65. Eurovision Song Contest - 22. Mai 2021 | |
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Halle | AHOY |
Motto | Open Up |
Moderation | Chantal Janzen, Edsilia Rombley, Jan Smit, NikkieTutorials |
Pausen-Acts | Afrojack, Glennis Grace & Wulf |
Wertung | Jury-/Televoting 50/50% |
Teilnehmer | 39 Länder (Finale 26 / Semifinale 1 - 16 / Semifinale 2 - 17) |
Siegerland: Italien | |
Interpreten: Måneskin | |
Titel: "Zitti e buoni" | |
Musik & Text: Måneskin |
ALLGEMEINE INFORMATIONEN
Nach der Absage des ESC 2020 in Rotterdam wegen der Corona-Pandemie wurden laut Executive Supervisor Jon Ola Sand Gespräche mit den niederländischen TV-Sendern NPO, NOS, AVROTROS und der Stadt Rotterdam geführt, inwieweit man den ESC 2021 in Rotterdam veranstalten könne. Der Rotterdamer Stadtrat entschied am 23. April 2020, dass Rotterdam den ESC 2021 ausrichten werde. Nach der Erstattung eines Teiles der Kosten (1,4 Mio. EUR), die bis dahin in Rotterdam für die Veranstaltung 2020 bereits aufgelaufen waren, seitens der Versicherung blieb ein Defizit von 6,7 Millionen EUR, das der Stadtrat zusätzlich bewilligte. Andererseits seien mit einer Entscheidung für 2021 die bereits angefallenen Kosten nicht verloren, so der Beigeordnete des Bürgermeisters.
Im Rahmen der Sendung "Europe Shine A Light" am 16. Mai 2020 gab die EBU bekannt, dass der ESC 2021 in Rotterdam stattfinden werde. Die Daten wurden am 15. Juni 2020 genannt: 18., 20. und 22. Mai. Veranstaltungsort war die AHOY-Arena, die für 2020 von Florian Wieder entworfene Bühne wurde übernommen ebenso das Motto "Open Up". Die Grafik wurde etwas verändert und angepas
Auch das Moderationsteam wurde beibehalten: Chantal Janzen, Edsilia Rombley Jan Smit und NikkieTutorials (Nikkie de Jager).
Chantal Janzen (*1979 in Tegelen) studierte an der Amsterdamer Kunsthochschule Klassischen, Modernen, Jazz- und Stepptanz und außerdem Schauspiel und Gesang. Sie wurde als Musicaldarstellerin berühmt und spielte auch in mehreren bekannten niederländischen Filmen mit. Im niederländischen TV moderierte sie verschiedene Galas und Castingshows, in Deutschland moderierte sie mit Thore Schölermann "The Voice Kids", und 2021 wird sie als Jurorin bei "Das Supertalent" auf RTL mitwirken.
Edsilia Rombley (*1978 in Amsterdam) wurde bekannt durch den Sieg in der niederländischen „Soundmixshow“ 1996 und der „European Soundmixshow“ 1997. 1998 belegte sie für die Niederlande beim Eurovision Song Contest in Birmingham mit „Hemel & Aarde“ den vierten Platz. 2007 nahm sie zum zweiten Mal mit „On Top of the World“ teil, scheiterte aber im Semifinale. Edsilia präsentierte als Spokesperson auch zweimal die niederländische Wertung. Sie moderierte die erste Staffel der erfolgreichen AVROTROS-Sendung „Beste Zangers“. Seit 2005 absolvierte Edsilia sieben Tourneen, und seit 2014 tritt sie jährlich im Rahmen der Formation „Ladies of Soul“ auf.
Jan Smit (*1985 in Volendam) landete - damals noch unter dem Namen Jantje Smit - mit zwölf Jahren einen Nummer-1-Hit. 2000 siegte er gemeinsam mit Oswald Sattler für Südtirol beim „Grand Prix der Volksmusik“. 2005 gewann seine Reality-Show „Gewoon Jan Smit“ den „Televizier-Ring“. Jan ist außerdem Mitglied von „De Toppers“ und der deutschen Formation „KLUBBB3“. Seit 2012 moderiert er die AVROTROS-Show „Beste Zangers“.
NikkieTutorials (Nikkie de Jager, *1994 in Wageningen) lud 2008 im Alter von 14 Jahren ihr erstes Video auf YouTube hoch, in dem sie das Make Up des amerikanischen Reality-TV-Stars Lauren Conrad nachstellte. Bis 2011 wurde sie zu einer professionellen Maskenbildnerin. 2017 bezeichnete sie das „Forbes Magazine“ als eine der größten Kosmetik-Influencerinnen. Mit über 13 Millionen Abonnent*innen auf YouTube und 13,8 Millionen auf Instagram ist NikkieTutorials der derzeit größte niederländische Internetstar. Ihr Erfolg reicht weit über die Landesgrenzen hinaus: Nikkie hat Stars wie Kim Kardashian, Jessie J und Lady Gaga geschminkt. 2020 gab NikkieTutorials per Videobotschaft bekannt, dass sie Transgender sei. Die Geschlechtsangleichung sei als Kind und Jugendliche durchgeführt worden. Dieses Coming Out war die Reaktion auf einen Erpressungsversuch.
Man hatte zunächst vier verschiedene Szenarien entwickelt je nach dem Stand der Corona-Pandemie, entschied sich dann letztlich am 3. Februar 2021 für das Szenario B mit diversen Einschränkungen. Dazu wurde am 2. März 2021 ein detailliertes Sicherheitskonzept veröffentlicht. Das Pressezentrum vor Ort war nur auf auf maximal 500 Personen angelegt. Zusätzlich gab es erstmals ein Online-Pressezentrum für 1000 Akkreditierte.
Anstelle der üblichen Fan-Stehplätze um die Bühne herum wurde in diesem Bereich der Green Roomingerichtet. Die einzelnen "Länderboxen" hatten reichlich Abstand zueinander. Ein persönlicher Kontakt der Delegationsmitglieder von Box zu Box war untersagt
Am 29. April 2021 gab die EBU bekannt, dass insgesamt 3.500 Zuschauer für jede der sechs Shows zugelassen werden sollten. Tickets konnten allerdings nur von Leuten gekauft werden, die bereits 2020 Tickets erhalten hatten. Von allen Zuschauern wurde erwartet, dass sie die strengen Gesundheits- und Sicherheitsprotokolle einhielten, die die niederländische Regierung im Rahmen eines sog. "Fieldlab"-Veranstaltungsprogramms festgelegt hatte.
