Aus Anlass des 60. ESC-Jubiläums hat die EBU Australien einmalig gestattet, einen Teilnehmer in den Wettbewerb nach Wien zu entsenden! In Australien gibt es eine große ESC-Fangemeinde und seit 30 Jahren wird der Contest dorthin übertragen. Nachdem in Kopenhagen 2014 bereits eine australische Sängerin einen Intervall-Act betritten hat, gab es nun erstmals einen australischen Vertreter im Wettbewerb. Der Teilnehmer durfte direkt im Finale antreten, um keinem der Semifinalteilnehmer eine Finalplatz streitig zu machen. Australien bekam außerdem die Berechtigung, in beiden Semifinals und dem Finale am Voting teilzunehmen.
"Es ist ein mutiger und gleichzeitig unglaublich spannender Schritt", wird Jon Ola Sand, Executive Supervisor des Eurovision Song Contest, zitiert. "Es ist unsere Art zu sagen: Lasst uns diese Party zusammen feiern!"
Als erste australischer Vertreter wurde der Sänger Guy Sebastian nominiert. Er hat 2003 die erste Ausgabe der Castingshow "Australian Idol" gewonnen. Der Titel heißt "Tonight Again".
Die Reference Group der EBU hat entschieden, dass es für 2021 keine erneute Semifinalauslosung geben soll. Dies wurde u.a. auch mit Rücksicht auf die bereits verkauften Tickets für die einzelnen Shows entschieden.
Da ursprünglich die gleichen Länder wie 2020 ihre Teilnahme zugesagt hatten, bleibt die Aufteilung der Semifinals so wie für 2020 vorgesehen. Daran ändern auch die Absage Armeniens und die Disqualifikation von Belarus nichts.
Am 30. März 2021 gab die EBU die Startreihenfolge in den Semifinals bekannt. Diese Verteilung der Startplätze erfolgte nach show- und produktionstechnischen Gesichtspunkten. Zuvor war den Teilnehmerländern bei der Semifinalauslosung 2020 ein Startplatz jeweils in der ersten oder zweiten Häflte des entsprechenden Semifinals zugelost worden.
Dem Gastgeber Niederlande war die Finalstartmummer 23 zugelost worden. Die Finalstartplätze der sog. BIG 5 (erste oder zweite Finalhälfte) werden erst nach den Semifinals zugelost. In den Pressekonferenzen wurde nur ausgelost, in welcher Finalhälfte sie jeweils antreten.
Die EBU und die niederländischen Verantwortlichen haben mitgeteilt, dass der Slogan "Open Up" sowie das Bühnendesign und das Moderatorenteam für 2021 übernommen werden sollen.
Für den ESC 2021 wurden angesichts der fortdauernden Corona-Pandemie vier mögliche Szenarios entwickelt, eine Entscheidung soll in den ersten Monaten des Jahres 2021 je nach aktueller Pandemie-Situation getroffen werden.
Die vier Optionen:
Der ESC läuft ab, wie gewohnt
Dies ist der Fall, falls es eine Impfung gibt oder aber verlässliche Testverfahren.
Es gibt Abstandsregeln
Alle Teilnehmer und sonstigen Aktiven müssen zu jeder Zeit einen Sicherheitsabstand von 1,5 Meter einhalten. Das Publikum in der Halle müsste ebenfalls 1,5 Meter Abstand halten, was eine deutliche Reduktion der Zuschauerzahl bedeuten würde. Die personelle Stärke der Delegationen würde begrenzt, ebenso die Zahl der Pressevertreter. Da weniger Zuschauer zugelassen würden, gäbe es eine Auslosung für einen angepassten Sitzplan. Wer nicht ausgelost würde, bekäme seine bereits bezahlten Ticketgebühren erstattet.
Eingeschränkte Reisemöglichkeiten
Sollten Delegationen nicht nach Rotterdam reisen dürfen, würde der entsprechende Act im Heimatland auftreten und die Performance dann als Video gezeigt werden. Es könnte also eine Mischung von Live-Auftritten in der Halle und eingespielten Videoauftritten geben.
Lockdown in den Niederlanden
Sollte es einen Lockdown geben, würde der ESC ohne Publikum und ohne Begleitaktivitäten stattfinden. In diesem Fall würden alle Acts in ihrem Heimatland performen und die Video gezeigt werden.
Erstmals wird Deutschland einen Act zum Junior Eurovision Song Contest schicken, der am 29. November 2020 um 17.00 Uhr in Warschau veranstaltet wird. Möglich wird dies durch eine Zusammenarbeit von KiKA, NDR und ZDF. Es werden nun junge Talente im Alter von neun bis 14 Jahren gesucht. Bewerbungsschluss ist der 31. Juli 2020. Wegen der Corona-Pandemie wird die Veranstaltung nicht in einer Halle sondern im TV-Studio stattfinden. Den deutschen Wettbewerbssong wird Levent Geiger komponieren. Er ist der Finalist von "Dein Song" 2019 im KiKA. Detaillierte Informationen gibt es hier.
Die Reference Group hat für 2021 eine Änderung bezüglich der Backing Vocals beschlossen:
"Im Rahmen der Maßnahmen zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit des Eurovision Song Contest hat die Referenzgruppe auf einjähriger Probebasis beschlossen, das Verbot von Backing Vocals (Harmonien) von den Backing Tracks aufzuheben. Die Idee hinter der Änderung ist es, den teilnehmenden Sendern die Möglichkeit zu bieten, neue kreative Ideen zu entdecken, mit einer kleineren Delegation für 2021 zu reisen und die technischen Belastungen für den Host Broadcaster zu verringern. Außerdem können Songwriter und Produzenten ihre Werke so nah wie möglich an ihrer ursprünglichen Komposition präsentieren und vor allem sicherstellen, dass der Wettbewerb mit der Zeit geht."
DIe Entscheidung auf Backing Vocals, die live singen auf oder hinter der Bühne, zu verzichten, bleibt den einzelnen Delegationen überlassen. Es seien auch "Mischformen" möglich. Die Anzahl der Backing Vocals, die vom Band eingespielt werden, ist nicht begrenzt.
Die EBU hat am 15. Juni 2020 bekanntgegeben, dass der ESC 2021 am 18., 20. und 22. Mai in Rotterdam stattfinden wird. Unter welchen Bedingungen das geschehen wird, ist noch offen. Man entwickele verschiedene Szenarien je nach dem Stand der Corona-Pandemie. Veranstaltungsort wird die AHOY-Arena sein, die für 2020 entworfene Bühne soll übernommen werden, ebenso wohl das Motto "Open Up" und evtl auch die entsprechende Grafik. Aber diesbzgl. warte man ab, was 2021 thematisch passe.
Die für 2020 gekauften Tickets behalten ihre Gültigkeit. Wer sich seine Tickets erstatten lassen möchte, kann dies hier tun.
Bereits unmittelbar nach dem Sieg Israels verkündete Netta, der ESC werde in Jerusalem ausgetragen, was dann umgehend von Ministerpräsident Netanyahu bestätigt wurde. Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat nannte die Jerusalem Arena und das Teddy Stadion als mögliche Hallen, wobei das Stadion zunächst überdacht werden müsste. Der Bürgermeister von Tel Aviv hatte zunächst am 13.05.2018 bekannt gegeben, dass Tel Aviv sich nicht um die Ausrichtung bewerben werde.
Die Austragung in Israel war umstritten. So gab es in Island eine Petition zum Boykott und der Bürgermeister von Dublin forderte RTE auf, 2019 nicht am ESC teilzunehmen, ähnlich äußerten sich Charlie McGettigan, ESC-Sieger 1994 und ca. 140 andere internationale Künstler. Man könne dort nicht den ESC feiern, während andere Leute dort sterben. Aufrufe zum Boykott gab es auch in Schweden und Großbritannien. Eine offizielle Stellungnahme bzw. Bekanntgabe seitens der EBU gab es zunächst nicht, allerdings gab es einen etwas ungewöhnlichen Aufruf seitens der EBU, man solle noch weder Flüge noch Hotels buchen. Und sowohl in spanischen als auch in griechischen Medien gab es Berichte, nach denen die EBU dem israelischen TV-Sender IPBC (KAN) bereits mitgeteilt habe, man solle sich u.U. darauf einstellen, dass der nächste ESC nicht in Israel stattfinden werde, falls sich andere TV-Sender dazu entschließen sollten, in diesem Fall nicht teilzunehmen.
Die Diskussionen in Israel gingen unterdessen weiter. So hatte der Generaldirektor des Ministeriums für Kultur und Sport Yossi Sharabi sich dahingehend geäußert, dass Jerusalem nicht automatisch gesetzt sei. Wohingegen die Ministerin Miri Ragev selbst auf Jerusalem als Gastgeberstadt bestand. Sollte der Contest nicht in Jerusalem stattfinden, sehe sie keine Grundlage für den israelischen Staat, die Veranstaltung mit 14 Mio. Dollar zu finanzieren. Haifa, Israels drittgrößte Stadt bewarb sich ebenso wie Eilat am Roten Meer. Haifa hätte allerdings das vorhandene Stadion zunächst überdachen müssen. Das sei kein Problem, und wenn es an Hotels fehlen sollte, würden diese noch gebaut werden, so der Bürgermeister. Inzwischen bekundete dann doch Tel Aviv auch Interesse. Zudem wurde seitens der israelischen Regierung erklärt, man werde sich in den Vergabeprozess nicht einschalten.
Dann gab es Meldungen, wonach der Sender IPBC möglicherweise seine Aufnahme in die EBU erneut beantragen müsse, sollte die Absicht der Regierung in die Tat umgesetzt werden, die Sparten "Nachrichten" und "Unterhaltung" zu trennen, was gegen die EBU-Regeln verstoßen würde. Mittlerweile hatte die israelische Regierung jedoch vorerst darauf verzichtet, diese Trennung vorzunehmen. Nach einem Meeting von Repräsentanten des israelischen TV-Senders IPBC (KAN) mit der EBU in Genf am 20.06.2018 wurde dann seitens der EBU offiziell bekanntgegeben, dass der ESC 2019 auf jeden Fall in Israel stattfinden werde. Zuletzt waren nach dem Ausscheiden Haifas und Eilats noch Tel Aviv und Jerusalem im Rennen.
Doch der TV-Sender KAN hatte Probleme, bis zum 1. August 2018 die geforderte Garantiezahlung von 12 Mio. Euro als Sicherheit zu leisten. Einen Staatskredit lehnte der Sender ab, forderte stattdessen eine entsprechende Erhöhung des staatlichen Jahresbudgets, was allerdings wiederum staatlicherseits abgelehnt wurde, so Presseberichte. Die Zahlungsfrist wurde dann verlängert bis zum 14. August. Allerdings sah es zunächst nicht danach aus, dass der Sender das Geld ohne Hilfe der israelischen Regierung aufbringen könne. Der Direktor des Senders IPBC hatte sich dann in einem Brief an Premierminister Netanjahu persönlich gewandt. Doch Netanjahu drohte damit, den Sender komplett zu schließen, falls man die 12 Mio. nicht aus dem Jahresbudget nehme. Dazu sah sich der Sender zunächst nicht in der Lage, man müsse dann auf Teile des regulären Programms verzichten und 200 Leute entlassen. Am 14.08.2018 einigte man sich quasi in letzter Minute, dass der Sender einen staatlichen Kredit bekomme über die erforderliche Summe.
Terminlich gab es eigentlich Einschränkungen wegen verschiedener Feiertage und Gedenktage. Am 8. Mai wird der Unabhängigkeitstag gefeiert. An diesem Tag fanden daher keine Proben statt. In einem Interview stellte Sand klar, dass es keine Ausnahmeregelung bzgl. des Sabbats oder religiöser Feiertage geben könne. Die Vorbereitungen des ESC seien 24 Stunden an sieben Tagen der Woche erforderlich.
Am 13.09.2018 gab die EBU dann schließlich bekannt, dass der 64. Eurovision Song Contest in Tel Aviv/Israel stattfinden werde. Das Finale war am 18. Mai 2019, die beiden Semifinale am 14. und 16. Mai. Tel Aviv hat sich mit seiner Bewerbung gegen die Mitbewerber Jerusalem und Eilat durchgesetzt.
Als Veranstaltungshalle wurde das EXPO Tel Aviv (International Convention Center) ausgewählt. Da die Halle nur ca. 10.000 Zuschauer fasst und diese Kapazität durch Bühnenaufbau und Technik noch reduziert werden musste, war der Green Room erstmals seit 2013 nicht in der Halle eingerichtet, sondern in einem separaten Bereich.
Der EBU-Verantwortliche Jon Ola Sand äußerte sich sehr zufrieden. Er bedankte sich in der offziellen Stellungnahme bei allen israelischen Städten, die sich beworben hatten und beim verantwortlichen TV-Sender KAN. Alle Bewerbungen seien sehr gut gewesen, aber letztlich habe Tel Aviv das beste Gesamtpaket geboten. Der Chairman der ESC Refernce Group, Frank-Dieter Freiling, äußerte sich folgendermaßen: " Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit KAN und darauf, den ESC zum ersten Mal nach Tel Aviv zu bringen. Wir erwarten noch in dieser Woche Garantien des Premierministers in Bezug auf die Sicherheit, Zugang für alle, Freiheit der Meinungsäußerung und die Versicherung, den ESC frei von politischen Einflüssen zu halten. Diese Garantien sind unerlässlich, um mit den Vorbereitungen zu beginnen und die Werte des ESC wie Diversität und Inklusion hoch zu halten."
Am 28. Januar 2019 fand im Museum of Art in Tel Aviv die Übergabe der "Host"-Insignien statt. Der stellvertretende Bürgermeister von Lissabon, Duare Cordeiro, übergab offiziell die "Schlüssel" an den Bürgermeister von Tel Aviv, Roi Huldai. Anschließend wurden die 36 Semifinalisten den beiden Halbfinalen zugelost und auch gelost, in welcher Hälfte des entsprechenden Semifinales die Länder antraten. Außerdem wurde ausgelost, welche der BIG 5 + Gastgeber Israel in welchem Semifinale werten. Die Auslosung wurde geleitet von Lucy Ayoub und Assi Azar. Um Nachbarschaftsvoting zu erschwerden, wurden die 36 Länder wieder auf sechs "Töpfe" aufgeteilt. Es wurde zunächst ausgelost, welche Länder der BIG 5 und Israel in welchem Semifinale werten: Im 1. Semifinale werteten Frankreich, Israel, Spanien, im 2. Semifinale Deutschland, Italien, Ver. Königreich.
In Tel Aviv wurde dem Gastgeber Israel die Startnummer 14 im Finale zugelost. Der Head of Delegation von Zypern, Evi Papamichael, zog die Startnummer. Alle anderen Startnummern wurden zu einem späteren Zeitpunkt von den Produzenten festgelegt. Den Semifinalisten wurden zunächst nur das jeweilige Semifinale und die entsprechende Hälfte der Show zugelost. Die Startreihenfolge wurde Ende März bekanntgegeben, die Finalreihenfolge in der Nacht nach dem 2. Semifinale.
Assi Azar ist einer der Top-Moderatoren und Drehbuchautoren in Israel und ist Moderator der israelischen Ausgabe von „Big Brother“ und der israelischen Vorentscheidung "HaKochav Haba La-Eurovision". Er schrieb u.a. das Drehbuch zur Erfolgsserie „Die Schöne und der Bäcker“, die nach Russland, die Niederlande und USA verkauft wurde. 2005 zeigte er sein persönliches Coming Out vor seinen Eltern im Rahmen eines Dokumentarfilms („Mama, Papa: Ich muss euch etwas sagen“). Die Zeitschrift „Out“ nahm ihn 2009 in die TOP 100 der einflussreichsten Homosexuellen auf.
Bar Refaeli ist als international erfolgreiches Model ein israelisches „Symbol von Schönheit, Talent und Erfolg“. Sie war das erste israelische Model auf dem Cover einer Zeitschrift für Bademode, die Nr. 1 der HOT 100 der Zeitschrift „Maxim“, präsentierte unter dem Titel „Million Dollar Shooting Star“ eine eigene Model-Casting-Show bei SAT 1 und moderierte die israelische Ausgabe von X Factor 2013.
Erez Tal ist einer der beliebtesten und erfolgreichsten israelischen TV- und Radiomoderatoren. Er entwickelte in 25 Jahren eine Vielzahl an TV-Primetime-Formaten. Er moderierte außerdem z.B. 10 Staffeln von "Big Brother". Außerdem erfand und moderierte er die Game-Show "The Vault", die als erfolgreichste israelische Game-Show in 23 Länder verkauft wurde. 2018 kommentierte er den ESC für den israelischen TV-Sender KAN.
Lucy Ayoub begann ihre Karriere als Youtube-Influenzerin. 2016 wurde sie bekannt durch ihre Teilnahme an einem israelischen Poetry Slam-Wettbewerb. Seit 2017 hat sie eine wöchentliche Kultur-Radiosendung und moderiert die tägliche TV-Sendung „Culture Club“. 2018 gab sie die israelischen Punkte beim ESC durch.
Das Motto für den ESC 2019 lautete "Dare To Dream" (Wage es zu träumen).
Am 8. Januar 2019 stellte die EBU das diesjährige Sublogo vor. Es wurde entwickelt von zwei führenden israelischen Agenturen: "Awesome Tel Aviv" (Kreativkonzept) und "Studio Adam Feinberg (ST/AF) (Logo). Das Sublogo stellt 3 Dreiecke dar. Das Dreieck sei eine der ältsten Formen der Welt, ein Symbol, das man als Grundpfeiler überall in der Kunst, Musik, Kosmologie und Natur wiederfinde und das Verbindung und Kreativität repräsentiere. Indem die drei Dreiecke sich verbänden, würden sie zu einer neuen einzigen Einheit, die den unendlichen Sternenhimmel widerspiegele, so wie die Stars der Zukunft in Tel Aviv zum ESC 2019 zusammenkämen, so die Erklärung.
"Dieses Motto repräsentiert und symbolisiert alles, was den ESC ausmacht. Es geht um Inklusion, Verschiedenartigkeit, Einheit. Auf dieser Bühne zu stehen, den Traum zu wagen, den Contest gewinnen zu können, mutig und zuversichtlich genug zu sein, vor einem welweitent Publikum zu stehen und zu performen, das ist etwas, für das es sich zu träumen lohnt. Das ist genau das, was Netta 2018 getan hat, als sie in Lissabon antrat. Sie kam auf diese Bühne mit einem Traum, dem Traum, den ESC zurück nach Israel zu bringen, und das ist ihr gelungen. Und nächstes Jahr im Mai in Tel Aviv werden wir uns alle treffen, um die guten Werte des ESC zu feiern mit der Hilfe des TV-Senders KAN und des israelischen Teams."
Der deutsche Bühnendesigner Florian Wieder hat auch die ESC-Bühne in Tel Aviv entworfen. Wieder zeichnete bereits verantwortlich für die Bühnen in Düsseldorf 2011, Baku 2012, Wien 2015, Kiew 2016 und Lissabon 2017.
Der "Orangene Teppich" (die Farbe wurde gewählt wegen des Sponsors "My Heritage") fand auf dem Habima Square am 12. Mai 2019 statt, anschließend gab es einen Willkommensempfang für die Delegationen im Charles Bronfman Auditorium.
Das Eurovision Village war das größte aller Zeiten. Es öffnete im Charles Clore Park von 12. – 18.05.2019 von nachmittags bis in den Abend. Neben Auftritten von Dana International und Izhar Cohen sowie anderer israelischer Stars wurden hier auch die Semifinale und das Finale live übertragen. Im Hafen gab es u.a. eine Dana International-Ausstellung und eine Musikshow mit Anne Marie David, Loreen und Carola.
OGAE Israel hat das Euro Fan Café im größten Club Tel Avivs, Ha-Oman 17, vom 12.05.- 19.05.2019 betrieben. In Zusammenarbeit mit VIVO Productions gab es jede Nacht eine große Party. Bei diesen Partys traten viele ehemalige ESC-Teilnehmer aus ganz Europa und auch israelische ESC-Größen auf. Der EuroClub lag im Hafen von Tel Aviv (Hangar 11).
Für die Fans war Tel Aviv in Bezug auf das von OGAE organisierte Rahmenprogramm eine tolle Gastgeberstadt.
FAZIT
Es war eine tolle TV-Show! Mit 4 Stunden und 11 Minuten allerdings die längste in der ESC-Geschichte. Eine Green Room-Schalte jagte die nächste, und es gab eine „Inflation“ von Interval-Acts: Das 1. Semifinale eröffnete Netta mit einer neuen Version von „Toy“. Dana International trat im 1. Semifinale und im Finale auf. Im 2. Semifinale trat die Band Shalva, Finalisten der VE-Show „Rising Star“, auf.
Eine ganz besondere Performance gab es mit Conchita, Måns Zelmerlöw, Eleni Foureira und Verka Serduchka: Conchita sang „Heroes“, Måns „Fuego“, Eleni „Dancing lasha tumbai“ und Verka „Toy“. Zum Schluss sangen alle gemeinsam zusammen mit Gali Atari „Hallelujah“.
Auf Einladung des israelischen Milliardärs Sylvan Adams trat Madonna als Pausen-Act auf. Die Organisation des Auftritts inklusice der Kosten für den Begleit-Tross von ca. 160 Leuten soll angeblich rund eine Million Euro gekostet haben.
Diese Acts waren im Großen und Ganzen durchaus unterhaltsam, wenn man auch auf den misslungenen Auftritt Madonnas vielleicht hätte verzichten können. Aber immerhin war sie sich als Superstar nicht zu schade, sich im Green Room an die Teilnehmer zu wenden und ihnen Mut zuzusprechen bzw. ihnen zu ihrer bisherigen Leistung zu gratulieren: Hut ab!
Das Intro mit Netta als Pilotin und Jon Ola Sand als Fluglotse war grandios, die Unterbrechung des Einmarsches der Nationen durch ehemalige israelische ESC-Vertreter wie Ilanit konnte einem als Fan die Tränen in die Augen treiben ebenso wie das „Hallelujah“ mit Gali Atari und den Protagonisten des Song-Switch: Conchita, Måns Zelmerlöw, Eleni Foureira und Verka Serduchka.
Ebenfalls sehr gelungen waren die Postcards mit tanzenden (oder auch einfach nur in der Gegend herumstehenden) Sängerinnen und Sängern. Sehr schön auch die Videocollagen aus alten ESC-Ausschnitten. Die Bühne mit den LED-Effekten beeindruckte sehr. Es wurde übrigens dieses Mal noch deutlicher als in den letzten Jahren, dass der ESC wirklich eine reine TV-Show ist, denn z. B. die Auftritte Australiens und auch Serbiens waren speziell für den Bildschirm konzipiert. Die veränderte Präsentation des Votings führte zu einem Endspurt, der spannender kaum hätte sein können. Erst ganz am Schluss war klar, dass die Entscheidung zwischen den Niederlanden und Schweden zugunsten von Duncan Laurence aus demn Niederlanden gefallen war.
