Die EBU ein ein neues Branding zum ESC 2021 veröffentlicht.
Duncan Laurence fordert dazu in einem Video auf: "Lasst uns noch einmal "wir" feiern. Egal, wo wir 2021 sein werden. Wir sollten uns öffnen (Open Up). Wir sollten uns wieder öffnen.
Ende letzten Jahres wurde das Logo für den Eurovision Song Contest 2021 veröffentlicht, das auf dem Design von 2020 aufbaut, aber mit deutlich unterschiedlichen Elementen, um es ins neue Jahr und in die neue Saison zu bringen.
Das neue Logo wurde wieder von CLEVER°FRANKE entworfen und visualisiert alle Teilnehmer, die in Rotterdam, der Gastgeberstadt und Europas schlagendem Herzen für den diesjährigen Eurovision Song Contest zusammenkommen. MediaMonks und NEP schlossen sich dem Designteam an, um ein neues System hinzuzufügen, das das Kunstwerk auf jeder Plattform nutzbar macht und überall zu sehen ist, z. B. in TV-Shows, an Bushaltestellen, im Merchandising und online. In den nächsten Monaten werden auch die Straßenbahnen Rotterdams mit dem neuen Design versehen.
Die für das Design verwendete Farbpalette basiert auf den Flaggen aller teilnehmenden Länder. Sie sind eigentlich so wie das Design von 2020, aber verstärkt durch die Sekundärfarben hellgrün, rosa und lila.
Abstrakte Muster mit scharfen, grafischen Formen symbolisieren sechs Schlüsselwörter, die die Niederlande feiern: Landschaften, Wasser, Brücken, Felder, Kreativität und Belastbarkeit. Diese Muster werden im Hintergrund und auf der "Spur" verwendet.
Diese "Spur" erweitert die flaggenfarbenen Balken des Logos, um eine sich für immer wiederholende Spur zu schaffen, um das Thema zu symbolisieren: Es öffnet sich weiter. Es basiert auf dem Symbol und der Perspektive des Bühnenbilds, das Florian Wieder im vergangenen Jahr geschaffen hat. Die Form kann in vielerlei Hinsicht angepasst werden, solange die Rautenform beibehalten wird.
Bereits unmittelbar nach dem Sieg Israels verkündete Netta, der ESC werde in Jerusalem ausgetragen, was dann umgehend von Ministerpräsident Netanyahu bestätigt wurde. Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat nannte die Jerusalem Arena und das Teddy Stadion als mögliche Hallen, wobei das Stadion zunächst überdacht werden müsste. Der Bürgermeister von Tel Aviv hatte zunächst am 13.05.2018 bekannt gegeben, dass Tel Aviv sich nicht um die Ausrichtung bewerben werde.
Die Austragung in Israel war umstritten. So gab es in Island eine Petition zum Boykott und der Bürgermeister von Dublin forderte RTE auf, 2019 nicht am ESC teilzunehmen, ähnlich äußerten sich Charlie McGettigan, ESC-Sieger 1994 und ca. 140 andere internationale Künstler. Man könne dort nicht den ESC feiern, während andere Leute dort sterben. Aufrufe zum Boykott gab es auch in Schweden und Großbritannien. Eine offizielle Stellungnahme bzw. Bekanntgabe seitens der EBU gab es zunächst nicht, allerdings gab es einen etwas ungewöhnlichen Aufruf seitens der EBU, man solle noch weder Flüge noch Hotels buchen. Und sowohl in spanischen als auch in griechischen Medien gab es Berichte, nach denen die EBU dem israelischen TV-Sender IPBC (KAN) bereits mitgeteilt habe, man solle sich u.U. darauf einstellen, dass der nächste ESC nicht in Israel stattfinden werde, falls sich andere TV-Sender dazu entschließen sollten, in diesem Fall nicht teilzunehmen.
Die Diskussionen in Israel gingen unterdessen weiter. So hatte der Generaldirektor des Ministeriums für Kultur und Sport Yossi Sharabi sich dahingehend geäußert, dass Jerusalem nicht automatisch gesetzt sei. Wohingegen die Ministerin Miri Ragev selbst auf Jerusalem als Gastgeberstadt bestand. Sollte der Contest nicht in Jerusalem stattfinden, sehe sie keine Grundlage für den israelischen Staat, die Veranstaltung mit 14 Mio. Dollar zu finanzieren. Haifa, Israels drittgrößte Stadt bewarb sich ebenso wie Eilat am Roten Meer. Haifa hätte allerdings das vorhandene Stadion zunächst überdachen müssen. Das sei kein Problem, und wenn es an Hotels fehlen sollte, würden diese noch gebaut werden, so der Bürgermeister. Inzwischen bekundete dann doch Tel Aviv auch Interesse. Zudem wurde seitens der israelischen Regierung erklärt, man werde sich in den Vergabeprozess nicht einschalten.
Dann gab es Meldungen, wonach der Sender IPBC möglicherweise seine Aufnahme in die EBU erneut beantragen müsse, sollte die Absicht der Regierung in die Tat umgesetzt werden, die Sparten "Nachrichten" und "Unterhaltung" zu trennen, was gegen die EBU-Regeln verstoßen würde. Mittlerweile hatte die israelische Regierung jedoch vorerst darauf verzichtet, diese Trennung vorzunehmen. Nach einem Meeting von Repräsentanten des israelischen TV-Senders IPBC (KAN) mit der EBU in Genf am 20.06.2018 wurde dann seitens der EBU offiziell bekanntgegeben, dass der ESC 2019 auf jeden Fall in Israel stattfinden werde. Zuletzt waren nach dem Ausscheiden Haifas und Eilats noch Tel Aviv und Jerusalem im Rennen.
Doch der TV-Sender KAN hatte Probleme, bis zum 1. August 2018 die geforderte Garantiezahlung von 12 Mio. Euro als Sicherheit zu leisten. Einen Staatskredit lehnte der Sender ab, forderte stattdessen eine entsprechende Erhöhung des staatlichen Jahresbudgets, was allerdings wiederum staatlicherseits abgelehnt wurde, so Presseberichte. Die Zahlungsfrist wurde dann verlängert bis zum 14. August. Allerdings sah es zunächst nicht danach aus, dass der Sender das Geld ohne Hilfe der israelischen Regierung aufbringen könne. Der Direktor des Senders IPBC hatte sich dann in einem Brief an Premierminister Netanjahu persönlich gewandt. Doch Netanjahu drohte damit, den Sender komplett zu schließen, falls man die 12 Mio. nicht aus dem Jahresbudget nehme. Dazu sah sich der Sender zunächst nicht in der Lage, man müsse dann auf Teile des regulären Programms verzichten und 200 Leute entlassen. Am 14.08.2018 einigte man sich quasi in letzter Minute, dass der Sender einen staatlichen Kredit bekomme über die erforderliche Summe.
Terminlich gab es eigentlich Einschränkungen wegen verschiedener Feiertage und Gedenktage. Am 8. Mai wird der Unabhängigkeitstag gefeiert. An diesem Tag fanden daher keine Proben statt. In einem Interview stellte Sand klar, dass es keine Ausnahmeregelung bzgl. des Sabbats oder religiöser Feiertage geben könne. Die Vorbereitungen des ESC seien 24 Stunden an sieben Tagen der Woche erforderlich.
Am 13.09.2018 gab die EBU dann schließlich bekannt, dass der 64. Eurovision Song Contest in Tel Aviv/Israel stattfinden werde. Das Finale war am 18. Mai 2019, die beiden Semifinale am 14. und 16. Mai. Tel Aviv hat sich mit seiner Bewerbung gegen die Mitbewerber Jerusalem und Eilat durchgesetzt.
Als Veranstaltungshalle wurde das EXPO Tel Aviv (International Convention Center) ausgewählt. Da die Halle nur ca. 10.000 Zuschauer fasst und diese Kapazität durch Bühnenaufbau und Technik noch reduziert werden musste, war der Green Room erstmals seit 2013 nicht in der Halle eingerichtet, sondern in einem separaten Bereich.
Der EBU-Verantwortliche Jon Ola Sand äußerte sich sehr zufrieden. Er bedankte sich in der offziellen Stellungnahme bei allen israelischen Städten, die sich beworben hatten und beim verantwortlichen TV-Sender KAN. Alle Bewerbungen seien sehr gut gewesen, aber letztlich habe Tel Aviv das beste Gesamtpaket geboten. Der Chairman der ESC Refernce Group, Frank-Dieter Freiling, äußerte sich folgendermaßen: " Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit KAN und darauf, den ESC zum ersten Mal nach Tel Aviv zu bringen. Wir erwarten noch in dieser Woche Garantien des Premierministers in Bezug auf die Sicherheit, Zugang für alle, Freiheit der Meinungsäußerung und die Versicherung, den ESC frei von politischen Einflüssen zu halten. Diese Garantien sind unerlässlich, um mit den Vorbereitungen zu beginnen und die Werte des ESC wie Diversität und Inklusion hoch zu halten."
Am 28. Januar 2019 fand im Museum of Art in Tel Aviv die Übergabe der "Host"-Insignien statt. Der stellvertretende Bürgermeister von Lissabon, Duare Cordeiro, übergab offiziell die "Schlüssel" an den Bürgermeister von Tel Aviv, Roi Huldai. Anschließend wurden die 36 Semifinalisten den beiden Halbfinalen zugelost und auch gelost, in welcher Hälfte des entsprechenden Semifinales die Länder antraten. Außerdem wurde ausgelost, welche der BIG 5 + Gastgeber Israel in welchem Semifinale werten. Die Auslosung wurde geleitet von Lucy Ayoub und Assi Azar. Um Nachbarschaftsvoting zu erschwerden, wurden die 36 Länder wieder auf sechs "Töpfe" aufgeteilt. Es wurde zunächst ausgelost, welche Länder der BIG 5 und Israel in welchem Semifinale werten: Im 1. Semifinale werteten Frankreich, Israel, Spanien, im 2. Semifinale Deutschland, Italien, Ver. Königreich.
In Tel Aviv wurde dem Gastgeber Israel die Startnummer 14 im Finale zugelost. Der Head of Delegation von Zypern, Evi Papamichael, zog die Startnummer. Alle anderen Startnummern wurden zu einem späteren Zeitpunkt von den Produzenten festgelegt. Den Semifinalisten wurden zunächst nur das jeweilige Semifinale und die entsprechende Hälfte der Show zugelost. Die Startreihenfolge wurde Ende März bekanntgegeben, die Finalreihenfolge in der Nacht nach dem 2. Semifinale.
Assi Azar ist einer der Top-Moderatoren und Drehbuchautoren in Israel und ist Moderator der israelischen Ausgabe von „Big Brother“ und der israelischen Vorentscheidung "HaKochav Haba La-Eurovision". Er schrieb u.a. das Drehbuch zur Erfolgsserie „Die Schöne und der Bäcker“, die nach Russland, die Niederlande und USA verkauft wurde. 2005 zeigte er sein persönliches Coming Out vor seinen Eltern im Rahmen eines Dokumentarfilms („Mama, Papa: Ich muss euch etwas sagen“). Die Zeitschrift „Out“ nahm ihn 2009 in die TOP 100 der einflussreichsten Homosexuellen auf.
Bar Refaeli ist als international erfolgreiches Model ein israelisches „Symbol von Schönheit, Talent und Erfolg“. Sie war das erste israelische Model auf dem Cover einer Zeitschrift für Bademode, die Nr. 1 der HOT 100 der Zeitschrift „Maxim“, präsentierte unter dem Titel „Million Dollar Shooting Star“ eine eigene Model-Casting-Show bei SAT 1 und moderierte die israelische Ausgabe von X Factor 2013.
Erez Tal ist einer der beliebtesten und erfolgreichsten israelischen TV- und Radiomoderatoren. Er entwickelte in 25 Jahren eine Vielzahl an TV-Primetime-Formaten. Er moderierte außerdem z.B. 10 Staffeln von "Big Brother". Außerdem erfand und moderierte er die Game-Show "The Vault", die als erfolgreichste israelische Game-Show in 23 Länder verkauft wurde. 2018 kommentierte er den ESC für den israelischen TV-Sender KAN.
Lucy Ayoub begann ihre Karriere als Youtube-Influenzerin. 2016 wurde sie bekannt durch ihre Teilnahme an einem israelischen Poetry Slam-Wettbewerb. Seit 2017 hat sie eine wöchentliche Kultur-Radiosendung und moderiert die tägliche TV-Sendung „Culture Club“. 2018 gab sie die israelischen Punkte beim ESC durch.
Das Motto für den ESC 2019 lautete "Dare To Dream" (Wage es zu träumen).
Am 8. Januar 2019 stellte die EBU das diesjährige Sublogo vor. Es wurde entwickelt von zwei führenden israelischen Agenturen: "Awesome Tel Aviv" (Kreativkonzept) und "Studio Adam Feinberg (ST/AF) (Logo). Das Sublogo stellt 3 Dreiecke dar. Das Dreieck sei eine der ältsten Formen der Welt, ein Symbol, das man als Grundpfeiler überall in der Kunst, Musik, Kosmologie und Natur wiederfinde und das Verbindung und Kreativität repräsentiere. Indem die drei Dreiecke sich verbänden, würden sie zu einer neuen einzigen Einheit, die den unendlichen Sternenhimmel widerspiegele, so wie die Stars der Zukunft in Tel Aviv zum ESC 2019 zusammenkämen, so die Erklärung.
"Dieses Motto repräsentiert und symbolisiert alles, was den ESC ausmacht. Es geht um Inklusion, Verschiedenartigkeit, Einheit. Auf dieser Bühne zu stehen, den Traum zu wagen, den Contest gewinnen zu können, mutig und zuversichtlich genug zu sein, vor einem welweitent Publikum zu stehen und zu performen, das ist etwas, für das es sich zu träumen lohnt. Das ist genau das, was Netta 2018 getan hat, als sie in Lissabon antrat. Sie kam auf diese Bühne mit einem Traum, dem Traum, den ESC zurück nach Israel zu bringen, und das ist ihr gelungen. Und nächstes Jahr im Mai in Tel Aviv werden wir uns alle treffen, um die guten Werte des ESC zu feiern mit der Hilfe des TV-Senders KAN und des israelischen Teams."
Der deutsche Bühnendesigner Florian Wieder hat auch die ESC-Bühne in Tel Aviv entworfen. Wieder zeichnete bereits verantwortlich für die Bühnen in Düsseldorf 2011, Baku 2012, Wien 2015, Kiew 2016 und Lissabon 2017.
Der "Orangene Teppich" (die Farbe wurde gewählt wegen des Sponsors "My Heritage") fand auf dem Habima Square am 12. Mai 2019 statt, anschließend gab es einen Willkommensempfang für die Delegationen im Charles Bronfman Auditorium.
Das Eurovision Village war das größte aller Zeiten. Es öffnete im Charles Clore Park von 12. – 18.05.2019 von nachmittags bis in den Abend. Neben Auftritten von Dana International und Izhar Cohen sowie anderer israelischer Stars wurden hier auch die Semifinale und das Finale live übertragen. Im Hafen gab es u.a. eine Dana International-Ausstellung und eine Musikshow mit Anne Marie David, Loreen und Carola.
OGAE Israel hat das Euro Fan Café im größten Club Tel Avivs, Ha-Oman 17, vom 12.05.- 19.05.2019 betrieben. In Zusammenarbeit mit VIVO Productions gab es jede Nacht eine große Party. Bei diesen Partys traten viele ehemalige ESC-Teilnehmer aus ganz Europa und auch israelische ESC-Größen auf. Der EuroClub lag im Hafen von Tel Aviv (Hangar 11).
Für die Fans war Tel Aviv in Bezug auf das von OGAE organisierte Rahmenprogramm eine tolle Gastgeberstadt.
FAZIT
Es war eine tolle TV-Show! Mit 4 Stunden und 11 Minuten allerdings die längste in der ESC-Geschichte. Eine Green Room-Schalte jagte die nächste, und es gab eine „Inflation“ von Interval-Acts: Das 1. Semifinale eröffnete Netta mit einer neuen Version von „Toy“. Dana International trat im 1. Semifinale und im Finale auf. Im 2. Semifinale trat die Band Shalva, Finalisten der VE-Show „Rising Star“, auf.
Eine ganz besondere Performance gab es mit Conchita, Måns Zelmerlöw, Eleni Foureira und Verka Serduchka: Conchita sang „Heroes“, Måns „Fuego“, Eleni „Dancing lasha tumbai“ und Verka „Toy“. Zum Schluss sangen alle gemeinsam zusammen mit Gali Atari „Hallelujah“.
Auf Einladung des israelischen Milliardärs Sylvan Adams trat Madonna als Pausen-Act auf. Die Organisation des Auftritts inklusice der Kosten für den Begleit-Tross von ca. 160 Leuten soll angeblich rund eine Million Euro gekostet haben.
Diese Acts waren im Großen und Ganzen durchaus unterhaltsam, wenn man auch auf den misslungenen Auftritt Madonnas vielleicht hätte verzichten können. Aber immerhin war sie sich als Superstar nicht zu schade, sich im Green Room an die Teilnehmer zu wenden und ihnen Mut zuzusprechen bzw. ihnen zu ihrer bisherigen Leistung zu gratulieren: Hut ab!
Das Intro mit Netta als Pilotin und Jon Ola Sand als Fluglotse war grandios, die Unterbrechung des Einmarsches der Nationen durch ehemalige israelische ESC-Vertreter wie Ilanit konnte einem als Fan die Tränen in die Augen treiben ebenso wie das „Hallelujah“ mit Gali Atari und den Protagonisten des Song-Switch: Conchita, Måns Zelmerlöw, Eleni Foureira und Verka Serduchka.
Ebenfalls sehr gelungen waren die Postcards mit tanzenden (oder auch einfach nur in der Gegend herumstehenden) Sängerinnen und Sängern. Sehr schön auch die Videocollagen aus alten ESC-Ausschnitten. Die Bühne mit den LED-Effekten beeindruckte sehr. Es wurde übrigens dieses Mal noch deutlicher als in den letzten Jahren, dass der ESC wirklich eine reine TV-Show ist, denn z. B. die Auftritte Australiens und auch Serbiens waren speziell für den Bildschirm konzipiert. Die veränderte Präsentation des Votings führte zu einem Endspurt, der spannender kaum hätte sein können. Erst ganz am Schluss war klar, dass die Entscheidung zwischen den Niederlanden und Schweden zugunsten von Duncan Laurence aus demn Niederlanden gefallen war.
Der Sanremo-Sieger Mahmood belegte für Italien mit "Soldi" den zweiten Platz. Mit Platz drei musste sich zum zweiten mal Sergey Lazarev aus Russland begnügen, der dieses Mal mit einer Ballade antrat.
Der ehemalige DSDS-Sieger Luca Hänni erreichte mit einer tollen Performance des Uptempo-Songs "She Got Me" den vierten Platz, für die Schweiz das beste Ergebnis seit dem dritten Platz von Annie Cotton 1993!
Televotingsieger wurde Norwegen mit dem Trio KEiiNO, doch durch die Jurys "abgestraft", erreichten sie nur Platz sechs im Finale. Ähnlich erging es der provokanten Band Hatari aus Island, die durch ein niedriges Ergebnis bei den Jurys nur auf Platz zehn kam. Es gab Ärger mit der EBU, weil sie verbotenerweise mit dem Zeigen der palästinensischen Flagge provozierten, ebenso wie Madonna bei ihrem Auftritt.
Das beste Ergebnis für Nordmazedonien in der ESC-Geschichte erreichte Tamara Todevska bei ihrem zweiten Anlauf nach 2008 mit der Powerballade "Proud".
Ebenfalls zum zweiten Mal trat Serhat für San Marino an, dieses Mal klappte der Einzug ins Finale (Platz 19) mit dem Mitklatsch-Song "Say Na Na Na". Knapp gescheitert sind dagegen Tulia aus Polen, ihr "weißer Gesang" war halt nicht für alle Ohren angenehm.
Die spektakulärste Inszenierung bot ohne Zweifel Australiens Kate Miller-Heidke, die (auf einer unsichtbaren beweglichen Stange stehend) wie im Weltraum umherzuschweben schien, passend zum Titel "Zero Gravity".
Tamta aus Zypern konnte den Erfolg von Eleni Foureira (Platz zwei) mit einem ähnlichen Titel wie "Fuego" - nämlich "Replay" - nicht wiederholen: Platz 13!
Den skurillsten Auftritt bot wohl Conan Osiris für Portugal: Ein wirrer Song mit Fadospuren und arabischen Einflüssen mit einer wirren Performance mit Elementen aus Ballett, Stepptanz und Breadance fand kaum Gegenliebe und landete auf Platz 15 im Semifinale.
Überhaupt keine Gegenliebe fand der deutsche Act, die S!sters, bei den Televotern. So bleibt der bedauernd ausgesprochene Satz von Bar Refaeli: "Germany I'm sorry, zero points!" wohl für immer eine Mahnung, es in Zukunft besser zu machen!
DIE WERTUNG
Um die Spannung bei der Punktevergabe weiter zu erhöhen, hat die EBU beschlossen, dass nach der Bekanntgabe der Juryvotings die Televotingergebnisse nicht mehr - wie bisher - in der Reihenfolge der niedrigsten zur höchsten Televotingpunktzahl bekannt gegeben wurden, sondern in der Reihenfolge der niedrigsten bis zur höchsten Jurywertung. Das heißt konkret, dass die Moderatoren mit dem Land beginnen, das nach dem Juryvoting am Ende des Scoreboards rechts unten steht. Das hat zur Folge, dass man als Zuschauer bis zum Schluss nicht weiß, wieviele Punkte das jeweiige Land bekommt, es sei denn man hat zeitgleich alles mitgerechnet.
Die weißrussische Jury wurde disqualifiziert, nachdem sie ihre Wertung des 1. Semifinales öffentlich gemacht hatte. Nach den Regeln wird in solch einem Fall eine fiktive Wertung erstellt, errechnet aus den Wertungen von Ländern, die ähnlich gewertet haben - das sind vermutlich die Länder, die im gleichen Lostopf bei der Semifinalauslosung waren. Durch einen menschlichen Fehler ging allerdings eine fehlerhafte Wertung als die von Belarus in das Ergebnis des Finales ein. Die EBU hat diesen Fehler korrigiert, so dass es einige Verschiebungen im Endergebnis gab.
Das ursprüngliche fehlerhafte Endergebnis sah so aus:
Am Ende des Abends stehen die Niederlande ganz oben und Deutschland fast ganz unten. Für Diskussionen sorgen die Politik, Madonna und eine Null-Punkte-Entscheidung.
Zwei Mal ein „Yes“. Mehr brachte Duncan Laurence zunächst nicht heraus, als er am frühen Morgen zum zweiten Mal auf der Bühne stand. Kurz vorher hatte ihn Netta, die Vorjahressiegerin des Eurovision Song Contest (ESC), schon umarmt und ihm die gläserne Trophäe überreicht, nachdem er sich vor ihr zunächst tief verbeugt hatte. Dann hielt er die Trophäe des Siegers hoch und rief: „Das ist für die großen Träume und dafür, dass Musik an erster Stelle steht. Immer!“ Es war auch ein Seitenhieb auf all diejenigen, die in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten versucht hatten, den diesjährigen ESC in Tel Aviv in irgendeiner Weise zu instrumentalisieren – etwa politisch. Danach sang der Niederländer noch einmal sein Lied „Arcade“, dieses Mal aber nicht mit melancholischem Blick, sondern strahlend vor Glück.
Duncan Laurence, der schon seit März, seit „Arcade“ veröffentlicht worden war, als Favorit auf den Sieg gehandelt wurde, hat es geschafft: Nach 44 Jahren haben die Niederlande endlich wieder einen Gewinner. Vier Mal zuvor hatte die stolze Grand-Prix-Nation, die genauso wie Deutschland seit 1956 und damit von Anfang an dabei ist, den Wettbewerb gewonnen: 1957, 1959, 1969 und zuletzt 1975. Danach kam eine lange Durststrecke, und es kamen viele katastrophale Jahre: Von 2005 bis 2012 erreichten unsere Nachbarn nicht einmal das Finale.
Duncan Laurence musste in der vergangenen Nacht bis zwei Uhr morgens warten, bis feststand, dass er gewonnen hatte. Da zunächst die Punkte der Jurys vergeben wurden, die Sprecher aus den 41 Teilnehmerländern gaben nur noch die höchste Punktzahl zwölf bekannt, sah es nach einem Kopf-an-Kopfrennen zwischen den Niederlanden (231 Punkte), Nord-Mazedonien (237 Punkte) und Schweden (239 Punkte) aus.
Das Ergebnis des Televotings wurde nun aber noch aufaddiert, beginnend bei dem Land mit den wenigsten Jury-Punkten. Das war Spanien: Zu sieben Punkten kamen 53 hinzu, was einen Sprung in der Rangliste nach oben bedeutete. Deutschland lag da noch mit immerhin 32 Punkten auf dem 21. Platz, bekam aber, und das als einziges Land überhaupt, von den Zuschauern null Punkte. Das war eine herber Schlag für die deutsche Delegation, den NDR und das Duo S!sters, das damit vor dem Vereinigten Königreich (16 Punkte) und Weißrussland (31 Punkte) auf dem 24. Platz landete.
Einen ähnlichen Schlag bekamen kurz danach die Norweger versetzt: Das Trio Keiino lag mit dem Lied „Spirit In The Sky“ und seinen 47 Jury-Punkten zunächst nur knapp vor Deutschland, bekam dann aber die höchste Televoting-Punktzahl überhaupt: 291 Punkte. Am Ende wurden sie sogar Fünfte.
So ging es weiter, für ein Land ging es nach oben, für ein anderes weit nach unten. Schließlich war die Nummer drei an der Reihe: Die Niederlande mit Duncan Laurence bekam 261 Punkte dazu, die Nummer zwei, Nord- Mazedonien mit Tamara Todevska, danach nur 58. Damit wurde aus dem Dreikampf ein Zweikampf: Niederlande oder Schweden. Schließlich gab es von den Zuschauern für John Lundvik und seinen selbst geschriebenen Song „Too Late For Love“ nur 93 Punkte dazu. Das war’s für ihn. Der Schwede rutschte auf Platz sechs ab noch hinter Italien (465 Punkte), Russland (369), Schweiz (360) und Norwegen (338).
Spannende Punktevergabe
Die neu geregelte Punktevergabe macht es am Ende noch spannender als bisher, gerade wenn es an der Spitze nach der Jury-Entscheidung ein so dichtes Gedränge gibt wie in der vergangenen Nacht. Doch man kann mit ihr auch nicht nach den Sternen greifen. Selbst wenn der Russe Sergei Lasarew zu seinen 125 Jury-Punkten noch die Zuschauer-Punkte der Norweger bekommen hätte, er wäre nicht an Italien und den Niederlanden vorbeigekommen. Wer bei den einen nicht ankommt, kann durch die anderen allein nicht mehr gewinnen.