Die Reference Group hatte beschlossen, dass - den Regeln des ESC entsprechend - die Lieder des Jahrgangs 2020 nicht erneut im Jahr 2021 eingereicht werden durften. Allerdings stand es jedem teilnehmenden nationalen TV-Sender frei, ob der/die für 2020 ausgewählten Vertreter*in erneut nominiert wurde oder nicht. Einige Länder kündigten bereits unmittelbar nach der Absage an, dass sie ihren für 2020 nominierten Künstler*in 2021 zum ESC schicken wollten, andere taten dieses im Laufe der nächsten Monate. Insgesamt schickten über die Hälfte der teilnehmenden Länder den/die für 2020 ausgewählten Künstler*in erneut.
Bei zunächst gleicher Anzahl der Teilnehmerländer wie 2020 gab es keine erneute Semifinalauslosung. Daran änderte auch nichts die Absage Armeniens quasi "in letzter Minute" am 5. März 2021 und die Disqualifikation von Belarus am 26. März 2021. So nahmen nun insgesamt 39 Länder am ESC 2021 teil.
Entsprechend dem Thema "Open Up" suchte das Team des Eurovision Song Contest 2021 einzigartige Orte in den Niederlanden, an denen die Postcards - die kurzen Einführungsfilme zwischen den Songs, in denen die Teilnehmer*innen vorgestellt werden - aufgenommen wurden. Da es ungewiss war, ob die Teilnehmenden in die Niederlande reisen konnten, um die Postkarte persönlich aufzunehmen, wurden die Künstler*innen der Öffentlichkeit anhand von Bildern präsentiert, die in ihrem eigenen Land aufgenommen wurden. "Wir zeigen diese Bilder im Rahmen eines sogenannten "Tiny House". Wir haben dieses Haus an verschiedenen Orten in den Niederlanden aufgestellt, die zum Künstler*in passen, damit wir sie gut kennenlernen", sagte der Head of Show Gerben Bakker.
Das neue Logo für den ESC 2021 wurde angelehnt an das Logo für den ausgefallenen ESC 2020 und inspiriert von der Weltkarte. Rotterdam als Gastgeberstadt liegt im Zentrum einer imaginären Weltkarte. Die Hauptstädte der Teilnehmerländer sind mit Rotterdam verbunden, die Anordnung der einzelnen Länderfarben wurde nach Himmelsrichtung und Entfernung von Rotterdam gewählt.
Das erneuerte Logo symbolisiert die verbindende Kraft des ESC "und zeigt, dass wir für alles offen sind, was die Teilnehmer zu bieten haben", sagte Sietse Bakker. "Die Einführung eines erneuerten Logos signalisiert auch, dass es Zeit ist, das Jahr 2020 hinter uns zu lassen und mit einer positiven Einschätzung auf das Jahr 2021 zu blicken.
In Erweiterung des neuen Logos gab es auch ein neues Branding. Die für das Design verwendete Farbpalette basiert auf den Flaggen aller teilnehmenden Länder. Sie sind eigentlich so wie das Design von 2020, aber verstärkt durch die Sekundärfarben hellgrün, rosa und lila.
Abstrakte Muster mit scharfen, grafischen Formen symbolisieren sechs Schlüsselwörter, die die Niederlande feiern: Landschaften, Wasser, Brücken, Felder, Kreativität und Belastbarkeit. Diese Muster werden im Hintergrund und auf der "Spur" verwendet.
Diese "Spur" erweitert die flaggenfarbenen Balken des Logos, um eine sich für immer wiederholende Spur zu schaffen, um das Thema zu symbolisieren: Es öffnet sich weiter. Es basiert auf dem Symbol und der Perspektive des Bühnenbilds, das Florian Wieder 2020 geschaffen hat. Die Form konnte in vielerlei Hinsicht angepasst werden, solange die Rautenform beibehalten wurde.
DJ Pieter Gabriel (16) begleitete in Zusammenarbeit mit dem musikalischen Leiter Eric van Tijn die traditionelle Flaggenparade im Finale musikalisch. Dazu erhielt der bekannte niederländische Hit aus dem Jahr 1969, "Venus" von der Band "Shocking Blue" einen modernen Sound. DJ Pieter Gabriel wurde bekannt durch seine Performance beim Amsterdam Dance Event 2016. Sein erster offizieller Track "Forever" (feat. FOURCE - JESC 2017) erschien 2018.
Unter dem Motto 'Rock the Roof' gab es im Finale eine spektakuläre Intervall-Performance mit sechs legendären Eurovisionsgewinner*innen:
Lenny Kuhr (De Troubadour, 1969), Teach-In mit Getty Kaspers (Ding-a-dong, 1975) ), Sandra Kim (J'aime la vie, 1986), Helena Paparizou (My Number One, 2005), Lordi (Hard Rock Hallelujah, 2006) und Måns Zelmerlöw (Heroes, 2015) performten ihre Siegerlieder an drei einzigartigen Locations: Die Dächer des Partyortes Maassilo, des Hotels New York und des Boijmans Van Beuningen Depot-Museums wuden in himmelhohe Bühnen verwandelt.
Im Finale trat außerdem einer der beliebtesten DJs der Welt, Afrojack, auf, zusammen mit Glennis Grace, Wulf und einem klassischen Orchester, das aus jungen Talenten bestand. Während des Acts "Music Binds Us", der aus zwei Teilen bestand, wurden klassische Musik und Tanzmusik (vielleicht das bekannteste Exportprodukt der Niederlande) miteinander verbunden. Im ersten Teil wurde die Musik in einem Film des niederländischen Regisseurs Tim Oliehoek gezeigt. Afrojack und das Orchester wurden von Sänger Wulf begleitet. Im Film spielten die Innenstadt von Rotterdam und das berühmteste Wahrzeichen, die Erasmus-Brücke, eine große Rolle. Im Ahoy performten dann Afrojack und Glennis Grace live auf der Bühne.
Aufgrund der Pandemie-Restriktionen gab es keinen EuroClub oder anderweitige Veranstaltungen vor Ort. Vom 15. bis 23. Mai 2021 öffneten sich die Türen des Online Eurovision Village für Besucher aus aller Welt. Fans konnten so wenigstens virtuell in die Welt des Eurovision Song Contests eintauchen und Live-Konzerte von Künstlern wie Johnny Logan und DJ Afrojack genießen.
Am Sonntag, dem 16. Mai 2021, gab es im Rotterdamer Hafen den traditionellen "Roten Teppich", der in diesem Jahr türkisfarben war. Aufgrund positiver Corona-Tests konnten die Delegationen aus Island, Malta, Polen und Rumänien nicht an der Zeremonie teilnehmen. Ebenso musste auf die australische Teilnehmerin sowohl hier als auch bei den Live-Performances verzichtet werden, da sie gar nicht erst anreisen durfte. Ihr Auftritt wurde im ersten Semifinale per Videoaufzeichnung eingeblendet. Dieses Schicksal ereilte auch die isländischen Teilnehmer, die weder im zweiten Semifinale noch im Finale live performen durften, da sie sich noch in Quarantäne befanden. Vorjahressieger Duncan Laurence wurde am Tag des zweiten Semifinales positiv getestet und musste somit ebenfalls auf die geplanten Live-Auftritt im Finale verzichten, es wurden in beiden Fällen Aufzeichnungen der Proben gezeigt.