Der Sanremo-Sieger Mahmood belegte für Italien mit "Soldi" den zweiten Platz. Mit Platz drei musste sich zum zweiten mal Sergey Lazarev aus Russland begnügen, der dieses Mal mit einer Ballade antrat.
Der ehemalige DSDS-Sieger Luca Hänni erreichte mit einer tollen Performance des Uptempo-Songs "She Got Me" den vierten Platz, für die Schweiz das beste Ergebnis seit dem dritten Platz von Annie Cotton 1993!
Televotingsieger wurde Norwegen mit dem Trio KEiiNO, doch durch die Jurys "abgestraft", erreichten sie nur Platz sechs im Finale. Ähnlich erging es der provokanten Band Hatari aus Island, die durch ein niedriges Ergebnis bei den Jurys nur auf Platz zehn kam. Es gab Ärger mit der EBU, weil sie verbotenerweise mit dem Zeigen der palästinensischen Flagge provozierten, ebenso wie Madonna bei ihrem Auftritt.
Das beste Ergebnis für Nordmazedonien in der ESC-Geschichte erreichte Tamara Todevska bei ihrem zweiten Anlauf nach 2008 mit der Powerballade "Proud".
Ebenfalls zum zweiten Mal trat Serhat für San Marino an, dieses Mal klappte der Einzug ins Finale (Platz 19) mit dem Mitklatsch-Song "Say Na Na Na". Knapp gescheitert sind dagegen Tulia aus Polen, ihr "weißer Gesang" war halt nicht für alle Ohren angenehm.
Die spektakulärste Inszenierung bot ohne Zweifel Australiens Kate Miller-Heidke, die (auf einer unsichtbaren beweglichen Stange stehend) wie im Weltraum umherzuschweben schien, passend zum Titel "Zero Gravity".
Tamta aus Zypern konnte den Erfolg von Eleni Foureira (Platz zwei) mit einem ähnlichen Titel wie "Fuego" - nämlich "Replay" - nicht wiederholen: Platz 13!
Den skurillsten Auftritt bot wohl Conan Osiris für Portugal: Ein wirrer Song mit Fadospuren und arabischen Einflüssen mit einer wirren Performance mit Elementen aus Ballett, Stepptanz und Breadance fand kaum Gegenliebe und landete auf Platz 15 im Semifinale.
Überhaupt keine Gegenliebe fand der deutsche Act, die S!sters, bei den Televotern. So bleibt der bedauernd ausgesprochene Satz von Bar Refaeli: "Germany I'm sorry, zero points!" wohl für immer eine Mahnung, es in Zukunft besser zu machen!
DIE WERTUNG
Um die Spannung bei der Punktevergabe weiter zu erhöhen, hat die EBU beschlossen, dass nach der Bekanntgabe der Juryvotings die Televotingergebnisse nicht mehr - wie bisher - in der Reihenfolge der niedrigsten zur höchsten Televotingpunktzahl bekannt gegeben wurden, sondern in der Reihenfolge der niedrigsten bis zur höchsten Jurywertung. Das heißt konkret, dass die Moderatoren mit dem Land beginnen, das nach dem Juryvoting am Ende des Scoreboards rechts unten steht. Das hat zur Folge, dass man als Zuschauer bis zum Schluss nicht weiß, wieviele Punkte das jeweiige Land bekommt, es sei denn man hat zeitgleich alles mitgerechnet.
Die weißrussische Jury wurde disqualifiziert, nachdem sie ihre Wertung des 1. Semifinales öffentlich gemacht hatte. Nach den Regeln wird in solch einem Fall eine fiktive Wertung erstellt, errechnet aus den Wertungen von Ländern, die ähnlich gewertet haben - das sind vermutlich die Länder, die im gleichen Lostopf bei der Semifinalauslosung waren. Durch einen menschlichen Fehler ging allerdings eine fehlerhafte Wertung als die von Belarus in das Ergebnis des Finales ein. Die EBU hat diesen Fehler korrigiert, so dass es einige Verschiebungen im Endergebnis gab.
Das ursprüngliche fehlerhafte Endergebnis sah so aus:
Am Ende des Abends stehen die Niederlande ganz oben und Deutschland fast ganz unten. Für Diskussionen sorgen die Politik, Madonna und eine Null-Punkte-Entscheidung.
Zwei Mal ein „Yes“. Mehr brachte Duncan Laurence zunächst nicht heraus, als er am frühen Morgen zum zweiten Mal auf der Bühne stand. Kurz vorher hatte ihn Netta, die Vorjahressiegerin des Eurovision Song Contest (ESC), schon umarmt und ihm die gläserne Trophäe überreicht, nachdem er sich vor ihr zunächst tief verbeugt hatte. Dann hielt er die Trophäe des Siegers hoch und rief: „Das ist für die großen Träume und dafür, dass Musik an erster Stelle steht. Immer!“ Es war auch ein Seitenhieb auf all diejenigen, die in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten versucht hatten, den diesjährigen ESC in Tel Aviv in irgendeiner Weise zu instrumentalisieren – etwa politisch. Danach sang der Niederländer noch einmal sein Lied „Arcade“, dieses Mal aber nicht mit melancholischem Blick, sondern strahlend vor Glück.
Duncan Laurence, der schon seit März, seit „Arcade“ veröffentlicht worden war, als Favorit auf den Sieg gehandelt wurde, hat es geschafft: Nach 44 Jahren haben die Niederlande endlich wieder einen Gewinner. Vier Mal zuvor hatte die stolze Grand-Prix-Nation, die genauso wie Deutschland seit 1956 und damit von Anfang an dabei ist, den Wettbewerb gewonnen: 1957, 1959, 1969 und zuletzt 1975. Danach kam eine lange Durststrecke, und es kamen viele katastrophale Jahre: Von 2005 bis 2012 erreichten unsere Nachbarn nicht einmal das Finale.
Duncan Laurence musste in der vergangenen Nacht bis zwei Uhr morgens warten, bis feststand, dass er gewonnen hatte. Da zunächst die Punkte der Jurys vergeben wurden, die Sprecher aus den 41 Teilnehmerländern gaben nur noch die höchste Punktzahl zwölf bekannt, sah es nach einem Kopf-an-Kopfrennen zwischen den Niederlanden (231 Punkte), Nord-Mazedonien (237 Punkte) und Schweden (239 Punkte) aus.
Das Ergebnis des Televotings wurde nun aber noch aufaddiert, beginnend bei dem Land mit den wenigsten Jury-Punkten. Das war Spanien: Zu sieben Punkten kamen 53 hinzu, was einen Sprung in der Rangliste nach oben bedeutete. Deutschland lag da noch mit immerhin 32 Punkten auf dem 21. Platz, bekam aber, und das als einziges Land überhaupt, von den Zuschauern null Punkte. Das war eine herber Schlag für die deutsche Delegation, den NDR und das Duo S!sters, das damit vor dem Vereinigten Königreich (16 Punkte) und Weißrussland (31 Punkte) auf dem 24. Platz landete.
Einen ähnlichen Schlag bekamen kurz danach die Norweger versetzt: Das Trio Keiino lag mit dem Lied „Spirit In The Sky“ und seinen 47 Jury-Punkten zunächst nur knapp vor Deutschland, bekam dann aber die höchste Televoting-Punktzahl überhaupt: 291 Punkte. Am Ende wurden sie sogar Fünfte.
So ging es weiter, für ein Land ging es nach oben, für ein anderes weit nach unten. Schließlich war die Nummer drei an der Reihe: Die Niederlande mit Duncan Laurence bekam 261 Punkte dazu, die Nummer zwei, Nord- Mazedonien mit Tamara Todevska, danach nur 58. Damit wurde aus dem Dreikampf ein Zweikampf: Niederlande oder Schweden. Schließlich gab es von den Zuschauern für John Lundvik und seinen selbst geschriebenen Song „Too Late For Love“ nur 93 Punkte dazu. Das war’s für ihn. Der Schwede rutschte auf Platz sechs ab noch hinter Italien (465 Punkte), Russland (369), Schweiz (360) und Norwegen (338).
Spannende Punktevergabe
Die neu geregelte Punktevergabe macht es am Ende noch spannender als bisher, gerade wenn es an der Spitze nach der Jury-Entscheidung ein so dichtes Gedränge gibt wie in der vergangenen Nacht. Doch man kann mit ihr auch nicht nach den Sternen greifen. Selbst wenn der Russe Sergei Lasarew zu seinen 125 Jury-Punkten noch die Zuschauer-Punkte der Norweger bekommen hätte, er wäre nicht an Italien und den Niederlanden vorbeigekommen. Wer bei den einen nicht ankommt, kann durch die anderen allein nicht mehr gewinnen.
Für Lasarew war es nach 2016 wieder nur der dritte Platz beim ESC. Eine herbe Enttäuschung für den russischen Superstar, der am Samstagmorgen noch zum äußersten Mittel gegriffen hatte: Nur mit einem Handtuch um die Hüfte fotografierte er sich im Bad seines Hotelzimmers und postete dann das erste richtige Oben-Ohne-Bild von sich auf Instagram, wo ihm fast vier Millionen Fans folgen. Doch selbst das verschaffte ihm, der bei seinen perfekten Auftritten unterkühlt und wenig sympathisch rüberkommt, nicht den Sieg.
Starker Schweizer
Bei Charme und Sympathie wiederum punktet der Schweizer Luca Hänni. Er holte mit dem vierten Platz das beste Ergebnis für die Eidgenossen sei 26 Jahren, seit dem dritten Platz 1993 von Annie Cotton („Moi, tout simplement“). Die S!sters hingegen, Laura Kästel und Carlotta Truman, fügen sich, wenn man von Michael Schultes vierten Platz („You Let Me Walk Alone“) 2018 absieht, nahtlos in die Reihe der Verliererinnen der vergangenen Jahre ein.
Bei den beiden Deutschen lief vieles schief: Vor allem kamen sie und ihr Lied „Sister“ einfach nicht an. Hinzu kam eine schwache Inszenierung, sichtbare Nervosität bei der erst 19 Jahre alten Carlotta Truman und überhaupt eine Überforderung der beiden jungen Sängerinnen. Sie hatten Spaß am ESC, fielen sich nach ihren Auftritten wie kleine Kinder um den Hals, zeigten damit aber auch, dass sie den Ernst der Veranstaltung offenbar nicht verstanden hatten: Man muss gewinnen wollen, um jeden Preis. Ein Patentrezept gibt es natürlich nicht. Aber es gibt eben nur zwei Mal drei Minuten, die alles entscheiden – zum einen bei der zweiten Generalprobe am Freitagabend, wenn die Juroren abstimmen, zum anderen beim eigentlichen Finale. Sich vorher zudem bekannt zu machen in aller Welt, kann sicherlich nicht schaden. Und das auf vielen Kanälen.
Junger Gewinner
Auch Duncan Laurence ist ein noch junger Künstler. Erst in diesem Jahr schloss er seine Ausbildung an der Rock-Akademie in Tilburg ab. Der 1994 in Spijkenisse als Duncan de Moor geborene Sänger nahm wie Laura Kästel und Carlotta Truman an einer Castingshow teil, kam bei „The Voice of Holland“ aber nur ins Halbfinale. Allerdings fand er dort, im Jahr 2014, eine Mentorin, die ihn bis heute begleitet: Ilse DeLange.
Sie bildete ebenfalls 2014 zusammen mit Waylon das Duo The Common Linnets, das beim ESC in Kopenhagen mit „Calm After The Storm“ auf den zweiten Platz kam. Sie war es auch, die entscheidenden Anteil daran hatte, dass Duncan Laurence ohne Vorentscheid vom niederländischen Sender Avrotros für den ESC ausgewählt wurde.
Das Lied „Arcade“ hat Duncan Laurence selbst geschrieben. Es handelt von einer persönlichen Erfahrung, dem Tod einer Person, die er sehr geliebt habe. Er brauche persönliche Inspirationen für seine Songs, sagt Duncan Laurence. „Die Worte, Akkorde und Melodien kamen dann wie von selbst zu mir, als fielen sie vom Himmel.“ Doch erst mit der Hilfe von Joel Sjöö und Wouter Hardy sei daraus auch eine Geschichte geworden, die nicht allein mehr seine sei, sondern viele Menschen anspreche.
Mit „Arcade“ hatte sich der Niederländer schon klar im zweiten Halbfinale gegen die Konkurrenz durchgesetzt, das erste Halbfinale hatte die Australierin Kate Miller-Heidke mit ihrem Lied „Zero Gravity“ gewonnen, wie die Europäische Rundfunkunion (EBU) am Sonntagmorgen zum Abschluss des 64. ESC in Tel Aviv bekanntgab.
Gastgeber Israel
Israel hat sich in den vergangenen Tagen als guter Gastgeber erwiesen. Und auch wenn sich die Regierung weitgehend aus dem ESC heraushielt, nachdem Ministerpräsident Benjamin Netanjahu anfangs noch vollmundig verkündet hatte, der Wettbewerb werde in Jerusalem stattfinden. Das war letztlich nicht durchsetzbar, auch weil der politische Status der geteilten Stadt umstritten ist. Der Grand Prix, bei dem es um Musik, nicht um Politik gehen soll, war dennoch politisch aufgeladen. In einem Land wie Israel lässt sich das gar nicht vermeiden.
Doch war eine Politisierung wohl auch von israelischer Seite gewollt. Offensichtlich mit Bedacht wurden zum Beispiel einige der „Postkarten“ des Finales an Orten gedreht, die völkerrechtswidrig von Israel besetzt sind. Moderatorin Lucy Ayoub beschrieb sie während des ESC als „Israels spektakulärste und schönste Orte“ und ging damit über das brisante Thema lapidar hinweg.
Während vor allem die westeuropäischen Länder strikt darauf achteten, darunter auch Deutschland, sich in dieser Hinsicht nicht angreifbar zu machen, scheint dies mehreren osteuropäischen Staaten nicht so wichtig gewesen sein. Gleich vier Finalisten wurden mit Filmen vor ihren Auftritten vorgestellt, die in besetzten oder umstrittenen Gebieten gedreht wurden: Sergei Lasarew ist vor der Davidszitadelle in der Altstadt Jerusalems zu sehen, die Serbin Nevena Božović war zur Kirschblüte in En Siwan, einer israelischen Siedlung in den nördlichen Golanhöhen, die Albanerin Jonida Maliqi war am Wasserfall Banias, ebenfalls an den Golanhöhen, und die Jüngste des gesamten Feldes, die Weißrussin Zena, besuchte das Rockefeller Museum knapp außerhalb der Altstadt in Ostjerusalem, das von Israel 1980 annektiert worden war, was der UN-Sicherheitsrat noch im selben Jahr für nichtig erklärte.
Madonnas Auftritt
Ebenfalls kritisiert wurde die Art und Weise, wie die amerikanische Pop-Diva Madonna für den ESC gewonnen wurde. Sie flog mit Privatjet ein, ohne zuvor einen Vertrag mit der EBU abgeschlossen zu haben. So war erst kurz vor dem Finale überhaupt klar, dass sie auftreten würde. An den offiziellen Generalproben nahm sie nicht teil, im Tagesplan tauchte nur hier und da ein „M“ auf, die Halle war dann jeweils abgesperrt. Für ihren Acht-Minuten-Auftritt bekam die Sechzigjährige von dem in Kanada beheimateten israelischen Milliardär Sylvan Adams angeblich 1,3 Millionen Dollar gezahlt – eine Summe, die der ausrichtende Sender Kan nie hätte aufbringen können.
Ihre Showeinlage wirkte bombastisch. Zum Dreißigjährigen ihres Liedes „Like A Prayer“ ertönten Kirchenglocken, ein Chor von 35 Mönchen sang dazu auf einer gigantischen Treppe. Danach hatte ihr neuestes Werk „Future“ Premiere, bei dem sie vom amerikanischen Rapper Quavo begleitet wurde. Im Vergleich zu vielen anderen Beiträgen des Abends von jüngeren Künstlern präsentierte sich Madonna, die mal wieder mit Augenklappe auftrat, nicht auf der Höhe der Zeit.
Für die ESC-Fans viel unterhaltsamer war der Rest der Show, vor allem die Idee, ehemalige Teilnehmer zu bitten, das Lied des anderen zu singen. Conchita Wurst, Gewinnerin von 2014, sang das Lied „Heroes“ von Måns Zelmerlöw (2015), er das Lied „Fuego“ der Zweitplazierten im vergangenen Jahr, der feurigen Eleni Foureira, die sich wiederum Verka Serduchkas „Dancing Lasha Tumbai“ von 2007 vornahm.
Zu Abschluss alle zusammen
Die Kunstfigur Verka Serduchka, hinter der sich der Ukrainer Andrij Danylko verbirgt, versuchte sich dann noch an Nettas „Toy“. Zum Abschluss sangen alle gemeinsam mit Gali Atari „Hallelujah“. Gali Atari hatte zusammen mit der israelischen Popgruppe Milk & Honey mit diesem Lied, das zu den bekanntesten Songs der Grand-Prix-Geschichte zählt, 1979 den ESC in Jerusalem gewonnen.
Der ausrichtende Sender Kan hatte es sich nicht nehmen lassen, alle israelischen ESC-Gewinner am Samstagabend auftreten lassen, neben Netta (2018) und Gali Atari (1979) auch Dana International (1998) und Izhar Cohen, der mit der Band Alphabeta und dem Lied „A-ba-ni-bi“ 1978 gesiegt hatte und nun die Punkte für Israel vergeben durfte.
Auch die allererste Vertreterin Israels war auf der Bühne: Ilanit, inzwischen 71 Jahre alt, sang ihr Lied „Ey-sham“ von 1973. Sie hat auch eine Ahnung was es heißt, wenn es beim ESC nicht nur um Musik geht: Beim Wettbewerb damals in Luxemburg musste sie im Jahr des Jom-Kippur-Krieges noch eine schusssicher Weste unter ihrem Kleid tragen.
Eurovision Song Contest Pomp lass nach
Deutschland schmiert ab, Madonna setzt ihrer Karriere einen Tiefpunkt - und der niederländische Sieger Duncan Laurence zeigt, wie schön der Gesangswettbewerb eigentlich sein könnte.
Süddeutsche.de, 19.05.2019, von Hans Hoff
Es gibt bei diesem internationalen Trällerwettbewerb ein sonderbares Phänomen. Menschen, die beruflich mit dem Eurovision Song Contest (ESC) befasst sind und sich den 41 Beiträgen in den Vorwochen vielfach aussetzen müssen, merken gegen Ende, dass sie etliche der Lieder, denen sie ob ihrer offensichtlichen Billigkeit am Anfang skeptisch gegenüberstanden, auf einmal mitsummen, im schlimmsten Fall sogar den Text auswendig können. Wie Tinnitus-Geplagte, nur dass ESC sehr sicher schnell wieder vorbeigeht. Also erwacht so mancher Kritiker am Morgen nach dem Finale übernächtigt und pfeift den deutschen Beitrag vor sich hin, obwohl "Sister" vom zusammengecasteten Duo S!sters wirklich schwer zu mögen ist und er die Platzierung als Drittletzter Song im Feld der 26 Finalteilnehmer, mit null Punkten aus der Publikumsabstimmung, völlig fair bewertet findet.
Nur ein Mann und sein Liebeskummerlied
Ungelenke Melodie, holprig bemühter Text. ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber kündigte am Sonntag an, für die nächste Runde im Jahr 2020 "werden wir den Weg, auf dem Deutschland sein Lied und seine Künstler sucht, überdenken" - wieder einmal. Man kann fast Mitleid haben mit der deutschen ESC-Abteilung, die seit 2013 nur noch krachende Misserfolge einfährt und lediglich im Jahr 2018 mal kurz Freude empfinden durfte, als Lockenkopf Michael Schulte in Lissabon Platz vier herbeisang. Diesmal mussten die deutschen Fans und Teilnehmer auch noch mit ansehen, wie die Niederlande ihnen das mit dem Siegen vormachten.
Duncan Laurence, der vorab als Favorit gehandelt worden war, hat den ESC in der Nacht zum Sonntag verdient gewonnen mit einem eher leisen, einem unspektakulären Song, der sich vielem verweigerte, was beim Wettbewerb der Nationen eigentlich als unabdingbar gilt. Er sang in seiner Ballade Arcade von der Sehnsucht nach einer verlorenen Liebe. Kein stroboskopisches Lichtspektakel, kein Outfit wie aus dem Kostümverleih. Ein Mann, ein Klavier, und ruhiger, konzentrierter Gesang. "Here's to dreaming big, this is to music first, always", sagte der 25-Jährige in die Mikrofone, als er weit nach Mitternacht die Siegertrophäe übernehmen durfte.
Madonna Mia!
Duncan Laurence hatte vor fünf Jahren an der Castingshow The Voice of Holland teilgenommen und das Halbfinale erreicht. Die Sendung dürfte ihn gut auf seinen Siegerauftritt vorbereitet haben: Er wurde darin von Sängerin Ilse de Lange als Coach betreut. Als Teil des Duos Common Linnets hatte sie beim ESC 2014 den zweiten Platz hinter Conchita Wurst errungen und war mit dem Titel "Calm After The Storm" im Anschluss weit öfter im Radio gespielt worden als der damalige Siegertitel. Duncan Laurence ist ausgebildeter Songwriter, Sänger und Musikproduzent. Nachdem sein ESC-Song im März präsentiert worden war, hatte er die Listen in den Wettbüros als Top-Favorit angeführt. Nach seinem Sieg nun sagte er in der Nacht zum Sonntag, er habe sich wie ein "Kleinstadtjunge in einer Spielhalle" gefühlt, als das Konfetti auf ihn herabregnete.
Der deutsche Beitrag beim ESC landet mal wieder auf einem der letzten Plätze. Was haben die S!sters falsch gemacht? Und warum suchen sie die Fehler bei anderen?
FAZ.net, von Peter-Philipp Schmidt, 19.05.2019
Sie haben es nicht mitbekommen. Die S!sters waren auf der Toilette, als Moderatorin Bar Refaeli bekanntgab: „Deutschland, es tut mir leid: null Punkte.“ Es war das vernichtende Televoting-Ergebnis. Sonst wurden die jeweils genannten Delegationen auf ihrer Couch im Green Room gezeigt, ihre entsetzten oder vor Glück strahlenden Gesichter. Doch die beiden deutschen Sängerinnen waren nicht da, also blieb die Kamera auf die Moderatoren gerichtet. Später sagte Laura Kästel, man habe vorher schon erkennen können, an den 32 Jury-Punkten, dass da nicht mehr viel zu erwarten sei. Warum also nicht auf die Toilette gehen? Später ergänzt Carlotta Truman noch: „Wir haben 1000 Prozent gegeben.“
Professionell geht anders. Man stellt sich auch seinen Niederlagen, das sollte bei jedem Wettbewerb selbstverständlich sein. „Vielleicht ist gerade eher Liebeskummer in als unsere Message“, sagte die 26 Jahre alte Carlotta Truman mit Blick auf den Gewinnertitel „Arcade“ und ihr Lied „Sister“ im Interview mit dem NDR nach ihrer großen Pleite. Im Lied der S!sters, die in Tel Aviv abgeschlagen auf Platz 24 landeten, geht es darum, dass sich zwei Schwestern (im Sinne von Personen) streiten und wieder versöhnen, eine Art Frauen-Power-Botschaft, denn gemeinsam ist man stärker. Erste Zeile: „Ich bin es leid, immer zu verlieren.“
Aber nein, Liebeskummer hat nicht gerade Konjunktur: Im Lied „Arcade“ des diesjährigen ESC-Gewinners Duncan Laurence geht es um eine sehr persönliche Geschichte, um einen geliebten Menschen, der sehr jung starb und nie das Glück hatte, wahre Liebe zu erfahren. Und auf Platz zwei des diesjährigen Eurovision Song Contest kam Mahmood aus Italien mit seinem Lied „Soldi“, das davon handelt, wie Geld eine Familie zerstören kann. Beide haben ihre Lieder selbst geschrieben.
