Erstmals in der ESC-Geschichte gibt es in diesen Tagen mehrere Termine, sog. ESC-Roadshows, bei denen ARD-Unterhaltungschef Dr. Thomas Schreiber, der in Deutschland für den ESC verantwortlich ist, das neue Konzept für die deutsche ESC-Vorentscheidung Interessierten und Fans erläutert, gemeinsam mit dem neuen Head Of Delegation Christoph Pellander und den Verantwortlichen bei digame, Werner Klötsch, und bei Simon-Kucher & Partners, Daniel Korany.
Als Thomas Schreiber mit diesem Vorschlag auf uns zu kam, waren wir natürlich sofort angetan von dieser Idee und schlugen vor, diese Roadshows in Berlin, Frankfurt, Hamburg und München zu veranstalten. Der Termin in Köln beim ECG-Clubtreffen am 25.11.2017 stand ja bereits früher fest.
Am 08.11.2017 gab es den zweiten Termin dieser Reihe in Frankfurt. Durch Vermittlung unseres Frankfurter Regionalleiters Bernd Ochs traf man sich im Lesbisch-schwulen Kulturhaus. Ca. 40 interessierte Fans kamen so in den Genuss, sich über das neue Konzept und die Hintergründe und auch den geplanten Ablauf genauer zu informieren, denn die bisherigen Informationen über die Pressemitteilung ließen ja doch noch Raum für Fehlinterpretationen und Missverständnisse.
Zu Beginn gab es eine Videovorführung unter dem Titel "Der ESC-Code 2018". Die Erkenntnisse und Ergebnisse monatelanger Analysen des Votingverhaltens beim ESC führten zu für viele doch ziemlich überraschenden Schlussfolgerungen:
(Fotos: Michael Sonneck, wir bitten die mäßige Qualität zu entschuldigen.)
Neben diesen Erkenntnissen hat man außerdem herausgefunden, dass der überwältigende Anteil der Televotingstimmen aus Deutschland, Großbritannien, Skandinavien und den größeren westeuropäischen Ländern kommt, da in vielen Teilnehmerländern die Gebühren des Televoting doch deutlich höher sind als bei uns, so dass dort wohl hauptsächlich junge Leute abstimmen, die "partyaffin, tolerant, gay" seien. Besonders diese Zuschauer gelte es mit dem nun zu findenden deutschen Beitrag zu erreichen. Da bei der deutschen Vorentscheidung nicht diese besondere Zielgruppe wählt, sondern die ARD-Zuschauer, kam man also auf die Idee, zusätzlich zu diesem Votum 100 ausgewählte deutsche TV-Zuschauer zu rekrutieren, die in ihrem Stimmverhalten dem internationalen wohl am besten entsprechen.
Es werten aber international auch zu 50 % Juroren in den einzelnen Ländern, und zwar in der Regel anders als die Televoter (Beispiel: Roger Cicero war 2007 bei der Back-Up-Jury, die ja nur als Reserve bei Ausfall des Televoting gezählt hätte, auf Platz 1!). Daher soll eine internationale Jury hinzukommen, bestehend aus 20-25 Personen, die in der Vergangenheit in verschiedenen nationalen Jurys ein Abstimmungsverhalten gezeigt haben, dass dem Endergebis nahe kam. Die Tatsache,dass das deutsche Televotingergebnis über die vergangenen Jahre fast deckungsgleich mit dem europäischen Zuschauerergebnis war, ist sicher überraschend und führte eben zu der Idee des "Europa-Panels", wobei die Bezeichnung offensichtlich etwas irreführend ist: Es handelt sich nicht um europäische Juroren, sondern um Deutsche, die das europäische Abstimmungsverhalten am ehesten repräsentieren.
