Wenn also Lena Meyer-Landrut in der reduzierten, ganz auf sich allein gestellten und ohne Mätzchen auskommenden Darbietungsweise die Fortsetzung Nicoles mit anderen Mitteln ist, dann ist Stefan Raab der moderne Ralph Siegel, der seinerzeit Nicole betreute und ebenfalls das Maß aller Dinge war. Das ist deswegen verwunderlich, weil Raab es war, der mit seinen programmatisch gegen die alte Siegel-Ästhetik gerichteten Grand-Prix-Engagements für jene sogenannte Spaßgesellschaft stand, die der späten Kohl- und der Schröder-Ära als ein vom Boulevard und vom Privatfernsehen befeuerter Sittenverfall angekreidet wurde. Dass sich Raab, der vom in dieser Sache zunehmend ratlosen öffentlich-rechtlichen Fernsehen gleichsam als Retter an Bord geholt wurde, nach mehrmaligen musikalisch keineswegs minderwertigen Anläufen nun mit seinem Schützling durchgesetzt hat, sollte immerhin Anlass sein, ihm als einem von wenigen nicht nur die ohnehin vorhandene Professionalität, sondern auch künstlerisches Gespür und, im behütenden Umgang mit seiner Sängerin, Verantwortungsbewusstsein zuzugestehen. Denn unverkennbar mischte sich in die große Freude auch eine gewisse Bangigkeit – jeder weiß, unter welchem Druck zumal sehr junge Objekte einer solchen Aufmerksamkeit stehen. Was sagt dieser auch in der Punktzahl erstaunlich souveräne Sieg über unsere Zeit aus? Als Lena Meyer-Landrut im Mai 1991 geboren wurde, war Michail Gorbatschow Präsident der bald darauf endgültig kollabierenden Sowjetunion. Aus ihrer Heimatstadt Hannover schickten die Scorpions „Wind of Change“ um die Welt. Helmut Kohl betrieb mit noch einmal verstärkter Energie die europäische Einigung, deren Ergebnisse den damals Geborenen heute wie selbstverständlich erscheinen. Auch in diesem Lichte sind dieser so oft diskreditierte Liederwettbewerb und der überraschend deutsche Sieg Ereignisse als Bestätigung dafür, dass es in diesen Zeiten, die für die EU schwieriger denn je sind, einer europäischen Öffentlichkeit nicht nur möglich ist, sondern auch geboten erscheint, sich auf bemerkenswert faire, skandalfreie Weise über ästhetische Fragen zu verständigen, die in die Gesellschaft hineinwirken und nicht nur ein vordergründiges Interesse bedienen. Lena Meyer-Landruts Triumph von Oslo zeigt uns, wenn auch nur für einen Moment, dass es in Europa noch eine andere Währung gibt, auf die sich alle einigen können: die menschlich-künstlerische. |