Ist es typisch Deutsch, die Fehler immer bei anderen zu suchen? Wir haben doch nichts falsch gemacht, man mochte unser tolles Lied einfach nicht, unsere tollen Stimmen, unsere tolle Inszenierung. Ist halt so. Die letzte Frage des Interviewers lautete: „Was nehmt ihr mit aus der ganzen Geschichte?“ – „Also, Hummus ist unheimlich lecker, wusste ich vorher nicht, und Katzen sind toll.“ Was für eine flapsige Antwort. Doch es wurde am Ende auch noch ernsthaft: Musik verbinde. „In diesem Wettbewerb gab es keine Hautfarben, keine Religionen, es war einfach nur Musik.“ Sie hätten gelernt, sie selbst zu sein. „Man bekommt etwas für die Zukunft mitgegeben, und das ist etwas ganz Besonderes.“
Immerhin. Das wird doch der Ernsthaftigkeit der Veranstaltung gerecht. Der ESC ist eben nicht ein fröhlicher Ausflug in den Süden, sondern harte Arbeit. Das muss man verinnerlichen. Und die Reise kostet ja auch viel Geld. Was lief sonst noch schief bei den S!sters? So einiges. Eine viel gestellte Frage in Tel Aviv war: Sind das wirklich Schwestern? Und wenn nicht, warum heißen die dann so? Letztlich haben die deutschen Zuschauer entschieden, das kurzfristig zusammengecastete Duo mit „Sister“ nach Tel Aviv zu schicken. Zuvor aber hatte der NDR über Monate sechs andere Kandidaten aufgebaut, mit einem eigens organisierten Songwriting Camp, zu dem 25 internationale Songwriter eingeladen wurden. Das alles wurde in den Wind geschrieben, weil man so von dem Lied „Sister“ überzeugt war, dass man noch schnell die „Retortenschwestern“ aus der Taufe hob.
Die Botschaft kam nicht an
Dass das Lied „Sister“ eine Botschaft hat, haben die wenigsten verstanden. Doch das dürfte Mahmood ähnlich gegangen sein, allerdings blendete er die Übersetzung seiner maßgeblichen Zeilen groß auf der LED-Leinwand ein. Beim ESC spielt Glaubwürdigkeit eine nicht zu unterschätzende Rolle. Künstlern, denen es gelingt, vorher von sich reden zu machen, werden danach bemessen. Siehe Conchita Wurst, die, als sie 2014 auf der Bühne in Kopenhagen „Rise Like A Phoenix“ sang, verstanden wurde. Da besang einer offensichtlich sein eigenes Schicksal.
Duncan Laurence, Netta, Salvador Sobral, Jamala, Conchita – die meisten Gewinner auch der vergangenen Jahre hatten einen Song, der ihnen wichtig war, für den sie brannten, den sie mit einem Mut und auch einer Leidensbereitschaft vortrugen, dass die Welt um sie herum vergessen war. Mal ging es um das Schicksal der Großmutter, mal um das eigene, mal war es nur eine Liebesballade wie bei Sobral. Aber die hatte ihm die Schwester geschrieben. Zudem hatten die fünf Künstler eine Inszenierung, die bis ins Detail stimmig ist. Sieht man sich die Generalproben, das Halbfinale und das Finale von Conchita Wurst an, erkennt man fast keine Unterschiede. Sie ist perfekt, ohne kalt dabei zu wirken, sie spult es nicht runter. Jedes Mal denkt man, sie singt es zum ersten und einzigen Mal für ihr Publikum. Selbst Sobral in seiner viel zu großen Jacke und mit seinen merkwürdigen Bewegung überzeugte, weil er genau so ist, wie er sich darbot.
Bei den S!sters fehlte diese Perfektion. Sie sangen nicht synchron mit den eingeblendeten Gesichtern, ihre riesigen LED-Lippen bewegten sich also nicht passend zum Gesang am Samstagabend. Selbst wenn es nicht so war, wie es schien: Das kann einen ganzen Auftritt zerstören. Denn es gibt nur zwei Mal drei Minuten, die alles entscheiden – zum einen bei der zweiten Generalprobe am Freitagabend, wenn die Juroren abstimmen, zum anderen beim eigentlichen Finale. Bei 26 Teilnehmern muss man in Erinnerung bleiben. Da zudem nur zehn Länder jeweils Punkte bekommen können (von eins bis acht plus zehn und zwölf), gehen 16 Länder bei jedem Voting leer aus. So konzentrieren sich die Punkte gefühlt auf immer dieselben Kandidaten, was sich durchs Jury-Voting inzwischen etwas geändert hat. Mit null Punkten fährt eigentlich niemand mehr nach Hause. Da muss schon alles schief gehen.
Der ESC ist eine hochtechnisierte Angelegenheit. Jeder Kamerawinkel ist exakt vorher festgelegt, wer eine Sekunde zu spät kommt, hat schon verloren. Der Schwede Måns Zelmerlöw hat mit seinem imaginären Freund, dem kleinen Lichtfigürchen, sicher lange hart trainiert, bevor er diese Perfektion auf der Bühne erreichte, als er in Wien sein „Heroes“ sang. Ein festgefügtes Programm gibt Sicherheit, die deutsche Delegation indes neigt dazu, während des laufenden ESC immer noch wieder etwas umzustellen und mit wichtigen Details erst spät fertig zu werden – zum Beispiel in diesem Jahr, was Kleider, Haare, Make-up anging.
Weniger Probezeit für die Deutschen
Das kann mal funktionieren, gibt Künstlern aber nicht unbedingt Sicherheit. Auch an Michael Schultes Auftritt im vergangenen Jahr wurde noch in den Tagen von Lissabon viel gefeilt, er aber ruhte in sich, und er hatte sein Lied dabei, „You Let Me Walk Alone“, in dem er den Tod seines Vaters verarbeitet. Zusammen mit der Inszenierung ergab das ein rundes Bild, das überzeugte.
Noch ein Problem: Die Deutschen haben weniger Probenzeit als viele andere Länder. Die Big Five, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich, reisen sogar später an, weil sie nicht durchs Halbfinale müssen. Die erste Woche proben daher nur die Halbfinalisten und haben noch drei Generalproben extra. Ist das womöglich auch ein Grund, dass sich die „großen Fünf“ schwerer tun? Die vergangenen Jahre lagen stets die Besten aus den Vorrunden vorne, Deutschland genauso meist abgeschlagen am Ende des Feldes wie Spanien und das Vereinigte Königreich.
Nach dem Sieg Portugals beim ESC 2017 wurde nach den Regeln der nächste Wettbewerb in Portugal ausgetragen. Entgegen der langjährigen Praxis, schon während der aktuellen ESC-Woche die vorläufigen Termine des nächsten Contests bekannt zu geben, kündigte die EBU diese Entscheidung zunächst für Juni 2017 an. Zwar gab der verantwortliche TV-Sender RTP bereits am 15.05.2017 bekannt, dass der ESC in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon veranstaltet werde. Allerdings wurde dieses Statement kurz darauf schon wieder zurückgenommen und es hieß, man werde sich zunächst die „gesamte Landkarte Portugals“ anschauen. Auch die Städte Braga, Gondomar, Guimarães und Santa Maria da Feira hatten ihr Interesse bekundet.
Erst am 25. Juli 2017 gaben dann RTP und die EBU die Termine und den Austragungsort im Rahmen einer Pressekonferenz bekannt.
Der ESC 2018 fand am 12. Mai 2018 (Semifinale am 8. und 10. Mai) in Lissabon statt und zwar in der anlässlich der EXPO 1998 errichteten Altice Arena (Pavilhão Atlântico). Sie ist eine der größten Indoor-Hallen in der EU mit einer Kapazität von 20.000 Plätzen.
Äußerst zufrieden äußerte sich Jon Ola Sand, der ESC-Verantwortliche der EBU: "Wir sind sehr froh, anzukündigen, dass RTP den ESC 2018 in Lissabon ausrichten wird. Die Stadt hat eine beispielhafte Bewerbung abgegeben und wir freuen uns auf die Zusammenarbeit, um den ersten ESC in Portugal zum aufregendsten bisher zu machen. Wir möchten RTP zur professionellsten und detailiertesten Bewerbung gratulieren." Und Gonçalo Reis, der RTP-Generaldirektor, meinte: "Die Ausrichtung des ESC 2018 ist eine großartige Gelegenheit für Portugal, Lissabon, die Unterhaltungsindustrie und RTP. Wir freuen uns auf die Ausrichtung eines Events, das all unsere kreativen Fähigkeiten zeigen wird."
Laut Pressemitteilung der Executive Produzentin Carla Bugalho strebte RTP den preiswertesten Contests der letzten Jahre an. Die Postcards wurden in Kooperation mit Turismo Portugal in Portugal gedreht, denn man wolle diese einmalige Gelegenheit nutzen, der Welt das heutige Portugal zu zeigen, ein "offenes Portugal, eine Kultur der Inklusion, der Toleranz, eine positive Kultur", so der RTP-Generaldirektor Reis: "Der Contest wird ein mobilisierendes Projekt fur die gesamte Kreativ-Industrie sowohl Lissabons als auch ganz Portugals und wird dem Land erlauben, weiter an seinem Image zu arbeiten auf internationaler Bühne".
Die sog. Postcards, die die einzelnen Acts ankündigen, standen unter dem Motto: "Welcome to Portugal". Es wurden mit allen Interpreten in Portugal Filme gedreht, in denen sie eine Aktivität oder Herausforderung meistern sollten.
Nach Ablauf der offiziellen Anmeldefrist sah es zunächst danach aus, dass ingesamt 43 Länder am ESC 2018 teilnehmen würden. Allerdings wurde dann EJR Mazedonien zunächst wegen nicht bezahlter Schulden von der EBU gesperrt. Diese Sperre wurde im Rahmen einer Ausnahmeregelung allerdings wieder aufgehoben. Am 17.11.2017 wurden daher offiziell 43 Teilnahmeländer bekannt gegeben. Damit wurde die Rekordteilnahme der Jahre 2008 und 2011 erneut erreicht.
Die "Host Insignia Handover Ceremony", d.h. die Übergabe der Insignien von der Gastgeberstadt Kiew 2017 an Lissabon fand am 29. Januar 2018 statt, ebenso die Zulosung der 37 Länder, die in den beiden Semifinalen antreten mussten. Hierzu wurden wie gewohnt verschiedene "Töpfe" gebildet, denen Länder entsprechend der Geographie und ihrem bisherigen Abstimmverhalten zugeordnet wurden. So will mal Nachbarschaftsvoting so weit wie möglich verhindern. Es wurde auch gelost, in welchem Semifinale die Länder der sog. BIG 5 (Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Ver. Königreich) und der Gastgeber Portugal werteten. Diese sechs waren automatisch für das Finale gesetzt. Spanien, Portugal und das Vereinigte Königreich werteten im 1 Semifinale, Frankreich, Deutschland und Italien (auf eigenen Wunsch) im 2. Semifinale.
Die Moderation übernahmen zum zweiten Mal seit 2015 vier Damen: Catarina Furtado, Silvia Alberto, Daniela Ruah und Filomena Cautela.
Catarina Furtado ist Moderatorin, Schauspielerin und Autorin und blickt bereits auf eine 25-jährige Karriere im portugiesischen Fernsehen zurück, wo sie eine der beliebtesten Moderatorinnen erfolgreicher Shows wie „The Voice“ und „Festival da Canção“ ist. Seit 2000 ist sie auch Botschafterin des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA). 2012 gründete sie die NGO „Coracões com Coroa“, der es um die Stärkung von Frauenrechten geht.
Daniela Ruah ist die Tochter portugiesischer Eltern wurde in Boston/USA geboren. Als sie 5 Jahre alt war, zog ihre Familie mit ihr nach Portugal um. Mit 16 Jahren begann sie ihre Schauspielkarriere mit einem Schauspielstudium in London und New York. Derzeit spielt sie die Rolle der Kensi Blye in der sehr erfolgreichen USA-Serie NCIS: Los Angeles.
Filomena Cautela hat Jura studiert, aber die Schauspielerei war immer schon die Passion von Filomena Cautela. Ihre Theaterkarriere begann 2000, ihr Filmdebüt hatte sie 2004. Im Fernsehen moderierte sie eine der erfolgreichsten Late-Night-Shows, außerdem das „Festival da Canção“ 2018, und sie war die Jurysprecherin für Portugal 2017.
Bereits am 07.11.2017 wurden das Motto und das Sublogo veröffentlich. Das Motto des ESC 2018 hieß "All Aboard". Das Sublogo zeigt eine Muschel, das Logo gab es erstmals in verschiedenene Variationen. Zur Erklärung hieß es: "Portugal hat immer schon durch den Ozean Europa mit dem Rest der Welt verbunden und schon vor 500 Jahren war Lissabon das Zentrum der wichtigsten Seerouten der Welt. Daher benutzt Lissabon die Verbindung durch den Ozean als Inspiriation durch den Slogan "Alle an Bord" und lädt damit die internationale Gemeinschaft ein, zum diesjährigen Wettbewerb zusammenzukommen."
Europa sei eine Gemeinschaft vieler Menschen, das habe RTP auch inspiriert, statt nur eines Logos mehrere Variationen zu entwerfen. Das Hauptmotiv, die Muschel, wurde in 12 verschiedenen Ausführungen gezeigt, was auch symbolisieren solle, dass es in den Ozeanen sehr verschiedenartiges Leben gibt wie z.B. Plankton und eine Vielzahl andere Lebewesen, die für das Gleichgewicht des ozeanischen Ökosystems von Bedeutung sind.
Das Bühnenbild sollte Portugals Verbindung zur Navigation, dem Meer, zu Schiffen und Land-/Seekarten symbolisieren. Das Grundgerüst stellte eine "Armillarsphäre" dar, ein astronomisches Gerät zur Darstellung der Bewegung von Himmelskörpern, bestehend aus sich gegeneinander drehbaren Metallringen in Form einer Kugel. Die Bühne zeigte eine moderne Interpretation einer Welle. Die Bühnenstruktur war inspiriert von Schiffbaukunst. Radiale Linien einer Karte gingen in alle Richtungen mit Lissabon im Zentrum.
Das Eurovision Village wurde auf Lissabons berühmtem Platz, der Praça do Comercio, errichtet. Es öffnete vom 4. - 13. Mai 2018. Es gab hier eine Großleinwand für das Public Viewing der drei Shows, Live-Shows, Info-und Imbissstände, außerdem ein "Eurovisions-Café".
Der Willkommensempfang fand am 6. Mai 2018 statt im Museum für Elektrizität im MAAT-Komplex in der Nähe des berühmten Turms von Belem. Der traditionelle "Rote Teppich" mit Aufmarsch der teilnehmenden Delegationen war 2018 ein "Blauer Teppich", der vor dem MAAT Complex ausgerollt wurde.
Der EuroClub sollte zunächst einem der beliebtesten Lissabonner Nachtclubs von 4. - 13. Mai öffnen, dem „Lust in Rio“. Er liegt im Cais do Sodré District am Wasser. Cais do Sodré ist bekannt für sein Nachtleben mit zahlreichen Clubs, Bars, Restaurants und Cafés. Allerdings wurde dann kurzfristig entschieden, in den Club "Ministerium" in den Arkaden der Praça do Comercio zu verlegen.
FAZIT
Beim ersten ESC in Portugal gingen Platz eins und Platz zwei an geballte "Frauen-Power" aus Israel und Zypern, wobei die Protagonistinnen unterschiedlicher nicht hätten sein können: Siegerin Netta aus Israel wollte in ihrem Lied "Toy" nicht das Spielzeug des Mannes sein, während Eleni Foureira es für Zypern mit "Fuego" genau darauf anzulegen schien. Gastgeber Portugal selbst wurde Letzter.
Zwei "Power-Männer" folgten auf Rand drei und vier: Der sowohl stimmlich als auch körperlich beeindruckende Cesár Sampson aus Österreich und Michael Schulte mit seiner Power-Stimme und seiner berührenden Ballade "You Let Me Walk Alone", seinem verstorbenen Vater gewidmet. Mangels LED-Wänden vor Ort hatte die deutsche Delegation für den Auftritt einfach eine aufblasbare Wand mitgebracht und schaffte es noch gerade rechtzeitig, diese während der 40 Sekunden dauernden "Postcard" einsatzbereit zu machen.
Beeindruckend war auch das Kleid der Sopranistin Elina Nechayeva, die ihre geballte Stimmkraft bei "La forza" einsetzte und damit auf Platz fünf gelangte, allerdings wohl auch wegen des die ganze Bühne ausfüllenden Kleides, dass bunt beleuchtet wurde. Dieser Trick war nun nicht neu, aber doch offensichtlich noch wirkungsvoll genug.
Ein weiterer "Hingucker" war die Inszenierung der DoReDos für Moldau, die eine ausgeklügelte Choreografie vor und hinter einer Wand mit mehreren Türen boten, das war einfach genial und wurde mit Platz zehn im Finale belohnt. Choreograf Fokas Evangelinos hatte hier für das Lied von Philipp Kirkorov "My Lucky Day" einmal mehr seine Kreativität bewiesen.
Deutlich minimalistischer, aber durchaus nicht weniger ausdrucksvoll, war die Performance von Mikolas Josef für Tschechien, der mit Platz sechs die beste Platzierung bis dato für sein Land herausholte. Der ESC-Sieger von 2009, Alexander Rybak, trat erneut an, allerdings war sein Titel "That's How You Write A Song" weitaus weniger mitreißend, und es langte für ihn nur für Platz 15.
Einen Platz dahinter landete Ryan O'Shaughnessy für Irland, was wohl nicht unwesentlich dem Männertanzpaar zu verdanken war, das im Hintergrund eine Love-Story tanzte.
Ieva Zasimauskaité aus Litauen saß auf der Bühne und träumte davon, mit ihrem Mann alt zu werden, der dann hinterher zu ihr stieß, das war rührend schön und wurde mit Platz 12 belohnt.
Madame Monsieur waren mit ihrem einem Flüchtlingskind gewidmeten Titel "Mercy" im Vorfeld favorisiert worden, aber sie konnten vor allem die Jurys überzeugen, nicht aber die Televoter, so dass es nur für Platz 13 reichte!
Für SuRie aus Großbritannien gab es eine Schrecksekunde, als ein Störer auf die Bühne stürmte und ihr das Mikrofon entriss. Aber SuRie sang, getragen von den Zuschauern beherzt weiter und lehnte es auch ab, ihren Auftritt zu wiederholen. Eine Belohnung bzw. Entschädigung war Platz 25 leider nicht.
Nachdem Julia Samoylova im Vorjahr aufgrund der Querelen um ihren vorherigen Auftritt auf der von Russland annektierten Krim nicht zum Zuge gekommen war, weil Russland sich aus dem Wettbewerb zurückgezogen hatte, bekam sie nun mit einem neuen Titel "I Won't Break" eine neue Chance, die sie allerdings nicht nutzen konnte: Russland landete im Semifinale auf Platz 15 und scheiterte damit erstmals an der Finalqualifikation.
Erstmals schaffte es auch Aserbaidschan mit Aisel nicht ins Finale, sie scheiterte knapp auf Platz 11.
Die wunderbare Gastgeberstadt Lissabon und der grandiose vierte Platz für den deutschen Vertreter Michael Schulte versöhnte die deutschen Fans und ließ einige Mängel sowohl hinsichtlich der Organisation als auch im Hinblick auf die drei TV-Shows selbst in den Hintergrund treten. Laut EBU sei dieser Contest der „beste, unterhaltsamste und glanzvollste“ aller Zeiten gewesen! Wohl kaum, es sei denn, man empfindet minutenlangen Fado-Gesang als Einstieg in die größte Musikshow der Welt als so unterhaltsam, dass ähnliche Musik auch den Pausenact füllen muss, und man klopft sich auf die Schenkel bei Einspielfilmen mit einem gewissen David Attenburger (dargestellt vom portugiesischen Comedian Herman José), einer Karikatur des berühmten Naturforschers Sir David Attenborough, die zu Empörung in britischen Medien führte.
"Glanzvoll“? Die Interpreten hatte kaum eine Chance, richtig zu glänzen, war die Bühne doch meistens dermaßen schlecht ausgeleuchtet, dass man die Akteure zumindest in der Halle kaum erkennen konnte. Aber es geht ja in erster Linie um die Fernsehbilder. Und da wurde aus Kostengründen auf die üblichen LED-Wände verzichtet, was die einzelnen Delegationen zu erheblicher Kreativität verpflichtete.
DIE TEILNEHMENDEN - FINALE
1.Ukraine
MELOVIN
"Under The Ladder"
Punkte: 130 Platz: 17
M.: MELOVIN T.: Mike Ryals
2. Spanien
Amaia & Alfred
"Tu canción"
Punkte: 61 Platz: 23
M. & T.: Raul Gomez Garcia, Sylvia Ruth Santoro Lopez
3.
Slowenien
Lea Sirk
"Hvala, ne!"
Punkte: 64 Platz: 22
M.: Lea Sirk, Tomy Declerque T.: Lea Sirk
4. Litauen
Ieva Zasimauskaitė
"When We're Old"
Punkte: 181 Platz: 12
M. & T.: Vytatas Bikus
5. Österreich
Cesár Sampson
"Nobody But You"
Punkte: 342 Platz: 3
M. & T.: Sebastian Arman, Cesár Sampson, Joacim Persson, Johan Alkenäs Boris Milanow
6.