Für Lasarew war es nach 2016 wieder nur der dritte Platz beim ESC. Eine herbe Enttäuschung für den russischen Superstar, der am Samstagmorgen noch zum äußersten Mittel gegriffen hatte: Nur mit einem Handtuch um die Hüfte fotografierte er sich im Bad seines Hotelzimmers und postete dann das erste richtige Oben-Ohne-Bild von sich auf Instagram, wo ihm fast vier Millionen Fans folgen. Doch selbst das verschaffte ihm, der bei seinen perfekten Auftritten unterkühlt und wenig sympathisch rüberkommt, nicht den Sieg.
Starker Schweizer
Bei Charme und Sympathie wiederum punktet der Schweizer Luca Hänni. Er holte mit dem vierten Platz das beste Ergebnis für die Eidgenossen sei 26 Jahren, seit dem dritten Platz 1993 von Annie Cotton („Moi, tout simplement“). Die S!sters hingegen, Laura Kästel und Carlotta Truman, fügen sich, wenn man von Michael Schultes vierten Platz („You Let Me Walk Alone“) 2018 absieht, nahtlos in die Reihe der Verliererinnen der vergangenen Jahre ein.
Bei den beiden Deutschen lief vieles schief: Vor allem kamen sie und ihr Lied „Sister“ einfach nicht an. Hinzu kam eine schwache Inszenierung, sichtbare Nervosität bei der erst 19 Jahre alten Carlotta Truman und überhaupt eine Überforderung der beiden jungen Sängerinnen. Sie hatten Spaß am ESC, fielen sich nach ihren Auftritten wie kleine Kinder um den Hals, zeigten damit aber auch, dass sie den Ernst der Veranstaltung offenbar nicht verstanden hatten: Man muss gewinnen wollen, um jeden Preis. Ein Patentrezept gibt es natürlich nicht. Aber es gibt eben nur zwei Mal drei Minuten, die alles entscheiden – zum einen bei der zweiten Generalprobe am Freitagabend, wenn die Juroren abstimmen, zum anderen beim eigentlichen Finale. Sich vorher zudem bekannt zu machen in aller Welt, kann sicherlich nicht schaden. Und das auf vielen Kanälen.
Junger Gewinner
Auch Duncan Laurence ist ein noch junger Künstler. Erst in diesem Jahr schloss er seine Ausbildung an der Rock-Akademie in Tilburg ab. Der 1994 in Spijkenisse als Duncan de Moor geborene Sänger nahm wie Laura Kästel und Carlotta Truman an einer Castingshow teil, kam bei „The Voice of Holland“ aber nur ins Halbfinale. Allerdings fand er dort, im Jahr 2014, eine Mentorin, die ihn bis heute begleitet: Ilse DeLange.
Sie bildete ebenfalls 2014 zusammen mit Waylon das Duo The Common Linnets, das beim ESC in Kopenhagen mit „Calm After The Storm“ auf den zweiten Platz kam. Sie war es auch, die entscheidenden Anteil daran hatte, dass Duncan Laurence ohne Vorentscheid vom niederländischen Sender Avrotros für den ESC ausgewählt wurde.
Das Lied „Arcade“ hat Duncan Laurence selbst geschrieben. Es handelt von einer persönlichen Erfahrung, dem Tod einer Person, die er sehr geliebt habe. Er brauche persönliche Inspirationen für seine Songs, sagt Duncan Laurence. „Die Worte, Akkorde und Melodien kamen dann wie von selbst zu mir, als fielen sie vom Himmel.“ Doch erst mit der Hilfe von Joel Sjöö und Wouter Hardy sei daraus auch eine Geschichte geworden, die nicht allein mehr seine sei, sondern viele Menschen anspreche.
Mit „Arcade“ hatte sich der Niederländer schon klar im zweiten Halbfinale gegen die Konkurrenz durchgesetzt, das erste Halbfinale hatte die Australierin Kate Miller-Heidke mit ihrem Lied „Zero Gravity“ gewonnen, wie die Europäische Rundfunkunion (EBU) am Sonntagmorgen zum Abschluss des 64. ESC in Tel Aviv bekanntgab.
Gastgeber Israel
Israel hat sich in den vergangenen Tagen als guter Gastgeber erwiesen. Und auch wenn sich die Regierung weitgehend aus dem ESC heraushielt, nachdem Ministerpräsident Benjamin Netanjahu anfangs noch vollmundig verkündet hatte, der Wettbewerb werde in Jerusalem stattfinden. Das war letztlich nicht durchsetzbar, auch weil der politische Status der geteilten Stadt umstritten ist. Der Grand Prix, bei dem es um Musik, nicht um Politik gehen soll, war dennoch politisch aufgeladen. In einem Land wie Israel lässt sich das gar nicht vermeiden.
Doch war eine Politisierung wohl auch von israelischer Seite gewollt. Offensichtlich mit Bedacht wurden zum Beispiel einige der „Postkarten“ des Finales an Orten gedreht, die völkerrechtswidrig von Israel besetzt sind. Moderatorin Lucy Ayoub beschrieb sie während des ESC als „Israels spektakulärste und schönste Orte“ und ging damit über das brisante Thema lapidar hinweg.
Während vor allem die westeuropäischen Länder strikt darauf achteten, darunter auch Deutschland, sich in dieser Hinsicht nicht angreifbar zu machen, scheint dies mehreren osteuropäischen Staaten nicht so wichtig gewesen sein. Gleich vier Finalisten wurden mit Filmen vor ihren Auftritten vorgestellt, die in besetzten oder umstrittenen Gebieten gedreht wurden: Sergei Lasarew ist vor der Davidszitadelle in der Altstadt Jerusalems zu sehen, die Serbin Nevena Božović war zur Kirschblüte in En Siwan, einer israelischen Siedlung in den nördlichen Golanhöhen, die Albanerin Jonida Maliqi war am Wasserfall Banias, ebenfalls an den Golanhöhen, und die Jüngste des gesamten Feldes, die Weißrussin Zena, besuchte das Rockefeller Museum knapp außerhalb der Altstadt in Ostjerusalem, das von Israel 1980 annektiert worden war, was der UN-Sicherheitsrat noch im selben Jahr für nichtig erklärte.
Madonnas Auftritt
Ebenfalls kritisiert wurde die Art und Weise, wie die amerikanische Pop-Diva Madonna für den ESC gewonnen wurde. Sie flog mit Privatjet ein, ohne zuvor einen Vertrag mit der EBU abgeschlossen zu haben. So war erst kurz vor dem Finale überhaupt klar, dass sie auftreten würde. An den offiziellen Generalproben nahm sie nicht teil, im Tagesplan tauchte nur hier und da ein „M“ auf, die Halle war dann jeweils abgesperrt. Für ihren Acht-Minuten-Auftritt bekam die Sechzigjährige von dem in Kanada beheimateten israelischen Milliardär Sylvan Adams angeblich 1,3 Millionen Dollar gezahlt – eine Summe, die der ausrichtende Sender Kan nie hätte aufbringen können.
Ihre Showeinlage wirkte bombastisch. Zum Dreißigjährigen ihres Liedes „Like A Prayer“ ertönten Kirchenglocken, ein Chor von 35 Mönchen sang dazu auf einer gigantischen Treppe. Danach hatte ihr neuestes Werk „Future“ Premiere, bei dem sie vom amerikanischen Rapper Quavo begleitet wurde. Im Vergleich zu vielen anderen Beiträgen des Abends von jüngeren Künstlern präsentierte sich Madonna, die mal wieder mit Augenklappe auftrat, nicht auf der Höhe der Zeit.
Für die ESC-Fans viel unterhaltsamer war der Rest der Show, vor allem die Idee, ehemalige Teilnehmer zu bitten, das Lied des anderen zu singen. Conchita Wurst, Gewinnerin von 2014, sang das Lied „Heroes“ von Måns Zelmerlöw (2015), er das Lied „Fuego“ der Zweitplazierten im vergangenen Jahr, der feurigen Eleni Foureira, die sich wiederum Verka Serduchkas „Dancing Lasha Tumbai“ von 2007 vornahm.
Zu Abschluss alle zusammen
Die Kunstfigur Verka Serduchka, hinter der sich der Ukrainer Andrij Danylko verbirgt, versuchte sich dann noch an Nettas „Toy“. Zum Abschluss sangen alle gemeinsam mit Gali Atari „Hallelujah“. Gali Atari hatte zusammen mit der israelischen Popgruppe Milk & Honey mit diesem Lied, das zu den bekanntesten Songs der Grand-Prix-Geschichte zählt, 1979 den ESC in Jerusalem gewonnen.
Der ausrichtende Sender Kan hatte es sich nicht nehmen lassen, alle israelischen ESC-Gewinner am Samstagabend auftreten lassen, neben Netta (2018) und Gali Atari (1979) auch Dana International (1998) und Izhar Cohen, der mit der Band Alphabeta und dem Lied „A-ba-ni-bi“ 1978 gesiegt hatte und nun die Punkte für Israel vergeben durfte.
Auch die allererste Vertreterin Israels war auf der Bühne: Ilanit, inzwischen 71 Jahre alt, sang ihr Lied „Ey-sham“ von 1973. Sie hat auch eine Ahnung was es heißt, wenn es beim ESC nicht nur um Musik geht: Beim Wettbewerb damals in Luxemburg musste sie im Jahr des Jom-Kippur-Krieges noch eine schusssicher Weste unter ihrem Kleid tragen.
Eurovision Song Contest Pomp lass nach
Deutschland schmiert ab, Madonna setzt ihrer Karriere einen Tiefpunkt - und der niederländische Sieger Duncan Laurence zeigt, wie schön der Gesangswettbewerb eigentlich sein könnte.
Süddeutsche.de, 19.05.2019, von Hans Hoff
Es gibt bei diesem internationalen Trällerwettbewerb ein sonderbares Phänomen. Menschen, die beruflich mit dem Eurovision Song Contest (ESC) befasst sind und sich den 41 Beiträgen in den Vorwochen vielfach aussetzen müssen, merken gegen Ende, dass sie etliche der Lieder, denen sie ob ihrer offensichtlichen Billigkeit am Anfang skeptisch gegenüberstanden, auf einmal mitsummen, im schlimmsten Fall sogar den Text auswendig können. Wie Tinnitus-Geplagte, nur dass ESC sehr sicher schnell wieder vorbeigeht. Also erwacht so mancher Kritiker am Morgen nach dem Finale übernächtigt und pfeift den deutschen Beitrag vor sich hin, obwohl "Sister" vom zusammengecasteten Duo S!sters wirklich schwer zu mögen ist und er die Platzierung als Drittletzter Song im Feld der 26 Finalteilnehmer, mit null Punkten aus der Publikumsabstimmung, völlig fair bewertet findet.
Nur ein Mann und sein Liebeskummerlied
Ungelenke Melodie, holprig bemühter Text. ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber kündigte am Sonntag an, für die nächste Runde im Jahr 2020 "werden wir den Weg, auf dem Deutschland sein Lied und seine Künstler sucht, überdenken" - wieder einmal. Man kann fast Mitleid haben mit der deutschen ESC-Abteilung, die seit 2013 nur noch krachende Misserfolge einfährt und lediglich im Jahr 2018 mal kurz Freude empfinden durfte, als Lockenkopf Michael Schulte in Lissabon Platz vier herbeisang. Diesmal mussten die deutschen Fans und Teilnehmer auch noch mit ansehen, wie die Niederlande ihnen das mit dem Siegen vormachten.
Duncan Laurence, der vorab als Favorit gehandelt worden war, hat den ESC in der Nacht zum Sonntag verdient gewonnen mit einem eher leisen, einem unspektakulären Song, der sich vielem verweigerte, was beim Wettbewerb der Nationen eigentlich als unabdingbar gilt. Er sang in seiner Ballade Arcade von der Sehnsucht nach einer verlorenen Liebe. Kein stroboskopisches Lichtspektakel, kein Outfit wie aus dem Kostümverleih. Ein Mann, ein Klavier, und ruhiger, konzentrierter Gesang. "Here's to dreaming big, this is to music first, always", sagte der 25-Jährige in die Mikrofone, als er weit nach Mitternacht die Siegertrophäe übernehmen durfte.
Madonna Mia!
Duncan Laurence hatte vor fünf Jahren an der Castingshow The Voice of Holland teilgenommen und das Halbfinale erreicht. Die Sendung dürfte ihn gut auf seinen Siegerauftritt vorbereitet haben: Er wurde darin von Sängerin Ilse de Lange als Coach betreut. Als Teil des Duos Common Linnets hatte sie beim ESC 2014 den zweiten Platz hinter Conchita Wurst errungen und war mit dem Titel "Calm After The Storm" im Anschluss weit öfter im Radio gespielt worden als der damalige Siegertitel. Duncan Laurence ist ausgebildeter Songwriter, Sänger und Musikproduzent. Nachdem sein ESC-Song im März präsentiert worden war, hatte er die Listen in den Wettbüros als Top-Favorit angeführt. Nach seinem Sieg nun sagte er in der Nacht zum Sonntag, er habe sich wie ein "Kleinstadtjunge in einer Spielhalle" gefühlt, als das Konfetti auf ihn herabregnete.
Der deutsche Beitrag beim ESC landet mal wieder auf einem der letzten Plätze. Was haben die S!sters falsch gemacht? Und warum suchen sie die Fehler bei anderen?
FAZ.net, von Peter-Philipp Schmidt, 19.05.2019
Sie haben es nicht mitbekommen. Die S!sters waren auf der Toilette, als Moderatorin Bar Refaeli bekanntgab: „Deutschland, es tut mir leid: null Punkte.“ Es war das vernichtende Televoting-Ergebnis. Sonst wurden die jeweils genannten Delegationen auf ihrer Couch im Green Room gezeigt, ihre entsetzten oder vor Glück strahlenden Gesichter. Doch die beiden deutschen Sängerinnen waren nicht da, also blieb die Kamera auf die Moderatoren gerichtet. Später sagte Laura Kästel, man habe vorher schon erkennen können, an den 32 Jury-Punkten, dass da nicht mehr viel zu erwarten sei. Warum also nicht auf die Toilette gehen? Später ergänzt Carlotta Truman noch: „Wir haben 1000 Prozent gegeben.“
Professionell geht anders. Man stellt sich auch seinen Niederlagen, das sollte bei jedem Wettbewerb selbstverständlich sein. „Vielleicht ist gerade eher Liebeskummer in als unsere Message“, sagte die 26 Jahre alte Carlotta Truman mit Blick auf den Gewinnertitel „Arcade“ und ihr Lied „Sister“ im Interview mit dem NDR nach ihrer großen Pleite. Im Lied der S!sters, die in Tel Aviv abgeschlagen auf Platz 24 landeten, geht es darum, dass sich zwei Schwestern (im Sinne von Personen) streiten und wieder versöhnen, eine Art Frauen-Power-Botschaft, denn gemeinsam ist man stärker. Erste Zeile: „Ich bin es leid, immer zu verlieren.“
Aber nein, Liebeskummer hat nicht gerade Konjunktur: Im Lied „Arcade“ des diesjährigen ESC-Gewinners Duncan Laurence geht es um eine sehr persönliche Geschichte, um einen geliebten Menschen, der sehr jung starb und nie das Glück hatte, wahre Liebe zu erfahren. Und auf Platz zwei des diesjährigen Eurovision Song Contest kam Mahmood aus Italien mit seinem Lied „Soldi“, das davon handelt, wie Geld eine Familie zerstören kann. Beide haben ihre Lieder selbst geschrieben.
Ist es typisch Deutsch, die Fehler immer bei anderen zu suchen? Wir haben doch nichts falsch gemacht, man mochte unser tolles Lied einfach nicht, unsere tollen Stimmen, unsere tolle Inszenierung. Ist halt so. Die letzte Frage des Interviewers lautete: „Was nehmt ihr mit aus der ganzen Geschichte?“ – „Also, Hummus ist unheimlich lecker, wusste ich vorher nicht, und Katzen sind toll.“ Was für eine flapsige Antwort. Doch es wurde am Ende auch noch ernsthaft: Musik verbinde. „In diesem Wettbewerb gab es keine Hautfarben, keine Religionen, es war einfach nur Musik.“ Sie hätten gelernt, sie selbst zu sein. „Man bekommt etwas für die Zukunft mitgegeben, und das ist etwas ganz Besonderes.“
Immerhin. Das wird doch der Ernsthaftigkeit der Veranstaltung gerecht. Der ESC ist eben nicht ein fröhlicher Ausflug in den Süden, sondern harte Arbeit. Das muss man verinnerlichen. Und die Reise kostet ja auch viel Geld. Was lief sonst noch schief bei den S!sters? So einiges. Eine viel gestellte Frage in Tel Aviv war: Sind das wirklich Schwestern? Und wenn nicht, warum heißen die dann so? Letztlich haben die deutschen Zuschauer entschieden, das kurzfristig zusammengecastete Duo mit „Sister“ nach Tel Aviv zu schicken. Zuvor aber hatte der NDR über Monate sechs andere Kandidaten aufgebaut, mit einem eigens organisierten Songwriting Camp, zu dem 25 internationale Songwriter eingeladen wurden. Das alles wurde in den Wind geschrieben, weil man so von dem Lied „Sister“ überzeugt war, dass man noch schnell die „Retortenschwestern“ aus der Taufe hob.
Die Botschaft kam nicht an
Dass das Lied „Sister“ eine Botschaft hat, haben die wenigsten verstanden. Doch das dürfte Mahmood ähnlich gegangen sein, allerdings blendete er die Übersetzung seiner maßgeblichen Zeilen groß auf der LED-Leinwand ein. Beim ESC spielt Glaubwürdigkeit eine nicht zu unterschätzende Rolle. Künstlern, denen es gelingt, vorher von sich reden zu machen, werden danach bemessen. Siehe Conchita Wurst, die, als sie 2014 auf der Bühne in Kopenhagen „Rise Like A Phoenix“ sang, verstanden wurde. Da besang einer offensichtlich sein eigenes Schicksal.
Duncan Laurence, Netta, Salvador Sobral, Jamala, Conchita – die meisten Gewinner auch der vergangenen Jahre hatten einen Song, der ihnen wichtig war, für den sie brannten, den sie mit einem Mut und auch einer Leidensbereitschaft vortrugen, dass die Welt um sie herum vergessen war. Mal ging es um das Schicksal der Großmutter, mal um das eigene, mal war es nur eine Liebesballade wie bei Sobral. Aber die hatte ihm die Schwester geschrieben. Zudem hatten die fünf Künstler eine Inszenierung, die bis ins Detail stimmig ist. Sieht man sich die Generalproben, das Halbfinale und das Finale von Conchita Wurst an, erkennt man fast keine Unterschiede. Sie ist perfekt, ohne kalt dabei zu wirken, sie spult es nicht runter. Jedes Mal denkt man, sie singt es zum ersten und einzigen Mal für ihr Publikum. Selbst Sobral in seiner viel zu großen Jacke und mit seinen merkwürdigen Bewegung überzeugte, weil er genau so ist, wie er sich darbot.
Bei den S!sters fehlte diese Perfektion. Sie sangen nicht synchron mit den eingeblendeten Gesichtern, ihre riesigen LED-Lippen bewegten sich also nicht passend zum Gesang am Samstagabend. Selbst wenn es nicht so war, wie es schien: Das kann einen ganzen Auftritt zerstören. Denn es gibt nur zwei Mal drei Minuten, die alles entscheiden – zum einen bei der zweiten Generalprobe am Freitagabend, wenn die Juroren abstimmen, zum anderen beim eigentlichen Finale. Bei 26 Teilnehmern muss man in Erinnerung bleiben. Da zudem nur zehn Länder jeweils Punkte bekommen können (von eins bis acht plus zehn und zwölf), gehen 16 Länder bei jedem Voting leer aus. So konzentrieren sich die Punkte gefühlt auf immer dieselben Kandidaten, was sich durchs Jury-Voting inzwischen etwas geändert hat. Mit null Punkten fährt eigentlich niemand mehr nach Hause. Da muss schon alles schief gehen.
Der ESC ist eine hochtechnisierte Angelegenheit. Jeder Kamerawinkel ist exakt vorher festgelegt, wer eine Sekunde zu spät kommt, hat schon verloren. Der Schwede Måns Zelmerlöw hat mit seinem imaginären Freund, dem kleinen Lichtfigürchen, sicher lange hart trainiert, bevor er diese Perfektion auf der Bühne erreichte, als er in Wien sein „Heroes“ sang. Ein festgefügtes Programm gibt Sicherheit, die deutsche Delegation indes neigt dazu, während des laufenden ESC immer noch wieder etwas umzustellen und mit wichtigen Details erst spät fertig zu werden – zum Beispiel in diesem Jahr, was Kleider, Haare, Make-up anging.
Weniger Probezeit für die Deutschen
Das kann mal funktionieren, gibt Künstlern aber nicht unbedingt Sicherheit. Auch an Michael Schultes Auftritt im vergangenen Jahr wurde noch in den Tagen von Lissabon viel gefeilt, er aber ruhte in sich, und er hatte sein Lied dabei, „You Let Me Walk Alone“, in dem er den Tod seines Vaters verarbeitet. Zusammen mit der Inszenierung ergab das ein rundes Bild, das überzeugte.
Noch ein Problem: Die Deutschen haben weniger Probenzeit als viele andere Länder. Die Big Five, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich, reisen sogar später an, weil sie nicht durchs Halbfinale müssen. Die erste Woche proben daher nur die Halbfinalisten und haben noch drei Generalproben extra. Ist das womöglich auch ein Grund, dass sich die „großen Fünf“ schwerer tun? Die vergangenen Jahre lagen stets die Besten aus den Vorrunden vorne, Deutschland genauso meist abgeschlagen am Ende des Feldes wie Spanien und das Vereinigte Königreich.
Nach dem Sieg Portugals beim ESC 2017 wurde nach den Regeln der nächste Wettbewerb in Portugal ausgetragen. Entgegen der langjährigen Praxis, schon während der aktuellen ESC-Woche die vorläufigen Termine des nächsten Contests bekannt zu geben, kündigte die EBU diese Entscheidung zunächst für Juni 2017 an. Zwar gab der verantwortliche TV-Sender RTP bereits am 15.05.2017 bekannt, dass der ESC in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon veranstaltet werde. Allerdings wurde dieses Statement kurz darauf schon wieder zurückgenommen und es hieß, man werde sich zunächst die „gesamte Landkarte Portugals“ anschauen. Auch die Städte Braga, Gondomar, Guimarães und Santa Maria da Feira hatten ihr Interesse bekundet.
Erst am 25. Juli 2017 gaben dann RTP und die EBU die Termine und den Austragungsort im Rahmen einer Pressekonferenz bekannt.
Der ESC 2018 fand am 12. Mai 2018 (Semifinale am 8. und 10. Mai) in Lissabon statt und zwar in der anlässlich der EXPO 1998 errichteten Altice Arena (Pavilhão Atlântico). Sie ist eine der größten Indoor-Hallen in der EU mit einer Kapazität von 20.000 Plätzen.
Äußerst zufrieden äußerte sich Jon Ola Sand, der ESC-Verantwortliche der EBU: "Wir sind sehr froh, anzukündigen, dass RTP den ESC 2018 in Lissabon ausrichten wird. Die Stadt hat eine beispielhafte Bewerbung abgegeben und wir freuen uns auf die Zusammenarbeit, um den ersten ESC in Portugal zum aufregendsten bisher zu machen. Wir möchten RTP zur professionellsten und detailiertesten Bewerbung gratulieren." Und Gonçalo Reis, der RTP-Generaldirektor, meinte: "Die Ausrichtung des ESC 2018 ist eine großartige Gelegenheit für Portugal, Lissabon, die Unterhaltungsindustrie und RTP. Wir freuen uns auf die Ausrichtung eines Events, das all unsere kreativen Fähigkeiten zeigen wird."
Laut Pressemitteilung der Executive Produzentin Carla Bugalho strebte RTP den preiswertesten Contests der letzten Jahre an. Die Postcards wurden in Kooperation mit Turismo Portugal in Portugal gedreht, denn man wolle diese einmalige Gelegenheit nutzen, der Welt das heutige Portugal zu zeigen, ein "offenes Portugal, eine Kultur der Inklusion, der Toleranz, eine positive Kultur", so der RTP-Generaldirektor Reis: "Der Contest wird ein mobilisierendes Projekt fur die gesamte Kreativ-Industrie sowohl Lissabons als auch ganz Portugals und wird dem Land erlauben, weiter an seinem Image zu arbeiten auf internationaler Bühne".
Die sog. Postcards, die die einzelnen Acts ankündigen, standen unter dem Motto: "Welcome to Portugal". Es wurden mit allen Interpreten in Portugal Filme gedreht, in denen sie eine Aktivität oder Herausforderung meistern sollten.
Nach Ablauf der offiziellen Anmeldefrist sah es zunächst danach aus, dass ingesamt 43 Länder am ESC 2018 teilnehmen würden. Allerdings wurde dann EJR Mazedonien zunächst wegen nicht bezahlter Schulden von der EBU gesperrt. Diese Sperre wurde im Rahmen einer Ausnahmeregelung allerdings wieder aufgehoben. Am 17.11.2017 wurden daher offiziell 43 Teilnahmeländer bekannt gegeben. Damit wurde die Rekordteilnahme der Jahre 2008 und 2011 erneut erreicht.
Die "Host Insignia Handover Ceremony", d.h. die Übergabe der Insignien von der Gastgeberstadt Kiew 2017 an Lissabon fand am 29. Januar 2018 statt, ebenso die Zulosung der 37 Länder, die in den beiden Semifinalen antreten mussten. Hierzu wurden wie gewohnt verschiedene "Töpfe" gebildet, denen Länder entsprechend der Geographie und ihrem bisherigen Abstimmverhalten zugeordnet wurden. So will mal Nachbarschaftsvoting so weit wie möglich verhindern. Es wurde auch gelost, in welchem Semifinale die Länder der sog. BIG 5 (Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Ver. Königreich) und der Gastgeber Portugal werteten. Diese sechs waren automatisch für das Finale gesetzt. Spanien, Portugal und das Vereinigte Königreich werteten im 1 Semifinale, Frankreich, Deutschland und Italien (auf eigenen Wunsch) im 2. Semifinale.
Die Moderation übernahmen zum zweiten Mal seit 2015 vier Damen: Catarina Furtado, Silvia Alberto, Daniela Ruah und Filomena Cautela.
Catarina Furtado ist Moderatorin, Schauspielerin und Autorin und blickt bereits auf eine 25-jährige Karriere im portugiesischen Fernsehen zurück, wo sie eine der beliebtesten Moderatorinnen erfolgreicher Shows wie „The Voice“ und „Festival da Canção“ ist. Seit 2000 ist sie auch Botschafterin des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA). 2012 gründete sie die NGO „Coracões com Coroa“, der es um die Stärkung von Frauenrechten geht.
Daniela Ruah ist die Tochter portugiesischer Eltern wurde in Boston/USA geboren. Als sie 5 Jahre alt war, zog ihre Familie mit ihr nach Portugal um. Mit 16 Jahren begann sie ihre Schauspielkarriere mit einem Schauspielstudium in London und New York. Derzeit spielt sie die Rolle der Kensi Blye in der sehr erfolgreichen USA-Serie NCIS: Los Angeles.