Die 100 Mitglieder des Europapanels werden über Aufrufe in sozialen Netzwerken rekrutiert. Hier gibt es einige Fragerunden zu überwinden, und die Agentur Simon-Kucher & Partners hat eine Methode entwickelt, aus allen Bewerbern eben genau die 100 herauszufiltern, die den Kriterien für das Panel am besten entsprechen. Das Panel wird sich für die Abstimmungen an vier oder fünf über die Republik verteilten Orten treffen. Im ersten Schritt des Auswahlprozesses werden zunächst intern die besten 200 Kandidaten ausgewählt. Mit diesen werden dann kurze Videoclips produziert, die dem Europa-Panel zur Bewertung vorgelegt werden. Dieses geschieht in mehreren Runden, so dass am Ende 20 Kandidaten übrigbleiben, mit denen dann in einer Art "Bootcamp" gearbeitet wird. Bei der Auswahl wird vor allem Wert gelegt auf das "Besondere", es fällt also eine sehr positive Bewertung mehr ins Gewicht als mehrere durchschnittliche. So will man erreichen, dass wirklich nur Kandidaten in die Vorentscheidung gelangen, die "besonders" sind, nicht nur stimmlich, sondern auch, was Performance-Möglichkeiten betrifft und vor allem den Wiedererkennungswert bzw. das Auslösen eines "Aha-Effektes" beim ersten Sehen und Hören. Dabei gibt es keine Vorgaben, weder, was die Anzahl der Künstler bei den einzelnen Acts (1-6) noch was das musikalische Genre angeht.
Die internationale Jury soll erst dann eingesetzt werden, wenn die besten 20 Kandidaten durch das Europa-Panel gefunden wurden. Es werden mit diesen 20 erneut Videos produziert, u.a. auch mit Material aus den Bootcamps, die dann auch im Vorfeld der Vorentscheidung öffentlich gemacht werden, in welcher Form, wurde noch nicht gesagt. Über die 5 Kandidaten, die dann in die Vorentscheidungs-Liveshow gelangen, entscheiden Europa-Panel und internationale Jury dann zu 50/50%. Dieses sehr aufwändige Prozedere soll bis Weihnachten abgeschlossen sein.
Danach werden für die 5 Finalteilnehmer entsprechende Songs gesucht, es können allerdings auch den Regeln entsprechende Originalsongs sein, mit denen sich diese Kandidaten beworben haben. Die Suche nach Songs wird allerdings nicht wie früher einem einzelnen Label überlassen, sondern es werden breitgefächert Labels, Produzenten, Komponisten, national und international angesprochen, um so Lieder zu finden, die jeweils zu den Kandidaten passen und international chancenreich sein können. Das bedeutet, dass mindestens 2 Monate allein für die Songauswahl und die Erarbeitung einer geeigneten Performance einschließlich Staging bleiben. In der Vorentscheidung sollen die Acts einen Auftritt haben möglichst nah an dem, der dann auch in Lissabon zu sehen sein würde. Da der Bühnenbildner für Lissabon und für die Vorentscheidung derselbe sei, werde bei der deutschen Bühne auf entsprechende technische Möglichkeiten Wert gelegt.
Momentan laufe noch ein sog. "Pitch", also ein Auswahlverfahren für die passende Produktionsfirma, daher stünden derzeit viele Einzelheiten noch gar nicht fest, u.a. auch weder Datum und Austragungsort. Nach der Wahl des deutschen Acts solle es eine ausreichende Promo geben, wieder mit Auftritten bei den diversen Fan-Events, aber auch in Deutschland selbst, falls der Künstler einverstanden sei, damit über den deutschen Beitrag schon im Vorfeld eine "positive Geschichte" erzählt werde und der deutsche Beitrag möglichst auch in Deutschland erfolgreich werde.
Insgesamt war dies eine sehr informative Veranstaltung, die auch einige Missverständnisse ausräumen konnte. Es war dem gesamten Team deutlich anzumerken, wieviel Herzblut man in diesen ganzen Prozess bereits im Vorfeld gesteckt hat und noch stecken wird. Meine anfänglichen Bedenken, dass die Auswahl des geeigneten deutschen Acts nur durch einen Mathematisch-statistischen Ansatz gelingen solle, wurden ausgeräumt.
An dieser Stelle danke ich Thomas Schreiber und seinem Team ganz herzlich für diese Möglichkeit, sich bei den Road-Shows zu informieren.