Estland
Elina Nechayeva
"La forza"
Punkte: 245 Platz: 8
M.: Mihkel Mattisen, Timo Vendt T.: Elina Nechayeva, Ksenia Kuchukova
7. Norwegen
Alexander Rybak
"That's How You Write a Song"
Punkte: 144 Platz: 15
M. & T.: Alexander Rybak
8. Portugal
Cláudia Pascoal
"O jardim"
Punkte: 39 Platz: 26
M. & T.: Isaura
9. Ver. Königreich
SuRie
"Storm"
Punkte: 48 Platz: 24
M. & T.: Nicole Blair, Gil Lewis, Sean Hargreaves
10. Serbien
Sanja Ilić & Balkanika
"Nova deca"
Punkte: 113 Platz: 19
M.: Aleksandar Sanja Ilić, Tatjana Karajanov Ilić T.: Danica Krstajić
11. Deutschland
Michael Schulte
"You Let Me Walk Alone"
Punkte: 340 Platz: 4
M. & T.: Michael Schulte, Thomas Stengaard, Katharina Müller, Nisse Ingwersen
12. Albanien
Eugent Bushpepa
"Mall"
Punkte: 184 Platz: 11
M & T.: Eugent Bushpepa
13. Frankreich
Madame Monsieur
"Mercy"
Punkte: 173 Platz: 13
M & T.: Emilie Satt, Jean-Karl Lucas
14. Tschechische Republik
Mikolas Josef
"Lie To Me"
Punkte: 281 Platz: 6
M & T.: Mikolas Josef
15.Dänemark
Rasmussen
"Higher Ground"
Punkte: 226 Platz: 9
M. & T.: Niclas Arn, Karl Eurén
16. Australien
Jessica Mauboy
"We Got Love"
Punkte: 99 Platz: 20
M.: Anthony Egizii, David Musumeci T.: Anthony Egizii, David Musumeci, Jessica Mauboy
17. Finnland
Saara Aalto
"Monsters"
Punkte: 46 Platz: 25
M. & T.: Saara Aalto, joy Deb, Linnea Deb, Ki Fitzgerald
18. Bulgarien
EQUINOX
"Bones"
4Punkte: 166 Platz: 15
M. & T.: Borislav Milanov, Joacim Persson, Brandon Treyshun Campbell, Dag Lundberg
19. Moldau
DoReDos
"My Lucky Day"
Punkte: 209 Platz: 10
M.: Philipp Kirkorov T.: John Ballard
20. Schweden
Benjamin Ingrosso
"Dance You Off"
Punkte: 274 Platz: 7
M. & T.: MAG, Louis Schoorl, K Nita, Benjamin Ingrosso
Die Israelin Netta gewinnt den Eurovision Song Contest – Europa entscheidet sich für ein selbstbewusstes Frauenbild. Michael Schulte holt für Deutschland einen fast sensationellen vierten Platz.
Rheinische Post. 14/05/2018 von Martina Stöcker
Um 0.10 Uhr ahnte Peter Urban, dass in Lissabon etwas gehen könnte. „Deutschlands Punkte sind jetzt schon dreistellig“, sagte der Kommentator des Eurovision Song Contests (ESC). „Sie wissen gar nicht, wie gut es mir geht nach den letzten Jahren.“ Dreistellig waren die Punkte der deutschen Starter zuletzt 2012 in Aserbaidschan, die Ergebnisse der Jahre 2013 bis 2017 blieben nur zweistellig - alle zusammengerechnet.
Aber für Michael Schulte, den 28-Jährigen aus Schleswig-Holstein, gab es in Lissabon noch mehr Zustimmung: Mit seinem Lied „You Let Me Walk Alone“ und einem ruhigen, aber kraftvollen Auftritt ohne Tänzer und anderen Schnickschnack überzeugte er die Jury und die Fans in Europa und landete am Ende mit 340 Punkten auf Rang vier - sensationell. Denn solch eine Platzierung hatte ihm niemand zugetraut, auch wenn er bei den Buchmachern im oberen Drittel landete. Zu bitter waren die letzten und vorletzten Plätze in den vergangenen Jahren, die mit Debakel treffend beschrieben sind. Er selbst hatte wohl auch nicht recht dran geglaubt. „Ich bin überglücklich. Platz vier“ sagte er nach der Show. „Das ist so verrückt!“ Einer der schönsten Abende meines Lebens.“ ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber lobte: „Musik schafft Emotionen, und das ist Michael Schulte europaweit überzeugend gelungen.“
Der Sieg ging aber an die Favoritin: Netta (529 Punkte) holte die Trophäe zum vierten Mal in der Geschichte des Song-Contests nach Israel. Ihr Song „Toy“ war bereits vor dem Wettbewerb 20 Millionen Mal bei Youtube angeklickt worden. Die 25-Jährige, deren Äußeres ein wenig an Beth Ditto (Gossip) erinnert, stand im schrillen Manga-Outfit auf der Bühne, sie wedelte mit den Armen wie ein Huhn und machte seltsame Klacklaute. Die Botschaft ihres Liedes passt aber in die Zeit, sie beschwört das Selbstbewusstsein der Frauen: Akzeptiert euch, bleibt so, wie ihr seid, ändert euch nicht – schon gar nicht für einen Mann. „Ich bin nicht dein Spielzeug, dummer Junge, ich mache dich fertig“, heißt es in einer Zeile des Liedes. Im Flitterregen für den Sieger dankte Netta Europa, dass es das Anderssein gewählt und akzeptiert habe.
Das völlige Kontrastprogramm dazu war die zweitplatzierte Eleni Foureira aus Zypern. Zu ihrem Song „Fuego“ (436) tanzte sie in einem hautengen Kostüm, sie und ihre vier Tänzerinnen schleuderten ihre langen Haare durch die Luft und lieferten eine perfekte Show der sexy Posen. Dritter wurde überraschend der Österreicher Cesar Sampson („Nobody But You“/342) – mit nur zwei Punkten Vorsprung auf Schulte. Der Mann aus Linz hatte nach der Jury-Wertung sogar ganz vorne gelegen, doch die Fans katapultierten Netta mit mehr als 300 Punkten und Foureira an die Spitze.
Die Stimmen setzten sich zu 50 Prozent aus der Meinung einer Fach-Jury und zu 50 Prozent aus dem Zuschauer-Voting zusammen. Das führte zu zum Teil großen Unterschieden in der Bewertung. So gab die deutsche Jury dem schwedischen Beitrag von Benjamin Ingrosso zwölf Punkte, das deutsche Publikum bedachte ihn gar nicht, sondern gab Italien die maximale Punktzahl. Schweden landete auf Rang sieben, Italien auf fünf.
Michael Schulte lag in der Jury-Gunst ebenfalls besser als bei den Zuschauern. Er bekam 204 Punkte von den Experten, 136 vom Publikum. Die Jurys aus Dänemark, der Schweiz, den Niederlanden und aus Norwegen gaben ihm zwölf Punkte. Einen Zehner gab es aus Österreich, San Marino, Serbien, Italien, Polen und Australien. Mit seiner kraftvollen Ballade, mit der er an seinen vor 13 Jahren gestorbenen Vater erinnerte, erzählte er eine glaubwürdige Geschichte. Schulte holte die beste Platzierung seit Lena Meyer-Landruts Sieg 2010. Für den federführenden Norddeutschen Rundfunk (NDR) ging damit das neue Konzept auf, bei dem die Künstler für den Vorentscheid mit internationalen Songwritern ihre Lieder erarbeiteten. „You Let Me Walk Alone“ schrieb Schulte unter anderem mit dem Dänen Thomas Stengaard, der auch den Sieger-Song 2013 „Only Teardrops“ für Emmelie de Forest aus Dänemark verantwortet hatte.
Ansonsten war es ein typischer ESC auch mit einigen Liedern, die dem Zuschauer auf dem Sofa einiges an Leidensfähigkeit und Durchhaltevermögen abverlangten. Der Beitrag aus Moldau zum Beispiel, bei dem sechs Sänger und Tänzer in Samt-Outfits in den Landesfarben Rot-Gelb-Blau immer aus verschiedenen Türen herausschauten oder auf die Bühne kamen – das Millowitsch-Theater lässt grüßen. Zwischen mutigen englischen Reimen gab es bei einigen Teilnehmern auch nette Füllwörter wie Schubidudabdab (Norwegen) und Monsterkleider (Estland). Und der Sänger aus der Ukraine wurde wie Dracula aus einem Piano-Sarg emporgehoben, später stand seine Bühnentreppe in Flammen. Überhaupt Feuer: Das spielte eine große Rolle, manche Nationen setzten bei der Bühnen-Performance so intensiv auf Pyrotechnik, dass man sich zeitweise bei einer Schlussfeier der Olympischen Spiele wähnte.
Einen Schreckmoment gab es beim Auftritt der britischen Sängerin SuRie, bei dem ein Mann auf die Bühne stürmte und ihr für Sekunden das Mikrofon entriss. Sie blieb scheinbar unberührt, klatschte und animierte die Fans und sang mit einem zweiten Mikro einfach weiter, als Sicherheitskräfte dem Mann das Mikro entwunden und ihn weggebracht hatten. Laut Statuten hätte die Sängerin noch einmal auftreten dürfen, die britische Delegation entschied sich jedoch dagegen. Vielleicht wusste sie auch, dass es nicht helfen würde. Großbritannien landete am Ende auf Platz 24 von 26 Startern im Finale.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu rief Siegerin Netta noch in der Nacht an. „Du hast dem Staat Israel viel Ehre eingebracht. Nächstes Jahr in Jerusalem“, schrieb er beim Kurznachrichtendienst Twitter. 2019 soll der Wettbewerb also in der Stadt stattfinden, die Israel als Hauptstadt für sich beansprucht. Auch vor dem Hintergrund des Konflikts mit dem Iran wird deutlich, dass Europa ganz andere Probleme hat als ein paar schlechte Kostüme und schiefe Töne. Darüber kann solch ein Abend nur kurz hinwegtäuschen.
Platz 4 beim ESC - Der Michael nervte nicht
Spiegel online. 13/05/2018 von Arno Frank
Endlich gab es wieder viele Punkte für Deutschland: Michael Schulte kam beim ESC überraschend auf Platz vier. Wie konnte das passieren?
Dieser vierte Platz für Deutschland beim ESC 2018 fühlt sich ein wenig an wie der dritte Platz für Deutschland bei der WM 2006 - wie ein Sieg zumindest der Herzen. Die Überraschung, unerwartet so weit gekommen zu sein, wirkt segensreicher als der geglückte Griff nach einer erwarteten Krone. Wie ist der Erfolg von Michael Schulte zu erklären?
Zunächst damit, dass im Vorfeld stets die falschen Fragen ventiliert werden. Wie fit sind Stimmbänder und Sprunggelenke? Welche Taktik, welches Kalkül verbirgt sich hinter dieser oder jener Präsentation? Was macht die Tagesform? Solche Analogien werden eher aus Hilflosigkeit bemüht. Ein Gesangswettbewerb ist, auch wenn er etwa mit olympischem Einlauf der "Athleten" diesen Eindruck erwecken will, keine sportliche Veranstaltung. Sondern eine Art Auktion, auf der Zuneigungspunkte gesammelt werden, ein internationaler und entsprechend emotionaler Sympathiewettbewerb.
In einem solchen hat ein Koloss mit 80 Millionen (um an dieser Stelle ausdrücklich nicht Max Giesinger zu zitieren) Einwohnern, der das übrige Europa ökonomisch und damit auch lebensweltlich an die Wand drückt, beim Publikum prinzipiell schlechtere Karten als, sagen wir, ein randständiger Zwergstaat mit putziger Folklore. Es ist, um im Bild zu bleiben, als träte der FC Bayern im Synchronschwimmen an. Wäre ihm zu wünschen, das auch noch zu gewinnen?
Deutschland muss beim ESC bescheiden auftreten
Deshalb waren die beflissenen deutschen Mitschwimmversuche im Mainstream in den letzten Jahren so erfolglos. Deshalb ist die Überraschung über das gute Abschneiden von Schulte so groß und das Aufatmen beim Boulevard ("Europa hat uns wieder lieb!") berechtigt. Mag sein, dass ukrainische Vampire brennende Klaviere bearbeiten oder dänische Wikinger sich gegenseitig die Bärte kraulen dürfen - die deutsche Entsprechung, auf die Spitze getrieben, wäre eine Performance von Rammstein (oder Helene Fischer) und in diesem Wettbewerb chancenlos.
Offenbar wird nicht der triumphale Einmarsch gern gesehen, an dessen ironischer Brechung sich Stefan Raab und Guildo Horn einst versuchten. Nein, ein europäisches Publikum ist Deutschland nur dann gewogen, wenn es bescheiden auftritt und etwas ahnen lässt, das aus der Ferne als Ehrlichkeit erkennbar ist.
Das galt 2010 für Lena mit ihrer ausgestellten Niedlichkeit, das galt 1999 für Sürpriz (Platz 3) mit ihrem betonten Multikulturalismus - und es galt erst recht 1982 für Nicole, mit der Deutschland, zart und verhuscht, sich schlicht "Ein bisschen Frieden" wünschte.
Schlichte Performance ganz ohne Akrobatik
Es gilt auch für Michael Schulte, dessen schlichte Performance ganz ohne Akrobatik, allzu große Gesten, professionelle Stylisten, ohne Choreografie oder einen für Suchmaschinen optimierten Künstlernamen auskam. Der Michael halt, wie er ein berührendes (und berühren wollendes) Lied über seinen Papa singt. Was man ihm, gerade weil er tief anfliegt statt hoch zu stapeln, irgendwie glauben will. Voilà, douze points!
Dem deutschen Selbstbild entspricht dieses Auftreten nur bedingt, was ebenfalls sympathisch und beinahe dissident wirkt. Zu keinem Zeitpunkt war Michael Schulte - Fanfare! - "unser Star für Lissabon", Ausrufezeichen. Stars werden eben nicht mehr notwendigerweise gemacht. Sie machen sich selbst - im basisdemokratischen Forum von Youtube, dem öffentlichen Probe- und Lebensraum einer neuen Generation von Künstlern.
Weshalb seine Erfolgsgeschichte nebenbei auch vom Bedeutungsverlust der üblichen medialen Mechanismen erzählt. Schulte reiste gewissermaßen privat nach Portugal. Schon der Vorentscheid ging diesmal komplett am Interesse der breiten Öffentlichkeit vorbei. Im Internet mag er Millionen von Klicks sammeln. Im Radio aber bekam "You Let Me Walk Alone" bisher kaum Airplay, obwohl es handwerklich und inhaltlich auf dem gleichen Niveau spielt wie die marktkonformen Innerlichkeitsballaden, vor denen doch sonst so gar kein Entkommen ist.
Michael Schulte hat nicht genervt. Und wenn Deutschland nicht nervt, tja, dann ist offensichtlich schon viel gewonnen.
Biederer Ratgeberpop
Die Beerdigung von Kitsch und Quatsch: Worum es beim ESC wirklich ging
Stern.de/neon. 13/05/2018 von Julia Friese
Der Eurovision Song Contest war seit der Einführung des Farbfernsehens bunt. 2018 ist er schwarz. Die jungen, ernsthaften Künstler - fast allesamt Casting-Show-Absolventen - beerdigen allen Kitsch und Quatsch, nur um am Ende von ihm heimgesucht zu werden.
Alles beginnt mit einem Sarg. Die Ukraine, der Gastgeber des Vorjahres, bricht in Form des Künstlers Mélovin aus dem Sarg aus, um untot auf einem brennenden Podest Klavier zu spielen. Es ist die Ouvertüre einer Beerdigung, nicht irgendeiner Beerdigung, sondern die des Kitsch und Quatsch. Salvador Sobral, der Vorjahresgewinner, hatte es sich so gewünscht. Musik ist nicht Feuerwerk, Musik ist Gefühl, hatte er noch in Kiew gesagt. Videoleinwände will er in Lissabon nicht sehen. Nehmt Musik verdammt noch mal ernst!
Die jungen Künstler folgen seiner Weisung. Elf von insgesamt 26 tragen sehr ernsthaftes schwarz. Fünf weitere Interpreten und Bands tragen schwarz-weiß, halb-schwarz oder eine Leoparden-Jacke über ansonsten ganz-schwarz. Schwarz! Das muss man sich mal vorstellen, was das bedeutet, was diese Riege der jungen, mehrfachen Casting-Show-Absolventen da mit dem ESC macht. Verdammt, der war doch immer die große Gala des Gimmicks. Guildo Horn trug hier Plateauschuhe, zur Halbglatze, Conchita Wurst Bart zum Ballkleid, und Verka Serduchka einen fünfzackigen Stern auf dem Kopf.
Accessoires, Bühnenshow - Oberfläche insgesamt war alles. 2006 traten Monster auf, die ein "Hard Rock Hallelujah" sangen, zu dem das Frontmonster seine Flügel spannte. 2008 sang ein Truthahn, Dustin the Turkey, auf einem fahrbaren DJ-Pult für Irland. Alles folgte dem Konzept: Die buntesten Interpreten zeigen die blassesten Durchschläge von dem, was in der Populärkultur gerade angesagt ist.
Und nun ist alles schwarz. So lackschwarz wie ein inaktiver Handybildschirm. Ausnahmen gibt es wenige. Etwa Estland, das seine Interpretin in ein meterhohes Kleid steckt, welches gleichzeitig als Videoleinwand fungiert. Oder Moldawien, die ihren wunderbar unhörbaren Beitrag als eine Art Mondrian-Theaterstück inszenieren. Am allermeisten gegen den Ernst gewehrt hat sich jedoch Israel. Seine Netta gewann, weil sie das Crazy in ESC ausschrieb. Sie gurrte wie eine Taube, und tanzte wie ein Huhn vor zwei goldenen Schränken mit japanischen Winkekatzen, die der Musik- und Kulturexperte Peter Urban treffsicher als "Bären" identifizierte.
Insgesamt war der ESC-Pop 2018 Ratgeber-Pop. "GuteFrage.net" hätte das inoffizielle Motto gewesen sein können. Wie lebt man ein gutes Leben? war dabei die Frage, die die jungen Künstler am liebsten beantwortet wissen wollten. Selbst Nettas Gewinnersong "Toy" hat eine Rat gebende Botschaft: Frauen sollen stark sein und sich nicht zum Spielzeug eines vermeintlich "dummen Mannes" machen lassen.
Wie mache ich es aber meiner Familie recht?, fragt sich SuRie für Großbritannien. "Hey mother, I'm making you proud. Could I do better?", sang sie. Ein Flitzer nahm ihr das Mikrofon weg.
Und die 23-jährige Cláudia Pascoal aus Portugal sang zu getragen Klaviertönen - ganz in Schwarz gekleidet - von dem Tod der Oma ihrer Duett-Partnerin. Singend versprachen sie, sie würde sich bessern, die Duett-Partnerin, um ein Leben ganz im Sinne der geliebten Großmutter zu führen. Die Sehnsucht nach Familie, sie ist 2018 das ganz große Ding. Zwei der auftretenden Acts sind Paare, eines ist sogar verheiratet. Und die 24-jährige Ieva Zasimauskaité aus Litauen träumt auf der Bühne sitzend davon mit ihrem Freund alt zu werden. Sie singt mit maximal brüchiger Stimme, brüchiger als Emilia einst "I'm a big, big girl in a big, big world" gesungen hatte, nur um dann im Grande Finale auf der Bühne Besuch von eben diesem Freund - natürlich ganz in Schwarz - zu bekommen, dem sie mit einstudiert erstickender Stimme in Liebe um den Hals fällt.
Liebe! Sie soll tiefer gehen als die Knochen, singen die schwarz gekleideten Equinox aus Bulgarien. Das Bühnenbild dazu sind weiße Rippen - Memento Mori! - die man aber auch, denn die Darbietung darf nicht zu sehr verstören, eigentlich darf sie gar nicht verstören, als harmlose, weiße Lamellen sehen kann, wenn man denn will. Jessica Mauboy singt für Australien folgenden Ratschlag: Nur für materielle Dinge zu kämpfen, das ist Zeitverschwendung. Konzentrieren wir uns doch auf was anderes: Liebe.
Michael Schulte sang sich mit "You Let Me Walk Alone" auf den vierten Platz, weil er mit seinem Song über die Liebe zu seinem Elternhaus eben genau diesen biederen Nerv traf. Sein Vater ist vor 13 Jahren gestorben, aber sein Zuhause war dennoch ein "Shelter from a storm", das sang er. Denn Zuhause ist Zuflucht. Europa gefiel das. Familie, Heimat, Biedermeier.
Auch die ungarische Metal-Core-Band AWS sang mit "Vislát nyár" ("Auf Wiedersehen, Sommer") einen Song über den Tod des Vaters. Im Interview sagte die Band, es gehe ihr darum, den Hörern die Angst vor dem Tod zu nehmen, damit sie im Wissen um Endlichkeit ein glücklicheres Leben führen können.
Auch zu ihrem Beruf sang die Abschlussklasse des Bieder-Pops Rat Gebendes. Lea Sirk aus Slowenien verkündete ganz in Schwarz: Was du auch machst, die Seele muss mit drin hängen. Von leeren Werbebotschaften solle man sich nicht in die Irre führen lassen. Alexander Rybak, der den ESC 2009 schon mal gewonnen hat, will Kohorten von ESC-Sängern und Sängerinnen nach ihm helfen. Er singt eine formularische Anleitung zum Songschreiben: "That's how you write a song". Dessen gehaltvollste Botschaft: Ihr müsst nur an euch glauben.
Dabei scheint genau das das Problem zu sein. Niemand glaubt hier eigentlich an sich. Alle glauben nur, sich beweisen zu müssen. In Wettbewerb um Wettbewerb. In Casting um Casting. Ständig im Kampf um die Zuschauergunst. Und damit man die bekommt, kopiert man eben wild Dinge, die alle mögen. Netta mag die japanische Kultur und Hühner, Eleni Foureira Shakira und Beyoncé. Sie stellte sie dar, staksig in einem Anzug aus Flammen. Dazu sang sie von dem, was ihr und der ganzen Veranstaltung fehlte: Feuer.
Michael Schulte hat es allen gezeigt
Süddeutsche.de. 13/05/2018 von Hans Hoff
Der Sänger aus Buxtehude galt als musikalisches Leichtgewicht. Er wird überraschend und verdient Vierter beim ESC 2018.
Der Bann ist gebrochen. Deutschland hat am Samstagabend beim Eurovision Song Contest (ESC) in Lissabon einen sensationellen vierten Platz erreicht. Das ist das beste Ergebnis, seit Lena 2010 in Oslo den Sieg nach Hannover holte. Nach zwei letzten und einem vorletzten Rang in den vergangenen Jahren hat Michael Schulte mit seinem Titel "You Let Me Walk Alone" die Popnation würdig vertreten, vielleicht sogar ein bisschen besser als sie wirklich ist.
Er landete knapp hinter dem österreichischen Beitrag "Nobody But You" von Cesár Sampson, der ebenso überraschend auf Position drei landete. Sieger wurde vor dem zweitplatzierten Song "Fuego" aus Zypern die Sängerin Netta, die mit ihrem Titel "Toy" dafür sorgte, dass der ESC im kommenden Jahr in Israel ausgetragen wird.
Damit hat sich das Konzept des für Deutschland in Sachen ESC federführenden NDR zum ersten Mal seit dem Abschied von Stefan Raab wieder bewährt. Die Organisatoren des nationalen Vorentscheids haben die Auswahl der Künstler und der Songs diesmal mit großem statistischem und kompositorischem Aufwand betrieben. Wie sicher sie gehen wollten, zeigt schon die Tatsache, dass im Komponistenfeld des Songs, den der in Buxtehude lebende Schulte seinem verstorbenen Vater gewidmet hat, vier Namen stehen.