Filomena Cautela hat Jura studiert, aber die Schauspielerei war immer schon die Passion von Filomena Cautela. Ihre Theaterkarriere begann 2000, ihr Filmdebüt hatte sie 2004. Im Fernsehen moderierte sie eine der erfolgreichsten Late-Night-Shows, außerdem das „Festival da Canção“ 2018, und sie war die Jurysprecherin für Portugal 2017.
Bereits am 07.11.2017 wurden das Motto und das Sublogo veröffentlich. Das Motto des ESC 2018 hieß "All Aboard". Das Sublogo zeigt eine Muschel, das Logo gab es erstmals in verschiedenene Variationen. Zur Erklärung hieß es: "Portugal hat immer schon durch den Ozean Europa mit dem Rest der Welt verbunden und schon vor 500 Jahren war Lissabon das Zentrum der wichtigsten Seerouten der Welt. Daher benutzt Lissabon die Verbindung durch den Ozean als Inspiriation durch den Slogan "Alle an Bord" und lädt damit die internationale Gemeinschaft ein, zum diesjährigen Wettbewerb zusammenzukommen."
Europa sei eine Gemeinschaft vieler Menschen, das habe RTP auch inspiriert, statt nur eines Logos mehrere Variationen zu entwerfen. Das Hauptmotiv, die Muschel, wurde in 12 verschiedenen Ausführungen gezeigt, was auch symbolisieren solle, dass es in den Ozeanen sehr verschiedenartiges Leben gibt wie z.B. Plankton und eine Vielzahl andere Lebewesen, die für das Gleichgewicht des ozeanischen Ökosystems von Bedeutung sind.
Das Bühnenbild sollte Portugals Verbindung zur Navigation, dem Meer, zu Schiffen und Land-/Seekarten symbolisieren. Das Grundgerüst stellte eine "Armillarsphäre" dar, ein astronomisches Gerät zur Darstellung der Bewegung von Himmelskörpern, bestehend aus sich gegeneinander drehbaren Metallringen in Form einer Kugel. Die Bühne zeigte eine moderne Interpretation einer Welle. Die Bühnenstruktur war inspiriert von Schiffbaukunst. Radiale Linien einer Karte gingen in alle Richtungen mit Lissabon im Zentrum.
Das Eurovision Village wurde auf Lissabons berühmtem Platz, der Praça do Comercio, errichtet. Es öffnete vom 4. - 13. Mai 2018. Es gab hier eine Großleinwand für das Public Viewing der drei Shows, Live-Shows, Info-und Imbissstände, außerdem ein "Eurovisions-Café".
Der Willkommensempfang fand am 6. Mai 2018 statt im Museum für Elektrizität im MAAT-Komplex in der Nähe des berühmten Turms von Belem. Der traditionelle "Rote Teppich" mit Aufmarsch der teilnehmenden Delegationen war 2018 ein "Blauer Teppich", der vor dem MAAT Complex ausgerollt wurde.
Der EuroClub sollte zunächst einem der beliebtesten Lissabonner Nachtclubs von 4. - 13. Mai öffnen, dem „Lust in Rio“. Er liegt im Cais do Sodré District am Wasser. Cais do Sodré ist bekannt für sein Nachtleben mit zahlreichen Clubs, Bars, Restaurants und Cafés. Allerdings wurde dann kurzfristig entschieden, in den Club "Ministerium" in den Arkaden der Praça do Comercio zu verlegen.
FAZIT
Beim ersten ESC in Portugal gingen Platz eins und Platz zwei an geballte "Frauen-Power" aus Israel und Zypern, wobei die Protagonistinnen unterschiedlicher nicht hätten sein können: Siegerin Netta aus Israel wollte in ihrem Lied "Toy" nicht das Spielzeug des Mannes sein, während Eleni Foureira es für Zypern mit "Fuego" genau darauf anzulegen schien. Gastgeber Portugal selbst wurde Letzter.
Zwei "Power-Männer" folgten auf Rand drei und vier: Der sowohl stimmlich als auch körperlich beeindruckende Cesár Sampson aus Österreich und Michael Schulte mit seiner Power-Stimme und seiner berührenden Ballade "You Let Me Walk Alone", seinem verstorbenen Vater gewidmet. Mangels LED-Wänden vor Ort hatte die deutsche Delegation für den Auftritt einfach eine aufblasbare Wand mitgebracht und schaffte es noch gerade rechtzeitig, diese während der 40 Sekunden dauernden "Postcard" einsatzbereit zu machen.
Beeindruckend war auch das Kleid der Sopranistin Elina Nechayeva, die ihre geballte Stimmkraft bei "La forza" einsetzte und damit auf Platz fünf gelangte, allerdings wohl auch wegen des die ganze Bühne ausfüllenden Kleides, dass bunt beleuchtet wurde. Dieser Trick war nun nicht neu, aber doch offensichtlich noch wirkungsvoll genug.
Ein weiterer "Hingucker" war die Inszenierung der DoReDos für Moldau, die eine ausgeklügelte Choreografie vor und hinter einer Wand mit mehreren Türen boten, das war einfach genial und wurde mit Platz zehn im Finale belohnt. Choreograf Fokas Evangelinos hatte hier für das Lied von Philipp Kirkorov "My Lucky Day" einmal mehr seine Kreativität bewiesen.
Deutlich minimalistischer, aber durchaus nicht weniger ausdrucksvoll, war die Performance von Mikolas Josef für Tschechien, der mit Platz sechs die beste Platzierung bis dato für sein Land herausholte. Der ESC-Sieger von 2009, Alexander Rybak, trat erneut an, allerdings war sein Titel "That's How You Write A Song" weitaus weniger mitreißend, und es langte für ihn nur für Platz 15.
Einen Platz dahinter landete Ryan O'Shaughnessy für Irland, was wohl nicht unwesentlich dem Männertanzpaar zu verdanken war, das im Hintergrund eine Love-Story tanzte.
Ieva Zasimauskaité aus Litauen saß auf der Bühne und träumte davon, mit ihrem Mann alt zu werden, der dann hinterher zu ihr stieß, das war rührend schön und wurde mit Platz 12 belohnt.
Madame Monsieur waren mit ihrem einem Flüchtlingskind gewidmeten Titel "Mercy" im Vorfeld favorisiert worden, aber sie konnten vor allem die Jurys überzeugen, nicht aber die Televoter, so dass es nur für Platz 13 reichte!
Für SuRie aus Großbritannien gab es eine Schrecksekunde, als ein Störer auf die Bühne stürmte und ihr das Mikrofon entriss. Aber SuRie sang, getragen von den Zuschauern beherzt weiter und lehnte es auch ab, ihren Auftritt zu wiederholen. Eine Belohnung bzw. Entschädigung war Platz 25 leider nicht.
Nachdem Julia Samoylova im Vorjahr aufgrund der Querelen um ihren vorherigen Auftritt auf der von Russland annektierten Krim nicht zum Zuge gekommen war, weil Russland sich aus dem Wettbewerb zurückgezogen hatte, bekam sie nun mit einem neuen Titel "I Won't Break" eine neue Chance, die sie allerdings nicht nutzen konnte: Russland landete im Semifinale auf Platz 15 und scheiterte damit erstmals an der Finalqualifikation.
Erstmals schaffte es auch Aserbaidschan mit Aisel nicht ins Finale, sie scheiterte knapp auf Platz 11.
Die wunderbare Gastgeberstadt Lissabon und der grandiose vierte Platz für den deutschen Vertreter Michael Schulte versöhnte die deutschen Fans und ließ einige Mängel sowohl hinsichtlich der Organisation als auch im Hinblick auf die drei TV-Shows selbst in den Hintergrund treten. Laut EBU sei dieser Contest der „beste, unterhaltsamste und glanzvollste“ aller Zeiten gewesen! Wohl kaum, es sei denn, man empfindet minutenlangen Fado-Gesang als Einstieg in die größte Musikshow der Welt als so unterhaltsam, dass ähnliche Musik auch den Pausenact füllen muss, und man klopft sich auf die Schenkel bei Einspielfilmen mit einem gewissen David Attenburger (dargestellt vom portugiesischen Comedian Herman José), einer Karikatur des berühmten Naturforschers Sir David Attenborough, die zu Empörung in britischen Medien führte.
"Glanzvoll“? Die Interpreten hatte kaum eine Chance, richtig zu glänzen, war die Bühne doch meistens dermaßen schlecht ausgeleuchtet, dass man die Akteure zumindest in der Halle kaum erkennen konnte. Aber es geht ja in erster Linie um die Fernsehbilder. Und da wurde aus Kostengründen auf die üblichen LED-Wände verzichtet, was die einzelnen Delegationen zu erheblicher Kreativität verpflichtete.
DIE TEILNEHMENDEN - FINALE
1.Ukraine
MELOVIN
"Under The Ladder"
Punkte: 130 Platz: 17
M.: MELOVIN T.: Mike Ryals
2. Spanien
Amaia & Alfred
"Tu canción"
Punkte: 61 Platz: 23
M. & T.: Raul Gomez Garcia, Sylvia Ruth Santoro Lopez
3.
Slowenien
Lea Sirk
"Hvala, ne!"
Punkte: 64 Platz: 22
M.: Lea Sirk, Tomy Declerque T.: Lea Sirk
4. Litauen
Ieva Zasimauskaitė
"When We're Old"
Punkte: 181 Platz: 12
M. & T.: Vytatas Bikus
5. Österreich
Cesár Sampson
"Nobody But You"
Punkte: 342 Platz: 3
M. & T.: Sebastian Arman, Cesár Sampson, Joacim Persson, Johan Alkenäs Boris Milanow
6.
Estland
Elina Nechayeva
"La forza"
Punkte: 245 Platz: 8
M.: Mihkel Mattisen, Timo Vendt T.: Elina Nechayeva, Ksenia Kuchukova
7. Norwegen
Alexander Rybak
"That's How You Write a Song"
Punkte: 144 Platz: 15
M. & T.: Alexander Rybak
8. Portugal
Cláudia Pascoal
"O jardim"
Punkte: 39 Platz: 26
M. & T.: Isaura
9. Ver. Königreich
SuRie
"Storm"
Punkte: 48 Platz: 24
M. & T.: Nicole Blair, Gil Lewis, Sean Hargreaves
10. Serbien
Sanja Ilić & Balkanika
"Nova deca"
Punkte: 113 Platz: 19
M.: Aleksandar Sanja Ilić, Tatjana Karajanov Ilić T.: Danica Krstajić
11. Deutschland
Michael Schulte
"You Let Me Walk Alone"
Punkte: 340 Platz: 4
M. & T.: Michael Schulte, Thomas Stengaard, Katharina Müller, Nisse Ingwersen
12. Albanien
Eugent Bushpepa
"Mall"
Punkte: 184 Platz: 11
M & T.: Eugent Bushpepa
13. Frankreich
Madame Monsieur
"Mercy"
Punkte: 173 Platz: 13
M & T.: Emilie Satt, Jean-Karl Lucas
14. Tschechische Republik
Mikolas Josef
"Lie To Me"
Punkte: 281 Platz: 6
M & T.: Mikolas Josef
15.Dänemark
Rasmussen
"Higher Ground"
Punkte: 226 Platz: 9
M. & T.: Niclas Arn, Karl Eurén
16. Australien
Jessica Mauboy
"We Got Love"
Punkte: 99 Platz: 20
M.: Anthony Egizii, David Musumeci T.: Anthony Egizii, David Musumeci, Jessica Mauboy
17. Finnland
Saara Aalto
"Monsters"
Punkte: 46 Platz: 25
M. & T.: Saara Aalto, joy Deb, Linnea Deb, Ki Fitzgerald
18. Bulgarien
EQUINOX
"Bones"
4Punkte: 166 Platz: 15
M. & T.: Borislav Milanov, Joacim Persson, Brandon Treyshun Campbell, Dag Lundberg
19. Moldau
DoReDos
"My Lucky Day"
Punkte: 209 Platz: 10
M.: Philipp Kirkorov T.: John Ballard
20. Schweden
Benjamin Ingrosso
"Dance You Off"
Punkte: 274 Platz: 7
M. & T.: MAG, Louis Schoorl, K Nita, Benjamin Ingrosso
Die Israelin Netta gewinnt den Eurovision Song Contest – Europa entscheidet sich für ein selbstbewusstes Frauenbild. Michael Schulte holt für Deutschland einen fast sensationellen vierten Platz.
Rheinische Post. 14/05/2018 von Martina Stöcker
Um 0.10 Uhr ahnte Peter Urban, dass in Lissabon etwas gehen könnte. „Deutschlands Punkte sind jetzt schon dreistellig“, sagte der Kommentator des Eurovision Song Contests (ESC). „Sie wissen gar nicht, wie gut es mir geht nach den letzten Jahren.“ Dreistellig waren die Punkte der deutschen Starter zuletzt 2012 in Aserbaidschan, die Ergebnisse der Jahre 2013 bis 2017 blieben nur zweistellig - alle zusammengerechnet.
Aber für Michael Schulte, den 28-Jährigen aus Schleswig-Holstein, gab es in Lissabon noch mehr Zustimmung: Mit seinem Lied „You Let Me Walk Alone“ und einem ruhigen, aber kraftvollen Auftritt ohne Tänzer und anderen Schnickschnack überzeugte er die Jury und die Fans in Europa und landete am Ende mit 340 Punkten auf Rang vier - sensationell. Denn solch eine Platzierung hatte ihm niemand zugetraut, auch wenn er bei den Buchmachern im oberen Drittel landete. Zu bitter waren die letzten und vorletzten Plätze in den vergangenen Jahren, die mit Debakel treffend beschrieben sind. Er selbst hatte wohl auch nicht recht dran geglaubt. „Ich bin überglücklich. Platz vier“ sagte er nach der Show. „Das ist so verrückt!“ Einer der schönsten Abende meines Lebens.“ ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber lobte: „Musik schafft Emotionen, und das ist Michael Schulte europaweit überzeugend gelungen.“
Der Sieg ging aber an die Favoritin: Netta (529 Punkte) holte die Trophäe zum vierten Mal in der Geschichte des Song-Contests nach Israel. Ihr Song „Toy“ war bereits vor dem Wettbewerb 20 Millionen Mal bei Youtube angeklickt worden. Die 25-Jährige, deren Äußeres ein wenig an Beth Ditto (Gossip) erinnert, stand im schrillen Manga-Outfit auf der Bühne, sie wedelte mit den Armen wie ein Huhn und machte seltsame Klacklaute. Die Botschaft ihres Liedes passt aber in die Zeit, sie beschwört das Selbstbewusstsein der Frauen: Akzeptiert euch, bleibt so, wie ihr seid, ändert euch nicht – schon gar nicht für einen Mann. „Ich bin nicht dein Spielzeug, dummer Junge, ich mache dich fertig“, heißt es in einer Zeile des Liedes. Im Flitterregen für den Sieger dankte Netta Europa, dass es das Anderssein gewählt und akzeptiert habe.
Das völlige Kontrastprogramm dazu war die zweitplatzierte Eleni Foureira aus Zypern. Zu ihrem Song „Fuego“ (436) tanzte sie in einem hautengen Kostüm, sie und ihre vier Tänzerinnen schleuderten ihre langen Haare durch die Luft und lieferten eine perfekte Show der sexy Posen. Dritter wurde überraschend der Österreicher Cesar Sampson („Nobody But You“/342) – mit nur zwei Punkten Vorsprung auf Schulte. Der Mann aus Linz hatte nach der Jury-Wertung sogar ganz vorne gelegen, doch die Fans katapultierten Netta mit mehr als 300 Punkten und Foureira an die Spitze.
Die Stimmen setzten sich zu 50 Prozent aus der Meinung einer Fach-Jury und zu 50 Prozent aus dem Zuschauer-Voting zusammen. Das führte zu zum Teil großen Unterschieden in der Bewertung. So gab die deutsche Jury dem schwedischen Beitrag von Benjamin Ingrosso zwölf Punkte, das deutsche Publikum bedachte ihn gar nicht, sondern gab Italien die maximale Punktzahl. Schweden landete auf Rang sieben, Italien auf fünf.
Michael Schulte lag in der Jury-Gunst ebenfalls besser als bei den Zuschauern. Er bekam 204 Punkte von den Experten, 136 vom Publikum. Die Jurys aus Dänemark, der Schweiz, den Niederlanden und aus Norwegen gaben ihm zwölf Punkte. Einen Zehner gab es aus Österreich, San Marino, Serbien, Italien, Polen und Australien. Mit seiner kraftvollen Ballade, mit der er an seinen vor 13 Jahren gestorbenen Vater erinnerte, erzählte er eine glaubwürdige Geschichte. Schulte holte die beste Platzierung seit Lena Meyer-Landruts Sieg 2010. Für den federführenden Norddeutschen Rundfunk (NDR) ging damit das neue Konzept auf, bei dem die Künstler für den Vorentscheid mit internationalen Songwritern ihre Lieder erarbeiteten. „You Let Me Walk Alone“ schrieb Schulte unter anderem mit dem Dänen Thomas Stengaard, der auch den Sieger-Song 2013 „Only Teardrops“ für Emmelie de Forest aus Dänemark verantwortet hatte.
Ansonsten war es ein typischer ESC auch mit einigen Liedern, die dem Zuschauer auf dem Sofa einiges an Leidensfähigkeit und Durchhaltevermögen abverlangten. Der Beitrag aus Moldau zum Beispiel, bei dem sechs Sänger und Tänzer in Samt-Outfits in den Landesfarben Rot-Gelb-Blau immer aus verschiedenen Türen herausschauten oder auf die Bühne kamen – das Millowitsch-Theater lässt grüßen. Zwischen mutigen englischen Reimen gab es bei einigen Teilnehmern auch nette Füllwörter wie Schubidudabdab (Norwegen) und Monsterkleider (Estland). Und der Sänger aus der Ukraine wurde wie Dracula aus einem Piano-Sarg emporgehoben, später stand seine Bühnentreppe in Flammen. Überhaupt Feuer: Das spielte eine große Rolle, manche Nationen setzten bei der Bühnen-Performance so intensiv auf Pyrotechnik, dass man sich zeitweise bei einer Schlussfeier der Olympischen Spiele wähnte.
Einen Schreckmoment gab es beim Auftritt der britischen Sängerin SuRie, bei dem ein Mann auf die Bühne stürmte und ihr für Sekunden das Mikrofon entriss. Sie blieb scheinbar unberührt, klatschte und animierte die Fans und sang mit einem zweiten Mikro einfach weiter, als Sicherheitskräfte dem Mann das Mikro entwunden und ihn weggebracht hatten. Laut Statuten hätte die Sängerin noch einmal auftreten dürfen, die britische Delegation entschied sich jedoch dagegen. Vielleicht wusste sie auch, dass es nicht helfen würde. Großbritannien landete am Ende auf Platz 24 von 26 Startern im Finale.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu rief Siegerin Netta noch in der Nacht an. „Du hast dem Staat Israel viel Ehre eingebracht. Nächstes Jahr in Jerusalem“, schrieb er beim Kurznachrichtendienst Twitter. 2019 soll der Wettbewerb also in der Stadt stattfinden, die Israel als Hauptstadt für sich beansprucht. Auch vor dem Hintergrund des Konflikts mit dem Iran wird deutlich, dass Europa ganz andere Probleme hat als ein paar schlechte Kostüme und schiefe Töne. Darüber kann solch ein Abend nur kurz hinwegtäuschen.
Platz 4 beim ESC - Der Michael nervte nicht
Spiegel online. 13/05/2018 von Arno Frank
Endlich gab es wieder viele Punkte für Deutschland: Michael Schulte kam beim ESC überraschend auf Platz vier. Wie konnte das passieren?
Dieser vierte Platz für Deutschland beim ESC 2018 fühlt sich ein wenig an wie der dritte Platz für Deutschland bei der WM 2006 - wie ein Sieg zumindest der Herzen. Die Überraschung, unerwartet so weit gekommen zu sein, wirkt segensreicher als der geglückte Griff nach einer erwarteten Krone. Wie ist der Erfolg von Michael Schulte zu erklären?
Zunächst damit, dass im Vorfeld stets die falschen Fragen ventiliert werden. Wie fit sind Stimmbänder und Sprunggelenke? Welche Taktik, welches Kalkül verbirgt sich hinter dieser oder jener Präsentation? Was macht die Tagesform? Solche Analogien werden eher aus Hilflosigkeit bemüht. Ein Gesangswettbewerb ist, auch wenn er etwa mit olympischem Einlauf der "Athleten" diesen Eindruck erwecken will, keine sportliche Veranstaltung. Sondern eine Art Auktion, auf der Zuneigungspunkte gesammelt werden, ein internationaler und entsprechend emotionaler Sympathiewettbewerb.
In einem solchen hat ein Koloss mit 80 Millionen (um an dieser Stelle ausdrücklich nicht Max Giesinger zu zitieren) Einwohnern, der das übrige Europa ökonomisch und damit auch lebensweltlich an die Wand drückt, beim Publikum prinzipiell schlechtere Karten als, sagen wir, ein randständiger Zwergstaat mit putziger Folklore. Es ist, um im Bild zu bleiben, als träte der FC Bayern im Synchronschwimmen an. Wäre ihm zu wünschen, das auch noch zu gewinnen?
Deutschland muss beim ESC bescheiden auftreten
Deshalb waren die beflissenen deutschen Mitschwimmversuche im Mainstream in den letzten Jahren so erfolglos. Deshalb ist die Überraschung über das gute Abschneiden von Schulte so groß und das Aufatmen beim Boulevard ("Europa hat uns wieder lieb!") berechtigt. Mag sein, dass ukrainische Vampire brennende Klaviere bearbeiten oder dänische Wikinger sich gegenseitig die Bärte kraulen dürfen - die deutsche Entsprechung, auf die Spitze getrieben, wäre eine Performance von Rammstein (oder Helene Fischer) und in diesem Wettbewerb chancenlos.
Offenbar wird nicht der triumphale Einmarsch gern gesehen, an dessen ironischer Brechung sich Stefan Raab und Guildo Horn einst versuchten. Nein, ein europäisches Publikum ist Deutschland nur dann gewogen, wenn es bescheiden auftritt und etwas ahnen lässt, das aus der Ferne als Ehrlichkeit erkennbar ist.
Das galt 2010 für Lena mit ihrer ausgestellten Niedlichkeit, das galt 1999 für Sürpriz (Platz 3) mit ihrem betonten Multikulturalismus - und es galt erst recht 1982 für Nicole, mit der Deutschland, zart und verhuscht, sich schlicht "Ein bisschen Frieden" wünschte.
Schlichte Performance ganz ohne Akrobatik
Es gilt auch für Michael Schulte, dessen schlichte Performance ganz ohne Akrobatik, allzu große Gesten, professionelle Stylisten, ohne Choreografie oder einen für Suchmaschinen optimierten Künstlernamen auskam. Der Michael halt, wie er ein berührendes (und berühren wollendes) Lied über seinen Papa singt. Was man ihm, gerade weil er tief anfliegt statt hoch zu stapeln, irgendwie glauben will. Voilà, douze points!
Dem deutschen Selbstbild entspricht dieses Auftreten nur bedingt, was ebenfalls sympathisch und beinahe dissident wirkt. Zu keinem Zeitpunkt war Michael Schulte - Fanfare! - "unser Star für Lissabon", Ausrufezeichen. Stars werden eben nicht mehr notwendigerweise gemacht. Sie machen sich selbst - im basisdemokratischen Forum von Youtube, dem öffentlichen Probe- und Lebensraum einer neuen Generation von Künstlern.
Weshalb seine Erfolgsgeschichte nebenbei auch vom Bedeutungsverlust der üblichen medialen Mechanismen erzählt. Schulte reiste gewissermaßen privat nach Portugal. Schon der Vorentscheid ging diesmal komplett am Interesse der breiten Öffentlichkeit vorbei. Im Internet mag er Millionen von Klicks sammeln. Im Radio aber bekam "You Let Me Walk Alone" bisher kaum Airplay, obwohl es handwerklich und inhaltlich auf dem gleichen Niveau spielt wie die marktkonformen Innerlichkeitsballaden, vor denen doch sonst so gar kein Entkommen ist.
Michael Schulte hat nicht genervt. Und wenn Deutschland nicht nervt, tja, dann ist offensichtlich schon viel gewonnen.
Biederer Ratgeberpop
Die Beerdigung von Kitsch und Quatsch: Worum es beim ESC wirklich ging
Stern.de/neon. 13/05/2018 von Julia Friese
Der Eurovision Song Contest war seit der Einführung des Farbfernsehens bunt. 2018 ist er schwarz. Die jungen, ernsthaften Künstler - fast allesamt Casting-Show-Absolventen - beerdigen allen Kitsch und Quatsch, nur um am Ende von ihm heimgesucht zu werden.
Alles beginnt mit einem Sarg. Die Ukraine, der Gastgeber des Vorjahres, bricht in Form des Künstlers Mélovin aus dem Sarg aus, um untot auf einem brennenden Podest Klavier zu spielen. Es ist die Ouvertüre einer Beerdigung, nicht irgendeiner Beerdigung, sondern die des Kitsch und Quatsch. Salvador Sobral, der Vorjahresgewinner, hatte es sich so gewünscht. Musik ist nicht Feuerwerk, Musik ist Gefühl, hatte er noch in Kiew gesagt. Videoleinwände will er in Lissabon nicht sehen. Nehmt Musik verdammt noch mal ernst!
Die jungen Künstler folgen seiner Weisung. Elf von insgesamt 26 tragen sehr ernsthaftes schwarz. Fünf weitere Interpreten und Bands tragen schwarz-weiß, halb-schwarz oder eine Leoparden-Jacke über ansonsten ganz-schwarz. Schwarz! Das muss man sich mal vorstellen, was das bedeutet, was diese Riege der jungen, mehrfachen Casting-Show-Absolventen da mit dem ESC macht. Verdammt, der war doch immer die große Gala des Gimmicks. Guildo Horn trug hier Plateauschuhe, zur Halbglatze, Conchita Wurst Bart zum Ballkleid, und Verka Serduchka einen fünfzackigen Stern auf dem Kopf.
Accessoires, Bühnenshow - Oberfläche insgesamt war alles. 2006 traten Monster auf, die ein "Hard Rock Hallelujah" sangen, zu dem das Frontmonster seine Flügel spannte. 2008 sang ein Truthahn, Dustin the Turkey, auf einem fahrbaren DJ-Pult für Irland. Alles folgte dem Konzept: Die buntesten Interpreten zeigen die blassesten Durchschläge von dem, was in der Populärkultur gerade angesagt ist.
Und nun ist alles schwarz. So lackschwarz wie ein inaktiver Handybildschirm. Ausnahmen gibt es wenige. Etwa Estland, das seine Interpretin in ein meterhohes Kleid steckt, welches gleichzeitig als Videoleinwand fungiert. Oder Moldawien, die ihren wunderbar unhörbaren Beitrag als eine Art Mondrian-Theaterstück inszenieren. Am allermeisten gegen den Ernst gewehrt hat sich jedoch Israel. Seine Netta gewann, weil sie das Crazy in ESC ausschrieb. Sie gurrte wie eine Taube, und tanzte wie ein Huhn vor zwei goldenen Schränken mit japanischen Winkekatzen, die der Musik- und Kulturexperte Peter Urban treffsicher als "Bären" identifizierte.