FAZIT
Nach der durch die Pandemie bedingten Zwangspause 2020 haben die verantworltichen niederländischen TV-Sender NPO, NOS und AVROTRO sich mächtig ins Zeug gelegt, dem aus 2020 übernommenen Motto "Open Up" gerecht zu werden.
Endlich gab es wieder Live-Publikum bei einer Großveranstaltunng, zwar nur insgesamt 3500 im Rahmen eines Modellversuches, aber immerhin! An den Fernsehbildschirmen fiel es durch geschickte Kameraführung kaum auf, dass auf die sonst üblichen Fan-Stehplätze um die Bühne herum verzichtet werden musste. Für die TV-Bilder war es sogar eher von Vorteil, dass von Fans geschwenkte Flaggen nicht ständig den Blick auf die Acts verdeckten.
Das musikalische Angebot war äußerst vielfältig, der Sieg der Rockband aus Italien durchaus eine Überraschung. Italien erreichte bei den Jurys allerdings nur Platz vier. Die Gruppe Måneskin trat nach dem ESC einen Siegeszug durch Europa an. Gleich mit mehreren Titel stürmten sie die Charts.
Erstaunlich, dass sich unter den ersten Fünf nur ein Lied in englischer Sprache - nämlich Island auf Platz vier - fand. Sieger des Juryvotings wurde die Schweizer Ballade. Die Schweiz konnte damit ihren Erfolg von 2019 noch um einen Platz verbessern.
Die ersten beiden Plätze belegten mit Italien und Frankreich Länder der sog. BIG Five, auch das ein außergewöhnliches Ergebnis. DIe übrigen gesetzten Finalisten, Deutschland, Spanien, das Ver. Königreich und der Gastgeber Niederlande, teilten sich die Schmach der "null Punkte" des Televoting und bildeten die Schlusslichter.
Auch die Acts nach gewohntem ESC-Muster wie z. B. die Beiträge aus Aserbaidschan, Israel, Moldau und selbst Schweden konnten sich im starken Finalfeld nur schlecht behaupten.
Die drei ESC-Shows aus dem Ahoy in Rotterdam konzentrierten sich auf das Wesentliche und waren doch mit einigen Leckerbissen für die Fans gespickt. Die vorher angekündigte deutliche Straffung des Finales tat dem Gesamteindruck gut. Nach der Zwangspause 2020 haben sich die Niederlande unter diesen schwierigen Pandemiebedingungen als ausgezeichner Gastgeber erwiesen und drei tolle Shows produziert.
DIE WERTUNG
DIE TEILNEHMENDEN - FINALE
1. Elena Tsagrinou "El Diablo" | Punkte: 94 M. & T.: | |
2.
"Karma" | Punkte: 57 M.: Kledi Bahiti | |
3.
"Set Me Free" | Punkte: 93 M. & T.: | |
4. Hooverphonic "The Wrong Place" | Punkte: 74 M. & T.: | |
5. Russland Manizha "Russian Woman" | Punkte: 204 M.: Ori Avni, | |
6. Destiny "Je Me Casse" | Punkte: 255 M. & T.: | |
7. The Black Mamba "Love Is On My Side" | Punkte: 153 M. & T.: | |
8. Hurricane "Loco Loco" | Punkte: 102 M.: Nemanja Antonić, | |
9. James Newman "Embers" | Punkte: 0 M. & T.: | |
10. Stefania "Last Dance" | Punkte: 170 M.: Dimitris Kontopoulos, | |
11. Gjon's Tears "Tout l'Univers" | Punkte: 432 M.: Wouter Hardy, | |
12. Daði Freyr og Gagnamagnið "10 Years" | Punkte: 378 M. & T.: | |
13. Blas Cantó "Voy a quedarme" | Punkte: 6 M. & T.: | |
14. Natalia Gordienko "SUGAR" | Punkte: 115 M.: Dimitris Kontopoulos, | |
15. Jendrik "I Don't Feel Hate" | Punkte: 3 M. & T.: | |
16. Blind Channel "Dark Side" |
Punkte: 301 | |
17. VICTORIA "Growing Up Is Getting Old" | Punkte: 170 M. & T.: | |
18. The Roop "Discoteque" | Punkte: 220 M.: Vaidotas Valiukevičius, | |
19. Go_A "Shum" | Punkte: 364 M.: Taras Shevchenko, | |
20. Barbara Pravi "Voilà" |
Punkte: 499 M.: Barbara Pravi, | |
21. Efendi "Mata Hari" | Punkte: 65 M. & T.: | |
22. TIX "Fallen Angel" | Punkte: 75 M.: Andreas Haukeland | |
23. Jeangu Macrooy "Birth of a New Age" | Punkte: 11 M.: J.A.U. Macrooy, | |
24. Måneskin "Zitti e buoni" | Punkte: 524 M. & T.: | |
25. Tusse "Voices" | Punkte: 109 M. & T.: | |
26. Senhit Adrenalina" | Punkte: 50 M. & T.: |
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE 1
1. The Roop "Discotheque" | Punkte: 203 M.: Vaidotas Valiukevičius, | |
2. Ana Soklič "Amen" | Punkte: 44 M : Ana Soklič, | |
3. Manizha "Russian Woman" | Punkte: 225 M.: Ori Avni, | |
4. Tusse "Voices" | Punkte: 142 M. & T.: | |
5. Montaigne "Technicolour" | Punkte: 28 M. & T.: | |
6. Vasil "Here I Stand" | Punkte: 23 M. Vasil Garvanliev, | |
7. Lesley Roy "Maps" | Punkte: 20 M. & T.: | |
8. Elina Tsagrinou "El Diablo" | Punkte: 170 M. & T.: | |
9. TIX "Fallen Angel" | Punkte: 115 M.: Andreas Haukeland | |
10. Kroatien Albina "Tick-Tock" | Punkte: 110 M.: Branimir Mihaljević | |
11. Hooverphonic "The Wrong Place" | Punkte: 117 M. & T.: Alex Callier, | |
12. Eden Alene "Set Me Free" | Punkte: 192 M. & T.: | |
13. ROXEN "Amnesia" | Punkte: 85 M. & T.: | |
14. Efendi "Mata Hari" | Punkte: 138 M. & T.: | |
15. Go_A "Shum" | Punkte: 267 M.: Taras Shevchenko, | |
16. Destiny "Je Me Casse" | Punkte: 325 M. & T.: |
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE 2
1. Senhit "Adrenalina" |
Punkte: 118 | |
2. Uku Suuviste "The Lucky One" | Punkte: 58 M.:Uku Suviste | |
3. Benny Cristo "omaga" | Punkte: 23 M.: Filip Vlček | |
4. Stefania "Last Dance" | Punkte: 184 M.: Dimitris Kontopoulos, | |
5. Vincent Bueno "Amen" |
Punkte: 66 M. & T.: | |
6. Rafał "The Ride" | Punkte: 35 M. & T.: | |
7. Natalia Gordienko "SUGAR" | Punkte: 179 M.: Dimitris Kontopoulos, | |
8.