Trotzdem dürften vor dem Finale die wenigsten auf eine derart großartige Platzierung getippt haben. Schulte wurde geschmäht als Ed Sheeran für Arme, viele Radios hielten sich sehr zurück mit dem Song. Schultes Bekanntheitsgrad in Deutschland blieb trotz vieler Bemühungen eher ausbaufähig. Manche hielten ihn für einen dieser vielen Youtube-Stars, die halt kurz mal nach oben gespült werden und dann aber schnell wieder verschwinden.
Nun hat es Schulte allen Zweiflern gezeigt. Das hing sicherlich von seinem Auftritt in der Altice Arena ab. Dort stand der 28-Jährige in dunkler Kleidung allein auf weiter Bühne vor 11 000 feierwütigen Menschen und wirkte zu Beginn seines Vortrags erst einmal ein wenig verloren. Aber dann packte er so viel Emotion in die Hommage an seinen Vater, dass es kurz vor Schluss schien, als werde er vor der Kulisse eingeblendeter Textfragmente und diverser Familienfotos gleich losweinen.
Das hatte nichts von Kitsch, sondern sprach von großem Ernst. Genau diese Ernsthaftigkeit hat sich offenbar in die meisten Länder vermittelt. Schon nach der Auszählung der Jury-Stimmen lag Schulte auf Rang vier und konnte diesen Platz auch nach der Verteilung der Zuschauervotings halten.
Das ist insofern bemerkenswert, als sich die Wertungen von Jurys und Publikum für andere Teilnehmer stark unterschieden. So rangierte Schweden mit auswechselbarem Pop nach der Jurywertung souverän auf dem zweiten Rang, wurde aber dank magerer Zuschauerstimmen auf Rang sieben durchgereicht. Österreich, dass die Jurys auf Rang eins gesetzt hatten, rutschte zwar auf Platz drei ab, lag am Ende aber noch zwei Punkte vor Deutschland, das stolze 340 Punkte verbuchen konnte.
Für die Fernsehzuschauer war es mit Sicherheit die seit langem spannendste Auszählung am Ende eines ESC-Finales. Sehr lange war nämlich nicht sicher, wer von den beiden Favoritinnen das Rennen machen würde: Die stark an Shakira erinnernde Eleni Foureira, eine nach Griechenland geflüchtete Albanierin, die mit dem Titel "Fuego" für Zypern ins Rennen ging. Oder die Beth Ditto nicht unähnliche Powerfrau Netta, die ein lautstarkes Plädoyer für die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensentwürfe hielt und gleichzeitig deutlich machte, dass sie sich nicht als Objekt missbrauchen lassen möchte.
"I'm not your toy, you stupid boy", sang sie und oszillierte dabei keck zwischen den Stilen, setzte hier ein paar Soundschleifen ein, dort ein bisschen HipHop und dazu einen Hauch von koreanischem Ententanz. Dass Netta am Ende die meisten Punkte sammelte, darf als erneuter Beleg gewertet werden, dass starke Symbolfiguren, Menschen, die aus der Reihe fallen, im ESC große Chancen haben. Conchita Wurst war so jemand. Und auch Salvador Sobral, der verhuschte Sieger des Vorjahres.
Der wiederum sorgte für einen bemerkenswerten Moment an diesem insgesamt eher lauten Abend, als er noch einmal seinen leisen Siegertitel "Amar pelos dois" anstimmte. Es war sein erster großer Auftritt nach seiner schweren Operation, in der er im Dezember ein neues Herz erhielt.
Schrille Momente und sehr viel Pyrotechnik
Das fiel naturgemäß aus dem Rahmen, der diesmal wieder von allerlei schrillen Momenten gesetzt wurde. Es gab ein riesiges Kleid, das als Projektionsfläche genutzt wurde, es gab die üblichen Verrenkungen, die zwischen sexy und ungelenk changierten.
Vor allem aber gab es massivsten Einsatz von Pyrotechnik. Immer wenn man annahm, nun könne kein Pyroeffekt mehr übrig sein, weil drei Minuten lang alles verfeuert wurde, was in drei Minuten möglich ist, schossen im nächsten Song garantiert noch mehr Feuer- und Glitterfontänen aus dem Boden. Mehr Feuer war lange nicht.
Beim Auftritt der Britin SuRie kam es zudem zu einem unangenehmen Moment, als ein Störer die Bühne enterte und der Sängerin das Mikrofon entriss, was allerdings wegen einer gerade geschalteten Totale die wenigsten Zuschauer mitbekommen haben dürften. In Blitzeseile war der Störer abgeräumt, und SuRie bekam ihr Mikro zurück. Offenbar fühlte sie sich durch die Aktion angespornt und sang mit doppelter Kraft weiter. Das anschließende Angebot der ESC-Ausrichter, ihren Auftritt am Schluss noch einmal zu wiederholen, lehnte sie indes ab. Sie sei sehr stolz auf ihren Auftritt gewesen und sehe absolut keinen Grund, ihn zu wiederholen, ließ sie mitteilen. Am Ende schaffte sie es trotzdem nur auf Rang 24.
Die rote Laterne, die in den vergangenen Jahren zu oft an Deutschland durchgereicht wurde, musste diesmal auf Rang 26 das Gastgeberland Portugal tragen, was beweist, dass beim ESC zwischen großem Erfolg und katastrophalem Abschneiden oft nicht mehr als zwölf Monate liegen.
Der 62. Eurovision Song Contest fand 2017 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew statt, die beiden Semifinale am 9. und 11. Mai und das Finale am 13. Mai 2017.
Damit war Kiew nach 2005 zum zweiten Mal die Gastgeberstadt des ESC. Nachdem der Sportpalast, in dem der ESC 2005 ausgetragen wurde, nicht mehr den technischen Anforderungen entspricht, fiel die Wahl auf das International Exhibition Centre des Messezentrums. Die Halle fasst etwa 11.000 Zuschauer. Auch das Pressezentrum wurde im Messezentrum untergebracht.
Sechs Städte (Kiew, Lviv, Odessa, Kherson, Kharkiv und Dnipro) hatten sich beworben, zuletzt standen nur noch die Hauptstadt Kiew und Odessa zur Wahl. Nachdem die Bekanntgabe der Gastgeberstadt mehrfach verschoben wurde, hat man am 9. September 2016 in einer Pressekonferenz des ukrainischen Ministerkabinetts die Entscheidung für Kiew bekannt gegeben, sie sei im Auswahlgremium 19 zu 2 Stimmen gefallen. Erstmals hatten sich zuvor die Bewerberstädte in einer Live-Sendung namens "Städtekampf" im ukrainischen TV per Live-Stream präsentiert. Vor Publikum gab es eine Diskussion zwischen offiziellen Vertretern des Organisationskommittees, Musikexperten und Fans.
Die Bekanntgabe der Enscheidung war mehrfach angekündigt und wieder verschoben worden. Die drei Städte der Endrunde mussten ihre Bewerbungsunterlagen auf Geheiß der EBU nachbessern. Der Executive Supervisor der EBU, Jon Ola Sand, fühlte sich bemüßigt, eine Videoerklärung abzugeben. Es wurde außerdem seitens der EBU darauf hingewiesen, dass die Entscheidung für Düsseldorf 2011 erst im November 2010 bekannt gegeben worden sei, die Entscheidung für Kopenhagen 2014 erst im September 2013.
Nach einem EBU-Meeting in Lausanne am 8. Dezember 2016 wurde dann endgültig beschlossen, dass der ESC 2017 in der ukrainischen Hauptstadt stattfinden solle. Zuvor hatte es mehrfach Stellungnahmen der EBU gegeben, dass die Vorbereitungen seitens des verantwortlichen Senders NTU ins Stocken geraten seien, auch sei die Finanzierung nicht endgültig geklärt. Gerüchte kamen auf, Russland werde in die Bresche springen. Zuvor war der NTU-Generaldirektor zurückgetreten. Dann hatte NTU Oleksandr Charebin und Viktoria Romanova als Executive Producer berufen. Ihnen zur Seite stand der sehr erfahrene Stuart Barlow als Show Producer.
Jon Ola Sand (EBU) äußerte sich nun zufrieden mit dem neu ernannten "Core Team" und sprach ihnen vollstes Vertrauen aus. Viktoria Romanova wird folgendermaßen zitiert: "Ich freue mich, bestätigen zu können, dass NTU ein ausreichendes Budget für die Ausrichtung des ESC in der Ukraine hat. Wir werden 15 Mio. Euro vom ukrainischen Staat und weitere 7 Mio. Euro von der Stadt Kiew bekommen. Wir haben mit den Vorbereitungen bereits begonnen."
Dann kam am 10. Februar 2017 der Paukenschlag: Das Organisationsteam des ESC 2017 trat vollständig zurück! Das betraf u.a. die gerade erst ins Amt berufenen Oleksandr Kharebin und Victoria Romanova sowie die kommerzielle Direktorin, den Eventmanager und den Sicherheitschef. Als Begründung wurden unüberwindbare Differenzen mit dem verantwortlichen TV-Sender angegeben. Im Detail heißt es in der Begründung: "Man hat uns nach der offiziellen Bekanntgabe des Zuschlags an Kiew zur Ausrichtung des ESC im Dezember Kompetenzen genommen, die wir an den neuen Leiter des Contests abgeben mussten. Dieser neue Leiter bekam die vollständige Kontrolle über alles, was mit dem ESC zu tun hat. Diese Ernennung und alle Aktionen, die damit zusammenhingen, haben die Vorbereitungen des ESC für ca. zwei Monate unterbrochen. Unsere Arbeit wurde vollständig blockiert. Wir bedauern sehr, mitteilen zu müssen, dass unser Team solch eine Vorgehensweise nicht akzeptieren kann und keine Möglichkeit einer Fortsetzung unserer Arbeit sieht."
Durch diese Vorgänge kam es natürlich zu erheblichen Verzögerungen im Zeitplan der Vorbereitungen. Zur Unterstützung des neuen Organisationsteams holte man schließlich Christer Björkman, den ESC-Produzent 2013 und 2016 und "Vater" des Melodifestivalen in Schweden mit ins Boot. "Ich bin begeistert, wieder dabei sein zu können, um am größten Musik-Event der Welt mitzuarbeiten. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit dem wunderbaren Team von UA:PBC und bin sicher, dass wir zusammen den besten Contest aller Zeiten produzieren werden!" Björkman war hauptsächlich für das Staging der 42 Acts verantwortlich.
Insgesamt 43 Länder hatten ursprünglich ihre Teilnahme zugesagt. Rumänien und Portugal kehrten nach einjähriger Abstinenz zurück, Bosnien & Herzegowina setzte aus wegen Umstrukturierung des TV-Senders. Die Türkei und die Slowakei nahmen wiederum nicht teil. Damit wären in Kiew genauso viele Länder antreten wie 2008 in Belgrad und 2011 in Düsseldorf, wenn Russland sich nicht kurzfristig vom Wettbewerb zurückgezogen hätte. Die Teilnahme Australiens schien nunmehr zu einer Dauereinrichtung zu werden.
Die Semifinalauslosung fand am 31. Januar 2017 statt. Es wurden - wie gewohnt - sechs "Töpfe" gebildet und die Länder nach geografischen Gesichtspunkten und bisherigem Wertungsverhalten zugeordnet. Die Moderatoren waren Nika Konstantinova und Timur Miroshnyshenko. Es wurde ausgelost, dass Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich im 1. Semifinale antraten, Deutschland (auf eigenen Wunsch), Frankreich und die Ukraine im 2. Semifinale. Die Schweiz und Israel wurden auf Wunsch dem 2. Semifinale zugeordnet.
Erstmals in der ESC-Geschichte gab es drei männliche Moderatoren: Oleksandr Skichko, Volodymyr Ostapchuk und Timur Miroshnychenko.
Oleksandr Skichko ist Moderator diverser ukrainischer TV-Shows. Seine Karriere begann als Semifinalist der ukrainischen „Supertalent“-Ausgabe, in der er mit Parodien antrat.
Volodymyr Ostapchuk ist Moderator u.a. im Frühstücksfernsehen sowie bei „Shopping Queen“. Außerdem ist er ein vielbeschäftigter Synchronsprecher.
Timur Miroshnychenko hat als ESC-Fan schon diverse ukrainische Vorentscheidungen moderiert sowie beide JESC in Kiew 2009 und 2013. Außerdem war er schon ukrainischer ESC-Kommentator.
Von den Produzenten und Jon Ola Sand (EBU) las man, man habe zwar nicht nach drei jungen Männern gesucht, aber die Drei hätten beim Casting überzeugt durch ihre Kombination von Humor, Improvisationstalent und Professionalität. Die Chemie zwischen ihnen stimme einfach.
Kurz vor der Insignienübergabe durch Eva-Louise Erlandsson Slorach, der Stadtratsvorsitzenden von Stockholm, der Gastgeberstadt 2016, an Vitali Klitschko, den Kiewer Bürgermeister, wurde das Motto des ESC bekannt geben. Es lautete "Celebrate Diversity" - "Feiert die Vielfalt". Jon Ola Sand meint dazu: "Die Idee, die Vielfalt zu feiern, baut auf dem letztjährigen Slogan "Come Together" auf und ist das Herzstück der Eurovisions-Werte: Es ist allumfassend und überall in Europa, und darüber hinaus, zusammen zu kommen, um unsere Gemeinsamkeiten und unsere Unterschiede zu feiern, und natürlich großartige Musik." Das Sublogo zu diesem Motto basiert auf der traditionellen ukrainischen Halskette Namysto. Dieser Halskette wird eine Schutzfunktion zugeschrieben und sie ist ein Symbol für Schönheit und Gesundheit. Sie besteht aus vielen verschiedenen Glasperlen, jede mit einem eigenen Design, und symbolisiert so die Vielfalt und Individualität.
Das Bühnenbild wurde wieder von Florian Wieder (ESC 2011, 2012, 2015) gestaltet, es wurde am 31.01.2017 vorgestellt.
Der EuroClub wurde im Ausstellungskomplex CEK Parkovy, eingerichtet. Der Rote Teppich sollte vor der berühmten St. Sophia-Kathedrale (UNESCO-Welterbe) stattfinden. Allerdings gab es Proteste aus orthodoxen Kirchenkreisen. Daher wurde der Rote Teppich dann vor den Mariinyski-Palast verlegt, wo 2005 der Willkommensempfang Open Air stattfand.
FAZIT
Portugal hat zum ersten Mal in der ESC-Geschichte den Sieg davongetragen mit dem Lied "Amar pelos dois", gesungen von Salvador Sobral, geschrieben von seiner Schwester Luísa, die mit ihm gemeinsam das Lied nach dem Sieg noch einmal gesungen hat. In einer ersten Reaktion meinte der Sieger: "Wir leben in einer der Welt der 'Fast-Food-Musik' ohne Inhalt. Aber Musik ist Gefühl, nicht Feuerwerk." Sein Sieg könne der Sieg für die Musik mit Bedeutung sein. Die bis dato beste Platzierung erreichte Portugal 1996: Lúcia Moniz mit dem Titel: "O meu coração não tem cor” (Platz sechs).
Der erstmalige Sieg Portugals war eine Riesenüberraschung. Wer hatte diese völlig aus dem Rahmen des englischsprachigen Überangebots fallende Ballade in Landessprache vorher auf der Rechnung gehabt? Bei den Buchmachern führte bis kurz vor dem Finale eindeutig Italien, aber nach der ersten Probe Portugals schnellte Salvador Sobral auf die Spitzenposition. Wer diese Probe erlebt hatte, dem war eigentlich klar, dass der portugiesische Beitrag ganz oben mitspielen würde. Dieses Lied mit diesem Sänger hat verdient gewonnen, da waren sich Jurys und Televoter einig.Die weiteren Proben absolvierte seine Schwester Luísa, da er gesundheitlich dazu nicht in der Lage war. Es gab widersprüchliche Berichte über seine gesundheitliche Verfassung, das ging von einer Erholungsphase nach Leistenbruchoperation bis zur Suche nach einem Spenderherz, was sich ja dann letztlich auch bestätigte: Salvador Sobral bekam nachdem ESC ein neues Herz.
Der im Vorfeld als fast sicherer Sieger gewettete Italiener Francesco Gabbani landete auf einem für viele sicher enttäuschenden sechsten Platz mit seinem Titel "Occidentali's Karma". Gabbani war auch nationaler und internationaler Fanfavorit.
Bulgarien toppte mit Kristian Kostov und "Beautiful Mess" das Ergebnis von Poli Genova ein Jahr zuvor (Platz vier) und fuhr mit dem zweiten Platz das bisher beste Ergebnis für Bulgarien ein. Das bereits aus Düsseldorf 2011 bekannte "Sunstroke Project" aus Moldau wurde mit einer witzigen Hochzeitsnummer Dritter! Und eine eigentlich relativ "farblose" Blanche konnte durch eine entsprechende Inszenierung und ein aus dem Rahmen fallendes Lied "CIty Lights" für Belgien Platz vier ersingen.
Ebenfalls sehr farblos, nämlich "Grau in Grau", kam die deutsche Vertreterin Levina daher: Sie bekam für "Perfect Life" sechs magere Punkte (drei von der irischen Jury und drei des Schweizer Televotings) und wurde lediglich Vorletzte mit einem Punkt Vorsprung vor Schlusslicht Spanien.
Ganz anders da die Rumänen, Ilinca feat. Alex Florea jodelten sich auf Platz sieben! Und der Kroate Jacques Houdek trat gleich doppelt an und sang im Duett mit sich selbst in verschiedenen Stimmlagen "My Friend". Das reichte für Platz 13. Nicht gereicht hat es für Tamara Gachechiladze aus Georgien, sie scheiterte mit ihrer Powerballade "Keep The Faith" knapp auf Platz 11 im Semifinale, aber als Trost lernte sie in Kiew ihren Mann fürs Leben kennen, den Produzenten von Kristian Kostov, Boris Milanow!
Slavko Kalezić konnte für Montenegro noch so sehr mit seinem künstlichen Zopf herumwedeln, er blieb im Semifinale auf Platz 16 stecken, einen Platz vor Omar Naber aus Slowenien, der es nach 2005 zum zweiten Mal versuchte. Ebenfalls erfolglos blieb der erste Anlauf von Claudia Faniello, der Schwester des zweimaligen Vertreters Fabrizio Faniello, die es unzählige Male in der maltesischen Vorentscheidung versucht und es endlich geschafft hatte, zum ESC zu fahren, aber hier erstaunlicherweise nicht über einen 16. Platz hinauskam: Sie bekam keinen einzigen Punkt vom Televoting!
Für die Schweiz schafften es Timebelle trotz oder wegen einer bonbonfarbenen Inszenierung nur auf Platz 12 im Semifinale, und ganz arg erwischte es die Vertreter Estlands, die bei den Fans auch ganz hoch im Kurs gestanden hatten: Koit Toome und Laura (für beide jeweils der zweite Anlauf beim ESC) waren "Lost In Verona" im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich auf Platz 14 im Semifinale, dessen Schlusslicht Valentina Monetta bei ihrem dritten Versuch für San Marino, dieses Mal im Duett mit Jimmie Wilson, bildete.
Der Contest selbst wurde im Großen und Ganzen nach den Schwierigkeiten im Vorfeld doch ganz gut organisiert. Die Moderation der drei Herren war insgesamt unspektakulär, ein Einspieler mit Måns Zelrmerlöw, dem grandiosen Moderator 2016, offenbarte jedoch zu deutlich, dass zwischen ihm und der Moderation der drei Ukrainer Welten lagen.
DIE TEILNEHMENDEN - FINALE
1.Israel
IMRI
"I Feel Alive"
Punkte: 39 Platz: 23
M. & T.: Dolev Ram, Penn Hazut
2. Polen
Kasia Moś
"Flashlight"
Punkte: 64 Platz: 22
M. & T.: Kasia Moś, Rickard Bonde Truumeel, Pete Barringer (DWB)
3.
Belarus
Naviband
"Story of My Life"
Punkte: 83 Platz: 17
M. & T.: Artem Lukyanenka
4. Österreich
Nathan Trent
"Running On Air"
Punkte: 93 Platz: 16
M. & T.: Nathan Trent, Bernhard Penzias
5. Armenien
Artsvik
"Fly With Me"
Punkte: 79 Platz: 18
M.: Lilith Navasardyan, Levon Navasardyan T.: Arvet Barseghyan, David Tserunyan
6,
Niederlande
O'G3NE
"Lights And Shadows"
Punkte: 150 Platz: 11
M.: Rick Vol, Rory de Kievit T.: Rick Vol
7. Moldau
SunStroke Project
"Hey Mama"
Punkte: 374 Platz: 3
M.: Anton Ragoza, Serghei Stepanov, Serghei Ialovitki, Mihail Cebotarenco T.: Alina Galetcaia
8. Ungarn
Jóci Pápai
"Origo"
Punkte: 200 Platz: 8
M. & T.: Jószef Pápai
9. Italien
Francesco Gabbani
"Occidentali's Karma"
Punkte: 334 Platz: 6
M. & T.: Francesco Gabbani, Fabio Ilacqua, Luca Chiaravalli
10. Dänemark
Anja
"Where I Am"
Punkte: 77 Platz: 20
M. & T.: Anja Nissen, Michael D'Arcy,
Angel Tupai
11. Portugal
Salvador Sobral
"Amor pelos dois"
Punkte: 758 Platz: 1
M. & T.: Luísa Sobral
12. Aserbaidschan
Dihaj
"Skeletons"
Punkte: 120 Platz: 14
M.: Isa Melikov T.: Sandra Bjurman
13. Kroatien
Jacques Houdek
"My Friend"
Punkte: 128 Platz: 13
M.: Jacquies Houdek, Siniša Reljić, Tony Malm T.: J. Houdek, Ines Prajo, Arijana Kunštek, Fabrizio Laucella
14. Australien
Isaiah
"Don't Come Easy"
Punkte: 173 Platz: 9
M & T.: David Musumeci, Anthony Egizil, Michael Angelo
15.Griechenland
Demy
"This Is Love"
Punkte: 77 Platz: 19
M.: Dimitris Kontopoulos T.: Romy Papadea, John Ballard
16. Spanien
Manel Navarro
"Do It For Your Lover"
Punkte: 5 Platz: 26
M. & T.: Jonas Thander, Beatrice Robertsson
17. Norwegen
JOWST
"Grab The Moment"
Punkte: 158 Platz: 10
M.: Joacim With Steen T.: Jonas McDonnell
18. Ver. Königreich
Lucie Jones
"Never Give Up On You"
Punkte: 111 Platz: 15
M. & T.:
Emmelie de Forest, Daniel Salcedo, Lawrie Martin
19. Zypern
Hovig
"Gravity"
Punkte: 68 Platz: 21
M. & T.: Thomas G:son
20. Rumänien
Ilinca feat. Alex Florea
"Yodel It!"
