Goedenavond! Die abgespeckte Ein-Mann-ECG-Delegation (kann man jetzt so oder so verstehen) grüßt aus Rotterdam!
Hui, was war das für ein Tag! So viel Aufregung ist man in Covid-Zeiten gar nicht mehr gewohnt. Für mich ging es heute kopfüber in die ESC-Bubble vor Ort. Ich bin noch ein wenig aufgekratzt. Vielleicht kein Wunder, wenn an einem Tag mehr passiert als zuletzt in einem halben Jahr...
Aber von Anfang: Um kurz nach elf bestieg ich meinen Zug in Düsseldorf - und zumindest in meinem Abteil hätten wir auch eine Fahrgemeinschaft in einem Kleinwagen bilden können. Gähnende Leere, keine bekannten Gesichter. Das ist man bei einer Fahrt zum ESC auch nicht unbedingt gewohnt, wo man sonst im Flieger auch schon mal alte Bekannte trifft. Nach Umstieg in Utrecht traf ich dann um kurz vor 14 Uhr in Rotterdam ein.
Prompt geriet ich auf dem Bahnhofsvorplatz in eine Mini-Demo zum Thema "Jesus lebt!". Schön und gut, wenn die Damen und Herren nicht vor dem Eurovision-Mikro auf dem Bahnhofsvorplatz gestanden hätten, welches ich eigentlich ohne Volk davor fotografieren wollte. Nach einigen Minuten hatte das Grüppchen aber ein Einsehen und zog von dannen. Übrigens habe ich Jesus in Rotterdam bislang nicht getroffen...
Bei heiterem Wetter begab ich mich auf den knapp halbstündigen Fußweg von Bahnhof zu meinem Hotel am alten Hafen. Unterwegs begegneten mir viele Flaggen mit dem ESC-Logo und ganz viele Geschäfte und Unterführungen sind im ESC-Stil beklebt. Vielleicht sogar mehr als in anderen Jahren. Eigentlich hätte ich im vergangenen Jahr zu Teilen im Stadtteil Delfshaven und in Delft unterkommen sollen, doch zumindest für die zweite Woche waren meine Mitbewohner*innen auch Pandemie-bedingt nicht mehr am Start. So musste ich mir etwas Neues suchen.
Eine eigene Wohnung war bei airbnb in passabler Lage kaum zu bezahlen, bei einem Gastgeber wollte ich während Corona nur im Notfall unterkommen. Leider betrugen die Hotelpreise in der ESC-Woche aber zwischen 130 und 300 Euro. Doch ab Mitte April kam es dort zu rapiden Preisstürzen, sodass ich ein Zimmer in einem Vier-Sterne-Hotel in bester Lage mit Blick auf dem Alten Hafen unweit der Markthallte zu akzeptablen Raten schießen konnte. Es wäre tatsächlich noch günstiger gegangen, aber ich hatte mich dann doch ein wenig in den Ausblick verliebt und nach vielen unangenehmen Monaten wollte ich mir dann doch etwas gönnen.
Auf dem Weg zum Hotel merkte ich schon, dass die Stadt für einen Werktag mittags gar nicht einmal so leer war, auch die Außengastro wurde gut angenommen und die Leute saßen da teilweise recht dicht beisammen. Und was ich auch in den ersten Stunden in Rotterdam gesehen habe: Mit der Maskenpflicht nimmt es hier nicht jeder so genau. Neben medizinischen Masken, die im Pressezentrum getragen werden müssen, sieht man auch Stoffmasken oder auch hin und wieder gar keine. Die Niederländerin/der Niederländer scheint entweder eitel oder müde von Covid zu sein. Laut unserem Freund JP von Radio International, mit dem ich später im Pressezentrum sprach, soll die Indizenz in Rotterdam etwa 400 (!) betragen. Das konnte ich zwar in einer schnellen Internetrecherche nicht belegen, aber selbst eine aktuell landesweite Inzidenz von 287,4 sollte zur Wachsamkeit aufrufen.
Nach einem kurzen Boxenstopp im Hotelzimmer sollte es mit der U-Bahn in Richtung Ahoy gehen. Eine U-Bahnstadion liegt etwa 50 Meter vor dem Hoteleingang, hätte also gefühlt nur die Hand aus der Tür herausstrecken müssen, um ein Ticket zu ziehen. Jedoch war das nicht so einfach. Man benötigt nämlich eine aufladbare Karte, die man meines Wissen auch käuflich oder gegen Pfand erwerben muss - keine gute Investition, wenn mit der Akkreditierung freier Metroverkehr winkt. Da weder meine Vorgänger noch ich am Automaten eine andere Lösung fanden, ging ich zum Hotel zurück und lieh mir ein Fahrrad aus. Den Weg kannte ich schon, und so konnte ich noch etwas von der Stadt sehen und auch über die Erasmusbrücke fahren.