Daði Freyr og Gagnamagnið "10 Years" | Punkte: 288 M. & T.: | |
9. Hurricane "Loco Loco" | Punkte: 124 M.: Nemanja Antonić, | |
10. Tornike Kipiani "You" | Punkte: 16 M. & T.: | |
11. Anxhela Peristeri "Karma" | Punkte: 112 M.: Kledi Bahiti | |
12. The Black Mamba "Love Is On My Side" | Punkte: 239 M. & T.: | |
13. VIKTORIA "Growing Up Is | Punkte: 250 M. & T.: | |
14. Blind Channel "Dark Side" | Punkte: 234 M. & T.: | |
15. Samanta Tīna "The Moon Is Rising" | Punkte: 140 M. & T.: | |
16.
Gjon's Tears "Tout l'Univers" | Punkte: 291 M.: Wouter Hardy, | |
17. Fyr & Flamme "Øve os på hinanden" | Punkte: 89 M. & T.:
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(Fotos der Liveauftritte der Künstler*innen: © EBU / eurovision.tv)
WERTUNG - FINALE
DIE WERTUNG SEMIFINALE 1 + 2
AUS DER PRESSE
Jendrik, Deutschland und der ESC: Völlige Realitätsverweigerung
Elmar Kraushaar, Berliner Zeitung, 23.05.2021
Die hintersten Plätze für Deutschland beim Eurovision Song Contest werden zur Tradition. Sänger Jendrik setzt die unrühmliche Linie fort – genauso wie der NDR. Die Gewinner des 65. ESC-Jahrgangs kommen aus Italien: Måneskin heißt die Siegerband, vier junge Musiker, die sich für einen dänischen Bandnamen entschieden haben, weil die Bassistin dänische Wurzeln hat. Mit veritablem Rock hat die Truppe gewonnen, eine Musikfarbe, die nur selten vorkommt in der Geschichte des Wettbewerbs. 2006 siegte mit Lordi einmal eine maskierte Rock-Band aus Finnland. So ungewöhnlich ist die Musik beim ESC, laut und aggressiv, statt melodiösem Gesang wütendes Geschrei, Headbanging mit langen und ganz langen Haaren und tätowierten Oberkörpern, so sehr sind Måneskin in der Favoritenrolle von Beginn an, bei den Buchmachern wie bei den Fan-Charts im Internet. „Zitti e buoni“ heißt ihr Titel, „Still und brav“, und ermutigt, genau das nicht zu sein, sondern widerspenstig und unangepasst. Im Februar hat die Band bereits das Sanremo-Festival gewonnen, diese italienische Traditionsveranstaltung, die es seit 1951 gibt und die dereinst Vorbild war für die Gründung des ESC 1956. Jetzt also auch beim ESC, seit nunmehr 31 Jahren wieder einmal ein Sieg für Italien, das in den frühen Jahren immer ganz vorne mitspielte: „Volare“ von Domenico Modugno, dritter Platz 1958, gilt heute noch als erfolgreichster, weil meistverkaufter Titel der gesamten ESC-Geschichte.
Und gleich der Verdacht, Damiano David hätte gekokst
Måneskin sind jung, ganz jung, Frontmann Damiano David ist der älteste der vier, gerade mal 22 Jahre alt. Kenngelernt haben sie sich in der Schule und tingeln zunächst durch die Straßen von Rom. Bis dann die Clubs kommen, eine Castingshow, erste Platten, erste Erfolge, schließlich Sanremo und jetzt der ESC. Wie es das Klischee will, werden sie direkt nach ihrem Sieg sofort verdächtigt, kurz nach ihrem Auftritt im Greenroom gekokst zu haben. Bei der anschließenden Pressekonferenz der Sieger muss David sofort widersprechen: „Ich nehme keine Drogen, ich nehme kein Koks, niemals.“ Barbara Pravi aus Frankreich, die Zweitplatzierte, würde man nie einem solchen Drogen-Verdacht aussetzen. So klein und zart, wie sie hinter dem Mikrofon steht und ein Lied vorträgt, das ganz Europa dem prestigegewaltigen Genre „Chanson“ zuordnet. „Voilà“, so der Titel, ist ganz tief verankert in der französischen Musikgeschichte, ein bisschen Piaf, ein bisschen Brel, noch ein Schuss Barbara und Brassens obendrauf. Das ist nicht sehr originell, kommt aber an bei den Frankophilen des Kontinents, die beim Zuhören genüsslich mit der Zunge schnalzen und das Lied der Hochkultur zuordnen. Nicht sehr originell, aber so schön der Hochkultur zuzuordnen: Barbara Pravi aus Frankreich Platz drei geht an die Schweiz, an Gjon’s Tears, einen 22-jährigen Sänger albanisch-kosovarischer Herkunft, der ebenfalls ein Chanson vorträgt, ein zeitgemäßes, voller Gefühl und in ganz hohen Tönen gesungen. Auf Platz vier und fünf folgen dann Island und die Ukraine. Bei dieser Rangliste bleibt anzumerken, dass vier der fünf erstplatzierten Titel in der jeweiligen Landessprache vorgetragen werden, der lang anhaltende Trend zum allein festivalfähigen Englisch scheint zurückzugehen.
Landessprache? In Deutschland kommt nur Englisch in Frage
Nicht so in Deutschland, da ist die Landessprache seit langem schon aus den Beiträgen verbannt, es kommt nur Englisch in Frage, schließlich will man siegen, europaweit. Aber damit hat es auch in diesem Jahr wieder nicht geklappt. „I Don’t Feel Hate“ heißt der Song des unbekannten Musicaldarstellers Jendrik, er ist ganz hinten gelandet und ohne Erfolgsaussichten, weder in Deutschland, geschweige denn in Europa. Dabei sollte der 26-Jährige doch gute Laune verbreiten, so wie dereinst Guildo Horn (1998) und Stefan Raab (2000). Aber es hat nicht geklappt, bei der Jury-Wertung gibt es dafür zwei Punkte aus Österreich und einen Punkt aus Rumänien, von den Televotern gibt es vernichtende null Punkte. Wie kann das nur passieren? Der Sänger sei doch so talentiert und so charmant, tönt es seit Wochen aus der gut geölten PR-Maschine des für Deutschland zuständigen Senders, des NDR. Kaum ist der vorletzte Platz besiegelt, müht sich der langjährige ESC-Kommentator Peter Urban um eine Erklärung. Der Titel sei wohl zu schwierig und nicht verständlich für das europäische Publikum, mutmaßt Urban in völliger Realitätsverweigerung, denn dass es mit diesem Titel nichts zu gewinnen gibt, urteilen alle Fans und Experten seit dem Tag, als der Titel veröffentlicht wurde.