Insgesamt war der ESC-Pop 2018 Ratgeber-Pop. "GuteFrage.net" hätte das inoffizielle Motto gewesen sein können. Wie lebt man ein gutes Leben? war dabei die Frage, die die jungen Künstler am liebsten beantwortet wissen wollten. Selbst Nettas Gewinnersong "Toy" hat eine Rat gebende Botschaft: Frauen sollen stark sein und sich nicht zum Spielzeug eines vermeintlich "dummen Mannes" machen lassen.
Wie mache ich es aber meiner Familie recht?, fragt sich SuRie für Großbritannien. "Hey mother, I'm making you proud. Could I do better?", sang sie. Ein Flitzer nahm ihr das Mikrofon weg.
Und die 23-jährige Cláudia Pascoal aus Portugal sang zu getragen Klaviertönen - ganz in Schwarz gekleidet - von dem Tod der Oma ihrer Duett-Partnerin. Singend versprachen sie, sie würde sich bessern, die Duett-Partnerin, um ein Leben ganz im Sinne der geliebten Großmutter zu führen. Die Sehnsucht nach Familie, sie ist 2018 das ganz große Ding. Zwei der auftretenden Acts sind Paare, eines ist sogar verheiratet. Und die 24-jährige Ieva Zasimauskaité aus Litauen träumt auf der Bühne sitzend davon mit ihrem Freund alt zu werden. Sie singt mit maximal brüchiger Stimme, brüchiger als Emilia einst "I'm a big, big girl in a big, big world" gesungen hatte, nur um dann im Grande Finale auf der Bühne Besuch von eben diesem Freund - natürlich ganz in Schwarz - zu bekommen, dem sie mit einstudiert erstickender Stimme in Liebe um den Hals fällt.
Liebe! Sie soll tiefer gehen als die Knochen, singen die schwarz gekleideten Equinox aus Bulgarien. Das Bühnenbild dazu sind weiße Rippen - Memento Mori! - die man aber auch, denn die Darbietung darf nicht zu sehr verstören, eigentlich darf sie gar nicht verstören, als harmlose, weiße Lamellen sehen kann, wenn man denn will. Jessica Mauboy singt für Australien folgenden Ratschlag: Nur für materielle Dinge zu kämpfen, das ist Zeitverschwendung. Konzentrieren wir uns doch auf was anderes: Liebe.
Michael Schulte sang sich mit "You Let Me Walk Alone" auf den vierten Platz, weil er mit seinem Song über die Liebe zu seinem Elternhaus eben genau diesen biederen Nerv traf. Sein Vater ist vor 13 Jahren gestorben, aber sein Zuhause war dennoch ein "Shelter from a storm", das sang er. Denn Zuhause ist Zuflucht. Europa gefiel das. Familie, Heimat, Biedermeier.
Auch die ungarische Metal-Core-Band AWS sang mit "Vislát nyár" ("Auf Wiedersehen, Sommer") einen Song über den Tod des Vaters. Im Interview sagte die Band, es gehe ihr darum, den Hörern die Angst vor dem Tod zu nehmen, damit sie im Wissen um Endlichkeit ein glücklicheres Leben führen können.
Auch zu ihrem Beruf sang die Abschlussklasse des Bieder-Pops Rat Gebendes. Lea Sirk aus Slowenien verkündete ganz in Schwarz: Was du auch machst, die Seele muss mit drin hängen. Von leeren Werbebotschaften solle man sich nicht in die Irre führen lassen. Alexander Rybak, der den ESC 2009 schon mal gewonnen hat, will Kohorten von ESC-Sängern und Sängerinnen nach ihm helfen. Er singt eine formularische Anleitung zum Songschreiben: "That's how you write a song". Dessen gehaltvollste Botschaft: Ihr müsst nur an euch glauben.
Dabei scheint genau das das Problem zu sein. Niemand glaubt hier eigentlich an sich. Alle glauben nur, sich beweisen zu müssen. In Wettbewerb um Wettbewerb. In Casting um Casting. Ständig im Kampf um die Zuschauergunst. Und damit man die bekommt, kopiert man eben wild Dinge, die alle mögen. Netta mag die japanische Kultur und Hühner, Eleni Foureira Shakira und Beyoncé. Sie stellte sie dar, staksig in einem Anzug aus Flammen. Dazu sang sie von dem, was ihr und der ganzen Veranstaltung fehlte: Feuer.
Michael Schulte hat es allen gezeigt
Süddeutsche.de. 13/05/2018 von Hans Hoff
Der Sänger aus Buxtehude galt als musikalisches Leichtgewicht. Er wird überraschend und verdient Vierter beim ESC 2018.
Der Bann ist gebrochen. Deutschland hat am Samstagabend beim Eurovision Song Contest (ESC) in Lissabon einen sensationellen vierten Platz erreicht. Das ist das beste Ergebnis, seit Lena 2010 in Oslo den Sieg nach Hannover holte. Nach zwei letzten und einem vorletzten Rang in den vergangenen Jahren hat Michael Schulte mit seinem Titel "You Let Me Walk Alone" die Popnation würdig vertreten, vielleicht sogar ein bisschen besser als sie wirklich ist.
Er landete knapp hinter dem österreichischen Beitrag "Nobody But You" von Cesár Sampson, der ebenso überraschend auf Position drei landete. Sieger wurde vor dem zweitplatzierten Song "Fuego" aus Zypern die Sängerin Netta, die mit ihrem Titel "Toy" dafür sorgte, dass der ESC im kommenden Jahr in Israel ausgetragen wird.
Damit hat sich das Konzept des für Deutschland in Sachen ESC federführenden NDR zum ersten Mal seit dem Abschied von Stefan Raab wieder bewährt. Die Organisatoren des nationalen Vorentscheids haben die Auswahl der Künstler und der Songs diesmal mit großem statistischem und kompositorischem Aufwand betrieben. Wie sicher sie gehen wollten, zeigt schon die Tatsache, dass im Komponistenfeld des Songs, den der in Buxtehude lebende Schulte seinem verstorbenen Vater gewidmet hat, vier Namen stehen.
Trotzdem dürften vor dem Finale die wenigsten auf eine derart großartige Platzierung getippt haben. Schulte wurde geschmäht als Ed Sheeran für Arme, viele Radios hielten sich sehr zurück mit dem Song. Schultes Bekanntheitsgrad in Deutschland blieb trotz vieler Bemühungen eher ausbaufähig. Manche hielten ihn für einen dieser vielen Youtube-Stars, die halt kurz mal nach oben gespült werden und dann aber schnell wieder verschwinden.
Nun hat es Schulte allen Zweiflern gezeigt. Das hing sicherlich von seinem Auftritt in der Altice Arena ab. Dort stand der 28-Jährige in dunkler Kleidung allein auf weiter Bühne vor 11 000 feierwütigen Menschen und wirkte zu Beginn seines Vortrags erst einmal ein wenig verloren. Aber dann packte er so viel Emotion in die Hommage an seinen Vater, dass es kurz vor Schluss schien, als werde er vor der Kulisse eingeblendeter Textfragmente und diverser Familienfotos gleich losweinen.
Das hatte nichts von Kitsch, sondern sprach von großem Ernst. Genau diese Ernsthaftigkeit hat sich offenbar in die meisten Länder vermittelt. Schon nach der Auszählung der Jury-Stimmen lag Schulte auf Rang vier und konnte diesen Platz auch nach der Verteilung der Zuschauervotings halten.
Das ist insofern bemerkenswert, als sich die Wertungen von Jurys und Publikum für andere Teilnehmer stark unterschieden. So rangierte Schweden mit auswechselbarem Pop nach der Jurywertung souverän auf dem zweiten Rang, wurde aber dank magerer Zuschauerstimmen auf Rang sieben durchgereicht. Österreich, dass die Jurys auf Rang eins gesetzt hatten, rutschte zwar auf Platz drei ab, lag am Ende aber noch zwei Punkte vor Deutschland, das stolze 340 Punkte verbuchen konnte.
Für die Fernsehzuschauer war es mit Sicherheit die seit langem spannendste Auszählung am Ende eines ESC-Finales. Sehr lange war nämlich nicht sicher, wer von den beiden Favoritinnen das Rennen machen würde: Die stark an Shakira erinnernde Eleni Foureira, eine nach Griechenland geflüchtete Albanierin, die mit dem Titel "Fuego" für Zypern ins Rennen ging. Oder die Beth Ditto nicht unähnliche Powerfrau Netta, die ein lautstarkes Plädoyer für die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensentwürfe hielt und gleichzeitig deutlich machte, dass sie sich nicht als Objekt missbrauchen lassen möchte.
"I'm not your toy, you stupid boy", sang sie und oszillierte dabei keck zwischen den Stilen, setzte hier ein paar Soundschleifen ein, dort ein bisschen HipHop und dazu einen Hauch von koreanischem Ententanz. Dass Netta am Ende die meisten Punkte sammelte, darf als erneuter Beleg gewertet werden, dass starke Symbolfiguren, Menschen, die aus der Reihe fallen, im ESC große Chancen haben. Conchita Wurst war so jemand. Und auch Salvador Sobral, der verhuschte Sieger des Vorjahres.
Der wiederum sorgte für einen bemerkenswerten Moment an diesem insgesamt eher lauten Abend, als er noch einmal seinen leisen Siegertitel "Amar pelos dois" anstimmte. Es war sein erster großer Auftritt nach seiner schweren Operation, in der er im Dezember ein neues Herz erhielt.
Schrille Momente und sehr viel Pyrotechnik
Das fiel naturgemäß aus dem Rahmen, der diesmal wieder von allerlei schrillen Momenten gesetzt wurde. Es gab ein riesiges Kleid, das als Projektionsfläche genutzt wurde, es gab die üblichen Verrenkungen, die zwischen sexy und ungelenk changierten.
Vor allem aber gab es massivsten Einsatz von Pyrotechnik. Immer wenn man annahm, nun könne kein Pyroeffekt mehr übrig sein, weil drei Minuten lang alles verfeuert wurde, was in drei Minuten möglich ist, schossen im nächsten Song garantiert noch mehr Feuer- und Glitterfontänen aus dem Boden. Mehr Feuer war lange nicht.
Beim Auftritt der Britin SuRie kam es zudem zu einem unangenehmen Moment, als ein Störer die Bühne enterte und der Sängerin das Mikrofon entriss, was allerdings wegen einer gerade geschalteten Totale die wenigsten Zuschauer mitbekommen haben dürften. In Blitzeseile war der Störer abgeräumt, und SuRie bekam ihr Mikro zurück. Offenbar fühlte sie sich durch die Aktion angespornt und sang mit doppelter Kraft weiter. Das anschließende Angebot der ESC-Ausrichter, ihren Auftritt am Schluss noch einmal zu wiederholen, lehnte sie indes ab. Sie sei sehr stolz auf ihren Auftritt gewesen und sehe absolut keinen Grund, ihn zu wiederholen, ließ sie mitteilen. Am Ende schaffte sie es trotzdem nur auf Rang 24.
Die rote Laterne, die in den vergangenen Jahren zu oft an Deutschland durchgereicht wurde, musste diesmal auf Rang 26 das Gastgeberland Portugal tragen, was beweist, dass beim ESC zwischen großem Erfolg und katastrophalem Abschneiden oft nicht mehr als zwölf Monate liegen.
Der 62. Eurovision Song Contest fand 2017 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew statt, die beiden Semifinale am 9. und 11. Mai und das Finale am 13. Mai 2017.
Damit war Kiew nach 2005 zum zweiten Mal die Gastgeberstadt des ESC. Nachdem der Sportpalast, in dem der ESC 2005 ausgetragen wurde, nicht mehr den technischen Anforderungen entspricht, fiel die Wahl auf das International Exhibition Centre des Messezentrums. Die Halle fasst etwa 11.000 Zuschauer. Auch das Pressezentrum wurde im Messezentrum untergebracht.
Sechs Städte (Kiew, Lviv, Odessa, Kherson, Kharkiv und Dnipro) hatten sich beworben, zuletzt standen nur noch die Hauptstadt Kiew und Odessa zur Wahl. Nachdem die Bekanntgabe der Gastgeberstadt mehrfach verschoben wurde, hat man am 9. September 2016 in einer Pressekonferenz des ukrainischen Ministerkabinetts die Entscheidung für Kiew bekannt gegeben, sie sei im Auswahlgremium 19 zu 2 Stimmen gefallen. Erstmals hatten sich zuvor die Bewerberstädte in einer Live-Sendung namens "Städtekampf" im ukrainischen TV per Live-Stream präsentiert. Vor Publikum gab es eine Diskussion zwischen offiziellen Vertretern des Organisationskommittees, Musikexperten und Fans.
Die Bekanntgabe der Enscheidung war mehrfach angekündigt und wieder verschoben worden. Die drei Städte der Endrunde mussten ihre Bewerbungsunterlagen auf Geheiß der EBU nachbessern. Der Executive Supervisor der EBU, Jon Ola Sand, fühlte sich bemüßigt, eine Videoerklärung abzugeben. Es wurde außerdem seitens der EBU darauf hingewiesen, dass die Entscheidung für Düsseldorf 2011 erst im November 2010 bekannt gegeben worden sei, die Entscheidung für Kopenhagen 2014 erst im September 2013.
Nach einem EBU-Meeting in Lausanne am 8. Dezember 2016 wurde dann endgültig beschlossen, dass der ESC 2017 in der ukrainischen Hauptstadt stattfinden solle. Zuvor hatte es mehrfach Stellungnahmen der EBU gegeben, dass die Vorbereitungen seitens des verantwortlichen Senders NTU ins Stocken geraten seien, auch sei die Finanzierung nicht endgültig geklärt. Gerüchte kamen auf, Russland werde in die Bresche springen. Zuvor war der NTU-Generaldirektor zurückgetreten. Dann hatte NTU Oleksandr Charebin und Viktoria Romanova als Executive Producer berufen. Ihnen zur Seite stand der sehr erfahrene Stuart Barlow als Show Producer.
Jon Ola Sand (EBU) äußerte sich nun zufrieden mit dem neu ernannten "Core Team" und sprach ihnen vollstes Vertrauen aus. Viktoria Romanova wird folgendermaßen zitiert: "Ich freue mich, bestätigen zu können, dass NTU ein ausreichendes Budget für die Ausrichtung des ESC in der Ukraine hat. Wir werden 15 Mio. Euro vom ukrainischen Staat und weitere 7 Mio. Euro von der Stadt Kiew bekommen. Wir haben mit den Vorbereitungen bereits begonnen."
Dann kam am 10. Februar 2017 der Paukenschlag: Das Organisationsteam des ESC 2017 trat vollständig zurück! Das betraf u.a. die gerade erst ins Amt berufenen Oleksandr Kharebin und Victoria Romanova sowie die kommerzielle Direktorin, den Eventmanager und den Sicherheitschef. Als Begründung wurden unüberwindbare Differenzen mit dem verantwortlichen TV-Sender angegeben. Im Detail heißt es in der Begründung: "Man hat uns nach der offiziellen Bekanntgabe des Zuschlags an Kiew zur Ausrichtung des ESC im Dezember Kompetenzen genommen, die wir an den neuen Leiter des Contests abgeben mussten. Dieser neue Leiter bekam die vollständige Kontrolle über alles, was mit dem ESC zu tun hat. Diese Ernennung und alle Aktionen, die damit zusammenhingen, haben die Vorbereitungen des ESC für ca. zwei Monate unterbrochen. Unsere Arbeit wurde vollständig blockiert. Wir bedauern sehr, mitteilen zu müssen, dass unser Team solch eine Vorgehensweise nicht akzeptieren kann und keine Möglichkeit einer Fortsetzung unserer Arbeit sieht."
Durch diese Vorgänge kam es natürlich zu erheblichen Verzögerungen im Zeitplan der Vorbereitungen. Zur Unterstützung des neuen Organisationsteams holte man schließlich Christer Björkman, den ESC-Produzent 2013 und 2016 und "Vater" des Melodifestivalen in Schweden mit ins Boot. "Ich bin begeistert, wieder dabei sein zu können, um am größten Musik-Event der Welt mitzuarbeiten. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit dem wunderbaren Team von UA:PBC und bin sicher, dass wir zusammen den besten Contest aller Zeiten produzieren werden!" Björkman war hauptsächlich für das Staging der 42 Acts verantwortlich.
Insgesamt 43 Länder hatten ursprünglich ihre Teilnahme zugesagt. Rumänien und Portugal kehrten nach einjähriger Abstinenz zurück, Bosnien & Herzegowina setzte aus wegen Umstrukturierung des TV-Senders. Die Türkei und die Slowakei nahmen wiederum nicht teil. Damit wären in Kiew genauso viele Länder antreten wie 2008 in Belgrad und 2011 in Düsseldorf, wenn Russland sich nicht kurzfristig vom Wettbewerb zurückgezogen hätte. Die Teilnahme Australiens schien nunmehr zu einer Dauereinrichtung zu werden.
Die Semifinalauslosung fand am 31. Januar 2017 statt. Es wurden - wie gewohnt - sechs "Töpfe" gebildet und die Länder nach geografischen Gesichtspunkten und bisherigem Wertungsverhalten zugeordnet. Die Moderatoren waren Nika Konstantinova und Timur Miroshnyshenko. Es wurde ausgelost, dass Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich im 1. Semifinale antraten, Deutschland (auf eigenen Wunsch), Frankreich und die Ukraine im 2. Semifinale. Die Schweiz und Israel wurden auf Wunsch dem 2. Semifinale zugeordnet.
Erstmals in der ESC-Geschichte gab es drei männliche Moderatoren: Oleksandr Skichko, Volodymyr Ostapchuk und Timur Miroshnychenko.
Oleksandr Skichko ist Moderator diverser ukrainischer TV-Shows. Seine Karriere begann als Semifinalist der ukrainischen „Supertalent“-Ausgabe, in der er mit Parodien antrat.
Volodymyr Ostapchuk ist Moderator u.a. im Frühstücksfernsehen sowie bei „Shopping Queen“. Außerdem ist er ein vielbeschäftigter Synchronsprecher.
Timur Miroshnychenko hat als ESC-Fan schon diverse ukrainische Vorentscheidungen moderiert sowie beide JESC in Kiew 2009 und 2013. Außerdem war er schon ukrainischer ESC-Kommentator.
Von den Produzenten und Jon Ola Sand (EBU) las man, man habe zwar nicht nach drei jungen Männern gesucht, aber die Drei hätten beim Casting überzeugt durch ihre Kombination von Humor, Improvisationstalent und Professionalität. Die Chemie zwischen ihnen stimme einfach.
Kurz vor der Insignienübergabe durch Eva-Louise Erlandsson Slorach, der Stadtratsvorsitzenden von Stockholm, der Gastgeberstadt 2016, an Vitali Klitschko, den Kiewer Bürgermeister, wurde das Motto des ESC bekannt geben. Es lautete "Celebrate Diversity" - "Feiert die Vielfalt". Jon Ola Sand meint dazu: "Die Idee, die Vielfalt zu feiern, baut auf dem letztjährigen Slogan "Come Together" auf und ist das Herzstück der Eurovisions-Werte: Es ist allumfassend und überall in Europa, und darüber hinaus, zusammen zu kommen, um unsere Gemeinsamkeiten und unsere Unterschiede zu feiern, und natürlich großartige Musik." Das Sublogo zu diesem Motto basiert auf der traditionellen ukrainischen Halskette Namysto. Dieser Halskette wird eine Schutzfunktion zugeschrieben und sie ist ein Symbol für Schönheit und Gesundheit. Sie besteht aus vielen verschiedenen Glasperlen, jede mit einem eigenen Design, und symbolisiert so die Vielfalt und Individualität.
Das Bühnenbild wurde wieder von Florian Wieder (ESC 2011, 2012, 2015) gestaltet, es wurde am 31.01.2017 vorgestellt.
Der EuroClub wurde im Ausstellungskomplex CEK Parkovy, eingerichtet. Der Rote Teppich sollte vor der berühmten St. Sophia-Kathedrale (UNESCO-Welterbe) stattfinden. Allerdings gab es Proteste aus orthodoxen Kirchenkreisen. Daher wurde der Rote Teppich dann vor den Mariinyski-Palast verlegt, wo 2005 der Willkommensempfang Open Air stattfand.
FAZIT
Portugal hat zum ersten Mal in der ESC-Geschichte den Sieg davongetragen mit dem Lied "Amar pelos dois", gesungen von Salvador Sobral, geschrieben von seiner Schwester Luísa, die mit ihm gemeinsam das Lied nach dem Sieg noch einmal gesungen hat. In einer ersten Reaktion meinte der Sieger: "Wir leben in einer der Welt der 'Fast-Food-Musik' ohne Inhalt. Aber Musik ist Gefühl, nicht Feuerwerk." Sein Sieg könne der Sieg für die Musik mit Bedeutung sein. Die bis dato beste Platzierung erreichte Portugal 1996: Lúcia Moniz mit dem Titel: "O meu coração não tem cor” (Platz sechs).
Der erstmalige Sieg Portugals war eine Riesenüberraschung. Wer hatte diese völlig aus dem Rahmen des englischsprachigen Überangebots fallende Ballade in Landessprache vorher auf der Rechnung gehabt? Bei den Buchmachern führte bis kurz vor dem Finale eindeutig Italien, aber nach der ersten Probe Portugals schnellte Salvador Sobral auf die Spitzenposition. Wer diese Probe erlebt hatte, dem war eigentlich klar, dass der portugiesische Beitrag ganz oben mitspielen würde. Dieses Lied mit diesem Sänger hat verdient gewonnen, da waren sich Jurys und Televoter einig.Die weiteren Proben absolvierte seine Schwester Luísa, da er gesundheitlich dazu nicht in der Lage war. Es gab widersprüchliche Berichte über seine gesundheitliche Verfassung, das ging von einer Erholungsphase nach Leistenbruchoperation bis zur Suche nach einem Spenderherz, was sich ja dann letztlich auch bestätigte: Salvador Sobral bekam nachdem ESC ein neues Herz.
Der im Vorfeld als fast sicherer Sieger gewettete Italiener Francesco Gabbani landete auf einem für viele sicher enttäuschenden sechsten Platz mit seinem Titel "Occidentali's Karma". Gabbani war auch nationaler und internationaler Fanfavorit.
Bulgarien toppte mit Kristian Kostov und "Beautiful Mess" das Ergebnis von Poli Genova ein Jahr zuvor (Platz vier) und fuhr mit dem zweiten Platz das bisher beste Ergebnis für Bulgarien ein. Das bereits aus Düsseldorf 2011 bekannte "Sunstroke Project" aus Moldau wurde mit einer witzigen Hochzeitsnummer Dritter! Und eine eigentlich relativ "farblose" Blanche konnte durch eine entsprechende Inszenierung und ein aus dem Rahmen fallendes Lied "CIty Lights" für Belgien Platz vier ersingen.
Ebenfalls sehr farblos, nämlich "Grau in Grau", kam die deutsche Vertreterin Levina daher: Sie bekam für "Perfect Life" sechs magere Punkte (drei von der irischen Jury und drei des Schweizer Televotings) und wurde lediglich Vorletzte mit einem Punkt Vorsprung vor Schlusslicht Spanien.
Ganz anders da die Rumänen, Ilinca feat. Alex Florea jodelten sich auf Platz sieben! Und der Kroate Jacques Houdek trat gleich doppelt an und sang im Duett mit sich selbst in verschiedenen Stimmlagen "My Friend". Das reichte für Platz 13. Nicht gereicht hat es für Tamara Gachechiladze aus Georgien, sie scheiterte mit ihrer Powerballade "Keep The Faith" knapp auf Platz 11 im Semifinale, aber als Trost lernte sie in Kiew ihren Mann fürs Leben kennen, den Produzenten von Kristian Kostov, Boris Milanow!
Slavko Kalezić konnte für Montenegro noch so sehr mit seinem künstlichen Zopf herumwedeln, er blieb im Semifinale auf Platz 16 stecken, einen Platz vor Omar Naber aus Slowenien, der es nach 2005 zum zweiten Mal versuchte. Ebenfalls erfolglos blieb der erste Anlauf von Claudia Faniello, der Schwester des zweimaligen Vertreters Fabrizio Faniello, die es unzählige Male in der maltesischen Vorentscheidung versucht und es endlich geschafft hatte, zum ESC zu fahren, aber hier erstaunlicherweise nicht über einen 16. Platz hinauskam: Sie bekam keinen einzigen Punkt vom Televoting!
Für die Schweiz schafften es Timebelle trotz oder wegen einer bonbonfarbenen Inszenierung nur auf Platz 12 im Semifinale, und ganz arg erwischte es die Vertreter Estlands, die bei den Fans auch ganz hoch im Kurs gestanden hatten: Koit Toome und Laura (für beide jeweils der zweite Anlauf beim ESC) waren "Lost In Verona" im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich auf Platz 14 im Semifinale, dessen Schlusslicht Valentina Monetta bei ihrem dritten Versuch für San Marino, dieses Mal im Duett mit Jimmie Wilson, bildete.
Der Contest selbst wurde im Großen und Ganzen nach den Schwierigkeiten im Vorfeld doch ganz gut organisiert. Die Moderation der drei Herren war insgesamt unspektakulär, ein Einspieler mit Måns Zelrmerlöw, dem grandiosen Moderator 2016, offenbarte jedoch zu deutlich, dass zwischen ihm und der Moderation der drei Ukrainer Welten lagen.
DIE TEILNEHMENDEN - FINALE
1.Israel
IMRI
"I Feel Alive"
Punkte: 39 Platz: 23
M. & T.: Dolev Ram, Penn Hazut
2. Polen
Kasia Moś
"Flashlight"
Punkte: 64 Platz: 22
M. & T.: Kasia Moś, Rickard Bonde Truumeel, Pete Barringer (DWB)
3.