Ich muss schon sagen, dass mir mein letztjähriger Besuch in Rotterdam es leichter macht, mich in der Stadt - und auch der Bubble - zurechtzufinden. Ich bin es gewohnt, alleine zu reisen, deswegen macht es mir nicht viel aus, und ich glaube eigentlich auch nicht, dass ich mich am Ende der Reise vor lauter Einsamkeit in psychotherapeutische Hände begeben muss, aber dennoch vermisse ich meine ECG-Bloggerkollegen hier vor Ort und würde auch so gerne viele weitere ESC-Freunde treffen und abends feiern gehen - was man hier in Rotterdam bestimmt auch gut hätte machen können. Hoffentlich holen wir das alle im nächsten Jahr an andere Stelle nach.
Nach 20 Minuten stramm Trampeln traf ich dann am Ahoy ein, holte erst recht umkompliziert meine Akkreditierung ab und begab mich dann zum Covid-Testzelt, von wo Elena Tsagrinou aus Zypern gerade aufbrach. Auch dort musste ich nicht lange anstehen und wurde direkt in eine von 30 Testboxen - ähnlich wie im Impfzentrum - weitergeleitet. Meine äußerst sympatische Coronatesterin sagte mir direkt, dass eigentlich ein Atemtest - mehrfaches Ein- und Ausatmen in eine bestimmte Apparatur - der standardisierte Test ist, bei dem das Ergebnis nach zwei Minuten entweder negativ oder unklar sein kann. Dieser sei aber "reine Zeitverschwendung", weil bei fast allen Leuten "unklar" herauskommt. Aha! Alternative ist der bekannte Nasenabstrich, nach dem man rund 20 Minuten auf sein Ergebnis warten muss. Ich wollte mal testen, ob ich mit Blasen Einlass ins Pressezentrum erhalten würde - hat ja bestimmt der eine oder andere schon mal Erfahrungen mit gemacht - bei mir hat es jedenfalls nicht funktioniert... Also rein mit dem Stäbchen in die Nase! Dies muss spätestens alle 48 Stunden wiederholt werden, wobei die Zeit nicht ablaufen darf, wenn man sich gerade rund ums Ahoy befindet.
Schon im Wartebereich hörte ich lautes Prasseln. Es war ein Regenguss, der sich über dem Zelt ergoss. Nein, Jesus und sein Boss meinten es nicht gut mit mir, denn nach negativer Testung musste ich die rund 400 Meter bei Blitz, Donner und Starkregen vom Testzelt zum Eingang des Pressezentrums zurücklegen. Hätte ich die Demo doch nicht sprengen sollen? Nach dem Sicherheitscheck irrte ich durch die Gänge des Ahoy und stellte mich leicht durchnässt am Desk im Pressezentrum vor - sehr zur Überraschung der freundlichen Dame dort, die seit Stunden das Tageslicht nicht gesehen hat. Aus dem Pressezentrum werde ich morgen noch ein paar Eindrücke schildern - mich zog es dann doch zu den Pressekonferenzen der Schweiz und von Dänemark. Es ist aber in der Tat noch sehr leer und wirklich weitläufig.
Als ich gegen 18.30 Uhr die Heimfahrt antrat, hatte sich der Regen glücklicherweise verzogen. Eine Fahrradfahrt ohne Regen ist in Rotterdam schon abenteuerlich genug - und erinnert an Mario Kart auf Super Nintendo. Teilweise überholen dich Mopeds mit Fahrern ohne Helm, es gibt auch mal Gegenverkehr, die Ampelschaltung für Räder muss man auch nicht immer zwingend verstehen. Und ob abbiegende Autos einen immer sehen? Da dominiert das Prinzip Hoffnung. Vielleicht wurde ich deswegen bei meiner Rückkehr vom Rezeptionisten gefeiert. Das Hotel ist wirklich menschenleer und den Spinnweben zu urteilen, standen die Räder draußen auch schon ein Weile ohne Benutzung dort herum.
Nach 19 Uhr ging es noch zur Bierinspektion in den Supermarkt. Wer mich kennt, der weiß, dass ich gerne mir unbekannte Biersorten teste. Nach einem Blick auf die Bierauswahl im nahegelegenen Supermarkt hätte ich auch nichts gegen einen weiteren Sieg der Niederlande. Das Biersortiment dort bekomme ich in diesem Jahr im Leben nicht ausgetrunken... Ein Vorrat ist angelegt - raus bin ich dann nicht mehr gegangen. Ich bin schon gespannt, was der morgige Tag bringt - und dann haben meine Ausführungen auch etwas mehr ESC-Bezug. Versprochen!