Der Weg zur deutschen Vorauswahl: Transparenz ist nicht die Stärke des NDR
Aber wie hat es der NDR wieder einmal geschafft, einen Verlierer für den Wettbewerb auszuwählen? Wie schon seit ein paar Jahren ist der Weg zur deutschen Vorauswahl nicht ganz nachvollziehbar. Der öffentliche Vorentscheid wurde abgeschafft, dafür sind es eine 100-köpfige Eurovisions-Jury und eine 20-köpfige Expertenjury, die aus angeblich mehreren hundert Bewerbern einen auswählen. Dazu gibt es noch die sogenannten Songwriting-Camps, wo mit international renommierten Komponisten und Textern erfolgversprechende Titel erarbeitet werden. Wer aber sich genau hinter diesen Schritten zur Auswahl verbirgt, erfährt man nicht. Transparenz ist nicht die Stärke des NDR.
Jendriks Performance: ein Kindergeburtstag in bunten Farben
Mit Jendrik hat der NDR, wie alle ARD-Anstalten zu einem strikten Sparkurs verpflichtet, eine besonders kostengünstige Variante ausgewählt. Der ehrgeizige junge Mann hat bereits ein fertiges, von ihm komponiertes Lied mitgebracht, auch das dazugehörige Video hat er schon auf eigene Kosten produziert. Die Hamburger Verantwortlichen müssen nur noch zugreifen, um dann den frisch Gekürten zu einem Ausnahmetalent und Hoffnungsträger hochzujubeln. Dem Songtitel wird dann noch eine zeitgemäße Message mitgegeben, das Lied richte sich gegen Hass im Netz und überhaupt auf der Welt. Propagiert wird darin, nimmt man es mal biblisch, das wohl bekannteste Zitat aus der Bergpredigt: „Wer euch auf die rechte Wange schlägt, dem haltet auch die andere hin.“ So ernst das Anliegen dem Sänger Jendrik sein mag, so kindergeburtstagsmäßig hat er es inszeniert, in bunten Farben, hektischen Tanz-, Hopps- und Stepptanzschritten fegt er über die Bühne, verfolgt von einer tanzenden XXL-Hand, die mal einen Stinkefinger zeigt und mal ein Peace-Zeichen. Das ist nicht gekonnt, aber ordentlich albern und wirklich nicht zu verstehen.
NDR spricht am Sonntag von einem „perfekten Auftritt“
Deutschland wird also nicht verstanden in Europa, wie Peter Urban sagt. Irgendjemand muss ja an diesem neuerlichen ESC-Desaster schuld sein. Der NDR, seit Jahren schon kritisch hinterfragt für sein erfolgloses Auswahlverfahren, weist auch diesmal jegliche Fehler zurück und es steht zu befürchten, dass der Sender so weiter macht wie bisher. Oder wie ist sonst das Statement zu verstehen, das der NDR am Sonntag auf seiner Website veröffentlichte? Alexandra Wolfslast, Head der deutschen ESC-Delegation, erklärt dort: „Mein Herz schlägt für den wunderbaren Jendrik und sein Team: Das war ein perfekter Auftritt, eine in sich schlüssige Inszenierung mit einer wichtigen Botschaft. Dass Musik polarisiert und Geschmackssache ist, wussten wir auch. Trotz aller Enttäuschung – Jendrik hat seinen Traum vom ESC mit uns gelebt! Wir sind stolz auf ihn.“ Man kann es getrost als die Arroganz einer öffentlich-rechtlichen Anstalt benennen, jedes Jahr völlig konsequenzlos einen neuen Verlierer zu produzieren. Zurück bleiben die Künstler, die mit viel Vorschusslorbeeren in die Verkaufsmaschinerie geschoben werden, um sie dann bei Misserfolg prompt fallen zu lassen, in die Namenslosigkeit, ins Vergessen. Oder wer erinnert sich noch an Ann Sophie (2015), Jamie-Lee (2016), Levina (2017) oder die Sisters (2019)? Jendrik wird wohl der Nächste sein auf dieser Liste. |
DEUTSCHLAND BEIM ESC: Schuld sind immer die Anderen
Peter-Philipp Schmitt, FAZ.net, 23.05.2021
Wieder einmal stürzt der deutsche Beitrag beim Eurovision Song Contest ab. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Es gibt vieles, was man besser machen könnte – etwa indem man einen Blick nach Skandinavien wirft. Vor zwei Jahren in Tel Aviv hatte Deutschland allen Grund, sich zu schämen. Und das nicht etwa, weil S!sters mit „Sister“ im Finale des Eurovision Song Contest (ESC) beim Televoting null Punkte geholt hatten und mit 25 Punkten insgesamt auf dem vorletzten Platz gelandet waren. Das kann – leider – passieren. Peinlich für die Deutschen war vielmehr, dass die beiden Sängerinnen, die das Ergebnis ja zumindest mit zu verantworten hatten, sich in die Schmollecke zurückzogen, weil sie sich ungerecht behandelt fühlten. Schuld waren einfach die Anderen. Beim diesjährigen Finale in Rotterdam hingegen konnte Deutschland stolz auf seinen Künstler sein. Jendrik hatte zwar noch weniger Punkte bekommen, drei von den Jurys und ebenfalls null von den Zuschauern, und war ebenfalls auf den 25., den vorletzten Platz gekommen, aber der Sechsundzwanzigjährige trug es mit Fassung, er stellte sich seiner Niederlage, zeigte Charakter und tröstete andere Teilnehmer sogar. Was ist bloß mit den deutschen Künstlern los? In den vergangenen zehn Jahren landeten sie gleich siebenmal auf den hinteren Plätzen. Italien, das am Samstagabend das Finale gewann, erreichte hingegen in der Zeit sieben Top-Ten-Plätze. Wie kann das sein? Was machen die anders, besser? Zunächst: Ein Patentrezept gibt es nicht. Auch am Geld liegt es nicht, denn sonst könnte jedes Jahr Russland gewinnen, und San Marino hätte mit Senhit in diesem Jahr nicht nur den 22. Platz erreicht. Das kleine Land hatte eigens den amerikanischen Rapper Flo Rida einfliegen lassen, damit er bei der Pop-Rap-Nummer „Adrenalina“ mit auf der Bühne steht. Man mag sich gar nicht ausmalen, was diese sinnlose Tat gekostet hat. Das hatte Deutschland auch schon einmal versucht, 2009 mit Dita von Teese. Ergebnis: Platz 20.