Belarus
Naviband
"Story of My Life"
Punkte: 83 Platz: 17
M. & T.: Artem Lukyanenka
4. Österreich
Nathan Trent
"Running On Air"
Punkte: 93 Platz: 16
M. & T.: Nathan Trent, Bernhard Penzias
5. Armenien
Artsvik
"Fly With Me"
Punkte: 79 Platz: 18
M.: Lilith Navasardyan, Levon Navasardyan T.: Arvet Barseghyan, David Tserunyan
6,
Niederlande
O'G3NE
"Lights And Shadows"
Punkte: 150 Platz: 11
M.: Rick Vol, Rory de Kievit T.: Rick Vol
7. Moldau
SunStroke Project
"Hey Mama"
Punkte: 374 Platz: 3
M.: Anton Ragoza, Serghei Stepanov, Serghei Ialovitki, Mihail Cebotarenco T.: Alina Galetcaia
8. Ungarn
Jóci Pápai
"Origo"
Punkte: 200 Platz: 8
M. & T.: Jószef Pápai
9. Italien
Francesco Gabbani
"Occidentali's Karma"
Punkte: 334 Platz: 6
M. & T.: Francesco Gabbani, Fabio Ilacqua, Luca Chiaravalli
10. Dänemark
Anja
"Where I Am"
Punkte: 77 Platz: 20
M. & T.: Anja Nissen, Michael D'Arcy,
Angel Tupai
11. Portugal
Salvador Sobral
"Amor pelos dois"
Punkte: 758 Platz: 1
M. & T.: Luísa Sobral
12. Aserbaidschan
Dihaj
"Skeletons"
Punkte: 120 Platz: 14
M.: Isa Melikov T.: Sandra Bjurman
13. Kroatien
Jacques Houdek
"My Friend"
Punkte: 128 Platz: 13
M.: Jacquies Houdek, Siniša Reljić, Tony Malm T.: J. Houdek, Ines Prajo, Arijana Kunštek, Fabrizio Laucella
14. Australien
Isaiah
"Don't Come Easy"
Punkte: 173 Platz: 9
M & T.: David Musumeci, Anthony Egizil, Michael Angelo
15.Griechenland
Demy
"This Is Love"
Punkte: 77 Platz: 19
M.: Dimitris Kontopoulos T.: Romy Papadea, John Ballard
16. Spanien
Manel Navarro
"Do It For Your Lover"
Punkte: 5 Platz: 26
M. & T.: Jonas Thander, Beatrice Robertsson
17. Norwegen
JOWST
"Grab The Moment"
Punkte: 158 Platz: 10
M.: Joacim With Steen T.: Jonas McDonnell
18. Ver. Königreich
Lucie Jones
"Never Give Up On You"
Punkte: 111 Platz: 15
M. & T.:
Emmelie de Forest, Daniel Salcedo, Lawrie Martin
19. Zypern
Hovig
"Gravity"
Punkte: 68 Platz: 21
M. & T.: Thomas G:son
20. Rumänien
Ilinca feat. Alex Florea
"Yodel It!"
Punkte: 282 Platz: 7
M.: Mihai Alexandru T.: Alexa Niculae
21. Deutschland
Levina
"Perfect Life"
Punkte: 6 Platz: 26
M. & T.: Lindy Robbins, Dave Bassett, Lindsey Ray
22. Ukraine
O.Torvald
"Time"
Punkte: 36 Platz: 24
M.: Zhenia Galych, Denys Miziuk T.: Yevhen Kamenchuk
23. Belgien
Blanche
"City Lights"
Punkte: 363 Platz: 4
M.: Pierre Dumoulin, Emmanuel Delcourt T.: Pierre Dumoulin, Ellie Delvaux (Blanche)
24. Schweden
Robin Bengtsson
"I Can't Go On"
Punkte: 344 Platz: 5
M. & T.: David Kreuger, Hamed "K-One", Pirouzpanah, Robin Stjernnberg
25. Bulgarien
Kristian Kostov
"Beautiful Mess"
Punkte: 615 Platz: 2
M. & T.: Boris Milanov, Sebastian Arman, Joacim Persson, Alexander V. Blay, Alex Omar
26 Frankreich
Alma
"Requiem"
Punkte: 135 Platz: 12
M.: Nazim Khaled T.: Nazim Khaled, Alexandra Maquet
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE 1
1.Schweden
Robin Bengtsson
"I Can't Go On"
Punkte: 227 Platz: 3
M. & T.: David Kreuger, Hamed "K-One", Pirouzpanah, Robin Stjernberg
2. Georgien
Tamara Gachechiladze
"Keep The Faith"
Punkte: 99 Platz: 11
M.: Anri Jokhadze T.: Tamara Gachechiladze
3.
Australien
Isaiah
"Don't Come Easy"
Punkte: 160 Platz: 6
M & T.: David Musumeci, Anthony Egizil, Michael Angelo
4. Albanien
Lindita
"World"
Punkte: 76 Platz: 14
M.: Klodian Qafoku T.: Lindita, Big Basta
5. Belgien
Blanche
"City Lights"
Punkte: 165 Platz: 4
M.: Pierre Dumoulin, Emmanuel Delcourt T.: Pierre Dumoulin, Ellie Delvaux (Blanche)
Am Ende, als Salvador Sobral das gläserne Mikrofon, die Siegestrophäe des Eurovision Song Contest, in der Hand hielt, nutzte er die Aufmerksamkeit und hielt eine kleine Rede: Wir lebten in einer Welt der "Fast-Food-Musik" ohne Inhalt. Doch Musik sei "feeling, not fireworks" - es komme auf die Gefühle an, nicht aufs Feuerwerk. Dieser Sieg - sein Sieg - könne der Sieg von Musik mit Bedeutung sein.
Große Worte eines Sängers, der mit einfachsten Mitteln die Herzen Europas eroberte: Ganz allein stand er auf der sogenannten Satellitenbühne, mitten im Publikum der Messehalle in Kiew, in der der Eurovision Song Contest ausgetragen wurde. Im Hintergrund, auf dem LED-Monitor, war das Bild einer Waldlichtung zu sehen. Nichts flackerte, niemand tanzte. Und dann sang Salvador.
Tastend, als würden ihm die Sätze gerade zufallen, performte er seine Ballade "Amar Pelos Dois". Mit den Händen ahmte er die Begleitung von Piano und Geigen nach, schien mittendrin in seiner Musik zu sein, weit weg von den Erwartungen der Millionen Fernsehzuschauer. Die sich genau davon verzücken ließen.
Ein Sieg im Geschwisterteam
785 Punkte sammelte der Song am Ende, sowohl bei den Fachjurys aus den 42 Teilnehmerländern als auch bei den Fernsehzuschauern lag Sobral vorne mit dem Lied, das seine Schwester Luisa ihm geschrieben hatte. "Wenn dein Herz nicht fühlen will, nicht leiden will, ohne Pläne für die Zukunft zu machen", heißt es darin sinngemäß, "dann kann mein Herz für uns beide lieben".
Die große Schwester, Luisa Sobral, war bisher die Erfolgreichere der beiden im Musikgeschäft gewesen. Salvador Sobral hatte als 20-Jähriger an der portugiesischen Version von "Deutschland sucht den Superstar" teilgenommen, was ihm aber als Negativerfahrung im Gedächtnis blieb. "Das Ziel dieser Programme ist es, Menschen zu unterhalten. Musik ist nicht wichtig." Daher die Fast-Food-Musik als Feindbild?
Als Psychologiestudent trat Salvador auf Mallorca in Bars auf, studierte in Barcelona Jazz. Zudem schränkt ihn eine Herzerkrankung ein, über die er ungern öffentlich spricht. Bei Wettbewerben im Fernsehen wollte er nie wieder auftreten. Bis seine Schwester "Amar Pelos Dois" für ihn schrieb.
In den ersten Probetagen vertrat sie ihn auch in Kiew - dass die Geschwister den Song im Siegerdurchlauf zum Ende der Show im Duett sangen, war mehr als nur eine kleine Geste: Es war das Zeichen, dass dieser Sieg nur im Geschwisterteam gelingen konnte.
Salvador Sobral, der Bewunderer Chet Bakers, dessen Song in den Traditionen des Great American Songbooks und der populären Musik Brasiliens steht, war mit seinem leisen Auftritt beim Eurovision Song Contest der maximale Gegensatz zum lauten Spektakel der Trickkleider (wo waren die dieses Jahr eigentlich?), der Konfettikanonen, des Feuerwerks der Inszenierung also.
Er war aber auch der maximale Gegensatz zu den schwedischen Songwriterfabriken, die ihre Kompositionen durch halb Europa schicken. Es waren die Persönlichkeit und der persönliche Song, die bei Salvador Sobral überzeugten. Es war die Kunst.
Ist daraus eine allgemeingültige Strategie für ESC-Siege zu basteln? Die Risiken erlebte Deutschland 2015 nach der Wahl von Andreas Kümmert, der als ähnlicher Solitär zum ESC gereist wäre - wenn er sich nicht geweigert hätte. Zum Glück für Europa war Salvador Sobral in Kiew, zum Glück durften wir ihn singen hören. Und vielleicht gewinnt in Lissabon 2018 ein Song mit ganz viel Feuerwerk.
Ja! Deutschland ist nicht Letzter!
Süddeutsche.de, 14.05.2017, von Hans Hoff
Ja! Es hat geklappt! Deutschland hat den Misserfolg der beiden Vorjahre, als der heimische Beitrag beim Eurovision Song Contest (ESC) Letzter wurde, nicht fortgesetzt, hat den Minus-Hattrick vermieden. Leider nur sehr knapp, denn Levina, die mit dem Song "Perfect Life" angetreten war, wurde zwar nicht Letzte, dafür aber Vorletzte. Vorletzte von 26. Nur Spanien hat schlechter abgeschnitten.
Trotz der leichten Verbesserung ist es ein Debakel für die deutsche Delegation, die in unendlicher Arroganz mal wieder alles falsch gemacht hat, was man falsch machen konnte. Die deutschen Verantwortlichen wollen einfach nichts lernen aus ihren Fehlern. Sie haben kein Gefühl für den Wettbewerb, und große Show machen können sie schon gar nicht.
Musik ist beim Eurovision angekommen
Dieses kollektive Organversagen der deutschen Delegation wiegt umso schwerer, da der ESC in diesem Jahr einen Triumph sondergleichen feiern kann, denn mit dem Sieg des portugiesischen Sängers Salvador Sobral hat sich ein Interpret durchgesetzt, der nichts zu tun hat mit dem Ruf des ESC, sich vor allem um die Showeffekte und nicht um die Musik zu kümmern.
"Dies ist ein Sieg für die Musik, für Musik, die etwas bedeutet", sagte Sobral, als er zum Sieger gekürt wurde, und selten waren Worte wahrer. Es ging nicht um Glitter, nicht um Glimmer, nicht um protzige Lichteffekte, wirbelnde Kameras und halbnackte Tänzer. All das hat Sobral vermieden.
Als er seinen Song "Amor pelos dois" sang, verzichtete er auf alles, was bisher den Markenkern des ESC auszumachen schien. In einem viel zu großen Jackett stand er allein am Mikrofon und hauchte sein Lied, verdrehte dabei komisch die Augen, machte seltsame Verrenkungen, ruhte ganz in sich.
Er schaffte damit eine Intensität, die man in diesem Wettbewerb sehr lange vermisst hat. Und weil er so glaubhaft in seiner Abkopplung von den Showgesetzen wirkte, berührte er sehr offensichtlich die Zuschauer und die Jurys. Sie spürten, dass es beim ESC auch um etwas gehen kann.
Mehr leise Interpreten
Das fällt besonders auf, weil der ESC in diesem Jahr ein sehr weites Spektrum bot. Er hatte die krachige Rockband im Angebot, aber auch die alberne Jodlerin, den Gorilladarsteller und halbnackte Männer, die sich in winzigen Swimmingpools räkelten.
Dabei fiel erst gar nicht auf, dass Sobral mit seiner Besinnung auf das Zarte, auf das Natürliche gar nicht mal so allein auf weiter Flur stand. Auch der zweitplatzierte Beitrag aus Bulgarien war einer, der auf die Kraft des jungen Interpreten setzte.
Kristian Kostov war seinem portugiesischen Kollegen sehr lange dicht auf den Fersen, und auch er wäre ein würdiger Gewinner gewesen. Auch der belgische Beitrag, der sich erst zum Ende der Abstimmung weit nach vorne schob, war ein leiser und einer, bei dem man am liebsten auf die Bühne gesprungen wäre, um die Interpretin in den Arm zu nehmen.
Fehler des deutschen Teams
Da wiegt es natürlich schwer, wenn der deutsche Beitrag wieder ganz hinten landet. Verwundern darf das indes nicht, denn zu der an Fehlern reichen Geschichte der deutschen ESC-Teilnahme nach dem Abschied von Stefan Raab wurden problemlos ein paar neue Kapitel hinzugefügt.
Das begann schon beim nationalen Vorentscheid im Februar. Da ließen sie der durchaus talentierten Levina nur die Wahl zwischen zwei sehr mittelmäßigen Songs. Mit dem etwas weniger mittelmäßigen ist sie dann in Kiew hoffnungslos gestrandet, weil man ihr dazu eine Bühneninszenierung verpasste, die man vielleicht im verantwortlichen NDR für modern hält, die aber nichts als eisige Kühle ausstrahlte.
Kein bisschen durfte sich Levina bewegen. Sie stand da und lächelte und sang und wirkte doch wie eine unter mehreren Eisschichten gefangene Prinzessin, der nicht mehr zu helfen ist. Wie das zum Lied vom perfekten Leben passen soll, wissen wohl nur jene, die das künstlerisch abgesegnet haben.
Man weiß, dass personelle Veränderungen in deutschen Sendern selten sind. Aber wenn es nicht nach diesem erneuten Debakel an der Zeit ist, über Rücktritte nachzudenken, dann fragt man sich, wann denn wohl jemals Zeit dafür sein sollte.
Levina und ihr tonloses Lachgesicht. Das reicht nicht!
Welt.online.de, 14.05.2017, von Julia Friese
Der Eurovision Song Contest, das Weltfinale aller „X Factor“- und „The Voice“-Shows, endete in diesem Jahr mit einem Sieg für Portugal und dem vorletzten Platz für Deutschland. Warum es so kommen musste.
Salvador Sobral ist durch den Bühneneingang gegangen, hat gegrüßt, kurz, dann hat er sich hingesetzt, neben Luísa Sobral, und dann, irgendwann, er war Startnummer elf, ist er wieder aufgestanden, hat sich hinter dieses Mikrofon gestellt und „Amar Pelos Dois“ gesungen, ein Lied, dass die, die neben ihm saß, seine Schwester, für ihn geschrieben hatte.
Wann immer er sang, war es im Pressezentrum in Kiew, da wo Hunderte Journalisten sitzen, schwitzen und Kulturfußball spielen, also mit Länderflaggen behangen, grölen, jubeln und Selfies schießen, plötzlich still.
Und wenn es mal nicht still war, dann zischte es aus den Ecken, bis es still war, und dann war Sobral. Den wollte man noch mal hören, nach all den Proben und Halbfinals und Halbfinalsproben, auch dieses gefühlte 17. Mal noch.
Levina lächelt, wie man lächeln muss
Levina ist in die Show gegangen, wie sie dachte, wie man in eine Show zu gehen hat. Wann immer einen die Kamera einfängt, dann muss man lachen, das hat sie sehr häufig so gesehen, das macht man so, also machte sie es auch – den Mund weit auf.
Einen Ton braucht man dabei nicht zu machen, denn man lacht ja nicht wirklich, also, das wäre ja fast peinlich, worüber soll man in dem Moment denn lachen, nein, man macht nur ein lachendes Gesicht.
Wann immer die Kamera dann ganz besonders lange auf einem liegt, muss man winken, und das in etwa so, als sei man plötzlich in einer amerikanischen TV-Serie und stünde in dieser TV-Serie an einer amerikanischen TV-Serien-Supermarktkasse, an deren Nachbarkasse man wiederum eine häufig wiederkehrende Nebenfigur dieser TV-Serie erspähen würde.
Wink, wink, tonloses Lachgesicht. So ein Hallo! Ja, schön, dass du hier bist. Ich liebe euch alle. Kuss und Gruß! Keine Frage, Levina hat sich gut reinverkleidet, ja, in gewisser Weise war sie perfekt.
Sobral, er war er selbst
Salvador Sobral war die meiste Zeit gelangweilt. Wer kann es ihm verdenken, er wird die Darbietungen seiner Kontrahenten zuvor circa 34-mal innerhalb einer Woche gesehen haben. Sobral wird es sich nicht eingestehen wollen, aber er wird die vergangenen Tage des Nachts im Bett gelegen und das rumänische „Yodel It!“ ins Kissen geseufzt haben, nur um morgens beim Frühstück das schwedische „I can’t go on“ zu singen, und wenigstens das wird er genau so gemeint haben. Sobral, er war er selbst.
Am Ende des Abend bekam „er selbst“ von Zuschauern und Jury 758 Punkte und Levina sechs. Warum? Als Sobral gewann, erklärte er seinen Sieg so: „Musik ist kein Feuerwerk, Musik ist Gefühl. Musik muss wieder echt werden!“
Dafür bekam er dann sehr viel Applaus, das Publikum konnte nicht anders, denn er hatte ja gerade eben gewonnen. Quatsch war seine Erklärung aber natürlich trotzdem.
Musik gibt es in allen Facetten, und wenn der Eurovision Song Contest über die Jahre eins bewiesen hat, dann, dass auch so ziemlich jede Facette gewinnen kann. (Erinnern Sie sich noch an Lordi? „Hard Rock Hallelujah“?)
Der Contest wird nur meistens von dem Beitrag gewonnen, der anders ist, als alle anderen, der neu ist, etwas Eigenes hat. Entweder ein Lied oder einen Künstler, über den man spricht, oder eben einer, bei dem man ausnahmsweise mal still ist.
Nur Rumäniens Beitrag fiel aus dem Rahmen
Dieses Jahr waren alle Darbietungen ungewöhnlich lahm und zahm. Es gab, abgesehen von Rumäniens Jodelpop, und ein paar Backgroundtänzerinnen, die für die Republik Moldau in Blumensträuße sangen, so gut wie nichts, was man nicht schon hundert Mal gesehen oder gehört hätte. Niemand hat sich was getraut.
Die meisten Outfits waren weiß. Windmaschinen pusteten gegen eskapistische Bühnenvehikel – ein Heißluftballon, ein Propellerboot, ein Halbmond – an. Und die zeitlosen Love-, Freedom-, Pathos-, -Powerballaden brannten mit der Pyro um die Wette.
Dazu gab es – auch im wenig LGBT-freundlichen Kiew – den üblichen Schuss Gay-Disco, aber das Neue, das Charismatische, das fehlte. Und dann kam Sobral. Er fiel auf, weil er anders war, nicht nur seine Darbietung, sondern auch seine Haltung.
Projekt Levina – warum es nicht funktionierte
Das Projekt Levina hingegen wirkte – wie auch die Jamie-Lee-Ann-Sophie-Projekte der vergangenen Jahre – wie an einem Schreibtisch zusammengebaut, der mit einer abwaschbare Schreibtischunterlage belegt ist, unter dessen halbmilchiger Folie eine Notiz von 2010 liegt, auf der steht: „Junge Frau mit englischsprachigem Lied funktioniert.“
Levina, das ist eine Frau, die in London Musikmanagement studiert, die zufällig auch noch singen kann, und sich für diesen Abend mit der gleichen Attitüde in Jamie-Lee-Ann-Sophie reinverkleidet hat, mit der andere Frauen sich als Braut oder Galabesucherin verkleiden. „Heute mal ein Kleid!“
Lena hat sich 2010 nicht verkleidet. Im Gegenteil, sie hat ein leeres Lied mit ihrem Charakter ausgekleidet. Zugegeben „Perfect Life“, ein Lied, das klingt, als sei es beim privaten Telefonieren über dem Bürosprüchekalender in der Kaffeeküche entstanden, mit Charakter zu füllen, ist eine Aufgabe, die selbst einer Amy Winehouse schwergefallen wäre.
Der 61. Eurovision Song Contest fand am 14. Mai 2016 (Semifinale am 10. und 12. Mai) im Stockholmer Globen statt. Der verantwortliche Sender SVT hatte Bewerbungen schwedischer Städte entgegengenommen. Stockholm hatte sich mit drei Hallen (der Friends Arena, der Tele 2 Arena und dem Ericsson Globen) beworben, Sandviken mit der Göransson Arena, Göteborg mit dem Scandinavium, Linköping mit der SAAB Arena und Örnsköldsvik mit dem Fjällräven Center. Malmö hatte seine Bewerbung schon frühzeitig zurückgezogen, da die Halle ausgebucht sei.
Die endgültige Entscheidung für Stockholm und den Globen-Komplex wurde von SVT am 08.07.2015 bekannt gegeben. Dieser Komplex beinhaltet den Globen (ESC 2000) mit 14.000 bis 16.000 Plätzen je nach Aufteilung sowie die die Tele 2 Arena und "Annexet" und "Hovet". Im Hovet wurde das Pressezentrum untergebracht, Annexet blieb den Delegationen vorbehalten.
43 Länder nahmen teil, wieder dabei waren Bosnien & Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Tschechien und die Ukraine, nicht dabei waren Portugal, die Slowakei und die Türkei.
Am 25.01.2016 fand die Auslosung der in den Semifinals teilnehmenden Länder auf die erste oder zweite Hälfte des ersten oder zweiten Semifinals statt. Die Moderatoren Alexandra Pascalidou und Jovan Radomir nahmen die Auslosung vor. Dazu wurden zuvor wie üblich mehrere "Töpfe" gebildet, in die die teilnehmenden Länder je nach geografischer Lage und früherem Wertungsverhalten verteilt wurden.
Israel wurde auf Wunsch direkt dem zweiten Semifinale zugeordnet, um eine Kollision mit dem Nationalfeiertag am ersten Semifinaltag zu vermeiden. Die übrigen Länder wurden auf die jeweiligen Hälften der Semifinals ausgelost. Die endgültige Startreihenfolge wurde später von den Produzenten der Show des SVT in Abstimmung mit der EBU festgelegt.
Australien wurde erneut die Teilnahme ermöglicht, allerdings musste der australische Act im Semifinale antreten.
Die BIG-5 Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich sowie das Sieger- und Austragungsland Schweden waren bereits für das Finale gesetzt. Australien durfte nach der Premiere 2015 erneut teilnehmen, musste aber im Gegensatz zum letzten Jahr in einem Semifinale antreten. Bei der Auslosung wurde zudem bestimmt, welche Länder der BIG-5 welches Semifinale übertragen mussten und dort abstimmen durften. Deutschland wurde auf Wunsch der ARD für das zweite Semifinale gesetzt, Schweden auf Wunsch von SVT auf das erste Semifinale: Semifinale 1: Frankreich, Schweden, Spanien - Semifinale 2: Deutschland, Italien, Vereinigtes Königreich.
Das Wertungssystem wurde erstmals seit 1975 einer grundlegenden Änderung unterzogen. Bisher wurden die Wertungen der nationalen Jurys und des nationalen Televotings rechnerisch kombiniert und es wurde eine gemeinsame Wertung der TOP 10 verkündet. Das hatte oft zur Folge, dass bereits weit vor der Bekanntgabe der letzten Länderwertung der Sieger feststand. Es war nun beim ESC in Stockholm erstmals so, dass sowohl das Resultat des Juryvotings als auch das Televoting pro Land in die Punkte 1,2,3,4,5,6,7,8,10,12 umgesetzt wurde.
Die Moderatoren waren Petra Mede (ESC 2013) und der ESC-Sieger 2015 Måns Zelmerlöw.
Petra Mede ist die erste Frau seit 1974 (Katie Boyle), die den ESC mehr als einmal moderiert hat. Ihren Durchbruch im schwedischen Fernsehen hatte sie mit der Moderation des Melodifestivalen 2009. Nach ihrer viel gelobten Solo-Moderation des ESC 2013 moderierte sie gemeinsam mit Graham Norton auch die Jubiläumsshow in London.
Måns Zelmerlöw hatte seinen Durchbruch als Popsänger bei der schwedischen Vorentscheidung 2007, wo er mit "Cara mia" Dritter wurde. 2009 belegte er mit "Hope & Glory" den vierten Platz und 2010 moderierte er das Melodifestivalen. Seit 2007 hat er zahlreiche Alben veröffentlicht und in Musicals mitgespielt. Drei Jahre lang moderierte er auch die die beliebte schwedische TV-Gesangssendung "Allsång på Skansen" im Stockholmer Freilichtmuseum. Bisheriger Karrierehöhepunkt vor der Sieg beim ESC 2015 mit "Heroes".
Zelmerlöw sagte dazu: "Ich bin so unglaublich glücklich, noch einmal beim Eurovision Song Contest dabei sein zu dürfen und das gemeinsam mit Petra Mede, die ich für eine herausragende Moderatorin und einen äußerst reizenden Menschen halte". Und Petra Mede lobte Zelmerlöw als extrem professionell, sie mache sich also mehr Sorgen um sich selbst und was sie anziehen solle. "Es ist, als wenn ich zum ersten Mal Achterbahn gefahren wäre, und dann sagt mir jemand, ich könne das jetzt gemeinsam mit einem tollen Jungen noch einmal machen!"
Das Motto lautete: COME TOGETHER.
Die Botschaft der Einheit sei einer der Gründe für dieses Motto, so Österdahl. "Wir glauben, dass die Idee der Einheit heute genauso wichtig ist wie in den 1950er Jahren, als der Eurovision Song Contest begann. Beim ESC geht es nie um Grenzen, Politik oder Ideologien. Es geht darum, alle Grenzen zu überwinden, die uns Menschen voneinander trennen!" Symbolisiert wurde diese Botschaft durch eine Pusteblume als Zeichen der Widerstandfähigkeit und Belastbarkeit, aber auch der Kraft zur Erneuerung, denn wenn der Samen des Löwenzahns fortfliege, erschaffe er neues Leben, wo er niederfalle.
Das Bühnendesign für den ESC 2016 stammte von Frida Arvidsson und Viktor Brattström, die auch die Bühne 2013 in Malmö entworfen haben. Ihr Bestreben sei es gewesen, durch Licht eine besondere Tiefe zu erzeugen. Es gab eine innovative LED-Wand, in die die Interpreten "hineingehen" konnten. Im Gegensatz zum sehr reduzierten Bühnenbild 2013 wollte man dieses Mal mit dem Raum spielen und optische Illusionen erzeugen.
Die sog. Postcards, die Filme, die den jeweils nächsten Act ankündigen, wurden im Heimatland des entsprechenden Interpreten gedreht und zeigten sowohl sein persönliches Leben als auch Impressionen des Landes. Dabei spielte die Pusteblume des Logos eine Rolle.
FAZIT
Durch das neue Wertungssystem und die Präsentation wurde deutlich, wie unterschiedlich die Beurteilungen der einzelnen Lieder waren. So kämpften Australien, Russland und die Ukraine um den Sieg. Australien gewann das Juryvoting, Russland das Televoting, aber Siegerin wurde als lachende Dritte Jamala aus der Ukraine.
Über den Sieg der Ukraine kann man geteilter Meinung sein: Ist der Siegertitel „1944“ politisch oder nicht, und hat die Ukraine damit berechtigt gewonnen? In der Presse sah man das durchaus unterschiedlich, und auch in Fankreisen gab es hierzu kontroverse Ansichten. Dass die Ukraine sich im letzten Moment der Wertung an den beiden Favoriten Australien und Russland vorbei nach oben geschoben hat, war durch das neue Wertungssystem an Spannung kaum zu überbieten. Insofern war die Änderung des Votings und dessen Präsentation eine durchaus positive Neuerung.
Es gab wieder einen Skandal um die Jurys: Dieses Mal betraf es ein Mitglied der russischen Jury, das eine Szene der russischen Jurywertung verbotenerweise mit dem Smartphone gefilmt und ins Netz gestellt hatte. Wenn man diesen Clip gesehen hat, lässt es erneut an der Berechtigung der Jurys zweifeln, wird man doch völlig desillusioniert ob solchen demonstrativ zur Schau gestellten Desinteresses.