Punkte: 282 Platz: 7
M.: Mihai Alexandru T.: Alexa Niculae
21. Deutschland
Levina
"Perfect Life"
Punkte: 6 Platz: 26
M. & T.: Lindy Robbins, Dave Bassett, Lindsey Ray
22. Ukraine
O.Torvald
"Time"
Punkte: 36 Platz: 24
M.: Zhenia Galych, Denys Miziuk T.: Yevhen Kamenchuk
23. Belgien
Blanche
"City Lights"
Punkte: 363 Platz: 4
M.: Pierre Dumoulin, Emmanuel Delcourt T.: Pierre Dumoulin, Ellie Delvaux (Blanche)
24. Schweden
Robin Bengtsson
"I Can't Go On"
Punkte: 344 Platz: 5
M. & T.: David Kreuger, Hamed "K-One", Pirouzpanah, Robin Stjernnberg
25. Bulgarien
Kristian Kostov
"Beautiful Mess"
Punkte: 615 Platz: 2
M. & T.: Boris Milanov, Sebastian Arman, Joacim Persson, Alexander V. Blay, Alex Omar
26 Frankreich
Alma
"Requiem"
Punkte: 135 Platz: 12
M.: Nazim Khaled T.: Nazim Khaled, Alexandra Maquet
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE 1
1.Schweden
Robin Bengtsson
"I Can't Go On"
Punkte: 227 Platz: 3
M. & T.: David Kreuger, Hamed "K-One", Pirouzpanah, Robin Stjernberg
2. Georgien
Tamara Gachechiladze
"Keep The Faith"
Punkte: 99 Platz: 11
M.: Anri Jokhadze T.: Tamara Gachechiladze
3.
Australien
Isaiah
"Don't Come Easy"
Punkte: 160 Platz: 6
M & T.: David Musumeci, Anthony Egizil, Michael Angelo
4. Albanien
Lindita
"World"
Punkte: 76 Platz: 14
M.: Klodian Qafoku T.: Lindita, Big Basta
5. Belgien
Blanche
"City Lights"
Punkte: 165 Platz: 4
M.: Pierre Dumoulin, Emmanuel Delcourt T.: Pierre Dumoulin, Ellie Delvaux (Blanche)
Am Ende, als Salvador Sobral das gläserne Mikrofon, die Siegestrophäe des Eurovision Song Contest, in der Hand hielt, nutzte er die Aufmerksamkeit und hielt eine kleine Rede: Wir lebten in einer Welt der "Fast-Food-Musik" ohne Inhalt. Doch Musik sei "feeling, not fireworks" - es komme auf die Gefühle an, nicht aufs Feuerwerk. Dieser Sieg - sein Sieg - könne der Sieg von Musik mit Bedeutung sein.
Große Worte eines Sängers, der mit einfachsten Mitteln die Herzen Europas eroberte: Ganz allein stand er auf der sogenannten Satellitenbühne, mitten im Publikum der Messehalle in Kiew, in der der Eurovision Song Contest ausgetragen wurde. Im Hintergrund, auf dem LED-Monitor, war das Bild einer Waldlichtung zu sehen. Nichts flackerte, niemand tanzte. Und dann sang Salvador.
Tastend, als würden ihm die Sätze gerade zufallen, performte er seine Ballade "Amar Pelos Dois". Mit den Händen ahmte er die Begleitung von Piano und Geigen nach, schien mittendrin in seiner Musik zu sein, weit weg von den Erwartungen der Millionen Fernsehzuschauer. Die sich genau davon verzücken ließen.
Ein Sieg im Geschwisterteam
785 Punkte sammelte der Song am Ende, sowohl bei den Fachjurys aus den 42 Teilnehmerländern als auch bei den Fernsehzuschauern lag Sobral vorne mit dem Lied, das seine Schwester Luisa ihm geschrieben hatte. "Wenn dein Herz nicht fühlen will, nicht leiden will, ohne Pläne für die Zukunft zu machen", heißt es darin sinngemäß, "dann kann mein Herz für uns beide lieben".
Die große Schwester, Luisa Sobral, war bisher die Erfolgreichere der beiden im Musikgeschäft gewesen. Salvador Sobral hatte als 20-Jähriger an der portugiesischen Version von "Deutschland sucht den Superstar" teilgenommen, was ihm aber als Negativerfahrung im Gedächtnis blieb. "Das Ziel dieser Programme ist es, Menschen zu unterhalten. Musik ist nicht wichtig." Daher die Fast-Food-Musik als Feindbild?
Als Psychologiestudent trat Salvador auf Mallorca in Bars auf, studierte in Barcelona Jazz. Zudem schränkt ihn eine Herzerkrankung ein, über die er ungern öffentlich spricht. Bei Wettbewerben im Fernsehen wollte er nie wieder auftreten. Bis seine Schwester "Amar Pelos Dois" für ihn schrieb.
In den ersten Probetagen vertrat sie ihn auch in Kiew - dass die Geschwister den Song im Siegerdurchlauf zum Ende der Show im Duett sangen, war mehr als nur eine kleine Geste: Es war das Zeichen, dass dieser Sieg nur im Geschwisterteam gelingen konnte.
Salvador Sobral, der Bewunderer Chet Bakers, dessen Song in den Traditionen des Great American Songbooks und der populären Musik Brasiliens steht, war mit seinem leisen Auftritt beim Eurovision Song Contest der maximale Gegensatz zum lauten Spektakel der Trickkleider (wo waren die dieses Jahr eigentlich?), der Konfettikanonen, des Feuerwerks der Inszenierung also.
Er war aber auch der maximale Gegensatz zu den schwedischen Songwriterfabriken, die ihre Kompositionen durch halb Europa schicken. Es waren die Persönlichkeit und der persönliche Song, die bei Salvador Sobral überzeugten. Es war die Kunst.
Ist daraus eine allgemeingültige Strategie für ESC-Siege zu basteln? Die Risiken erlebte Deutschland 2015 nach der Wahl von Andreas Kümmert, der als ähnlicher Solitär zum ESC gereist wäre - wenn er sich nicht geweigert hätte. Zum Glück für Europa war Salvador Sobral in Kiew, zum Glück durften wir ihn singen hören. Und vielleicht gewinnt in Lissabon 2018 ein Song mit ganz viel Feuerwerk.
Ja! Deutschland ist nicht Letzter!
Süddeutsche.de, 14.05.2017, von Hans Hoff
Ja! Es hat geklappt! Deutschland hat den Misserfolg der beiden Vorjahre, als der heimische Beitrag beim Eurovision Song Contest (ESC) Letzter wurde, nicht fortgesetzt, hat den Minus-Hattrick vermieden. Leider nur sehr knapp, denn Levina, die mit dem Song "Perfect Life" angetreten war, wurde zwar nicht Letzte, dafür aber Vorletzte. Vorletzte von 26. Nur Spanien hat schlechter abgeschnitten.
Trotz der leichten Verbesserung ist es ein Debakel für die deutsche Delegation, die in unendlicher Arroganz mal wieder alles falsch gemacht hat, was man falsch machen konnte. Die deutschen Verantwortlichen wollen einfach nichts lernen aus ihren Fehlern. Sie haben kein Gefühl für den Wettbewerb, und große Show machen können sie schon gar nicht.
Musik ist beim Eurovision angekommen
Dieses kollektive Organversagen der deutschen Delegation wiegt umso schwerer, da der ESC in diesem Jahr einen Triumph sondergleichen feiern kann, denn mit dem Sieg des portugiesischen Sängers Salvador Sobral hat sich ein Interpret durchgesetzt, der nichts zu tun hat mit dem Ruf des ESC, sich vor allem um die Showeffekte und nicht um die Musik zu kümmern.
"Dies ist ein Sieg für die Musik, für Musik, die etwas bedeutet", sagte Sobral, als er zum Sieger gekürt wurde, und selten waren Worte wahrer. Es ging nicht um Glitter, nicht um Glimmer, nicht um protzige Lichteffekte, wirbelnde Kameras und halbnackte Tänzer. All das hat Sobral vermieden.
Als er seinen Song "Amor pelos dois" sang, verzichtete er auf alles, was bisher den Markenkern des ESC auszumachen schien. In einem viel zu großen Jackett stand er allein am Mikrofon und hauchte sein Lied, verdrehte dabei komisch die Augen, machte seltsame Verrenkungen, ruhte ganz in sich.
Er schaffte damit eine Intensität, die man in diesem Wettbewerb sehr lange vermisst hat. Und weil er so glaubhaft in seiner Abkopplung von den Showgesetzen wirkte, berührte er sehr offensichtlich die Zuschauer und die Jurys. Sie spürten, dass es beim ESC auch um etwas gehen kann.
Mehr leise Interpreten
Das fällt besonders auf, weil der ESC in diesem Jahr ein sehr weites Spektrum bot. Er hatte die krachige Rockband im Angebot, aber auch die alberne Jodlerin, den Gorilladarsteller und halbnackte Männer, die sich in winzigen Swimmingpools räkelten.
Dabei fiel erst gar nicht auf, dass Sobral mit seiner Besinnung auf das Zarte, auf das Natürliche gar nicht mal so allein auf weiter Flur stand. Auch der zweitplatzierte Beitrag aus Bulgarien war einer, der auf die Kraft des jungen Interpreten setzte.
Kristian Kostov war seinem portugiesischen Kollegen sehr lange dicht auf den Fersen, und auch er wäre ein würdiger Gewinner gewesen. Auch der belgische Beitrag, der sich erst zum Ende der Abstimmung weit nach vorne schob, war ein leiser und einer, bei dem man am liebsten auf die Bühne gesprungen wäre, um die Interpretin in den Arm zu nehmen.
Fehler des deutschen Teams
Da wiegt es natürlich schwer, wenn der deutsche Beitrag wieder ganz hinten landet. Verwundern darf das indes nicht, denn zu der an Fehlern reichen Geschichte der deutschen ESC-Teilnahme nach dem Abschied von Stefan Raab wurden problemlos ein paar neue Kapitel hinzugefügt.
Das begann schon beim nationalen Vorentscheid im Februar. Da ließen sie der durchaus talentierten Levina nur die Wahl zwischen zwei sehr mittelmäßigen Songs. Mit dem etwas weniger mittelmäßigen ist sie dann in Kiew hoffnungslos gestrandet, weil man ihr dazu eine Bühneninszenierung verpasste, die man vielleicht im verantwortlichen NDR für modern hält, die aber nichts als eisige Kühle ausstrahlte.
Kein bisschen durfte sich Levina bewegen. Sie stand da und lächelte und sang und wirkte doch wie eine unter mehreren Eisschichten gefangene Prinzessin, der nicht mehr zu helfen ist. Wie das zum Lied vom perfekten Leben passen soll, wissen wohl nur jene, die das künstlerisch abgesegnet haben.
Man weiß, dass personelle Veränderungen in deutschen Sendern selten sind. Aber wenn es nicht nach diesem erneuten Debakel an der Zeit ist, über Rücktritte nachzudenken, dann fragt man sich, wann denn wohl jemals Zeit dafür sein sollte.
Levina und ihr tonloses Lachgesicht. Das reicht nicht!
Welt.online.de, 14.05.2017, von Julia Friese
Der Eurovision Song Contest, das Weltfinale aller „X Factor“- und „The Voice“-Shows, endete in diesem Jahr mit einem Sieg für Portugal und dem vorletzten Platz für Deutschland. Warum es so kommen musste.
Salvador Sobral ist durch den Bühneneingang gegangen, hat gegrüßt, kurz, dann hat er sich hingesetzt, neben Luísa Sobral, und dann, irgendwann, er war Startnummer elf, ist er wieder aufgestanden, hat sich hinter dieses Mikrofon gestellt und „Amar Pelos Dois“ gesungen, ein Lied, dass die, die neben ihm saß, seine Schwester, für ihn geschrieben hatte.
Wann immer er sang, war es im Pressezentrum in Kiew, da wo Hunderte Journalisten sitzen, schwitzen und Kulturfußball spielen, also mit Länderflaggen behangen, grölen, jubeln und Selfies schießen, plötzlich still.
Und wenn es mal nicht still war, dann zischte es aus den Ecken, bis es still war, und dann war Sobral. Den wollte man noch mal hören, nach all den Proben und Halbfinals und Halbfinalsproben, auch dieses gefühlte 17. Mal noch.
Levina lächelt, wie man lächeln muss
Levina ist in die Show gegangen, wie sie dachte, wie man in eine Show zu gehen hat. Wann immer einen die Kamera einfängt, dann muss man lachen, das hat sie sehr häufig so gesehen, das macht man so, also machte sie es auch – den Mund weit auf.
Einen Ton braucht man dabei nicht zu machen, denn man lacht ja nicht wirklich, also, das wäre ja fast peinlich, worüber soll man in dem Moment denn lachen, nein, man macht nur ein lachendes Gesicht.
Wann immer die Kamera dann ganz besonders lange auf einem liegt, muss man winken, und das in etwa so, als sei man plötzlich in einer amerikanischen TV-Serie und stünde in dieser TV-Serie an einer amerikanischen TV-Serien-Supermarktkasse, an deren Nachbarkasse man wiederum eine häufig wiederkehrende Nebenfigur dieser TV-Serie erspähen würde.
Wink, wink, tonloses Lachgesicht. So ein Hallo! Ja, schön, dass du hier bist. Ich liebe euch alle. Kuss und Gruß! Keine Frage, Levina hat sich gut reinverkleidet, ja, in gewisser Weise war sie perfekt.
Sobral, er war er selbst
Salvador Sobral war die meiste Zeit gelangweilt. Wer kann es ihm verdenken, er wird die Darbietungen seiner Kontrahenten zuvor circa 34-mal innerhalb einer Woche gesehen haben. Sobral wird es sich nicht eingestehen wollen, aber er wird die vergangenen Tage des Nachts im Bett gelegen und das rumänische „Yodel It!“ ins Kissen geseufzt haben, nur um morgens beim Frühstück das schwedische „I can’t go on“ zu singen, und wenigstens das wird er genau so gemeint haben. Sobral, er war er selbst.
Am Ende des Abend bekam „er selbst“ von Zuschauern und Jury 758 Punkte und Levina sechs. Warum? Als Sobral gewann, erklärte er seinen Sieg so: „Musik ist kein Feuerwerk, Musik ist Gefühl. Musik muss wieder echt werden!“
Dafür bekam er dann sehr viel Applaus, das Publikum konnte nicht anders, denn er hatte ja gerade eben gewonnen. Quatsch war seine Erklärung aber natürlich trotzdem.
Musik gibt es in allen Facetten, und wenn der Eurovision Song Contest über die Jahre eins bewiesen hat, dann, dass auch so ziemlich jede Facette gewinnen kann. (Erinnern Sie sich noch an Lordi? „Hard Rock Hallelujah“?)
Der Contest wird nur meistens von dem Beitrag gewonnen, der anders ist, als alle anderen, der neu ist, etwas Eigenes hat. Entweder ein Lied oder einen Künstler, über den man spricht, oder eben einer, bei dem man ausnahmsweise mal still ist.
Nur Rumäniens Beitrag fiel aus dem Rahmen
Dieses Jahr waren alle Darbietungen ungewöhnlich lahm und zahm. Es gab, abgesehen von Rumäniens Jodelpop, und ein paar Backgroundtänzerinnen, die für die Republik Moldau in Blumensträuße sangen, so gut wie nichts, was man nicht schon hundert Mal gesehen oder gehört hätte. Niemand hat sich was getraut.
Die meisten Outfits waren weiß. Windmaschinen pusteten gegen eskapistische Bühnenvehikel – ein Heißluftballon, ein Propellerboot, ein Halbmond – an. Und die zeitlosen Love-, Freedom-, Pathos-, -Powerballaden brannten mit der Pyro um die Wette.
Dazu gab es – auch im wenig LGBT-freundlichen Kiew – den üblichen Schuss Gay-Disco, aber das Neue, das Charismatische, das fehlte. Und dann kam Sobral. Er fiel auf, weil er anders war, nicht nur seine Darbietung, sondern auch seine Haltung.
Projekt Levina – warum es nicht funktionierte
Das Projekt Levina hingegen wirkte – wie auch die Jamie-Lee-Ann-Sophie-Projekte der vergangenen Jahre – wie an einem Schreibtisch zusammengebaut, der mit einer abwaschbare Schreibtischunterlage belegt ist, unter dessen halbmilchiger Folie eine Notiz von 2010 liegt, auf der steht: „Junge Frau mit englischsprachigem Lied funktioniert.“
Levina, das ist eine Frau, die in London Musikmanagement studiert, die zufällig auch noch singen kann, und sich für diesen Abend mit der gleichen Attitüde in Jamie-Lee-Ann-Sophie reinverkleidet hat, mit der andere Frauen sich als Braut oder Galabesucherin verkleiden. „Heute mal ein Kleid!“
Lena hat sich 2010 nicht verkleidet. Im Gegenteil, sie hat ein leeres Lied mit ihrem Charakter ausgekleidet. Zugegeben „Perfect Life“, ein Lied, das klingt, als sei es beim privaten Telefonieren über dem Bürosprüchekalender in der Kaffeeküche entstanden, mit Charakter zu füllen, ist eine Aufgabe, die selbst einer Amy Winehouse schwergefallen wäre.
Der 61. Eurovision Song Contest fand am 14. Mai 2016 (Semifinale am 10. und 12. Mai) im Stockholmer Globen statt. Der verantwortliche Sender SVT hatte Bewerbungen schwedischer Städte entgegengenommen. Stockholm hatte sich mit drei Hallen (der Friends Arena, der Tele 2 Arena und dem Ericsson Globen) beworben, Sandviken mit der Göransson Arena, Göteborg mit dem Scandinavium, Linköping mit der SAAB Arena und Örnsköldsvik mit dem Fjällräven Center. Malmö hatte seine Bewerbung schon frühzeitig zurückgezogen, da die Halle ausgebucht sei.
Die endgültige Entscheidung für Stockholm und den Globen-Komplex wurde von SVT am 08.07.2015 bekannt gegeben. Dieser Komplex beinhaltet den Globen (ESC 2000) mit 14.000 bis 16.000 Plätzen je nach Aufteilung sowie die die Tele 2 Arena und "Annexet" und "Hovet". Im Hovet wurde das Pressezentrum untergebracht, Annexet blieb den Delegationen vorbehalten.
43 Länder nahmen teil, wieder dabei waren Bosnien & Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Tschechien und die Ukraine, nicht dabei waren Portugal, die Slowakei und die Türkei.
Am 25.01.2016 fand die Auslosung der in den Semifinals teilnehmenden Länder auf die erste oder zweite Hälfte des ersten oder zweiten Semifinals statt. Die Moderatoren Alexandra Pascalidou und Jovan Radomir nahmen die Auslosung vor. Dazu wurden zuvor wie üblich mehrere "Töpfe" gebildet, in die die teilnehmenden Länder je nach geografischer Lage und früherem Wertungsverhalten verteilt wurden.
Israel wurde auf Wunsch direkt dem zweiten Semifinale zugeordnet, um eine Kollision mit dem Nationalfeiertag am ersten Semifinaltag zu vermeiden. Die übrigen Länder wurden auf die jeweiligen Hälften der Semifinals ausgelost. Die endgültige Startreihenfolge wurde später von den Produzenten der Show des SVT in Abstimmung mit der EBU festgelegt.
Australien wurde erneut die Teilnahme ermöglicht, allerdings musste der australische Act im Semifinale antreten.
Die BIG-5 Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich sowie das Sieger- und Austragungsland Schweden waren bereits für das Finale gesetzt. Australien durfte nach der Premiere 2015 erneut teilnehmen, musste aber im Gegensatz zum letzten Jahr in einem Semifinale antreten. Bei der Auslosung wurde zudem bestimmt, welche Länder der BIG-5 welches Semifinale übertragen mussten und dort abstimmen durften. Deutschland wurde auf Wunsch der ARD für das zweite Semifinale gesetzt, Schweden auf Wunsch von SVT auf das erste Semifinale: Semifinale 1: Frankreich, Schweden, Spanien - Semifinale 2: Deutschland, Italien, Vereinigtes Königreich.
Das Wertungssystem wurde erstmals seit 1975 einer grundlegenden Änderung unterzogen. Bisher wurden die Wertungen der nationalen Jurys und des nationalen Televotings rechnerisch kombiniert und es wurde eine gemeinsame Wertung der TOP 10 verkündet. Das hatte oft zur Folge, dass bereits weit vor der Bekanntgabe der letzten Länderwertung der Sieger feststand. Es war nun beim ESC in Stockholm erstmals so, dass sowohl das Resultat des Juryvotings als auch das Televoting pro Land in die Punkte 1,2,3,4,5,6,7,8,10,12 umgesetzt wurde.
Die Moderatoren waren Petra Mede (ESC 2013) und der ESC-Sieger 2015 Måns Zelmerlöw.
Petra Mede ist die erste Frau seit 1974 (Katie Boyle), die den ESC mehr als einmal moderiert hat. Ihren Durchbruch im schwedischen Fernsehen hatte sie mit der Moderation des Melodifestivalen 2009. Nach ihrer viel gelobten Solo-Moderation des ESC 2013 moderierte sie gemeinsam mit Graham Norton auch die Jubiläumsshow in London.
Måns Zelmerlöw hatte seinen Durchbruch als Popsänger bei der schwedischen Vorentscheidung 2007, wo er mit "Cara mia" Dritter wurde. 2009 belegte er mit "Hope & Glory" den vierten Platz und 2010 moderierte er das Melodifestivalen. Seit 2007 hat er zahlreiche Alben veröffentlicht und in Musicals mitgespielt. Drei Jahre lang moderierte er auch die die beliebte schwedische TV-Gesangssendung "Allsång på Skansen" im Stockholmer Freilichtmuseum. Bisheriger Karrierehöhepunkt vor der Sieg beim ESC 2015 mit "Heroes".
Zelmerlöw sagte dazu: "Ich bin so unglaublich glücklich, noch einmal beim Eurovision Song Contest dabei sein zu dürfen und das gemeinsam mit Petra Mede, die ich für eine herausragende Moderatorin und einen äußerst reizenden Menschen halte". Und Petra Mede lobte Zelmerlöw als extrem professionell, sie mache sich also mehr Sorgen um sich selbst und was sie anziehen solle. "Es ist, als wenn ich zum ersten Mal Achterbahn gefahren wäre, und dann sagt mir jemand, ich könne das jetzt gemeinsam mit einem tollen Jungen noch einmal machen!"
Das Motto lautete: COME TOGETHER.
Die Botschaft der Einheit sei einer der Gründe für dieses Motto, so Österdahl. "Wir glauben, dass die Idee der Einheit heute genauso wichtig ist wie in den 1950er Jahren, als der Eurovision Song Contest begann. Beim ESC geht es nie um Grenzen, Politik oder Ideologien. Es geht darum, alle Grenzen zu überwinden, die uns Menschen voneinander trennen!" Symbolisiert wurde diese Botschaft durch eine Pusteblume als Zeichen der Widerstandfähigkeit und Belastbarkeit, aber auch der Kraft zur Erneuerung, denn wenn der Samen des Löwenzahns fortfliege, erschaffe er neues Leben, wo er niederfalle.