Was in anderen Ländern besser läuft
Allerdings gibt es durchaus Einiges, was man besser machen könnte. Und auch was in anderen Ländern besser läuft. Nehmen wir Italien oder auch die oft so starken skandinavischen Länder. Dort gibt es aufwendige Auswahlverfahren, das Sanremo-Festival im Süden oder das Melodifestivalen in Schweden, bei denen sich die Künstler erst einmal beweisen müssen. Das hat in beiden Ländern eine lange Tradition, und jeder Sänger oder Musiker, der auf sich hält, will einmal dort gewinnen. So treten beim ESC die vermeintlich Besten der Besten an, Schweden zudem muss sich dann noch durch das Halbfinale beim ESC kämpfen, Deutschland und Italien sind im Finale gesetzt. Das heißt aber auch weniger Probenzeit auf der großen Bühne. Qualität setzt sich durch. Das heißt nicht, dass die deutschen Teilnehmer nicht singen können. Doch das allein reicht nicht. Es muss ein Funke überspringen. Und das kann auf ganz verschiedene Weise funktionieren. An der Sprache jedenfalls liegt es längst nicht mehr. Früher dachte man, man müsse Englisch singen, damit möglichst viele verstehen, worum es geht. Totaler Unsinn. Kaum einer hat in diesem Jahr verstanden, worum es bei vier der vorderen fünf Beiträge ging, weil sie auf Italienisch (Måneskin mit „Zitti e buoni“), Französisch (Barbara Pravi mit „Voilà und Gion’s Tears mit „Tout l’Univers“) und sogar Ukrainisch (Go_A mit „Schum“) gesungen wurden. Dass der Künstler eine Botschaft hat, geht auch fast immer unter, es sei denn, es ist ein Mann, der als Frau mit Vollbart auftritt. Also total offensichtlich.
Ein Jahr mit gleich mehreren Favoriten
Die tote Großmutter des Spaniers Blas Cantó, der an ALS erkrankte Vater der Bulgarin, deshalb hatte Victoria ein Bild von ihm mit auf der Bühne in Rotterdam, spielten überhaupt keine Rolle bei der Entscheidungsfindung, weil fast niemand die Geschichten kannte. Man muss seine Botschaft viel mehr verinnerlichen. Nur dann kommt sie auch rüber, wie bei Conchita Wurst, die, als sie 2014 auf der Bühne in Kopenhagen mit „Rise Like A Phoenix“ stand, offensichtlich ihr eigenes Schicksal besang. Duncan Laurence, Netta, Salvador Sobral, Jamala, Conchita – die meisten Gewinner auch der vergangenen Jahre hatten einen Song, der ihnen wichtig war, für den sie brannten, den sie mit einem Mut und auch einer Leidensbereitschaft vortrugen, dass die Welt um sie herum vergessen war. Das spürte der Zuschauer, auch ohne zu verstehen, dass es bei Jamalas „1944“ um ein so hoch komplexes Thema wie die Vertreibung der Krim-Tataren im Jahr 1944 ging. Worauf kommt es an? Auf zweimal drei Minuten, einmal im Juryfinale am Vorabend und dann beim Finale selbst, wenn die Zuschauer abstimmen. Bei 26 Teilnehmern ist die Chance groß, leer auszugehen, weil eben nur jeweils zehn Länder Punkte bekommen können. Das heißt ein Land, das im Extremfall 38 Mal auf den elften Platz käme, stünde am Ende dennoch mit null Punkten dar. Obwohl der elfte Platz in einem Teilnehmerfeld mit 26 Startern ein hervorragendes Ergebnis ist. In einem Jahr wie diesem, in dem es gleich mehrere hoch gehandelte Favoriten gibt, Italien, Frankreich, Schweiz, Ukraine, Litauen, Malta, Island, bleibt am Ende nicht viel übrig für den Rest des Feldes. Man muss also seine zweimal drei Minuten zu nutzen wissen.
Was ist wichtig?
1. Authentizität. Man ist, wie man ist. Der Schweizer Gjon’s Tears passt so gar nicht in das Bild, das man sich von einem Popstar macht. Aber er war völlig glaubwürdig, auch wenn er immer wieder merkwürdig mit den Armen wedelte. Er war ganz er, mit einer betörenden Stimme. Genauso authentisch wie Måneskin. Sänger Damiano David hatte in alter Rocker-Manier eine Wahnsinns-Bühnenpräsenz. 2. Perfektion. Auch das kann hilfreich sein. Der ESC ist eine hochtechnisierte Angelegenheit. Jeder Kamerawinkel ist exakt vorher festgelegt, wer eine Sekunde zu spät kommt, hat schon verloren. Senhit hatte das Pech, dass der Techniker im Juryfinale vergaß, die rotierende Bühne anzuhalten. Sie musste von ihr runterspringen, während sie noch in Bewegung war. Das brachte sie leicht aus dem Konzept, entscheidend war das am Ende nicht. The Roop aus Litauen waren auch deshalb so stark, weil es ihnen gelang, ihre Choreografie ein ums andere Mal nahezu perfekt auf die Bühne zu bringen. 3. Humor. Auch da konnte The Roop mit „Discoteque“ punkten: Der charismatische Frontmann Vaidotas Valiukevičius im knallgelben Anzug und auf hohen Absätzen war umwerfend komisch. Genauso wie die Isländer Daði og Gagnamagnið. Da stimmte einfach alles: Angefangen bei den Hoodies mit ihren Pixelporträts darauf bis hin zu der Pyrotechnik, die erst nach ihrem Auftritt plötzlich noch losging. Das war super schräg und super gut. Litauen wie Island hatten im Übrigen schon im vergangenen Jahr für Furore gesorgt, mit sogar noch stärkeren Beiträgen – „On Fire“ und „Think About Things“ – und sich eine solide Fanbasis geschaffen.