Während Russlands Superstar Sergey Lazarev und sein "Dream Team" um Philip Kirkorov und Dimitris Kontopoulos alles an Videotechnik aufgeboten hatten, was man sich vorstellen konnte und die hohe Bewertung durch das Televoting wohl auch dieser technisch beeindruckenden Inszenierung von "You Are The Only One" geschuldet war, überzeugte die Australierin Dami Im durch ihre Stimmgewalt.
Bulgarien erreichte im zweiten Versuch mit Poli Genova nach 2011 dieses Mal das Finale und sogar einen großartigen vierten Platz, bis dato die beste Platzierung für das Land. Die Zweitplatzierte von 2002, Ira Losco, versuchte es erneut für Malta, aber dieses Mal reichte es nur für Platz 12.
Greta Salóme (Island) und Kaliopi (EJR Mazedonien) scheiterten beide bei ihrem zweiten Versuch nach 2012 im Semifinale. Erstmals überstanden auch Griechenland und Bosnien & Herzegowina das Semifinale nicht.
Frankreich schickte mit Amir und "J'ai cherché" einen Uptempo-Song, der Platz sechs erreichen konnte.
Ein große Überraschung war der 13. Platz für Österreich. Zoë entwickelte sich vor Ort zum Liebling der Fans, überall, wo sie auftauchte, sangen alle mit ihr "Loin d'ici".
Schweden schickte mit dem jungen Frans und "If I Were Sorry" einen für Schweden eher untypischen Song ins Rennen, der aber Platz fünf erreichte und international den stärksten Nachhall erreicht haben dürfte. Man hört ihn auch im deutschen Radio immer noch wieder.
Demgegenüber ist der deutsche Beitrag "Ghost" mit der "The Voice"-Siegerin Jamie Lee nach ihrem letzten Platz in der Versenkung verschwunden. Offenbar fehlte das Verständnis bei Juroren und Televotern für das Mädchen im Manga-Outfit.
Nach übereinstimmender Meinung der meisten Fans sowohl vor Ort als auch unter den Fernsehzuschauern waren die drei ESC-Shows aus Stockholm, die das schwedische Fernsehen SVT geboten hat, mit das Beste, was man je beim ESC bis dato gesehen hatte. Auch für die angereisten Fans war es ein Highlight der ESC Geschichte, weil den Fans vor Ort sehr viel geboten wurde inklusive dem Zugang zum EuroClub und dem großartigen Euro Fan Café.
Show-Highlights waren besonderes für alle ESC-Fans zum einen die Eröffnung des zweiten Semifinales mit einer Revue-Nummer nach Broadway-Manier, “The Story Of ESC / What Is The Eurovision Song Contest?“, und vor allem der Pausen-Act im Finale mit den Moderatoren „Love, Love, Peace, Peace“, geschrieben vom Melodifestivalen-Stammkomponisten Fredrik Kempe: Da jagte ein Gag den nächsten inklusive Überraschungsauftritten von Alexander Rybak und Lordi.
Jedem ESC-Fan musste dabei einfach das Herz aufgehen. Aber nicht nur diese gemeinsamen Gesangs- und Tanznummern, auch die in die Moderation eingestreuten Wortspiele und Gags waren großartig, ebenso wie der Gastauftritt von Justin Timberlake mit "Can't Stop The Feeling". (Erstmals wurde der ESC in den USA ausgestrahlt.)
DIE TEILNEHMENDEN - FINALE
1.Belgien
Laura Tesoro
"What's The Pressure"
Punkte: 181 Platz: 10
M.: Sanne Putseys, Birsen Uçar T.: Sanne Putseys, Louis Favre, Yannick Werther
2. Tschechische Republik
Gabriela Gunčíková
"I Stand"
Punkte: 41 Platz: 25
M.: Christian Schneider, Sara Biglert T.: Aidan O'Connor, Sara Biglert
3.
Niederlande
Douwe Bob
"Slow Down"
Punkte: 153 Platz: 11
M. & T.: Douwe Bob Posthuma, Jan-Peter Hoekstra, Jeroen Overman, Matthijs van Duijvenbode
4. Aserbaidschan
Samra
"Miracle"
Punkte: 117 Platz: 17
M. & T.: Amir Aly, Jakke "T.I Jakke" Erixson, Henrik Wikström
5. Ungarn
Freddie
"Pioneer"
Punkte: 108 Platz: 19
M.: Szabó Zé T.: Borbála Csarnai
6,
Italien
Francesca Michelien
"No Degree of Separation"
Punkte: 124 Platz: 16
M.: Fabio Gargiulo, Federica Abbate, Cheope T.: Francesca Michielin, Federica Abbate, Norma Jean Martine
7. Israel
Hovi Star
"Made of Stars"
Punkte: 135 Platz: 14
M. & T.: Doron Medalie
8. Bulgarien
Poli Genova
"If Love Was a Crime"
Punkte: 307 Platz: 4
M. & T.: Borislav Milanov, S. Arman, J. Persson, Poli Genova
9. Schweden
Frans
"If I Were Sorry"
Punkte: 261 Platz: 5
M. & T.: Frans Jeppsson Wall, Fredrik Andersson, Michael Saxell, Oscar Fogelström
10. Deutschland
Jamie Lee
"Ghost"
Punkte: 26 Platz: 11
M.: Thomas Burchia, Anna Leyne, Conrad Hensel T.: Anna Leyne
11. Frankreich
Amir
"J'ai cherché"
Punkte: 257 Platz: 6
M.: Nazim Khaled, Amir Haddad, Johan Errami T.: Nazim Khaled, Amir Haddad
12. Polen
Michał Szpak
"Color of Your Life"
Punkte: 229 Platz: 8
M.: Andy Palmer T.: Kamil Varen
13. Australien
Dami Im
"Sound of Silence"
Punkte: 511 Platz: 2
M. & T.: David Musumeci, Anthony Egizii
14. Zypern
Minus One
"Alter Ego"
Punkte: 96 Platz: 21
M & T.: Thomas G:son, Minus One
15.Serbien
Sanja Vučič ZAA
"Goodbye (Shelter)"
Punkte: 115 Platz: 18
M. & T.: Ivana Peters
16. Litauen
Donny Montell
"I've Been Waiting For This Night"
Punkte: 200 Platz: 9
M. & T.: Jonas Thander, Beatrice Robertsson
17. Kroatien
Nina Kraljić
"Lighthouse"
Punkte: 73 Platz: 23
M. & T.: Andreas Grass, Nikola Paryla
18. Russland
Sergey Lazarev
"You Are The Only One"
Punkte: 491 Platz: 3
M.:Philip Kirkorov, Dimitris Kontopoulos T.: John Ballard, Ralph Charlie
19. Spanien
Barei
"Say Yay!"
Punkte: 77 Platz: 22
M. & T.: Barei, Ruben Villanueva, Victor Pua
20. Lettland
Justs
"Heartbeat"
Punkte: 132 Platz: 15
M. & T.: Aminata Savadogo
21. Ukraine
Jamala
"1944"
Punkte: 534 Platz: 1
M. & T.: Jamala
22. Malta
Ira Losco
"Walk On Water"
Punkte: 153 Platz: 12
M. & T.: Lisa Desmond, Tim Larsson, Tobias Lundgren, Molly Pettersson-Hammar, Ira Losco
23. Georgien
Nika Kocharov & Young Georgian Lolitaz
"Midnight Gold"
Punkte: 104 Platz: 20
M.: Kote Kalandadze, Thomas G:Son T.:Kote Kalandadze
24. Österreich
Zoë
"Loin d'ici"
Punkte: 151 Platz: 13
M. & T.: Christof Straub, Zoë Straub
25. Ver. Königreich
Joe & Jake
"You're Not Alone"
Punkte: 62 Platz: 24
M. & T.: * Matt Schwartz, Justin J Benson, S. Kanes
26 Armenien
Iveta Mukuchyan
"LoveWave"
Punkte: 249 Platz: 7
M.: Lilith Navasardyan, Levon Navasardyan T.: Iveta Mukuchyan, Stephanie Crutchfield
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE 1
1.Finnland
Sandhja
"Sing It Away"
Punkte: 51 Platz: 15
M. & T.: Heikki Korhonen, Markus Savijoki, Milos Rosas, Petri Matara, Sandhja Kuivalainen
2. Griechenland
Argo
"Utopian Land"
Punkte: 44 Platz: 16
M.& T.: Vladimiros Sofianides
3.
Moldau
Lidia Isac
"Falling Stars"
Punkte: 32 Platz: 17
M.& T.: Gabriel Alares, Sebastian Lestapier, Ellen Berg, Leonid Gutkin
4. Ungarn
Freddie
"Pioneer"
Punkte: 197 Platz: 4
M.: Szabó Zé T.: Borbála Csarnai
5. Kroatien
Nina Kraljić
"Lighthouse"
Punkte: 133 Platz: 10
M. & T.: Andreas Grass, Nikola Paryla
6,
Niederlande
Douwe Bob
"Slow Down"
Punkte: 197 Platz: 5
M. & T.: Douwe Bob Posthuma, Jan-Peter Hoekstra, Jeroen Overman, Matthijs van Duijvenbode
Eine gravierende Änderung betraf das Votingsystem, das erstmals seit 1975 einer grundlegenden Änderung unterworfen wurde: Bisher wurden die Wertungen der nationalen Jurys und des nationalen Televotings rechnerisch kombiniert, und es wurde eine gemeinsame Wertung der TOP 10 verkündet. Das hatte oft zur Folge, dass bereits weit vor der Bekanntgabe der letzten Länderwertung der Sieger feststand.
Es war nun so, dass sowohl das Resultat des Juryvotings als auch das Televoting pro Land in die Punkte 1,2,3,4,5,6,7,8,10,12 umgesetzt wurde. Das bedeutet, dass die "Spokespersons" der nationalen TV-Sender nur die Höchstwertung der jeweiligen nationalen Jury verlasen. Anschließend wurden dann die Televotingpunkte dazu addiert. Diese Wertungen wurden von den Moderatoren verlesen, angefangen mit dem Land mit der niedrigsten Televoting-Punktzahl eines Landes bis hin zur höchsten. Das sollte garantieren, dass der Sieger wirklich erst mit der letzten Wertung bekannt wurde. Jedes Land vergab also insgesamt 2x12 = 24 Punkte für den jeweils Erstplatzierten, und die zu vergebende Gesamtpunktzahl wurde dementsprechend verdoppelt.
Alle Einzelwertungen wurden wie bisher nach der Show veröffentlicht. In der Sendung erfuhrt man dadurch allerdings nicht, aus welchem Land die Televotingergebnisse jeweils stammten. Für die Semifinalwertungen galt das gleiche Prinzip, allerdings wurden hier wie bisher nur die TOP 10 in der Sendung bekannt gegeben.
Das neue Prinzip ist angelehnt an das seit Jahren bei der schwedischen Vorentscheidung Melodifestivalen erprobte System. In den Fällen, wo ein Land kein gültiges Televoting- oder Juryergebnis vorlegen kann (hier San Marino), griff man auf eine "Ersatzwertung" zurück, die aus einer vorher festgelegten Kombination anderer Ländervotings bestand. Dies hatte bereits im Vorfeld zu Protesten z. B. von San Marino geführt, das ja bisher wegen der geringen Bevölkerungszahl kein Televotingergebnis erstellen konnte.
Der Executive Producer der EBU, Jon Ola Sand, sieht vor allem den Vorteil, dass der Song, der in einem Land beim Televoting siegt, auf jeden Fall auch 12 Punkte bekommt, egal wie die Jury ihn bewertet hat. Es passe vorzüglich, dass diese Änderung genau wie die Einführung des 12 -Punkte-Systems 1975 wieder in Stockholm eingeführt wird.
Ab jetzt wieder seriös! Die Zeit der Freakshows ist vorbei: Der ESC 2016 ist eine Leistungsschau des Mainstream-Pop – ein bisschen vorhersehbar, aber hoch professionell.
TV-Spielfilm 10/2016, von C. Holst
Im Jahr 2016 ist der Eurovision Song Contest endgültig das geworden, was seine Macher schon lange in ihm sehen wollten: ein durchaus ernst zu nehmender Wettbewerb, eine Europameisterschaft des Pop, und eben keine Kuriositätenschau. Als solche gewann das Wettsingen ab 1998 („Guildo hat euch lieb“) verlorene Popularität zurück. Es war die Zeit, als postmoderne Gagbeiträge, die außer im Herkunftsland nirgendwo verstanden wurden, auf traditionelle Diseusen im Gardinenkleid und popkulturell noch unbeleckte Osteuropäer trafen. Kult nannte man diesen Clash of Cultures damals. Globalisierter Popcontest Im Jahr 2016 ist die Globalisierung beim Mainstream-Pop auch beim altehrwürdigen Songcontest vollendet. Es ertönen Countryklänge aus den Niederlanden und Slowenien, rappende Griechen treten in Wettstreit mit einem französischen Chanson aus Österreich. Zum ungarischen Beitrag trommelt ein buddhistischer Mönch, und für Deutschland singt Mangaprinzessin Jamie Lee, die sich modisch und musikalisch in Südkorea zu Hause fühlt. Vielleicht hat sie Gelegenheit, in Stockholm Dami Im kennenzulernen. Die gebürtige Koreanerin tritt für Australien an. Sie ist nicht die einzige Migrantin im Wettbewerb. San Marino schickt den türkischen Sänger Serhat ins Rennen, die Schweiz wird von der Kanadierin Rykka vertreten. Die armenische Gesandte Iveta Mukutschjan wiederum dürfte vielen deutschen ESC-Zuschauern bekannt vorkommen. Die in Hamburg aufgewachsene Sängerin nahm 2012 bei „The Voice of Germany“ an. Natürlich singt auch sie auf Englisch. Seitdem die Teilnehmer nicht mehr in ihrer jeweiligen Landessprache trällern müssen, ist der Anteil der englischsprachigen Beiträge kontinuierlich gestiegen. 2016 erlauben sich nur noch Bosnien und Mazedonien die Extravaganz, pures Heimatidiom zu Gehör zu bringen – und damit vermutlich sich selbst um jede Chance auf den Sieg. Milde Ethnowürze Nicht nur sprachlich zeigt sich ESC-Europa im Jahr 2016 weitestgehend vereint, auch musikalisch herrscht länder-und kulturübergreifender Geschmackskonsens. Dass im Blindtest nicht feststellbar ist, ob die Interpretin, die da zu Dance-Rhythmen Angesoultes tremoliert, aus Moldau oder Malta kommt, hat seinen Grund: Beide Songs stammen wie viele andere im Wettbewerb aus weltweit agierenden Hit-Schmieden und wurden von schwedischen Produzenten auf internationale Vermarktbarkeit feingetunt. Hier und da sorgen ein paar Takte folkloristisches Gefiedel und Geflöte für milde Ethnowürze. Hoch professionell sind auch die meisten der auftretenden Sänger. Viele stehen bei großen Labels wie Sony oder Universal unter Vertrag. Fast die Hälfte der Solokünstler, die in Stockholm antreten, ist durch das Stahlbad einschlägiger Castingshows gegangen. Die internationalen Geschwisterformate von „DSDS“ oder „Popstars“ liefen in fast jedem Teilnehmerstaat und exportierten Sounds und Styles des internationalen Pop-Mainstreams zuverlässig bis in die entlegenste Ex-Sowjetrepublik. War früher also alles besser? Wer auf den Gedanken verfällt, soll sich bei YouTube mal durch die ESC-Geschichte klicken. Schräges und Bizarres findet sich dort zuhauf, aber vor allem jede Menge triviales Tirili, das zu Recht längst vergessen ist. Der ESC 2016 liefert stattdessen eine perfekte Show und Pop, der wirklich auf der Höhe der Zeit ist. Nicht das Schlechteste für einen Samstagabend.
ESC? Da schläft Sarah Connor immer ein!
Stern.de, 17.05.2016, von Jens Maier
Langweilig, unlustig, lieblos: Das ESC-Vorprogramm „Countdown für Stockholm“ steht symptomatisch für die Ideen- und Ratlosigkeit, die beim NDR in Sachen Eurovision Song Contest vorherrscht. Höchste Zeit, den Sender und Sarah Connor aufzuwecken. 9,33 Millionen Fernsehzuschauer haben am Samstagabend das Finale des Eurovision Song Contest in Deutschland verfolgt. Nicht wegen, sondern trotz des Vorprogramms in der ARD. Die Live-Show „Countdown für Stockholm um 20.15 Uhr war - mit einem Wort zusammengefasst - eine Katastrophe. Und das lag nicht am miesen Wetter auf der Hamburger Reeperbahn. Dass Moderatorin Barbara Schöneberger in einer Tour erzählte, die Jury würde zum ersten Mal 50 Prozent der Stimmen vergeben - geschenkt. Das tut sie zwar seit 2008, aber die Regeln sind eben kompliziert. Dass in einem Einspielfilm die Armenierin Iveta Mukuchyan, die zudem noch in Hamburg wohnt, als Albanerin ausgegeben wurde - Fehler passieren eben. Sarah Connor schläft beim ESC immer ein Dass aber Sarah Connor, Mitglied der deutschen Jury, da stehen durfte und sagen: „Ich habe es noch nie geschafft, einen ESC von Anfang bis zum Ende zu schauen, weil ich immer dabei eingeschlafen bin“, ist schon bemerkenswert. Der Satz zeigt, welche Künstler der verantwortliche Sender NDR einlädt, um den ESC zu begleiten: Solche, die den Musikwettbewerb immer noch für eine Freakshow halten. „Ist das Musik - oder kann das weg“, „Tut es dir schon leid, dass du für diesen Job zugesagt hast?“ oder „Überraschenderweise hat‘s wirklich Spaß gemacht“ - in zahlreichen Bemerkungen wurde die Missachtung für den Wettbewerb deutlich. Begeisterung? Fehlanzeige. Von Herzen kam da gar nichts. Wie die Eröffnung der Fleischermesse Überhaupt machte die Veranstaltung den Eindruck, die eingeladenen Künstler seien nicht wegen, sondern trotz ESC da. Die Aussicht, am Samstagabend zur besten Sendezeit auftreten zu dürfen, ist Verlockung genug. Wäre da nicht die Live-Schalte zu Jamie-Lee Kriewitz nach Stockholm gewesen, hätte es angesichts der Bratwurst-Atmosphäre drum herum auch die Eröffnung der Fleischermesse sein können, die da wegmoderiert wurde. Langweilig, unlustig und vor allem lieblos: So war der „Countdown für Stockholm“. Und damit will der NDR den deutschen Zuschauern Lust auf den Eurovision Song Contest machen? Aha. Die Vorab-Show steht symptomatisch für die Ideen- und Ratlosigkeit, die beim Sender zum Thema ESC vorherrscht. „Feel your Heartbeat“, spür deinen Herzschlag - so lautete das schöne Motto beim Heim-ESC 2011 in Düsseldorf. Inzwischen droht akute Infarktgefahr. Wie‘s besser geht, zeigten die Schweden. Mit viel Liebe zum Detail und mit Selbstironie haben sie den ESC und alle seine Schrulligkeiten auf die Schippe genommen. „Love Love Peace Peace“ hieß der Pausenact, der sowohl ESC-Hasser als auch ESC-Liebhaber einte. Aber da schlief Sarah Connor ja bereits.
Was Deutschland beim ESC reformieren muss
welt.de, 16.05.2016, von Holger Kreitling
Wieder Schlusslicht beim ESC. Ist Merkel schuld? Oder versteht das Ausland den deutschen Musikgeschmack nicht? Die meisten Gründe aber sind ARD-hausgemacht. Die schönste Art des Verzeihens gilt immer den Unschuldigen. Jamie-Lees Großmutter erklärte also nach der ESC-Pleite Deutschlands: „Das war super gut, ich muss sie bewundern, dass sie das so hingekriegt hat. Sie ist ja erst 18 Jahre alt, und sie hat keine musikalische Ausbildung.“ Am Sonntagnachmittag stand Jamie-Lee in Berlin am Flughafen, ganz in Schwarz, mit Basecap und Sonnenbrille und Schal vor dem Gesicht, als wolle sie im Boden versinken. Die junge Sängerin trifft sicher am allerwenigsten Schuld an dem Debakel. Sie hatte gekämpft und alles gegeben, ihr Auftritt war eindrücklich und gut gewesen. Und dann der letzte Platz, elf magere Punkte für Deutschland. Das ist wegen der neuen Wertung noch schlechter als die null Punkte von 2015 für die Sängerin Ann Sophie. Der Zweitletzte, die Tschechische Republik, lag mit 41 Punkten schon weit entfernt. Zum Vergleich, Siegerin Jamala aus der Ukraine gewann mit 534 Punkten vor Australien (511) und Russland (491). AfD gibt Angela Merkel die Schuld Zehn Punkte für Jamie-Lee kamen vom Publikum, acht Punkte aus der Schweiz, zwei aus Österreich, dazu ein Punkt von der Jury aus Georgien. Natürlich wird jetzt gerätselt, interpretiert, kritisiert, verflucht, werden Änderungen herbeigewünscht. An der Spitze von Russland, das sich wegen der Jury-Votings betrogen fühlt (von dort kamen zu wenig Punkte, die Zuschauer hatten den Russen vorn). Etliche Politiker schießen in Richtung Ukraine und fühlen sich betrogen. Und im Keller, weil es Erklärungen geben muss für das nun zweite Desaster Deutschlands in Folge. Verschiedene AfD-Politiker erklärten prompt Angela Merkel zur schuldigen Gesangsdirektorin. Deshalb lohnt es sich, in das Aufnahmestudio für kontrafaktischen Gesang zu gehen, und ein paar Zahlen auszubreiten, welche die deutsche Seele ein wenig beruhigen mögen. Die Wählerstimmen waren in diesem Jahr erstmals geteilt und wurden einzeln gewertet und dann zusammengezählt. Das war für die Zuschauer ziemlich verwirrend. Wenn es nur nach den Zuschauern gegangen wäre, hätte doch die Tschechische Republik den letzten Platz belegt. Deutschland wäre Vorletzter geworden. Wenn nach dem alten System abgestimmt worden wäre, also Zuschauer und Jurys gemeinsam, dann wäre Jamie-Lee ebenfalls Vorletzte geworden, einen Platz vor der Tschechischen Republik. Dann hätte übrigens auch Australien den Sieg davon getragen, recht deutlich vor der Ukraine. Ja, wenn. War aber nicht so. Die Deutschen wiederum können sich über seltsame Votings nicht wirklich beschweren. Die Jury mit unter anderem Sarah Connor, Anna Loos und Musikern von The Boss Hoss vergab ihre zwölf Punkte an den Superschmachtfetzen aus Israel, zehn an Schweden, acht an den Rocksong aus Georgien. Die Zuschauer wiederum gaben die höchsten Punkte an Italien, die jaulende Badenixe aus Armenien und den Countrysong aus den Niederlanden. Alles sehr konfus. Haben wir einfach einen nicht-kompatiblen Musikgeschmack? Denkbar ist das. Das ganze verrückte und verwirrende System machte aber nicht nur die ahnungslosen Zuschauer am Samstagabend wuschig. Auch Experten hatte ihre liebe Not damit. Ein Mitglied der dänischen Jury gestand mittlerweile, die Punkte komplett falsch vergeben zu haben. Statt zwölf Punkte für Australien und null für die Ukraine vergab Hilda Heick, 69, zwölf für die Ukraine und null für Australien. Sie hatte den Modus falsch verstanden, sei aber nicht senil, entschuldigte sie sich. Das Endergebnis beeinflusste die Ex-Sängerin jedoch nicht; und auch Deutschland kam in ihrem Voting nicht vor.
Der NDR als Sendeanstalt hält sich bisher sehr zurück. NDR-Mann und ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber, der seit Jahren den ESC betreut, hatte noch in der Nacht nach der Show schriftlich nahegelegt, das womöglich ältere Publikum habe das Manga-Outfit Jamie-Lees nicht goutiert. Er wies also ins Ausland: die verstehen uns nicht. Tänzeln auf rutschiger Bühne Es sind aber mehr Gründe für das schlechte Abschneiden Deutschlands zu nennen, und die meisten sind hausgemacht. Zweimal nacheinander völlig unbekannte junge Sängerinnen als Ersatz zu senden ist eine wirklich schlechte Lösung. Schreiber hatte Xavier Naidoo nominiert und war damit krachend gescheitert, unter anderem im eigenen Haus. Die Idee, einen gestandenen Musiker mit breiter Fanbasis für den ESC zu gewinnen, ist richtig. Es wird nun noch schwerer, jemand zu finden, der bereit ist, auf dieser rutschigen Bühne zu tänzeln. Der NDR behandelt den nationalen Vorentscheid seit dem Abgang von Stefan Raab recht dilatorisch. Ohne Herz, ohne Mühe, ohne Aufwand. Es werden die Plattenfirmen angerufen und gebeten, ihre Neulinge vorbeizusenden. Dann gibt es spät im ESC-Ablauf eine Show, fertig. Dabei setzte sich jeweils eine Kandidatin durch oder ein Trio wie Elaiza 2014. Sie tingeln mehr oder weniger durch die Morgen-Shows der ARD. Weil Deutschland zu den großen Geldgebern gehört, sind sie sowieso für das Finale gesetzt. Das nimmt sowohl Energie als auch Darstellungsmöglichkeiten im Halbfinale. Vor Ort ist dann jeweils bei den Aspirantinnen die Überraschung zu sehen, wie groß und erbarmungslos der Song Contest mit mehr als 40 antretenden Nationen sein kann. Und es gibt Showbühnen, die weiten Auslauf anbieten und nach Bombast schreien oder nach einer cleveren Alternative. Deutschland steht dort oft überfordert wie, sagen wir, San Marino oder die Faröer-Inseln: Huch, wir wollen doch nur singen, geht‘s nicht kleiner? Jamie-Lee hat es nicht geschafft, Interesse und Sympathie im eigenen Land zu wecken, geschweige denn im Ausland. Ihr fehlte es an Zeit und Möglichkeiten. Stattdessen saß sie in Berlin und nahm Musik auf. Der Geisterwald, durch den sie in der Show schritt, muss international wie ein Rätsel ohne Lösung gewirkt haben. Es war abzusehen, dass bei diesen Voraussetzungen nicht die Top Ten erreicht werden. Aber das erneute Schlusslicht erhöht doch die Dringlichkeit der Reformen. Die meisten Nationen schicken mittlerweile Sieger von Musik-Castingshows; auch Jamie-Lee hatte ja „The Voice of Germany“ von ProSieben gewonnen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hält sich da raus. Castingshows sind hier oft fiese, zu Recht schlecht beleumundete Sendungen. Das liegt zum größten Teil an „DSDS“, wo die Idee der Castingshow vulgarisiert, zur völligen Belanglosigkeit stilisiert und damit gleich ganz diskreditiert wurde. Die ARD, wenn sie wirklich die Chancen beim ESC verbessern will, könnte hier ansetzen und neue Shows entwickeln. Das würde Geld kosten und mühsam sein. Oder die ARD könnte erneut mit ProSieben kooperieren und so Musiker gewinnen, die ähnlich wie Raab eng mit dem ESC verknüpft sind. Es wäre auch denkbar, dass eine andere ARD-Anstalt den Finger hebt und den Song Contest betreut. Und es wäre keine schlechte Idee, statt junge Frauen einmal junge Männer zu entsenden. Der ESC zeigt von Jahr zu Jahr: Frauen sind weit eher bereit, für Favoriten anzurufen als für andere Frauen, und die für den ESC enorm wichtige gay community sowieso. Wie sonst hat diesmal der absurde Jesus im roten Zirkusrock aus Polen die drittmeisten Zuschauerstimmen bekommen? Eins noch zur Entschuldigung. Wir sind mit der unglückseligen Orientierungslosigkeit nicht allein in Europa. Großbritannien, das Mutterland des Pop, ist schon viel länger als Deutschland auf Misserfolg gepolt. Seit 2003 waren sie dreimal Letzter, dreimal Vorletzter und dazwischen auf den hinteren Plätzen. Es geht also noch schlechter und womöglich noch länger. Letzte Meldung: Ralph Siegel, 70, ist bereit, Deutschland zu vertreten. Er will noch einmal beim ESC antreten, sagt er. Das, liebe ARD, muss doch Ansporn sein, etwas anderes zu versuchen.