Das Bühnendesign für den ESC 2016 stammte von Frida Arvidsson und Viktor Brattström, die auch die Bühne 2013 in Malmö entworfen haben. Ihr Bestreben sei es gewesen, durch Licht eine besondere Tiefe zu erzeugen. Es gab eine innovative LED-Wand, in die die Interpreten "hineingehen" konnten. Im Gegensatz zum sehr reduzierten Bühnenbild 2013 wollte man dieses Mal mit dem Raum spielen und optische Illusionen erzeugen.
Die sog. Postcards, die Filme, die den jeweils nächsten Act ankündigen, wurden im Heimatland des entsprechenden Interpreten gedreht und zeigten sowohl sein persönliches Leben als auch Impressionen des Landes. Dabei spielte die Pusteblume des Logos eine Rolle.
FAZIT
Durch das neue Wertungssystem und die Präsentation wurde deutlich, wie unterschiedlich die Beurteilungen der einzelnen Lieder waren. So kämpften Australien, Russland und die Ukraine um den Sieg. Australien gewann das Juryvoting, Russland das Televoting, aber Siegerin wurde als lachende Dritte Jamala aus der Ukraine.
Über den Sieg der Ukraine kann man geteilter Meinung sein: Ist der Siegertitel „1944“ politisch oder nicht, und hat die Ukraine damit berechtigt gewonnen? In der Presse sah man das durchaus unterschiedlich, und auch in Fankreisen gab es hierzu kontroverse Ansichten. Dass die Ukraine sich im letzten Moment der Wertung an den beiden Favoriten Australien und Russland vorbei nach oben geschoben hat, war durch das neue Wertungssystem an Spannung kaum zu überbieten. Insofern war die Änderung des Votings und dessen Präsentation eine durchaus positive Neuerung.
Es gab wieder einen Skandal um die Jurys: Dieses Mal betraf es ein Mitglied der russischen Jury, das eine Szene der russischen Jurywertung verbotenerweise mit dem Smartphone gefilmt und ins Netz gestellt hatte. Wenn man diesen Clip gesehen hat, lässt es erneut an der Berechtigung der Jurys zweifeln, wird man doch völlig desillusioniert ob solchen demonstrativ zur Schau gestellten Desinteresses.
Während Russlands Superstar Sergey Lazarev und sein "Dream Team" um Philip Kirkorov und Dimitris Kontopoulos alles an Videotechnik aufgeboten hatten, was man sich vorstellen konnte und die hohe Bewertung durch das Televoting wohl auch dieser technisch beeindruckenden Inszenierung von "You Are The Only One" geschuldet war, überzeugte die Australierin Dami Im durch ihre Stimmgewalt.
Bulgarien erreichte im zweiten Versuch mit Poli Genova nach 2011 dieses Mal das Finale und sogar einen großartigen vierten Platz, bis dato die beste Platzierung für das Land. Die Zweitplatzierte von 2002, Ira Losco, versuchte es erneut für Malta, aber dieses Mal reichte es nur für Platz 12.
Greta Salóme (Island) und Kaliopi (EJR Mazedonien) scheiterten beide bei ihrem zweiten Versuch nach 2012 im Semifinale. Erstmals überstanden auch Griechenland und Bosnien & Herzegowina das Semifinale nicht.
Frankreich schickte mit Amir und "J'ai cherché" einen Uptempo-Song, der Platz sechs erreichen konnte.
Ein große Überraschung war der 13. Platz für Österreich. Zoë entwickelte sich vor Ort zum Liebling der Fans, überall, wo sie auftauchte, sangen alle mit ihr "Loin d'ici".
Schweden schickte mit dem jungen Frans und "If I Were Sorry" einen für Schweden eher untypischen Song ins Rennen, der aber Platz fünf erreichte und international den stärksten Nachhall erreicht haben dürfte. Man hört ihn auch im deutschen Radio immer noch wieder.
Demgegenüber ist der deutsche Beitrag "Ghost" mit der "The Voice"-Siegerin Jamie Lee nach ihrem letzten Platz in der Versenkung verschwunden. Offenbar fehlte das Verständnis bei Juroren und Televotern für das Mädchen im Manga-Outfit.
Nach übereinstimmender Meinung der meisten Fans sowohl vor Ort als auch unter den Fernsehzuschauern waren die drei ESC-Shows aus Stockholm, die das schwedische Fernsehen SVT geboten hat, mit das Beste, was man je beim ESC bis dato gesehen hatte. Auch für die angereisten Fans war es ein Highlight der ESC Geschichte, weil den Fans vor Ort sehr viel geboten wurde inklusive dem Zugang zum EuroClub und dem großartigen Euro Fan Café.
Show-Highlights waren besonderes für alle ESC-Fans zum einen die Eröffnung des zweiten Semifinales mit einer Revue-Nummer nach Broadway-Manier, “The Story Of ESC / What Is The Eurovision Song Contest?“, und vor allem der Pausen-Act im Finale mit den Moderatoren „Love, Love, Peace, Peace“, geschrieben vom Melodifestivalen-Stammkomponisten Fredrik Kempe: Da jagte ein Gag den nächsten inklusive Überraschungsauftritten von Alexander Rybak und Lordi.
Jedem ESC-Fan musste dabei einfach das Herz aufgehen. Aber nicht nur diese gemeinsamen Gesangs- und Tanznummern, auch die in die Moderation eingestreuten Wortspiele und Gags waren großartig, ebenso wie der Gastauftritt von Justin Timberlake mit "Can't Stop The Feeling". (Erstmals wurde der ESC in den USA ausgestrahlt.)
DIE TEILNEHMENDEN - FINALE
1.Belgien
Laura Tesoro
"What's The Pressure"
Punkte: 181 Platz: 10
M.: Sanne Putseys, Birsen Uçar T.: Sanne Putseys, Louis Favre, Yannick Werther
2. Tschechische Republik
Gabriela Gunčíková
"I Stand"
Punkte: 41 Platz: 25
M.: Christian Schneider, Sara Biglert T.: Aidan O'Connor, Sara Biglert
3.
Niederlande
Douwe Bob
"Slow Down"
Punkte: 153 Platz: 11
M. & T.: Douwe Bob Posthuma, Jan-Peter Hoekstra, Jeroen Overman, Matthijs van Duijvenbode
4. Aserbaidschan
Samra
"Miracle"
Punkte: 117 Platz: 17
M. & T.: Amir Aly, Jakke "T.I Jakke" Erixson, Henrik Wikström
5. Ungarn
Freddie
"Pioneer"
Punkte: 108 Platz: 19
M.: Szabó Zé T.: Borbála Csarnai
6,
Italien
Francesca Michelien
"No Degree of Separation"
Punkte: 124 Platz: 16
M.: Fabio Gargiulo, Federica Abbate, Cheope T.: Francesca Michielin, Federica Abbate, Norma Jean Martine
7. Israel
Hovi Star
"Made of Stars"
Punkte: 135 Platz: 14
M. & T.: Doron Medalie
8. Bulgarien
Poli Genova
"If Love Was a Crime"
Punkte: 307 Platz: 4
M. & T.: Borislav Milanov, S. Arman, J. Persson, Poli Genova
9. Schweden
Frans
"If I Were Sorry"
Punkte: 261 Platz: 5
M. & T.: Frans Jeppsson Wall, Fredrik Andersson, Michael Saxell, Oscar Fogelström
10. Deutschland
Jamie Lee
"Ghost"
Punkte: 26 Platz: 11
M.: Thomas Burchia, Anna Leyne, Conrad Hensel T.: Anna Leyne
11. Frankreich
Amir
"J'ai cherché"
Punkte: 257 Platz: 6
M.: Nazim Khaled, Amir Haddad, Johan Errami T.: Nazim Khaled, Amir Haddad
12. Polen
Michał Szpak
"Color of Your Life"
Punkte: 229 Platz: 8
M.: Andy Palmer T.: Kamil Varen
13. Australien
Dami Im
"Sound of Silence"
Punkte: 511 Platz: 2
M. & T.: David Musumeci, Anthony Egizii
14. Zypern
Minus One
"Alter Ego"
Punkte: 96 Platz: 21
M & T.: Thomas G:son, Minus One
15.Serbien
Sanja Vučič ZAA
"Goodbye (Shelter)"
Punkte: 115 Platz: 18
M. & T.: Ivana Peters
16. Litauen
Donny Montell
"I've Been Waiting For This Night"
Punkte: 200 Platz: 9
M. & T.: Jonas Thander, Beatrice Robertsson
17. Kroatien
Nina Kraljić
"Lighthouse"
Punkte: 73 Platz: 23
M. & T.: Andreas Grass, Nikola Paryla
18. Russland
Sergey Lazarev
"You Are The Only One"
Punkte: 491 Platz: 3
M.:Philip Kirkorov, Dimitris Kontopoulos T.: John Ballard, Ralph Charlie
19. Spanien
Barei
"Say Yay!"
Punkte: 77 Platz: 22
M. & T.: Barei, Ruben Villanueva, Victor Pua
20. Lettland
Justs
"Heartbeat"
Punkte: 132 Platz: 15
M. & T.: Aminata Savadogo
21. Ukraine
Jamala
"1944"
Punkte: 534 Platz: 1
M. & T.: Jamala
22. Malta
Ira Losco
"Walk On Water"
Punkte: 153 Platz: 12
M. & T.: Lisa Desmond, Tim Larsson, Tobias Lundgren, Molly Pettersson-Hammar, Ira Losco
23. Georgien
Nika Kocharov & Young Georgian Lolitaz
"Midnight Gold"
Punkte: 104 Platz: 20
M.: Kote Kalandadze, Thomas G:Son T.:Kote Kalandadze
24. Österreich
Zoë
"Loin d'ici"
Punkte: 151 Platz: 13
M. & T.: Christof Straub, Zoë Straub
25. Ver. Königreich
Joe & Jake
"You're Not Alone"
Punkte: 62 Platz: 24
M. & T.: * Matt Schwartz, Justin J Benson, S. Kanes
26 Armenien
Iveta Mukuchyan
"LoveWave"
Punkte: 249 Platz: 7
M.: Lilith Navasardyan, Levon Navasardyan T.: Iveta Mukuchyan, Stephanie Crutchfield
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE 1
1.Finnland
Sandhja
"Sing It Away"
Punkte: 51 Platz: 15
M. & T.: Heikki Korhonen, Markus Savijoki, Milos Rosas, Petri Matara, Sandhja Kuivalainen
2. Griechenland
Argo
"Utopian Land"
Punkte: 44 Platz: 16
M.& T.: Vladimiros Sofianides
3.
Moldau
Lidia Isac
"Falling Stars"
Punkte: 32 Platz: 17
M.& T.: Gabriel Alares, Sebastian Lestapier, Ellen Berg, Leonid Gutkin
4. Ungarn
Freddie
"Pioneer"
Punkte: 197 Platz: 4
M.: Szabó Zé T.: Borbála Csarnai
5. Kroatien
Nina Kraljić
"Lighthouse"
Punkte: 133 Platz: 10
M. & T.: Andreas Grass, Nikola Paryla
6,
Niederlande
Douwe Bob
"Slow Down"
Punkte: 197 Platz: 5
M. & T.: Douwe Bob Posthuma, Jan-Peter Hoekstra, Jeroen Overman, Matthijs van Duijvenbode
Eine gravierende Änderung betraf das Votingsystem, das erstmals seit 1975 einer grundlegenden Änderung unterworfen wurde: Bisher wurden die Wertungen der nationalen Jurys und des nationalen Televotings rechnerisch kombiniert, und es wurde eine gemeinsame Wertung der TOP 10 verkündet. Das hatte oft zur Folge, dass bereits weit vor der Bekanntgabe der letzten Länderwertung der Sieger feststand.
Es war nun so, dass sowohl das Resultat des Juryvotings als auch das Televoting pro Land in die Punkte 1,2,3,4,5,6,7,8,10,12 umgesetzt wurde. Das bedeutet, dass die "Spokespersons" der nationalen TV-Sender nur die Höchstwertung der jeweiligen nationalen Jury verlasen. Anschließend wurden dann die Televotingpunkte dazu addiert. Diese Wertungen wurden von den Moderatoren verlesen, angefangen mit dem Land mit der niedrigsten Televoting-Punktzahl eines Landes bis hin zur höchsten. Das sollte garantieren, dass der Sieger wirklich erst mit der letzten Wertung bekannt wurde. Jedes Land vergab also insgesamt 2x12 = 24 Punkte für den jeweils Erstplatzierten, und die zu vergebende Gesamtpunktzahl wurde dementsprechend verdoppelt.
Alle Einzelwertungen wurden wie bisher nach der Show veröffentlicht. In der Sendung erfuhrt man dadurch allerdings nicht, aus welchem Land die Televotingergebnisse jeweils stammten. Für die Semifinalwertungen galt das gleiche Prinzip, allerdings wurden hier wie bisher nur die TOP 10 in der Sendung bekannt gegeben.
Das neue Prinzip ist angelehnt an das seit Jahren bei der schwedischen Vorentscheidung Melodifestivalen erprobte System. In den Fällen, wo ein Land kein gültiges Televoting- oder Juryergebnis vorlegen kann (hier San Marino), griff man auf eine "Ersatzwertung" zurück, die aus einer vorher festgelegten Kombination anderer Ländervotings bestand. Dies hatte bereits im Vorfeld zu Protesten z. B. von San Marino geführt, das ja bisher wegen der geringen Bevölkerungszahl kein Televotingergebnis erstellen konnte.
Der Executive Producer der EBU, Jon Ola Sand, sieht vor allem den Vorteil, dass der Song, der in einem Land beim Televoting siegt, auf jeden Fall auch 12 Punkte bekommt, egal wie die Jury ihn bewertet hat. Es passe vorzüglich, dass diese Änderung genau wie die Einführung des 12 -Punkte-Systems 1975 wieder in Stockholm eingeführt wird.
Ab jetzt wieder seriös! Die Zeit der Freakshows ist vorbei: Der ESC 2016 ist eine Leistungsschau des Mainstream-Pop – ein bisschen vorhersehbar, aber hoch professionell.
TV-Spielfilm 10/2016, von C. Holst
Im Jahr 2016 ist der Eurovision Song Contest endgültig das geworden, was seine Macher schon lange in ihm sehen wollten: ein durchaus ernst zu nehmender Wettbewerb, eine Europameisterschaft des Pop, und eben keine Kuriositätenschau. Als solche gewann das Wettsingen ab 1998 („Guildo hat euch lieb“) verlorene Popularität zurück. Es war die Zeit, als postmoderne Gagbeiträge, die außer im Herkunftsland nirgendwo verstanden wurden, auf traditionelle Diseusen im Gardinenkleid und popkulturell noch unbeleckte Osteuropäer trafen. Kult nannte man diesen Clash of Cultures damals. Globalisierter Popcontest Im Jahr 2016 ist die Globalisierung beim Mainstream-Pop auch beim altehrwürdigen Songcontest vollendet. Es ertönen Countryklänge aus den Niederlanden und Slowenien, rappende Griechen treten in Wettstreit mit einem französischen Chanson aus Österreich. Zum ungarischen Beitrag trommelt ein buddhistischer Mönch, und für Deutschland singt Mangaprinzessin Jamie Lee, die sich modisch und musikalisch in Südkorea zu Hause fühlt. Vielleicht hat sie Gelegenheit, in Stockholm Dami Im kennenzulernen. Die gebürtige Koreanerin tritt für Australien an. Sie ist nicht die einzige Migrantin im Wettbewerb. San Marino schickt den türkischen Sänger Serhat ins Rennen, die Schweiz wird von der Kanadierin Rykka vertreten. Die armenische Gesandte Iveta Mukutschjan wiederum dürfte vielen deutschen ESC-Zuschauern bekannt vorkommen. Die in Hamburg aufgewachsene Sängerin nahm 2012 bei „The Voice of Germany“ an. Natürlich singt auch sie auf Englisch. Seitdem die Teilnehmer nicht mehr in ihrer jeweiligen Landessprache trällern müssen, ist der Anteil der englischsprachigen Beiträge kontinuierlich gestiegen. 2016 erlauben sich nur noch Bosnien und Mazedonien die Extravaganz, pures Heimatidiom zu Gehör zu bringen – und damit vermutlich sich selbst um jede Chance auf den Sieg. Milde Ethnowürze Nicht nur sprachlich zeigt sich ESC-Europa im Jahr 2016 weitestgehend vereint, auch musikalisch herrscht länder-und kulturübergreifender Geschmackskonsens. Dass im Blindtest nicht feststellbar ist, ob die Interpretin, die da zu Dance-Rhythmen Angesoultes tremoliert, aus Moldau oder Malta kommt, hat seinen Grund: Beide Songs stammen wie viele andere im Wettbewerb aus weltweit agierenden Hit-Schmieden und wurden von schwedischen Produzenten auf internationale Vermarktbarkeit feingetunt. Hier und da sorgen ein paar Takte folkloristisches Gefiedel und Geflöte für milde Ethnowürze. Hoch professionell sind auch die meisten der auftretenden Sänger. Viele stehen bei großen Labels wie Sony oder Universal unter Vertrag. Fast die Hälfte der Solokünstler, die in Stockholm antreten, ist durch das Stahlbad einschlägiger Castingshows gegangen. Die internationalen Geschwisterformate von „DSDS“ oder „Popstars“ liefen in fast jedem Teilnehmerstaat und exportierten Sounds und Styles des internationalen Pop-Mainstreams zuverlässig bis in die entlegenste Ex-Sowjetrepublik. War früher also alles besser? Wer auf den Gedanken verfällt, soll sich bei YouTube mal durch die ESC-Geschichte klicken. Schräges und Bizarres findet sich dort zuhauf, aber vor allem jede Menge triviales Tirili, das zu Recht längst vergessen ist. Der ESC 2016 liefert stattdessen eine perfekte Show und Pop, der wirklich auf der Höhe der Zeit ist. Nicht das Schlechteste für einen Samstagabend.
ESC? Da schläft Sarah Connor immer ein!
Stern.de, 17.05.2016, von Jens Maier
Langweilig, unlustig, lieblos: Das ESC-Vorprogramm „Countdown für Stockholm“ steht symptomatisch für die Ideen- und Ratlosigkeit, die beim NDR in Sachen Eurovision Song Contest vorherrscht. Höchste Zeit, den Sender und Sarah Connor aufzuwecken. 9,33 Millionen Fernsehzuschauer haben am Samstagabend das Finale des Eurovision Song Contest in Deutschland verfolgt. Nicht wegen, sondern trotz des Vorprogramms in der ARD. Die Live-Show „Countdown für Stockholm um 20.15 Uhr war - mit einem Wort zusammengefasst - eine Katastrophe. Und das lag nicht am miesen Wetter auf der Hamburger Reeperbahn. Dass Moderatorin Barbara Schöneberger in einer Tour erzählte, die Jury würde zum ersten Mal 50 Prozent der Stimmen vergeben - geschenkt. Das tut sie zwar seit 2008, aber die Regeln sind eben kompliziert. Dass in einem Einspielfilm die Armenierin Iveta Mukuchyan, die zudem noch in Hamburg wohnt, als Albanerin ausgegeben wurde - Fehler passieren eben. Sarah Connor schläft beim ESC immer ein Dass aber Sarah Connor, Mitglied der deutschen Jury, da stehen durfte und sagen: „Ich habe es noch nie geschafft, einen ESC von Anfang bis zum Ende zu schauen, weil ich immer dabei eingeschlafen bin“, ist schon bemerkenswert. Der Satz zeigt, welche Künstler der verantwortliche Sender NDR einlädt, um den ESC zu begleiten: Solche, die den Musikwettbewerb immer noch für eine Freakshow halten. „Ist das Musik - oder kann das weg“, „Tut es dir schon leid, dass du für diesen Job zugesagt hast?“ oder „Überraschenderweise hat‘s wirklich Spaß gemacht“ - in zahlreichen Bemerkungen wurde die Missachtung für den Wettbewerb deutlich. Begeisterung? Fehlanzeige. Von Herzen kam da gar nichts. Wie die Eröffnung der Fleischermesse Überhaupt machte die Veranstaltung den Eindruck, die eingeladenen Künstler seien nicht wegen, sondern trotz ESC da. Die Aussicht, am Samstagabend zur besten Sendezeit auftreten zu dürfen, ist Verlockung genug. Wäre da nicht die Live-Schalte zu Jamie-Lee Kriewitz nach Stockholm gewesen, hätte es angesichts der Bratwurst-Atmosphäre drum herum auch die Eröffnung der Fleischermesse sein können, die da wegmoderiert wurde. Langweilig, unlustig und vor allem lieblos: So war der „Countdown für Stockholm“. Und damit will der NDR den deutschen Zuschauern Lust auf den Eurovision Song Contest machen? Aha. Die Vorab-Show steht symptomatisch für die Ideen- und Ratlosigkeit, die beim Sender zum Thema ESC vorherrscht. „Feel your Heartbeat“, spür deinen Herzschlag - so lautete das schöne Motto beim Heim-ESC 2011 in Düsseldorf. Inzwischen droht akute Infarktgefahr. Wie‘s besser geht, zeigten die Schweden. Mit viel Liebe zum Detail und mit Selbstironie haben sie den ESC und alle seine Schrulligkeiten auf die Schippe genommen. „Love Love Peace Peace“ hieß der Pausenact, der sowohl ESC-Hasser als auch ESC-Liebhaber einte. Aber da schlief Sarah Connor ja bereits.