Kandidat Jendrik war authentisch
Jendrik erfüllte vermeintlich alle drei Kriterien. Er war authentisch, er präsentierte seine aufwendige Choreografie nahezu fehlerlos, er war lustig. Ja, aber: Es war von allem zu viel. Man verstand es nicht, nicht die Frau in dem komischen Kostüm, ursprünglich stellte Sophia Euskirchen einen Mittelfinger dar, aber ein Stinkefinger auf der ESC-Bühne ist nicht erlaubt, also wurde ein Peace-Zeichen daraus, nicht die knallbunten Wände, die im Hintergrund explodierten, und schon gar nicht Jendrik selbst, der teilweise so gehetzt sang, dass nicht einmal klar war, in welcher Sprache der Text war. Von einem Sprinter wird erwartet, dass er nach seinem Lauf ins Mikrofon hechelt, nicht aber von einem Sänger – und das schon während des Auftritts. Jendrik und mit ihm der NDR vermasselten den Auftritt gehörig, an dem im Übrigen der Choreograph der Litauer, Marijanas Staniulėnas, noch gefeilt hatte. Vergeblich. Dass vieles nicht rund lief beim deutschen Auftritt, kann man ruhig zugeben. Doch leider ist auch das typisch Deutsch – die Fehler nicht bei sich selbst zu suchen. „Das war ein perfekter Auftritt, eine in sich schlüssige Inszenierung mit einer wichtigen Botschaft“, teilte der NDR am Sonntagmorgen mit. „Dass Musik polarisiert und Geschmackssache ist, wussten wir auch.“ Klar ist Musik Geschmackssache. Aber es ist ja nicht so, dass sich 24 Rocknummern vor Jendrik platziert hätten, sondern ein so breit gefächertes Spektrum an verschiedenen Musikstilen, wie selten zuvor bei einem ESC. |
Nach der Niederlage beim ESC: Wundenlecken im deutschen Team
Imre Grimm, Redaktionsnetzwerk Deutschland, 23.05.2021
Irgendwann beschloss er, sich trotzdem seinen Applaus zu holen. Lange hatte Jendrik Sigwart auf diesem Sofa im Künstlerbereich gesessen, zappelig und lachend, hatte die Livepunktevergabe beim Eurovision Song Contest verfolgt – und wurde immer und immer wieder enttäuscht. 39 nationale Jurys hatten ihre Wertung durchgegeben. Zwei Jurypunkte aus Österreich. Einer aus Rumänien. Vorerst vorletzter Platz für Deutschland. Das war’s. Und dann geschah etwas Seltsames in der Ahoy Arena in Rotterdam. „Und nun die Punkte des nationalen Publikums!“, sagte der Moderator – und vergab null Punkte an Großbritannien. Und null an Deutschland. Doch dann brandete Beifall auf. Das Publikum jubelte – nicht hämisch, nicht ironisch, sondern herzlich. Eine Geste der Menschlichkeit. Ein Trost der Gemeinschaft. Und Jendrik Sigwart und der Brite James Newman ließen sich feiern, standen auf, winkten den 3500 Zuschauern zu, auch die Kollegen spendeten Applaus. Es muss dieser in seiner Absurdität auch bizarr-schöne Augenblick gewesen sein, der Jendrik Sigwart noch 30 Minuten später glückstrunken schwärmen ließ: „Dieser Eurovision-Vibe war einfach geil, so schön, ich war so glücklich …“ Zuvor hatte er erzählt, wie sehr er das vermisste bei diesem coronageprägten ESC: das Kennenlernen der Kollegen, die Verbrüderungen, das gemeinsame Feiern. „Das Gute ist: Die Italiener wohnen im selben Hotel wie wir“, feixte er tief in der Nacht von Rotterdam. Soll heißen: Da lockt noch eine kleine Eskalation, später.
Wieder hat ein deutscher ESC-Song nicht „connected“
Und dennoch: Wieder ist Deutschland Vorletzter. Wieder hat ein Song nicht „connected“, wie das die Fernsehfachleute nennen. Man könnte auch sagen: Er hat den Zeitgeist und die Herzen verfehlt. „Ich habe mich mit mir sehr wohl gefühlt“, sagte Sigwart selbst. Aber was nützt das, wenn das Publikum sich nicht wohlfühlte mit ihm, mit seinem Auftritt? Das Team hatte voll auf die ansteckende Fröhlichkeit des 26-Jährigen gesetzt. Die aber übertrug sich schlicht nicht. „Es war ein so toller Auftritt“, beharrte auch ESC-Kommentatorenurgestein Peter Urban. „Was soll’s? Sie haben ihren Traum gelebt.“ Doch die deutsche ESC-Bilanz der letzten Jahre fällt inzwischen so düster aus, dass man diese neue Schmach nicht einfach wird weglächeln können. Bei den letzten sechs Song Contests war Deutschland zweimal Letzter und dreimal Vorletzter (und einmal Vierter: 2018 mit Michael Schulte). So bitter das ist: Das deutsche ESC-Team hat den Anschluss an den zeitgenössischen europäischen Pop verloren. Wie ein Fremdkörper wirkte Sigwarts schrillbunter Beitrag in Rotterdam – zwischen lauter Künstlern, die das, was sie taten, eben nicht ironisch und lustig meinten. Die dem Publikum Tiefe und Komplexität zumuteten – und dafür auch belohnt wurden, etwa Frankreich mit einem wunderbaren Chanson (Platz zwei) oder die Schweiz mit einem faszinierenden Schwarz-Weiß-Auftritt (Platz drei).
Die Zeiten, in denen Ironie das Mittel der Wahl beim ESC war, scheinen vorbei
Die Zeiten, in denen Ironie das Mittel der Wahl beim ESC war, scheinen lange vorbei. Gewiss hatte auch Jendrik eine durchaus löbliche Botschaft der Versöhnung im Gepäck. Doch sein schriller Tanz dazu war nicht das, was der pandemiemüde und für jedes positiv-emotionale Erlebnis dankbare Kontinent an diesem Abend sehen wollte. Hoch gewettet – und verloren. Einer wie er wird das wegstecken und weiterlächeln. Doch das deutsche ESC-Team steht vor einem Umbruch. Der langjährige ARD-Unterhaltungskoordinator und ESC-Beauftragte Thomas Schreiber hat am 1. Mai einen neuen Job angetreten – als Chef der ARD-Spielfilmproduktionsfirma Degeto. Es war sein letzter ESC in verantwortlicher Position. Das Team des NDR wird sich neu sortieren müssen – und dringend neue Wege suchen, damit die deutschen Bemühungen beim größten Musikspektakel der Welt nicht endgültig zur Lachnummer werden.