ESC-Debakel für Jamie-Lee: Die Letzten werden die Letzten sein
Schon wieder ist Deutschland beim Eurovision Song Contest auf dem letzten Platz gelandet. Was läuft da schief? Und warum machen wir offenbar immer wieder denselben Fehler?
FAZ, 15.05.2016, von Julia Bähr
Es muss gehen. Andere schaffen es doch auch! Und auch Deutschland ist es immerhin in jüngerer Zeit einmal gelungen, den ESC zu gewinnen: 2010, mit Lena Meyer-Landrut. 2011 kam sie noch auf Rang 10, und im Folgejahr schaffte Roman Lob einen beachtlichen achten Platz. Seitdem dümpeln die deutschen Beiträge weit hinten vor sich hin: Cascada auf Rang 21, Elaiza auf Rang 18, Ann Sophie als Letzte mit null Punkten und nun auch Jamie Lee als Letzte – mit immerhin elf Ehrenpunkten. Vor allem zwei Reaktionen hat die gestrige Niederlage hervorgerufen. Erstens: Die deutsche Politik ist schuld, man mag uns nicht in der Welt! Und überhaupt schieben sich immer die Osteuropäer die Punkte zu! Nun ist aber beides nicht recht haltbar, schließlich ist Deutschland als sich großzügig zeigendes Aufnahmeland etlicher Flüchtlinge aktuell eher beliebter als von 2010 bis 2012 und schneidet überhaupt in internationalen Beliebtheitsumfragen immer sehr gut ab. Außerdem können die Osteuropäer nicht mehr als Sündenböcke herhalten, schließlich kamen die letzten fünf Sieger aus Österreich, Dänemark, Aserbaidschan und gleich zwei Mal aus Schweden. Die zweite Reaktion klingt noch beleidigter: Wir blamieren uns da! Aufhören! Wir machen da nicht mehr mit! Deutschland hat es einfach nicht drauf! Dass irgendjemand nun mal der Letzte sein muss bei einem Wettbewerb, und ja, womöglich auch zwei Mal hintereinander – mag sein, aber doch nicht wir! Als wäre es ehrenrührig, das zu tun, was Deutschland nun mehrfach getan hat: Ein Lied zu einem internationalen Contest zu schicken, das nicht mal im eigenen Land ein großer Erfolg ist, dazu eine mediokre Bühnenshow zu basteln und Punkte dafür zu erwarten. Es ist nicht mal peinlich, das zu tun. Man gewinnt eben nicht damit, das ist alles. Und die einzigen, die daraus eine große Sache machen, sind die Verlierer selbst. Dabei ist die Begeisterung in Deutschland für den ESC ungebrochen. 9,33 Millionen Zuschauer schauten das Finale im Fernsehen an. Sie sahen, wie man es besser macht: Mit einem Auftritt wie „1944“ von Jamala, der selbst dem größten Popbiz-Zyniker authentisch vorkommt. Mit einer Bühnenshow wie der des Russen Sergej Lasarew, die die Grenzen zwischen Kulisse, Licht und LED-Technik verschwimmen ließ. Oder vielleicht einfach mal wieder mit einer richtig schönen, großen Hymne wie „Made of Stars“, dem israelischen Beitrag, der bei der deutschen Jury auch am besten ankam. Deutschland hingegen schickte Jamie-Lee Kriewitz, der man wirklich überhaupt nichts vorwerfen kann: Sie sang bei diesem angsteinflößend großen Auftritt besser als bei allen zuvor. Das ändert nichts daran, dass „Ghost“ ein musikalisch wie textlich vollkommen uninteressantes Liedchen ist, das eine bessere Platzierung bei einem Liederwettbewerb schlicht nicht verdient hätte. Die Show, die bei anderen über schwache Songs hinweg tröstet, wirkte auch eher, als habe man eine Schultheateraufführung mit unbegrenzten finanziellen Mitteln ausgestattet: dürre Bäume, aus denen grüne Laserstrahlen kommen, standen um Jamie-Lee herum. Der monströse Hintergrund war auch eher gewitterdüster. Dazwischen diese junge Frau, die ihren Kleidungsstil damit beschreibt, so niedlich wie möglich aussehen zu wollen, was ihr zweifellos geglückt ist. Leider passten diese unterschiedlichen Teile der Inszenierung so wenig zueinander, dass man sich mitten im Übergang zwischen Manie und Depression wähnte. Das soll nicht heißen, dass ein anderer der beim deutschen Vorentscheid angetretenen Kandidaten besser abgeschnitten hätte. Die Fehlentscheidungen begannen einfach schon im Vorfeld des Vorentscheids, wie damals bei Elaiza auch. Es soll heißen, dass Deutschland den ESC natürlich durchaus gewinnen kann – mit einem guten Lied und einer kreativen, passenden Show. Wie man die bekommt? Es gibt da einen, der weiß das genau, denn die größten Erfolge der vergangenen zwanzig Jahre gehen auf sein Konto: die Plätze 7, 5, 8, 1, 10, 8. Und jetzt als Fernsehrentner hat er doch Zeit. Spätestens nach gestern Abend dürfte es ihn sowieso schon wieder jucken. Man muss dem NDR dringend empfehlen, auf Knien zu Stefan Raabs Altersruhesitz zu rutschen.
Elf Punkte sind schlimmer als null Punkte
Die Welt, 15.05.2016, von Holger Kreitling
Die Ukraine siegt mit Kalkül, Deutschland schafft erneut einen Totalausfall. Sogar der österreichische Songbeitrag auf Französisch war offenbar verständlicher als Jamie-Lees Manga-Outfit.
Egal wie todtraurig ein Lied ist, Siegesfreude darf sein. Soll sein, muss sein. Jamala hüpfte also lange nach dem ESC-Gewinn umher, als hätte sie zuvor einen Partyknaller zum Vortrag gebracht. Und Europa endlich wieder gute Laune beschert. Sie strahlte, lachte. Was auch sonst, wenn man gerade den weltweit größten Gesangswettbewerb in der denkbar knappsten Entscheidung gewonnen hat, noch dazu gegen den ärgsten Konkurrenten. Mehr noch, gegen den Gegner, den Feind. Den Adressaten und Angesungenen. Jamala trug bei der Pressekonferenz eine Tatarentracht, und sie hängte die ukrainische Fahne vor sich, was den Anspruch untermauerte, mehr darzustellen als nur Nationalstolz. Die Gemengelage bei diesem ESC-Sieg ist einzigartig, weshalb das deutsche Desaster davor verblasst, jedenfalls vorerst. Das Land siegt zum zweiten Mal in der Geschichte des Wettbewerbs; 2004 hatte Ruslana mit „Wild Dances“ gewonnen. Jamala siegt mit dem Lied „1944“. Die Krimtatarin besingt die Zwangsumsiedelung der Krimtataren durch stalinistische Peiniger. Sie klagt die Täter an, die gleich in der ersten Strophe ins Haus eindringen und Morde begehen. Es wird gemeuchelt und geheuchelt. Wir sind unschuldig, sagen die Täter. Das Lied schraubt sich zur tragischen Jammerarie empor, die wohl unerträglich wäre, wäre da nicht der Dancebeat, der den Song so modern macht, so verführerisch klingen lässt. So anschlussfähig und global. Erstaunlich, dass das Siegerlied überhaupt zugelassen wurde Das Kalkül ist hör- und sichtbar. Jamalas blaues Kleid glitzerte, die Lichtarrangements waren blutrot, dann wurde auch noch Feuer und Wind eingesetzt. Die Ukraine hat viel investiert, sehr wohl wissend, dass die Botschaft gehört wird. Es ist eine politische Botschaft, die unausgesprochen bleibt. Stalin und Putin: Zwei Herrscher, die auf der Krim Unheil angerichtet, die Unrecht begangen haben. „1944“ ist ein Fanal, und es ist erstaunlich, dass das Lied trotz Protesten zugelassen wurde, denn eigentlich sind politische Lieder beim ESC nicht erlaubt. 2015 hatte es Armenien allerdings schon geschafft, den Völkermord an den Armeniern zu besingen. 137T.O.M. • top of music in europe Und dieses Lied hat den großen Favoriten geschlagen, der bei allen Buchmachern und Google-Rankings vorne lag: Russland. Jamala bekam 534 Punkte, Sänger Sergey Lazarev wurde Dritter mit 491 Punkten. Sängerin Dami Im sorgte für Australien für die eigentliche Überraschung und wurde mit 511 Punkten erst ganz zuletzt überholt. Es war die denkbar spannendste Stimmenauswertung seit Jahren. Alles andere, die verrückten Einlagen mancher Länder, die geschmacksunsicheren Auftritte, die feine Show der Schweden, das routinierte Können von Gaststar Justin Timberlake verblasst dagegen. Man muss in das Wirrwarr der Auszählung ein wenig Licht bringen. Die Votings wurden erstmals in diesem Jahr geteilt und verdoppelt. Die Jurys vergaben die Punkte, die Zuschauer ebenso. Dann wurde beides getrennt bekannt gegeben und erst live zusammengezählt. Dahinstampfender Song aus Russland Die 42 Jurys votierten zunächst klar für Australien, 320 Punkte für Dami Im vor Jamala aus der Ukraine mit 211 Punkten. Dann kamen die Televotings. Dort siegte eindeutig Russland. Die Zuschauer in ganz Europa plus Israel und Australien vergaben zusammen 361 Punkte an den russischen Beitrag „You Are The Only One“. Australien bekam nur 190. Dennoch war der Vorsprung zu groß. Das heißt, die Ukraine lag weder bei den Jurys noch bei den Zuschauern (323 Punkte) vorne. Und siegte dennoch. Russland hat also bei den Jurys verloren. Ein interessantes Urteil: Während die Show des Russen Sergey Lazarev ziemlich cool und überzeugend war, stampfte der Song weniger inspiriert vor sich hin. Manche erinnerten sich schaudernd an Helene Fischers „Atemlos“. Hat Europa politisch gewählt? Die Ukraine gekürt und zugleich Russland wegen der Krim-Annektierung abgestraft? Schwer zu sagen. Der Zuschauerzuspruch für Russland war ja da. Eher hat sich Jamala gut verkauft, für ihre Geschichte viel Aufmerksamkeit im Vorfeld bekommen. Jetzt aber zum deutschen Desaster Jamie-Lee belegt mit ihrem Lied „Ghost“ den letzten Platz. Wie 2015 will niemand auf dem ganzen Kontinent etwas für Deutschland tun. Alle weltgesanglichen Tatsachen ereignen sich bekanntlich laut den Backstreet Boys, Hegel & Marx zweimal, einmal als Tragödie, einmal als Farce. Im vergangenen Jahr teilte die glücklose Ann Sophie sich den Null-Punkte-Rang mit Österreich, das diesmal mit beachtlichen 151 Punkten – vor allem vom Publikum belohnt – 13. wurde, obwohl die junge Zoë auf Französisch sang. Offensichtlich war das deutlich verständlicher als das Manga-Outfit von Jamie-Lee und der doch statische Auftritt im nebelumwaberten Geisterwald. Elf Punkte. Elf Punkte bekam Deutschland. Elf Punkte sind null Punkte. Es fühlt sich nur ein bisschen mehr an. Der zweitschlechteste Beitrag aus der Tschechischen Republik hatte 41 Punkte, in diesen eisigen Tiefen ist das ein echter Abstand. An der neuen Wertungsart lag es nicht. Ann Sophie mit ihren null Punkten hätte nach der jetzigen Auswertung 29 Punkte bekommen und wäre Drittletzte geworden. Deutschland liegt demnach 2016 sogar noch hinter den null Punkten. Es ist brutal. Aber ein Faktum. Kein Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise Elf Punkte. Schlusslicht Europas. Ist auch das ein politisches Votum Europas gegen Deutschland? In sozialen Medien blühen alberne Verschwörungsknospen, Deutschland sei verhasst, die Kanzlerin würde abgestraft wegen der Flüchtlingspolitik. Die Länder seien gegen die Willkommenskultur und für geschlossene Grenzen, deshalb die Missachtung bei der Punktevergabe. Das ist Blödsinn. Schon deshalb, weil Jurys tatsächlich auf Musik und Show als Kriterien achten statt auf Gesellschaftsimages und Bedeutungshuberei oder grenznahe Freundschaftsdienste. Von den 42 Jurys haben 41 gar keine Punkte an Deutschland gegeben. Nur Georgien hat sich mit einem Punkt verewigt. Das Lied kam einfach nicht an. Der Auftritt blieb unverständlich. Die arme Jamie-Lee mag gekämpft haben. Es war vergebens. Die anderen zehn Punkte kamen von den Zuschauern aus 42 Ländern, Mitleidsbekundungen näher als echten Zuteilungen. Heimisches Desinteresse war der Anfang vom Ende Elf Punkte. Der zweite Totalausfall. Es sind die gleichen Strukturen zu beobachten und anzukreiden: Eine Newcomerin muss einspringen, weil zuvor etwas nicht geklappt hat. Mal brach mit Andreas Kümmert der Sieger mit Publikumsrückhalt zusammen und weg. Mal geriet die Star-Akklamation mit Xavier Naidoo zum Verhängnis und musste abgebrochen werden. Der jungen Frau und Not-Notlösung fehlte es sodann an Rückhalt und Zuspruch. Nicht mal im eigenen Land war sie bekannt. Mit heimischem Desinteresse im Rücken hat noch kein ESC-Beitrag je etwas gerissen. Warum sollte dann in den Nachbarländern Deutschland jemand für Jamie-Lee stimmen? Warum weiter weg? Jamie-Lee musste nach dem sehr späten Vorentscheid erst hastig ein Album aufnehmen, statt durch Deutschland und das Ausland zu tingeln und sich bekannt zu machen. Und wenn man noch Details braucht: Warum muss Deutschland immer im Dunkeln anfangen? Ann Sophie stand 2015 mit dem Rücken zum Publikum, was nur beim heiligen Miles Davis toleriert wurde, und von dem wusste das Publikum, was er konnte. Und Jamie-Lee stand am Anfang als Schattenriss vor einem großen Mond, es dauerte lange, bis sie zu sehen war, und dann nicht mit Großaufnahmen und ohne Lächeln. Zweimal schnitt die Regie von ihrem Gesicht weg zu den Background-Sängerinnen. Den Background-Sängerinnen, herrje, musste das sein? 138ECG • eurovision club germany e.V. Ohne Stefan Raab läuft nicht mehr viel Der NDR hat seit dem Abgang Stefan Raabs als Motor und Mentor eine schlimme Bilanz vorzuweisen. 2013: Platz 21 (von 26), 2014: Platz 18 (von 26), 2015: Letzter, 2016: Letzter. Das kann eigentlich nicht so bleiben. Womöglich muss mehr geändert werden, als nur eine neue Sängerin zu suchen. Vielleicht ein junger Sänger? Oder nach den getragenen, eher schleppenden Rhythmen mal frech einen flotteren Beat wagen, dieses neumodische Klicka-Klack, das sogar die Ukraine kennt? Kann das große Deutschland nicht vielleicht doch bessere Musik? Das sind so Fragen. Jamie-Lee und der NDR-Mann und ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber wollten eigentlich in der Nacht noch Fragen beantworten. Sie sagten ab. Im Fall der jungen Sängerin kann man das verstehen. Sie kann wohl am wenigsten dafür. Es kam eine erklärende Mail. Jamie-Lee und „Ghost“ hätten bisher eher junge Zuschauer angesprochen, hieß es. International und beim Publikum in allen Altersschichten habe offenbar Unverständnis geherrscht, dass ein Manga-Mädchen aus Deutschland antritt. Es ist ein Teil der Wahrheit. Jamie-Lee schrieb den Satz: „Nächstes Jahr wird Deutschland einen besseren Platz belegen, da bin ich mir sicher.“ Die Hoffnung singt zuletzt.
Nach dem Sieg von Conchita Wurst in Kopenhagen richtete der österreichische TV-Sender ORF die 60. Ausgabe des ESC aus. Das Finale fand am Samstag, dem 23. Mai 2015 statt, die beiden Semifinale am 19. und 21. Mai.
Neben dem naheliegenden Austragungsort Wien kamen zwar aus allen Teilen Österreichs Vorschläge (z.B. Linz oder Wels unter Einbindung des Linzer Musiktheaters), Chancen hatten allerdings nur noch Wien, Innsbruck und Graz. Aus Salzburg kam übrigens relativ früh eine deutliche Absage, da "diese Veranstaltung“ nicht in das Kulturprofil des Landes passe! Der ORF hatte ein Anforderungsprofil für die Austragungsstätte des ESC veröffentlicht.
In Wien kam die Stadthalle (16.000 Plätze) infrage bzw. mehrere temporäre Event-Locations. In Graz wäre die Stadthalle geeignet gewesen, und Innsbruck bewarb sich mit der Olympiaworld. Mit diesen drei Bewerbern verhandelte der ORF, am 6.August 2014 wurde die Entscheidung verkündet: Der 60. ESC findet in der österreichischen Hauptstadt Wien statt!
Mehrere prominente Österreicher begleiteten den ORF bei der Vorbereitung des ESC. Zum Kreis dieser Kreativen zählten unter anderem André Heller, "Oscar"-Preisträger Stefan Ruzowitzky, Schauspielerin Ursula Strauss und Regisseurin Elisabeth Scharang, wie mehrere österreichische Boulevardzeitungen berichteten.
Neben dem Gastgeber Österreich nahmen 39 Länder teil: Die Ukraine, Kroatien und Bulgarien setzten 2015 aus ebenso wie die Türkei, Slowakei und Andorra. Aus Anlass des 60. ESC-Jubiläums hatte die EBU Australien einmalig gestattet, einen Teilnehmer in den Wettbewerb nach Wien zu entsenden! In Australien gibt es eine große ESC-Fangemeinde und seit 30 Jahren wird der Contest dorthin übertragen. Nachdem in Kopenhagen 2014 bereits eine australische Sängerin einen Intervall-Act betritten hat, gab es nun erstmals einen australischen Vertreter im Wettbewerb. Der Teilnehmer trat direkt im Finale an, um keinem der Semifinalteilnehmer eine Finalplatz streitig zu machen. Australien bekam außerdem die Berechtigung, in beiden Semifinalen und dem Finale am Voting teilzunehmen. Im Falle eines Sieges hätte der verantwortliche australische Sender SBS den ESC 2016 als Co-Gastgeber in einer europäischen Stadt zusammen mit einem EBU-Mitgliedsland mitveranstaltet. Wegen der Teilnahme Australiens wurde das Finalteilnehmerfeld auf 27 Acts aufgestockt.
"Es ist ein mutiger und gleichzeitig unglaublich spannender Schritt", wird Jon Ola Sand, Executive Supervisor des Eurovision Song Contest, zitiert. "Es ist unsere Art zu sagen: Lasst uns diese Party zusammen feiern!"
Für das Finale gesetzt waren außerdem der Gastgeber Österreich (ausgeloste Startnummer 14) und die „BIG 5“ Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Ver. Königreich. Alle anderen Länder mussten in den beiden Semifinalen antreten, 16 im 1. SF und 17 im 2. SF. Jeweils zehn Acts gelangten durch 50/50%-Jury-/Televotingentscheidung ins Finale.
Erstmals führten drei Moderatorinnen durch die Shows: Arabella Kiesbauer, Mirjam Weichselbraun und Alice Tumler (v.l.n.r.), Conchita Wurst übernahm die Greenroom-Moderation.
Arabella Kiesbauer (*08.04.1969 in Wien als Tochter einer deutschen Schauspielerin und eines Ingenieurs aus Ghana) begann ihre Karriere bereits Ende der 80er Jahre beim ORF mit der Jugendsendung „X-Large“, ab 1994 moderierte sie 10 Jahre lang bei PRO 7 ihren Daily-Talk „Arabella“, beim ORF führte sie u.a. durch die Castingshow „Starmania“, und seit 2014 unterstützt sie österreichische Landwirte auf der Suche nach der großen Liebe in „Bauer sucht Frau“. Daneben moderierte sie mehrfach den Wiener Opernball, den Life Ball und verschiedene andere Events und Galas. 2013 wurde Arabella Kiesbauer für ihr langjähriges Engagement in Sachen Integration vom österreichischen Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Republik Österreich als Kulturvermittlerin ausgezeichnet.
Mirjam Weichselbraun (*27.09.1981 in Innsbruck) begann ihre Karriere als Redakteurin beim Regionalsender “Antenne Tirol“. Nach ihrer Wahl zum BRAVO-Girl 2000 wurde sie Moderatorin bei VIVA Plus und MTV Germany. Beim ZDF moderierte sie eine Zeit lang das Online-Magazin zu „Wetten, dass...?“, bei SAT1 die „Hit-Giganten“ zusammen mit Roger Cicero. In Österreich wurde sie für mehrere Staffeln der „Dancing Stars“ ausgezeichnet und moderiert regelmäßig den Wiener Opernball und den Life Ball. Als Schauspielerin konnte man sie im Musical „Manche mögen’s heiß“ in Wien erleben.
Alice Tummler (*11.11.1978 in Innsbruck als Tochter einer französischen Mutter aus Martinique und eines österreichischen Vaters) studierte zunächst in London Journalismus, Medien und Soziologie und besuchte dann eine Schauspielschule in Paris. Ihre Fernsehkarriere begann sie als Moderatorin beim französischen Musiksender TraceTV. Es folgte eine Tätigkeit bei ARTE. Seit 2013 moderiert sie im ORF die Casting-Show „Die große Chance“.
Mit "Building Bridges" (Brücken bauen) habe man, so ORF-Generaldirektor Wrabetz, ein Thema, die Idee eines Europa mit dem vereinenden Charakter von Musik, und das in Wien, der traditionellen Hauptstadt der Weltmusik im Herzen Europas. 70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs gäben sich europäische Länder in Österreich die Hand, einem Land, das immer schon eine vermittelnde Instanz, eine Brücke zwischen Ost und West gewesen sei. "Wir verstehen dieses Motto als eine logische Erweiterung der Idee von Conchita Wurst, die sie beim ESC 2014 formuliert und gelebt hat: Die Bedeutung von Offenheit, Toleranz über alle Grenzen hinweg für eine gemeinsame Interaktion. Mit dem ESC in Wien wollen wir Brücken bauen über Grenzen, Kulturen und Sprachen. Im Licht der vereinenden Kraft dieses großartigen gemeinsamen europäischen Events laden wir alle ein, Brücken zu bauen und sich die Hand zu reichen."
Der Slogan "Building Bridges" war auch die Basis für die "Postcards", d.s. die kurzen Einspieler, die jeweils den nächsten Beitrag in der Show ankündigen. Jeder Interpret bekam darin in seiner Heimat eine Einladung nach Österreich, und zwar jeweils in eine spezielle Region Österreichs, wo sie dann eine spezielle Aufgabe zu erfüllen hatten, z.B. in den Bereichen Sport, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft, Tradition und Moderne.
Die Bühne bestand aus 1288 einzelnen Säulen und war 44m breit, 14,3m hoch und 22m. Sie hatte die Form eines großen Auges, das eine Brücke von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft darstellen sollte, eine Brücke zwischen den Künstlern, ihren Delegationen und den Zuschauern weltweit. Die LED-Säulen und der 11m im Durchmesser große Bühnenboden sowie eine 22m breite und 8,5m hohe LED-Wand erlaubten eine große Bandbreite an visuellen Effekten. Das Bühnendesign wurde entwickelt von Florian Wieder, dem zweimaligen Emmy-Preisträger und Designer der ESC-Bühnen 2011 und 2012, in Zusammenarbeit mit Al Gurdon und Kurt Pongratz.
Den Pausen-Act im Finale bestritt der bekannte Schlagzeuger Martin Grubinger mit einem Programm aus klassischer Musik, Bigband-Sound, Chorgesang und Percussion, das er eigens für das Finale komponiert hat. Es traten 40 Instrumentalisten und der mit einem Grammy ausgezeichnete Arnold Schönberg-Chor auf.
FAZIT
Der 60. ESC in der österreichischen Hauptstadt Wien war einer der besten, die man je erlebt hat. So der allgemeine Tenor der Journalisten vor Ort. Selten war die Organisation so gut und das Angebot für die Akkreditierten – auch das Rahmenprogramm betreffend - so reichhaltig. Ein bisschen weniger begeistert konnte man allerdings von den drei TV-Shows sein, die der ORF uns zum 60-jährigen Jubiläum präsentierte. Gewiss waren die Shows nicht schlecht, aber auch nicht herausragend. Eines der Highlights war wohl die Eröffnungsnummer des 1. Semifinales, bei dem man sich schon fragte, wie man das im Finale würde toppen können. Und man konnte nicht… Ganze 20 Minuten dauerte es, bis der 1. Finalsong auf die Bühne kam! Davor ein Sammelsurium von Orchester, Geigerin, Kinderchor, einem Rapper, zwei Einspielern und schließlich einer Gesangseinlage der Moderatorinnen, die zwar gefiel, aber insgesamt wäre hier weniger sicher mehr gewesen.
Das Motto „Building Bridges“ zog sich durch alle Shows bis hin zu den virtuellen Brücken in die einzelnen Länder bei der Finalwertung. Bei der Wertung fielen unangenehm auf: Die Diskrepanz zwischen Jury- und Televoting und die Punktevergabe überhaupt. Wenn bei 27 Teilnehmern nur zehn überhaupt die Chance auf Punkte haben, ist das Wertungssystem nicht mehr angemessen, und nicht nur, weil es dieses Mal Deutschland (und Österreich) mit null Punkten besonders hart getroffen hat. Außerdem Die Jurys von Montenegro und EJR MAzedonien wurden disqualifiziert und nur das Televoting-Ergebnis gezählt. Das habe das Resultat laut EBU nicht entscheidend verändert. Die Jurys von Montenegro und EJR Mazedonien wurden disqualifiziert und nur das Televoting-Ergebnis gezählt. Das habe das Resultat laut EBU nicht entscheidend verändert.