Was Deutschland beim ESC reformieren muss
welt.de, 16.05.2016, von Holger Kreitling
Wieder Schlusslicht beim ESC. Ist Merkel schuld? Oder versteht das Ausland den deutschen Musikgeschmack nicht? Die meisten Gründe aber sind ARD-hausgemacht. Die schönste Art des Verzeihens gilt immer den Unschuldigen. Jamie-Lees Großmutter erklärte also nach der ESC-Pleite Deutschlands: „Das war super gut, ich muss sie bewundern, dass sie das so hingekriegt hat. Sie ist ja erst 18 Jahre alt, und sie hat keine musikalische Ausbildung.“ Am Sonntagnachmittag stand Jamie-Lee in Berlin am Flughafen, ganz in Schwarz, mit Basecap und Sonnenbrille und Schal vor dem Gesicht, als wolle sie im Boden versinken. Die junge Sängerin trifft sicher am allerwenigsten Schuld an dem Debakel. Sie hatte gekämpft und alles gegeben, ihr Auftritt war eindrücklich und gut gewesen. Und dann der letzte Platz, elf magere Punkte für Deutschland. Das ist wegen der neuen Wertung noch schlechter als die null Punkte von 2015 für die Sängerin Ann Sophie. Der Zweitletzte, die Tschechische Republik, lag mit 41 Punkten schon weit entfernt. Zum Vergleich, Siegerin Jamala aus der Ukraine gewann mit 534 Punkten vor Australien (511) und Russland (491). AfD gibt Angela Merkel die Schuld Zehn Punkte für Jamie-Lee kamen vom Publikum, acht Punkte aus der Schweiz, zwei aus Österreich, dazu ein Punkt von der Jury aus Georgien. Natürlich wird jetzt gerätselt, interpretiert, kritisiert, verflucht, werden Änderungen herbeigewünscht. An der Spitze von Russland, das sich wegen der Jury-Votings betrogen fühlt (von dort kamen zu wenig Punkte, die Zuschauer hatten den Russen vorn). Etliche Politiker schießen in Richtung Ukraine und fühlen sich betrogen. Und im Keller, weil es Erklärungen geben muss für das nun zweite Desaster Deutschlands in Folge. Verschiedene AfD-Politiker erklärten prompt Angela Merkel zur schuldigen Gesangsdirektorin. Deshalb lohnt es sich, in das Aufnahmestudio für kontrafaktischen Gesang zu gehen, und ein paar Zahlen auszubreiten, welche die deutsche Seele ein wenig beruhigen mögen. Die Wählerstimmen waren in diesem Jahr erstmals geteilt und wurden einzeln gewertet und dann zusammengezählt. Das war für die Zuschauer ziemlich verwirrend. Wenn es nur nach den Zuschauern gegangen wäre, hätte doch die Tschechische Republik den letzten Platz belegt. Deutschland wäre Vorletzter geworden. Wenn nach dem alten System abgestimmt worden wäre, also Zuschauer und Jurys gemeinsam, dann wäre Jamie-Lee ebenfalls Vorletzte geworden, einen Platz vor der Tschechischen Republik. Dann hätte übrigens auch Australien den Sieg davon getragen, recht deutlich vor der Ukraine. Ja, wenn. War aber nicht so. Die Deutschen wiederum können sich über seltsame Votings nicht wirklich beschweren. Die Jury mit unter anderem Sarah Connor, Anna Loos und Musikern von The Boss Hoss vergab ihre zwölf Punkte an den Superschmachtfetzen aus Israel, zehn an Schweden, acht an den Rocksong aus Georgien. Die Zuschauer wiederum gaben die höchsten Punkte an Italien, die jaulende Badenixe aus Armenien und den Countrysong aus den Niederlanden. Alles sehr konfus. Haben wir einfach einen nicht-kompatiblen Musikgeschmack? Denkbar ist das. Das ganze verrückte und verwirrende System machte aber nicht nur die ahnungslosen Zuschauer am Samstagabend wuschig. Auch Experten hatte ihre liebe Not damit. Ein Mitglied der dänischen Jury gestand mittlerweile, die Punkte komplett falsch vergeben zu haben. Statt zwölf Punkte für Australien und null für die Ukraine vergab Hilda Heick, 69, zwölf für die Ukraine und null für Australien. Sie hatte den Modus falsch verstanden, sei aber nicht senil, entschuldigte sie sich. Das Endergebnis beeinflusste die Ex-Sängerin jedoch nicht; und auch Deutschland kam in ihrem Voting nicht vor.
Der NDR als Sendeanstalt hält sich bisher sehr zurück. NDR-Mann und ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber, der seit Jahren den ESC betreut, hatte noch in der Nacht nach der Show schriftlich nahegelegt, das womöglich ältere Publikum habe das Manga-Outfit Jamie-Lees nicht goutiert. Er wies also ins Ausland: die verstehen uns nicht. Tänzeln auf rutschiger Bühne Es sind aber mehr Gründe für das schlechte Abschneiden Deutschlands zu nennen, und die meisten sind hausgemacht. Zweimal nacheinander völlig unbekannte junge Sängerinnen als Ersatz zu senden ist eine wirklich schlechte Lösung. Schreiber hatte Xavier Naidoo nominiert und war damit krachend gescheitert, unter anderem im eigenen Haus. Die Idee, einen gestandenen Musiker mit breiter Fanbasis für den ESC zu gewinnen, ist richtig. Es wird nun noch schwerer, jemand zu finden, der bereit ist, auf dieser rutschigen Bühne zu tänzeln. Der NDR behandelt den nationalen Vorentscheid seit dem Abgang von Stefan Raab recht dilatorisch. Ohne Herz, ohne Mühe, ohne Aufwand. Es werden die Plattenfirmen angerufen und gebeten, ihre Neulinge vorbeizusenden. Dann gibt es spät im ESC-Ablauf eine Show, fertig. Dabei setzte sich jeweils eine Kandidatin durch oder ein Trio wie Elaiza 2014. Sie tingeln mehr oder weniger durch die Morgen-Shows der ARD. Weil Deutschland zu den großen Geldgebern gehört, sind sie sowieso für das Finale gesetzt. Das nimmt sowohl Energie als auch Darstellungsmöglichkeiten im Halbfinale. Vor Ort ist dann jeweils bei den Aspirantinnen die Überraschung zu sehen, wie groß und erbarmungslos der Song Contest mit mehr als 40 antretenden Nationen sein kann. Und es gibt Showbühnen, die weiten Auslauf anbieten und nach Bombast schreien oder nach einer cleveren Alternative. Deutschland steht dort oft überfordert wie, sagen wir, San Marino oder die Faröer-Inseln: Huch, wir wollen doch nur singen, geht‘s nicht kleiner? Jamie-Lee hat es nicht geschafft, Interesse und Sympathie im eigenen Land zu wecken, geschweige denn im Ausland. Ihr fehlte es an Zeit und Möglichkeiten. Stattdessen saß sie in Berlin und nahm Musik auf. Der Geisterwald, durch den sie in der Show schritt, muss international wie ein Rätsel ohne Lösung gewirkt haben. Es war abzusehen, dass bei diesen Voraussetzungen nicht die Top Ten erreicht werden. Aber das erneute Schlusslicht erhöht doch die Dringlichkeit der Reformen. Die meisten Nationen schicken mittlerweile Sieger von Musik-Castingshows; auch Jamie-Lee hatte ja „The Voice of Germany“ von ProSieben gewonnen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hält sich da raus. Castingshows sind hier oft fiese, zu Recht schlecht beleumundete Sendungen. Das liegt zum größten Teil an „DSDS“, wo die Idee der Castingshow vulgarisiert, zur völligen Belanglosigkeit stilisiert und damit gleich ganz diskreditiert wurde. Die ARD, wenn sie wirklich die Chancen beim ESC verbessern will, könnte hier ansetzen und neue Shows entwickeln. Das würde Geld kosten und mühsam sein. Oder die ARD könnte erneut mit ProSieben kooperieren und so Musiker gewinnen, die ähnlich wie Raab eng mit dem ESC verknüpft sind. Es wäre auch denkbar, dass eine andere ARD-Anstalt den Finger hebt und den Song Contest betreut. Und es wäre keine schlechte Idee, statt junge Frauen einmal junge Männer zu entsenden. Der ESC zeigt von Jahr zu Jahr: Frauen sind weit eher bereit, für Favoriten anzurufen als für andere Frauen, und die für den ESC enorm wichtige gay community sowieso. Wie sonst hat diesmal der absurde Jesus im roten Zirkusrock aus Polen die drittmeisten Zuschauerstimmen bekommen? Eins noch zur Entschuldigung. Wir sind mit der unglückseligen Orientierungslosigkeit nicht allein in Europa. Großbritannien, das Mutterland des Pop, ist schon viel länger als Deutschland auf Misserfolg gepolt. Seit 2003 waren sie dreimal Letzter, dreimal Vorletzter und dazwischen auf den hinteren Plätzen. Es geht also noch schlechter und womöglich noch länger. Letzte Meldung: Ralph Siegel, 70, ist bereit, Deutschland zu vertreten. Er will noch einmal beim ESC antreten, sagt er. Das, liebe ARD, muss doch Ansporn sein, etwas anderes zu versuchen.
ESC-Debakel für Jamie-Lee: Die Letzten werden die Letzten sein
Schon wieder ist Deutschland beim Eurovision Song Contest auf dem letzten Platz gelandet. Was läuft da schief? Und warum machen wir offenbar immer wieder denselben Fehler?
FAZ, 15.05.2016, von Julia Bähr
Es muss gehen. Andere schaffen es doch auch! Und auch Deutschland ist es immerhin in jüngerer Zeit einmal gelungen, den ESC zu gewinnen: 2010, mit Lena Meyer-Landrut. 2011 kam sie noch auf Rang 10, und im Folgejahr schaffte Roman Lob einen beachtlichen achten Platz. Seitdem dümpeln die deutschen Beiträge weit hinten vor sich hin: Cascada auf Rang 21, Elaiza auf Rang 18, Ann Sophie als Letzte mit null Punkten und nun auch Jamie Lee als Letzte – mit immerhin elf Ehrenpunkten. Vor allem zwei Reaktionen hat die gestrige Niederlage hervorgerufen. Erstens: Die deutsche Politik ist schuld, man mag uns nicht in der Welt! Und überhaupt schieben sich immer die Osteuropäer die Punkte zu! Nun ist aber beides nicht recht haltbar, schließlich ist Deutschland als sich großzügig zeigendes Aufnahmeland etlicher Flüchtlinge aktuell eher beliebter als von 2010 bis 2012 und schneidet überhaupt in internationalen Beliebtheitsumfragen immer sehr gut ab. Außerdem können die Osteuropäer nicht mehr als Sündenböcke herhalten, schließlich kamen die letzten fünf Sieger aus Österreich, Dänemark, Aserbaidschan und gleich zwei Mal aus Schweden. Die zweite Reaktion klingt noch beleidigter: Wir blamieren uns da! Aufhören! Wir machen da nicht mehr mit! Deutschland hat es einfach nicht drauf! Dass irgendjemand nun mal der Letzte sein muss bei einem Wettbewerb, und ja, womöglich auch zwei Mal hintereinander – mag sein, aber doch nicht wir! Als wäre es ehrenrührig, das zu tun, was Deutschland nun mehrfach getan hat: Ein Lied zu einem internationalen Contest zu schicken, das nicht mal im eigenen Land ein großer Erfolg ist, dazu eine mediokre Bühnenshow zu basteln und Punkte dafür zu erwarten. Es ist nicht mal peinlich, das zu tun. Man gewinnt eben nicht damit, das ist alles. Und die einzigen, die daraus eine große Sache machen, sind die Verlierer selbst. Dabei ist die Begeisterung in Deutschland für den ESC ungebrochen. 9,33 Millionen Zuschauer schauten das Finale im Fernsehen an. Sie sahen, wie man es besser macht: Mit einem Auftritt wie „1944“ von Jamala, der selbst dem größten Popbiz-Zyniker authentisch vorkommt. Mit einer Bühnenshow wie der des Russen Sergej Lasarew, die die Grenzen zwischen Kulisse, Licht und LED-Technik verschwimmen ließ. Oder vielleicht einfach mal wieder mit einer richtig schönen, großen Hymne wie „Made of Stars“, dem israelischen Beitrag, der bei der deutschen Jury auch am besten ankam. Deutschland hingegen schickte Jamie-Lee Kriewitz, der man wirklich überhaupt nichts vorwerfen kann: Sie sang bei diesem angsteinflößend großen Auftritt besser als bei allen zuvor. Das ändert nichts daran, dass „Ghost“ ein musikalisch wie textlich vollkommen uninteressantes Liedchen ist, das eine bessere Platzierung bei einem Liederwettbewerb schlicht nicht verdient hätte. Die Show, die bei anderen über schwache Songs hinweg tröstet, wirkte auch eher, als habe man eine Schultheateraufführung mit unbegrenzten finanziellen Mitteln ausgestattet: dürre Bäume, aus denen grüne Laserstrahlen kommen, standen um Jamie-Lee herum. Der monströse Hintergrund war auch eher gewitterdüster. Dazwischen diese junge Frau, die ihren Kleidungsstil damit beschreibt, so niedlich wie möglich aussehen zu wollen, was ihr zweifellos geglückt ist. Leider passten diese unterschiedlichen Teile der Inszenierung so wenig zueinander, dass man sich mitten im Übergang zwischen Manie und Depression wähnte. Das soll nicht heißen, dass ein anderer der beim deutschen Vorentscheid angetretenen Kandidaten besser abgeschnitten hätte. Die Fehlentscheidungen begannen einfach schon im Vorfeld des Vorentscheids, wie damals bei Elaiza auch. Es soll heißen, dass Deutschland den ESC natürlich durchaus gewinnen kann – mit einem guten Lied und einer kreativen, passenden Show. Wie man die bekommt? Es gibt da einen, der weiß das genau, denn die größten Erfolge der vergangenen zwanzig Jahre gehen auf sein Konto: die Plätze 7, 5, 8, 1, 10, 8. Und jetzt als Fernsehrentner hat er doch Zeit. Spätestens nach gestern Abend dürfte es ihn sowieso schon wieder jucken. Man muss dem NDR dringend empfehlen, auf Knien zu Stefan Raabs Altersruhesitz zu rutschen.
Elf Punkte sind schlimmer als null Punkte
Die Welt, 15.05.2016, von Holger Kreitling
Die Ukraine siegt mit Kalkül, Deutschland schafft erneut einen Totalausfall. Sogar der österreichische Songbeitrag auf Französisch war offenbar verständlicher als Jamie-Lees Manga-Outfit.
Egal wie todtraurig ein Lied ist, Siegesfreude darf sein. Soll sein, muss sein. Jamala hüpfte also lange nach dem ESC-Gewinn umher, als hätte sie zuvor einen Partyknaller zum Vortrag gebracht. Und Europa endlich wieder gute Laune beschert. Sie strahlte, lachte. Was auch sonst, wenn man gerade den weltweit größten Gesangswettbewerb in der denkbar knappsten Entscheidung gewonnen hat, noch dazu gegen den ärgsten Konkurrenten. Mehr noch, gegen den Gegner, den Feind. Den Adressaten und Angesungenen. Jamala trug bei der Pressekonferenz eine Tatarentracht, und sie hängte die ukrainische Fahne vor sich, was den Anspruch untermauerte, mehr darzustellen als nur Nationalstolz. Die Gemengelage bei diesem ESC-Sieg ist einzigartig, weshalb das deutsche Desaster davor verblasst, jedenfalls vorerst. Das Land siegt zum zweiten Mal in der Geschichte des Wettbewerbs; 2004 hatte Ruslana mit „Wild Dances“ gewonnen. Jamala siegt mit dem Lied „1944“. Die Krimtatarin besingt die Zwangsumsiedelung der Krimtataren durch stalinistische Peiniger. Sie klagt die Täter an, die gleich in der ersten Strophe ins Haus eindringen und Morde begehen. Es wird gemeuchelt und geheuchelt. Wir sind unschuldig, sagen die Täter. Das Lied schraubt sich zur tragischen Jammerarie empor, die wohl unerträglich wäre, wäre da nicht der Dancebeat, der den Song so modern macht, so verführerisch klingen lässt. So anschlussfähig und global. Erstaunlich, dass das Siegerlied überhaupt zugelassen wurde Das Kalkül ist hör- und sichtbar. Jamalas blaues Kleid glitzerte, die Lichtarrangements waren blutrot, dann wurde auch noch Feuer und Wind eingesetzt. Die Ukraine hat viel investiert, sehr wohl wissend, dass die Botschaft gehört wird. Es ist eine politische Botschaft, die unausgesprochen bleibt. Stalin und Putin: Zwei Herrscher, die auf der Krim Unheil angerichtet, die Unrecht begangen haben. „1944“ ist ein Fanal, und es ist erstaunlich, dass das Lied trotz Protesten zugelassen wurde, denn eigentlich sind politische Lieder beim ESC nicht erlaubt. 2015 hatte es Armenien allerdings schon geschafft, den Völkermord an den Armeniern zu besingen. 137T.O.M. • top of music in europe Und dieses Lied hat den großen Favoriten geschlagen, der bei allen Buchmachern und Google-Rankings vorne lag: Russland. Jamala bekam 534 Punkte, Sänger Sergey Lazarev wurde Dritter mit 491 Punkten. Sängerin Dami Im sorgte für Australien für die eigentliche Überraschung und wurde mit 511 Punkten erst ganz zuletzt überholt. Es war die denkbar spannendste Stimmenauswertung seit Jahren. Alles andere, die verrückten Einlagen mancher Länder, die geschmacksunsicheren Auftritte, die feine Show der Schweden, das routinierte Können von Gaststar Justin Timberlake verblasst dagegen. Man muss in das Wirrwarr der Auszählung ein wenig Licht bringen. Die Votings wurden erstmals in diesem Jahr geteilt und verdoppelt. Die Jurys vergaben die Punkte, die Zuschauer ebenso. Dann wurde beides getrennt bekannt gegeben und erst live zusammengezählt. Dahinstampfender Song aus Russland Die 42 Jurys votierten zunächst klar für Australien, 320 Punkte für Dami Im vor Jamala aus der Ukraine mit 211 Punkten. Dann kamen die Televotings. Dort siegte eindeutig Russland. Die Zuschauer in ganz Europa plus Israel und Australien vergaben zusammen 361 Punkte an den russischen Beitrag „You Are The Only One“. Australien bekam nur 190. Dennoch war der Vorsprung zu groß. Das heißt, die Ukraine lag weder bei den Jurys noch bei den Zuschauern (323 Punkte) vorne. Und siegte dennoch. Russland hat also bei den Jurys verloren. Ein interessantes Urteil: Während die Show des Russen Sergey Lazarev ziemlich cool und überzeugend war, stampfte der Song weniger inspiriert vor sich hin. Manche erinnerten sich schaudernd an Helene Fischers „Atemlos“. Hat Europa politisch gewählt? Die Ukraine gekürt und zugleich Russland wegen der Krim-Annektierung abgestraft? Schwer zu sagen. Der Zuschauerzuspruch für Russland war ja da. Eher hat sich Jamala gut verkauft, für ihre Geschichte viel Aufmerksamkeit im Vorfeld bekommen. Jetzt aber zum deutschen Desaster Jamie-Lee belegt mit ihrem Lied „Ghost“ den letzten Platz. Wie 2015 will niemand auf dem ganzen Kontinent etwas für Deutschland tun. Alle weltgesanglichen Tatsachen ereignen sich bekanntlich laut den Backstreet Boys, Hegel & Marx zweimal, einmal als Tragödie, einmal als Farce. Im vergangenen Jahr teilte die glücklose Ann Sophie sich den Null-Punkte-Rang mit Österreich, das diesmal mit beachtlichen 151 Punkten – vor allem vom Publikum belohnt – 13. wurde, obwohl die junge Zoë auf Französisch sang. Offensichtlich war das deutlich verständlicher als das Manga-Outfit von Jamie-Lee und der doch statische Auftritt im nebelumwaberten Geisterwald. Elf Punkte. Elf Punkte bekam Deutschland. Elf Punkte sind null Punkte. Es fühlt sich nur ein bisschen mehr an. Der zweitschlechteste Beitrag aus der Tschechischen Republik hatte 41 Punkte, in diesen eisigen Tiefen ist das ein echter Abstand. An der neuen Wertungsart lag es nicht. Ann Sophie mit ihren null Punkten hätte nach der jetzigen Auswertung 29 Punkte bekommen und wäre Drittletzte geworden. Deutschland liegt demnach 2016 sogar noch hinter den null Punkten. Es ist brutal. Aber ein Faktum. Kein Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise Elf Punkte. Schlusslicht Europas. Ist auch das ein politisches Votum Europas gegen Deutschland? In sozialen Medien blühen alberne Verschwörungsknospen, Deutschland sei verhasst, die Kanzlerin würde abgestraft wegen der Flüchtlingspolitik. Die Länder seien gegen die Willkommenskultur und für geschlossene Grenzen, deshalb die Missachtung bei der Punktevergabe. Das ist Blödsinn. Schon deshalb, weil Jurys tatsächlich auf Musik und Show als Kriterien achten statt auf Gesellschaftsimages und Bedeutungshuberei oder grenznahe Freundschaftsdienste. Von den 42 Jurys haben 41 gar keine Punkte an Deutschland gegeben. Nur Georgien hat sich mit einem Punkt verewigt. Das Lied kam einfach nicht an. Der Auftritt blieb unverständlich. Die arme Jamie-Lee mag gekämpft haben. Es war vergebens. Die anderen zehn Punkte kamen von den Zuschauern aus 42 Ländern, Mitleidsbekundungen näher als echten Zuteilungen. Heimisches Desinteresse war der Anfang vom Ende Elf Punkte. Der zweite Totalausfall. Es sind die gleichen Strukturen zu beobachten und anzukreiden: Eine Newcomerin muss einspringen, weil zuvor etwas nicht geklappt hat. Mal brach mit Andreas Kümmert der Sieger mit Publikumsrückhalt zusammen und weg. Mal geriet die Star-Akklamation mit Xavier Naidoo zum Verhängnis und musste abgebrochen werden. Der jungen Frau und Not-Notlösung fehlte es sodann an Rückhalt und Zuspruch. Nicht mal im eigenen Land war sie bekannt. Mit heimischem Desinteresse im Rücken hat noch kein ESC-Beitrag je etwas gerissen. Warum sollte dann in den Nachbarländern Deutschland jemand für Jamie-Lee stimmen? Warum weiter weg? Jamie-Lee musste nach dem sehr späten Vorentscheid erst hastig ein Album aufnehmen, statt durch Deutschland und das Ausland zu tingeln und sich bekannt zu machen. Und wenn man noch Details braucht: Warum muss Deutschland immer im Dunkeln anfangen? Ann Sophie stand 2015 mit dem Rücken zum Publikum, was nur beim heiligen Miles Davis toleriert wurde, und von dem wusste das Publikum, was er konnte. Und Jamie-Lee stand am Anfang als Schattenriss vor einem großen Mond, es dauerte lange, bis sie zu sehen war, und dann nicht mit Großaufnahmen und ohne Lächeln. Zweimal schnitt die Regie von ihrem Gesicht weg zu den Background-Sängerinnen. Den Background-Sängerinnen, herrje, musste das sein? 138ECG • eurovision club germany e.V. Ohne Stefan Raab läuft nicht mehr viel Der NDR hat seit dem Abgang Stefan Raabs als Motor und Mentor eine schlimme Bilanz vorzuweisen. 2013: Platz 21 (von 26), 2014: Platz 18 (von 26), 2015: Letzter, 2016: Letzter. Das kann eigentlich nicht so bleiben. Womöglich muss mehr geändert werden, als nur eine neue Sängerin zu suchen. Vielleicht ein junger Sänger? Oder nach den getragenen, eher schleppenden Rhythmen mal frech einen flotteren Beat wagen, dieses neumodische Klicka-Klack, das sogar die Ukraine kennt? Kann das große Deutschland nicht vielleicht doch bessere Musik? Das sind so Fragen. Jamie-Lee und der NDR-Mann und ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber wollten eigentlich in der Nacht noch Fragen beantworten. Sie sagten ab. Im Fall der jungen Sängerin kann man das verstehen. Sie kann wohl am wenigsten dafür. Es kam eine erklärende Mail. Jamie-Lee und „Ghost“ hätten bisher eher junge Zuschauer angesprochen, hieß es. International und beim Publikum in allen Altersschichten habe offenbar Unverständnis geherrscht, dass ein Manga-Mädchen aus Deutschland antritt. Es ist ein Teil der Wahrheit. Jamie-Lee schrieb den Satz: „Nächstes Jahr wird Deutschland einen besseren Platz belegen, da bin ich mir sicher.“ Die Hoffnung singt zuletzt.
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