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Hurra, es glitzert wieder
Süddeutsche, Marlene Knobloch, 23.05.2021
Oscars, Grammys, Lyrikübersetzungen - alles wird komplizierter. Der ESC bleibt eine Bastion der klaren Botschaften und damit der wichtigste Musikwettbewerb. Ein Lob des Mainstreams. Drei Dinge lassen sich aus dem diesjährigen Eurovision Song Contest lernen. Erstens: Das ESC-Europa hat wieder Geschmack. Zweitens: Die Zeit des Glitzer-Gähnpops ist vorbei. Und drittens: Die Menschen wollen keine Ukulele. Sie wollen Sex, Drugs und eine italienische Rockband in hautengen Lederkostümen, mit denen man problemlos in den Berliner "KitKat"-Club kommen würde. Rockermähnen statt Lamettavorhänge. Man kann das Finale des Eurovision Song Contests am Samstag als Wende betrachten. Als Wende in der Pandemie, denn im Gegensatz zu vielen anderen Großveranstaltungen dieser Tage saßen da in der Rotterdamer Ahoy Arena - immerhin - 3500 getestete Zuschauer, die Leuchtstäbchen, Flaggen und Schilder schwenkten. Und der manchmal plötzlich anschwellende Applaus und spontane Jubel lief wie Honig die sterile Tonbandklatscher gewohnten Ohrmuscheln runter. Man kann das Finale auch als musikalische Wende sehen in einem Wettbewerb, den lange austauschbarer, bis zur letzten Sechzehntel berechneter Pop mit Wind- und Nebelmaschine dominierte. Denn sowohl die Jury als auch das Publikum entschieden sich gegen die auf Hit-komm-raus-geschriebene Konservenmusik. Die gab es natürlich auch an diesem Abend - samt Konservenoutfit. Es schien, als hätten die Sängerinnen aus Moldau, Zypern und Albanien die knappen silbernen Glitzerfäden-Kleidchen versehentlich beim selben Eiskunstlauf-Ausstatter bestellt. Keine von ihnen schaffte es unter die Top Ten. Die ersten fünf Plätze belegten Hardrock aus Italien, zwei französische Balladen (für Frankreich Barbara Pravi in schwarzem Mieder und französischer Chanson-Tradition), abgedrehter folkloristischer Techno und funkiger Dance aus Island. Die gute Nachricht: Deutschland liegt vor England. Die schlechte: England hat den letzten Platz belegt. Null Punkte erhielt das Vereinigte Königreich, weder Jury noch Publikum konnten dem schludrigen, langweiligen, aber nicht katastrophalen Auftritt des Briten James Newman ein Pünktchen abgewinnen. Was auch für den Abend spricht: Katastrophen gab es keine, auch keine Madonna, die ihre Karriere einen Halbton nach unten senkte wie beim ESC 2018. Auch der Auftritt von Deutschlands Kandidat Jendrik war keine Katastrophe. Der 26-jährige Musicaldarsteller strahlte mit professionellem Bühnengrinsen, warf seine Glitzer-Ukulele in die Luft (jedes Steinchen selbst beklebt) und tanzte als personifizierte Sympathie neben einer menschengroßen, zum Mittelfinger gestreckten Hand, die sich schließlich zum Peace-Zeichen löste. Aber niemand, nicht einmal die ESC-Verantwortlichen beim NDR, die für die Auswahl des deutschen Kandidaten zuständig waren, konnten ernsthaft glauben, dass man mit dem penetranten Gestichel auf den Gute-Laune-Nerv einen ersten Platz belegen würde. Aus der Wahl sprach eher eine Zwei-Drittel-Hoffnung, Leidvermeidung, irgendwie heil durchkommen. Dass Jendrik allerdings mit null Punkten aus dem Publikumsvoting und gerade mal drei Punkten von den Jurys (danke, Österreich und Rumänien) so tief rasseln würde, könnte mit der wenig hippiesken Weltstimmung zusammenhängen. Denn nach über einem Jahr Pandemie, in dem einige immer noch nicht begriffen haben, dass der Mensch durch Mund und Nase atmet, FFP2-Masken bis zum Oberlippenflaum also wenig Wirkung erzielen, Abitur-Feiern digital stattfinden und Geburtstagsfeste zum 18. den Craziness-Faktor einer "ZDF-Fernsehgarten"-Übertragung haben, trifft Jendriks Schulter tätschelnde Botschaft "I don't feel hate" vielleicht nicht ganz den Ton der Zeit. Im Gegensatz zum Hard Rock aus Italien.
Alles stimmt
Den Nerv der Lockdown jaulenden Stunde erwischt schon der Name des Siegersongs: "Zitti e Buoni", übersetzt "die Leisen und Braven" der italienischen Band Måneskin, richtet sich an die Jugend. Der Sänger Damiano David singt mit kajalumrandeten Augen, mit nacktem, tätowiertem Oberkörper, in hautenger Lederschlaghose und auf Lack-Plateauschuhen davon, sich nicht Konventionen und Erwartungen zu beugen, sondern ausgeflippt, verrückt und anders als der Rest zu sein. Alles stimmt bei ihrem von Pyrofontänen flankierten Auftritt: der im Stehen, die langen Haare schüttelnde Schlagzeuger, die angeschliffenen, nicht zu dreckigen Gitarrenriffs, die umher rennende, um sich tretende, weibliche (endlich!) Bassistin, die Zunge Davids, die sich wild rausgestreckt hin und her windet oder lasziv über die leicht geöffneten Lippen fährt. Die vier Musiker aus Rom haben sich selbst auch wenigen Konventionen des Wettbewerbs gebeugt. Sie sind eine Band, eine richtige Band und haben ihren Song selbst geschrieben. Beides eher eine Seltenheit beim ESC. San Marino addierte dieses Jahr Berühmtheit plus Mathematik-Pop und schickte seinen bekanntesten Staatsbürger Flo Rida auf die Bühne, der zwischen den maßgeschneiderten Strophen der Popsängerin Senhit ins Leere rappte. Diese Rezeptur reichte gerade mal für Platz 22. Eine ähnliche Idee, wenn auch stilvoller, hatte Belgien mit der seit Urzeiten, also 1995, bestehenden Band Hooverphonic, die zwischen Auftritten mit Techno in Zaubergärten und aufwendigen 3D-Effekten, klassisch und sichtlich reif den programmatischen Song "The Wrong Place" sangen. Es reichte für Platz 19. Für Italien ist es der dritte Sieg überhaupt im ESC, zuletzt gewann Toto Cutugno 1990. Kurz sah es so aus, als würde die Trophäe an Barbara Pravi und ihr klassisches, wunderschönes Chanson gehen oder an die Schweiz, für die der Sänger Gjon's Tears mit einer ebenfalls rein französischen zarten Ballade angetreten war. Bei beiden wäre es verdient gewesen. Italien rangierte nach der Jury-Bewertung auf Platz vier. Doch als die Moderatorin Chantal Janzen die Punktezahl aus dem Publikumsvoting für Italien verkündete, überschlug sich Peter Urbans Stimme, der dem deutschen Zuschauer fassungslos erklärte, dass 318 Punkte für diesen Wettbewerb außergewöhnlich viel seien. Durchschnittlich acht Punkte erhielt das rockige Italien aus allen Ländern. Die coole Fassade verwischte kurz bei der Siegerverkündung, Kajaltränen flossen, und als David die gläserne Mikrofon-Trophäe in die Höhe riss, schrie er: "Rock'n'Roll never dies!". Hoffentlich hat er recht. |