Die Jurys verhinderten einen Sieg des haushohen Televotingsiegers Italien: Sie setzen Il Volo nur auf Rang sechs, so dass es nur zum dritten Platz reichte. Australiens erster Vertreter beim ESC, Guy Sebastian, gab seinen Einstand auf Platz fünf. Es sollte nicht die einzige Teilnahme Australiens - als "Ausnahme" zum Jubiläum - bleiben!
Obwohl der ESC ja so unpolitisch ist (wie von der EBU gern behauptet wird), sorgte wieder einmal der russische Beitrag (Platz zwei) für reichlich Diskussionsstoff sowie die Entscheidung der EBU, Buh-Rufe aus- und Applaus vom Band einzublenden.
Aminata schaffte mit einem zwar etwas sperrigen Titel, aber beeindruckender Performance für Lettland den sechsten Platz.
Die im Vorfeld hochgewettete Ballade aus Norwegen mit Mørland & Debrah Scarlett erreichte immerhin Platz acht, der "Golden Boy" aus Israel Platz neun, und eine weitere Fanfavoritin, Bojana Stamenov aus Serbien, Platz zehn mit "Beauty Never Lies".
Obwohl (oder weil?) die Spanier bei ihrer Inszenierung so ziemlich alles aufboten, was der ESC je gesehen hatte, musste sich Edurne mit Platz 21 begnügen.
Nur Platz 24 erreichte das Vereinigte Königreich, das es mit Electro Swing versuchte: Blinkende Neonleuchten im Background und auf dem Bühnenboden, eine am Rücken der Sängerin Bianca befestigte Montur mit Kabeln und Kästen, die an eine Sprengstoffgürtelvorrichtung erinnerte und immerhin beim Auftritt durch Haarverlängerung und Stola verdeckt werden konnte, dazu schwache Stimmer von Bianca und Alex, das reichte nur für Platz 24!
Monika Kuszysńka aus Polen erreichte im Rollstuhl das Finale, während die Punkrockband aus Finnland, die aus vier Menschen mit geistiger Behinderung besteht, Letzte im Semifinale wurde, und zwar mit einem der kürzestens Songs der ESC-Geschichte.
Eine der erfolgreichsten Sängerinnen der Niederlande, Trijntje Oosterhuis, scheiterte, wohl auch wegen einer schlechten Inszenierung inklusive sackartigem Outfit, auf Platz 14 im Semifinale.
Gastgeber Österreich mit den Makemakes landete trotz eines brennenden Flügels auf der Bühne mit null Punkten auf dem letzten Platz, ebenso wie Ann Sophie aus Deutschland mit "Black Smoke". Es war ja schon im Vorfeld reichlich schwarzer Rauch aufgestiegen für den deutschen Act, denn Ann Sophie war als Zweitplatzierte der deutschen Vorentscheidung quasi auf Geheiß des Siegers Andreas Kümmert, der verzichtet hatte, in Wien angetreten. Es zeigte sich hier einmal mehr, wie schwer sich die Deutschen mit der Inszenierung ihres Acts auf der ESC-Bühne tun. Hier sollten es ein paar "ausrangierte" Scheinwerfer und eine sehr kühl wirkende Sängerin richten, deren Kehrseite doch zu lange im Bild festgehalten wurde nach dem Motto der österreichischen Vertreter 2012: "Wackel mit deinem Popo".
Für Belgien kam Loïc Nottet mit einem modernen Song und moderner Inszenierung immerhin auf Platz vier!
Schweden war von Anfang an der große Favorit, denn der Beitrag hatte alles, was man zum Gewinnen braucht: Eine vielleicht nicht bahnbrechende, aber sehr eingängige Melodie, einen Pop-Rhythmus, der sich für viele wohltuend von den vielen Balladen des Jahrgangs abhob, einen extrem sympathischen und noch dazu unverschämt gut aussehenden Interpreten und vor allem eine Show mit der kleinen LED-Wand und dem niedlichen, moppeligen Männchen mit Käppi und Luftballon, der mit dem großen Måns Freundschaft schließt.
DIE TEILNEHMENDEN - FINALE
1.Slowenien
Maraaya
"Here For You"
Punkte: 39 Platz: 14
M.: Raay, Marjetka Vovk T.: Charlie Mason, Raay
2. Frankreich
Lisa Angell
"N'oubliez pas"
Punkte: 4 Platz: 25
M. & T.: Robert Goldman
3.
Israel
Nadav Guedj
"Golden Boy"
Punkte: 97 Platz: 9
M. & T.: Stefan Örn, Johan Kronlund, Alessandra Günthardt
4. Estland
Elina Born & Stig Rästa
"Goodbye To Yesterday"
Punkte: 106 Platz: 7
M. & T.: Stig Rästa
5. Ver. Königreich
Electro Velvet
"Still In Love With You"
Punkte: 5 Platz: 24
M. & T.: David Mindel, Adrian Bax White
6,
Armenien
Genealogy
"Face The Shadow"
Punkte: 34 Platz: 16
M.: Armen Martirosyan T.: Inna Mkrtchyan Beyond51
7. Litauen
Monika Linkytė & Vaudas Baumila
"This Time"
Punkte: 30 Platz: 18
M.: Vytautas Bikus T.: Monika Liubinaitė
8. Serbien
Bojana Stamenov
"Beauty Never Lies"
Punkte: 53 Platz: 10
M.: Vladimir Graić T.: Charlie Mason
9. Norwegen
Mørland & Debra Scarlett
"A Monster Like Me"
Punkte: 102 Platz: 8
M. & T.: Kjetil Mørland
10. Schweden
Måns Zelmerlöw
"Heroes"
Punkte: 365 Platz: 1
M. & T.: Linnea Deb, Joy Deb, Anton Malmberg Hård af Segerstad
11. Zypern
John Karayiannis
"One Thing I Should Have Done"
Punkte: 11 Platz: 22
M.: Mike Connaris T.: John Karayiannis
12. Australien
Guy Sebastian
"Tonight Again"
Punkte:196 Platz: 5
M. & T.: Guy Sebastian, David Ryan Harris, Louis Schoorl
13. Belgien
Loïc Nottet
"Rhythm Inside"
Punkte: 217 Platz: 4
M.: Loïc Nottet, Luuk Cox, Shameboy T.: Beverly Jo Scott
14. Österreich
The Makemakes
"I Am Yours"
Punkte: 0 Platz: 26
M & T.: Jimmy Harry, Dominic Muhrer, Florian Meindl, Markus Christ, Paul Estrela
M.: Željko Joksimović T.: Marina Tucaković, Dejan Ivanović
17. Deutschland
Ann Sophie
"Black Smoke"
Punkte: 0 Platz: 27
M. & T.: Michael Harwood, Ella McMahon, Tonino Speciale
18. Polen
Monika Kuszyńska
"In The Name of Love"
Punkte: 10 Platz: 23
M.: Kuba Raczynski T.: Monika Kuszyńska
19. Lettland
Aminata
"Love Injected"
Punkte: 186 Platz: 6
M. & T.: Aminata Savadogo
20. Rumänien
Voltaj
"De la capăt - All Over Again"
Punkte: 35 Platz: 15
M. & T.: Calin Gavril Goia, Gabriel Constantin, Adrian Cristescu, Paduraru Silviu-Marian, Alstani Victor-Razvan, Monica-Ana Stevens, Andrei-Madalin Leonte
21. Spanien
Edurne
"Amanecer"
Punkte: 15 Platz: 21
M. & T.: Tony Sánchez-Ohlsson, Peter Boström, Thomas G:son
22. Ungarn
Boggie
"Wars For Nothing"
Punkte: 19 Platz: 20
M.: Áron Sebestyén, Boglárka Csemer T.: Sára Hélène Bori
23. Georgien
Nina Sublatti
"Warrior"
Punkte: 51 Platz: 11
M.: Nina Sublatti, Thomas G:son T.: Nina Sublatti
24. Aserbaidschan
Elnur Huseynov
"Hour Of The Wolf"
Punkte: 49 Platz: 12
M. & T.: Sandra Bjurman, Nicolas Rebscher, Nicklas Lif, Lina Hansson
25. Russland
Polina Gagarina
"A Million Voices"
Punkte: 303 Platz: 2
M. & T.: Gabriel Alares, Joakim Björnberg, Katrina Noorbergen, Leonid Gutkin, Vladimir Matetsky
26. Albanien
Elhaida Dani
"I'm Alive"
Punkte: 34 Platz: 17
M.: Zzap'n'Chris T.: Sokol Marsi
27. Italien
Il Volo
"Grande amore"
Punkte: 292 Platz: 3
M. & T.: Ciro Esposito, Francesco Boccia
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE 1
1.Moldau
Eduard Romanyuta
"I Want Your Love"
Punkte: 41 Platz: 11
M.: Erik Lewander T.: Hayley Aitken, Tom Andrews
2. Armenien
Genealogy
"Face The Shadow"
Punkte: 77 Platz: 7
M.: Armen Martirosyan T.: Inna Mkrtchyan
3.
Belgien
Loïc Nottet
"Rhythm Inside"
Punkte: 149 Platz: 2
M.: Loïc Nottet, Luuk Cox, Shameboy T.: Beverly Jo Scott
4. Niederlande
Trijntje Oosterhuis
"Walk Along"
Punkte: 33 Platz: 14
M.: Anouk Teeuwe, Tobias Karlsson T.: Anouk Teeuwe
M. & T.: Gabriel Alares, Joakim Björnberg, Katrina Noorbergen, Leonid Gutk
13. Dänemark
Anti Social Media
"The Way You Are"
Punkte: 33 Platz: 13
M.: Remee S. Jackman, Lars Pedersen T.: Remee S. Jackman
14. Albanien
Elhaida Dani
"I'm Alive"
Punkte: 62 Platz: 10
M.: Zzap'n'Chris T.: Sokol Marsi
15.Rumänien
Voltaj
"De la capăt - All Over Again"
Punkte: 89 Platz: 5
M. & T.: Calin Gavril Goia, Gabriel Constantin, Adrian Cristescu, Paduraru Silviu-Marian, Alstani Victor-Razvan, Monica-Ana Stevens, Andrei-Madalin Leonte
16. Georgien
Nina Sublatti
"Warrior"
Punkte: 98 Platz: 4
M.: Nina Sublatti, Thomas G:son T.: Nina Sublatti
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE 2
1.Litauen
Monika Linkytė & Vaudas Baumila
"This Time"
Punkte: 67 Platz: 7
M.: Vytautas Bikus T.: Monika Liubinaitė
2. Irland
Molly Sterling
"Playing With Numbers"
Punkte: 35 Platz: 12
M. & T.: Molly Sterling, Greg French
3.
San Marino
Anita Simoncini & Michele Perniola
"Chain of Lights"
Punkte: 11 Platz: 16
M.: Ralph Siegel T.: John O'Flynn (Bernd Meinunger)
4. Montenegro
Knez
"Addio"
Punkte: 57 Platz: 9
M.: Željko Joksimović T.: Marina Tucaković, Dejan Ivanović
5. Malta
Amber
"Warrior"
Punkte: 43 Platz: 11
M.: Elton Zarb T.: Matthew Mercieca Muxu
6,
Norwegen
Mørland & Debra Scarlett
"A Monster Lie Me"
Punkte: 123 Platz: 4
M. & T.: Kjetil Mørland
7. Portugal
Leonor Andrade
"Há um mar que nos separa"
Punkte: 19 Platz: 14
M. & T.: Miguel Gameiro
8. Tschechische Republik
Marta Jandová & Václav Noid Bárta
"Hope Never Dies"
Punkte: 33 Platz: 13
M.: Václav Noid Bárta T.: Tereza Soralová
9. Israel
Nadav Guedj
"Golden Boy"
Punkte: 151 Platz: 3
M. & T.: Doron Medalie
10. Lettland
Aminata
"Love Injected"
Punkte: 155 Platz: 2
M. & T.: Aminata Savadogo
11. Aserbaidschan
Elnur Huseynov
"Hour of The Wolf"
Punkte: 53 Platz: 10
M. & T.: Sandra Bjurman, Nicolas Rebscher, Nicklas Lif, Lina Hansson
12. Island
Maria Olafs
"Unbroken"
Punkte: 14 Platz: 15
M. & T.: Ásgeir Orri Ásgeirsson, Pálmi Ragnar Ásgeirsson, Sæþór Kristjánsson
13. Schweden
Måns Zelmerlöw
"Heroes"
Punkte: 217 Platz: 1
M. & T.: Linnea Deb, Joy Deb, Anton Malmberg Hård af Segerstad
Hat Europa den Oberlehrer Deutschland beim ESC kollektiv abgestraft? Aber ja – für einen doofen Song!
Deutschland neben Österreich auf dem letzten Platz des Eurovision Song Contest, vereint in der „Hall of Shame“. Schon werden Stimmen laut, dass Deutschland, der arrogante Hegemon mit seiner Spar-Domina Merkel und dem gnatzigen Oberlehrer Schäuble, für seine Politik abgestraft worden sei. Doch diese Verschwörungstheorie lässt sich sogar mit wissenschaftlicher Hilfe entkräften. Dr. Paul Jordan aus London, der über den ESC promoviert hat, sagt auf die Frage, ob das deutsche Ergebnis etwas mit der Kanzlerin zu tun habe: „Das denke ich nicht. Es ist nur eine TV-Show, reine Unterhaltung. Deutschland hat 2010 zu einer Zeit gewonnen, als Merkel in Europa auch nicht populär war.“
Russland, für viele gerade größter Aggressor des Kontinents, hätte mit dem blonden Engel Polina Gagarina auch keinen zweiten Platz erreicht, spielte die Politik eine übergroße Rolle. Natürlich ist der ESC nicht völlig unpolitisch. Auch früher gab es meist zwölf Punkte von Zypern an Griechenland und umgekehrt, egal, was da ins Mikro gegrunzt wurde. Seit der Osterweiterung des Wettbewerbs kann man im Abstimmungsverhalten der Länder sehen, wer wem in postsowjetischer Bruderliebe zugetan ist. Am siegten dennoch meist tolle Songs oder zumindest eine tolle Performance. Und die hat der junge Schwede Måns Zelmerlöw geliefert, als er mit virtuellen Strichmännchen tanzte und dazu “Heroes“ trällerte. Ein Liedchen von schlichter Schönheit, aber einprägsam.
Es ist ganz einfach: Deutschland hat dem ESC verloren, weil es eine überforderte junge Sängerin mit einem nichtssagenden Song in den Wettbewerb geschickt hat. Eine Sängerin, die nicht einmal das eigene Land hinter sich wusste. Nahezu 80 Prozent der Zuschauer hatten im Vorentscheid für den unterfränkischen Rocker Andreas Kümmert gestimmt. Der 28-Jährige, den „Bild“ in unnachahmlicher Misanthropie einen „Klops“ nannte, hatte souverän über die zu hochtourig performende Ann Sophie gesiegt. Doch dann bekam der Franke den Blues und wollte nicht mehr zur Völkerschlacht nach Wien antreten. Statt seiner reiste die Unterlegene. Was Wunder, dass Europa das nicht goutierte. Warum sollten die Nachbarn für etwas voten, das Deutschland selbst schon für ungeeignet hielt? Ann Sophie hat ihre Sache dann besser gemacht als erwartet. Aber aus ihrem Liedchen hätte selbst Amy Winehouse keinen Siegertitel gezaubert.
Nach dem Debakel kaute Ann Sophie auf der Pressekonferenz Kaugummi, sprach von ihrer „Fanbase“ und stellte im Gleichklang mit dem ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber in nachgerade kantischer Art einen philosophischen Grundsatz auf, der da lautete: „Null Punkte sind halt null Punkte“. Schreiber verstieg sich noch zu folgender Aussage: „Wir haben uns etwas anderes gewünscht. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die null Punkte nicht null Punkte für den Song und die Performance sind. Der Song und die Performance waren besser als null Punkte.“ Dabei wirkte er wie ein Boxtrainer, der seinen schwer verprügelten Schützling zum Sieger erklärt und dabei vielsagend zu den Punktrichtern blickt.
Nun ist festzustellen, dass einige der sonst zum Vortrag gebrachten Lieder tatsächlich viel grauenhafter waren als Ann Sophies. Dass es eine gruselige Dracula-Epigonin aus Georgien auf Platz 11 schafft, ist schon sonderbar. Und dann sei noch der britische Beitrag erwähnt, der hierzulande selbst bei Möbelparkeröffnungen für Entsetzen und die sofortige Evakuierung des Publikums gesorgt hätte. Aber die Briten bekamen Mitgliedspunkte aus Malta und San Marino. So etwas hat die große Unterhaltungsnation Deutschland indes wirklich nicht nötig. Lieber grandios scheitern, als Gnadengaben von Zwergstaaten zu erhalten.
Der deprimierende Abend, an dem die Idee Europa starb
Die Welt, 24.05.2015 – von Matthias Matussek
Kein einziges Pünktchen für Deutschland – dieser Abend war für uns eine große Demütigung. Und das, obwohl wir uns in Europa ständig abmühen. Die neue Weltordnung in Sachen Musik: grau und langweilig.
Als wir dann selbst von den Österreichern keine Punkte erhielten, war der Abend gelaufen für Ann Sophie und mich und die üblichen Verdächtigen, die sich bei mir auf Facebook zusammenfanden.
Auch Sängerkriege sind Kriege, und auch wenn die meisten sich an diesem Abend scheinheilig gegen Krieg und für den Frieden aussprachen und die Liebe sangen ... Wen wollen die mit ihrem Friedensgetue veralbern?
Sollen sie doch mal anfangen bei sich und ihren Jurys und ihrem Heimpublikum. Denn die wählen. Und sie haben für Italien, Schweden und Russland gestimmt – und damit gegen uns. In meiner Facebook-Gruppe war klar: Wer nicht für uns ist, der ist nun mal gegen uns, das ist das eherne Gesetz des großen Eurovision Song Contest.
Zum Beispiel "Spiegel"-Mann Nils Minkmar. Er versuchte auf seiner Seite, das Ergebnis schönzurechnen. Eine schwarze Null. Netter Kalauer – in der Praxis eine Unverschämtheit.
Hat sich einer von diesen angeblichen europäischen Friedensfreunden mal gefragt, wie wir uns fühlen? Wie das bei uns ankommt? Wie das ist, wenn man keinen einzigen Punkt kriegt?
Ich glaube, an diesem Abend ist die Idee Europa ein für alle Mal zu Grabe getragen worden. Da schuften wir uns ab und geben unsere D-Mark her für den Euro und pauken die südlichen Nachbarn raus – und was ist der Dank?
Die Leute wählen einen Schweden, wählen drei italienische Schmalzlappen, die Amore schmettern, und im Hintergrund liegen antike Säulen herum und anderer Hausrat vor einem blutroten Himmel, als ob unsere Mütter, die in der 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts ihren Urlaub in Rimini machten, als ob sie nicht wüssten, was sie von solchen Schwüren halten durften und dass diese Amore-Troubadoure ihr Zeug nie aufräumen würden.
Apropos Süden. Das einzig Bemerkenswerte war höchstens der Kostümwechsel der Spanierin auf offener Bühne: Ratsch ratsch flog das rote Kleid und drunter hatte sie kaum was an.
Nein, nach diesem Eurovision Song Contest hab ich keine Lust mehr auf Europa. So springt man mit dem Fußballweltmeister 2014 nicht um. So nicht. Es ist doch nicht unsere Schuld, dass wir so viel besser spielen als alle anderen. Und auch noch besser aussehen. Wie Ann Sophie bewiesen hat. Schon ihr Rücken hätte gewinnen müssen.
Und Barbara Schöneberger. Sie stand am Schluss der Party in Hamburg mit Wikingerhörnern auf der Bühne, wagnerisch und blond wie die Brünhild von der Reeperbahn. Sie hat sich ihre Verzweiflung nicht anmerken lassen.
Sie hat ihren Kummer – so sind wir Germaninnen und Germanen – tapfer heruntergeschluckt und erst hinter der Bühne leise ein paar Worte an Wotan gerichtet. "Opfer?", hab ich verstanden, und ein wenig lauter und entgeisterter "Wie viele?"
Prompt haben natürlich die Leitartikler wieder die Schuld bei uns gesucht. Haben die im Windkanal getesteten Liedchen der anderen bewundert.
Moment, wer war im Windkanal bei den österreichischen Skispringern zu Gast? Ann Sophie? Nun, das war nur für diese Pausenfilmchen, die da ständig eingeblendet wurden. Und eine Verbeugung an die österreichischen Gastgeber, die trotz eines brennenden Klaviers ebenfalls keine Punkte erhielten. Die wahrscheinlich diesmal für den letztjährigen Gewinner abgestraft wurden, die Nervensäge Conchita Wurst, der aus politisch korrekten Gründen heraus der Sieg nicht verweigert werden durfte. Und die auch an diesem Abend alle fertig machte.
Da lag eine ganze Weile Russland in Führung, und Conchita setzte sich mit ihrem aufgemalten Bart neben Polina Gagarina, ja, genau, eine Urenkelin des ersten russischen Weltraumpiloten Juri Gagarin. Da setzte sie sich also neben diese blonde, sehr ansehnliche Marilyn-Bombshell aus Moskau, die schon ganz aufgelöst war und ihre Tränen betupfte, und Conchita fragte die Frage der Fragen, nämlich, wie sie sich nun fühle.
"Ganz überwältigt", schluchzte Gagarina, und fortan bekam sie kaum noch Punkte, und ihr Vorsprung vertröpfelte, je länger Conchita da herumsaß, und am Ende gewann ein 08/15-Schwede mit einem 08/15-Song.
Soll so die neue Weltordnung im Bereich Singen/Unterhaltung/Show aussehen? Nichtssagende sozialdemokratische Welt- und Wohlstandskritik in Jeans und grauem T-Shirt, die kalkulierte Anti-Glamour-Nummer?
Dann schon lieber, wie heißt der Typ noch mal, der jetzt vergessen wird, na egal, also Conchita Wurst. Mit falschen Wimpern und falschen Gefühlen. Vielleicht ist es eine Sache des Alters. Für mich hört sich das mittlerweile alles gleich an. Ralph Siegel hat ja auch nichts gewonnen mit seiner Kandidatin, und der ist schon länger dabei als der HSV in der Bundesliga, also geschätzt seit 1850, und immerhin Sieger-Komponist mit Nicole, und die sang, ähm, "ein bisschen Frieden", also ich habe nicht behauptet, dass sich textlich sehr viel geändert hätte.
Noch während der Auszählung soll von der Leyen einige Panzermanöver an den deutschen Grenzen angeordnet haben, aber dann ist ihr eingefallen, dass wir gar keine fahrbereiten Panzer haben.
Ich bin auch gegen solche kriegerischen Demonstrationen. Und schlage vor, dass wir uns nächstes Mal mit einem bunten Torwandschießen bewerben.
Eurovision Song Contest 2015: Viel zu harmoniebesoffen
24.05.2015, Spiegel Online - von Anja Rützel
Und das soll ESC sein? Ein Mainstream-Propf verstopft die vorderen Plätze, es siegt Konsens-Darling Måns Zelmerlöw. Da ist das deutsche Abschneiden mit nur null Punkten eher sonderbar als schmerzhaft.
Die kindische, rechenschwache Hoffnung lag bis zum Schluss auf dem kleinen, belgischen Tambourmajor. Loïc Nottet, der jugendliche Rapapapp-Drummerboy, der mit seinen Blicken gut auch als besessenes Gruselkind in einem Horrorfilm durchgehen könnte und mit seinem Linealscheitel, dem adretten Gehrock und der reduzierten Schwarz-Weiß-Ästhetik den Eindruck vermittelte, wir befänden uns hier beim internen Mitarbeiter-Gesangswettbewerb der Raumfahrtgesellschaft Gattaca, hielt sich nämlich bei der Punktevergabe hartnäckig auf Platz vier. Und hätte damit, wenn man berauscht vom Durchhalte-Wein eben nicht so genau nachzählte, wie viele Nationen jetzt noch wie viele mögliche Gesamtpunkte vergeben würden, als Einziger noch das Spitzentrio sprengen können.
Ganz oben in der Punktetabelle klebten aber ablöseresistent wie gedörrter Kaugummi unter altem Kinositz die drei Favoriten: leicht aseptischer Schwedenpop in Gummihose, russische Schwulstballade von einem kindlichen Helene-Fischer-Marilyn-Monroe-Hybriden, Knödelklassik aus Italien. Klingt wie ein zusammengeschaufelter Büffetteller und war in seinen Einzelbestandteilen eher fade Kost. Bis fast zuletzt war es fast spannend zuzusehen, wie das Spitzentrio untereinander die Führung wechselte, eigentlich aber natürlich doch nicht, bestenfalls interesseloses Wohlgefallen konnte man als Zuschauer für diese drei Titel mobilisieren. Die widerhakenfreie Spitzengruppe passte zum festlich glatten Pop-Pomp des Abends, einem makellosen Konsensrahmen, den man sich als Allzwecksetting für manch anderen Gala-Anlass auf Wiedervorlage packen kann. Fiedelnde Wiener Philharmoniker, eine fliegende Conchita Wurst, fehlerlose Moderation, insgesamt irgendwie zu viel Kuschelmuschel und geformte Finger-Herzchen.
Das Siegerschlusswort des Schweden Måns Zelmerlöw könnte konsensiger nicht sein: "We are all heroes, whoever you are, whatever you believe in." Das stimmt natürlich nicht, denn das schlösse ja auch die vorsätzlich Dummen und absichtlich Gemeinen mit ein, und Helden sind das sicher nicht, passte aber zur harmoniebesoffenen Gesamtinszenierung. Alles gut, alles schön. Aber wo waren die irren Popdohlen und verrückten Hühner, die offensichtlich durchgedrehten Wundertiere? Sie taugen offensichtlich nur noch als verschrobenes Personal für So-irr-war-es-früher-Einspielfilmchen unter unwirklich-historisierenden Filtern. Mehr Abweichler, ein paar sinnlose Butterstampf-Omas oder Gröhl-Griechen, sie hätten dem dann doch sehr langen Abend gutgetan. Und dafür dann vielleicht etwas weniger arglose Glee-Erotik aus Litauen, ein paar weniger Brülldiven von der Stange, weniger harmlose Okapi-Anmut aus Ungarn und halblebiger zyprischer Sachbearbeiter-Schmacht: Wenn John Karayiannis verhuscht über "One Thing I Should Have Done" sang, meinte er damit vermutlich: eine Energiesparlampe reindrehen.
Dabei gab es sie ja, die wagemutigen Beiträge, aber sie kamen einfach nicht am risikolosen Spitzentrio-Propfen vorbei: Auf Platz sechs schaffte es die Elektronummer "Love Injected" von Aminata aus Lettland (die frappant an Ex-Queensberry-Sängerin und Dschungelcamptrulla Gabby erinnerte). Das estnische Duo Elina Born & Stig Rästa landete mit seiner liedgewordenen Post-Beischlaf-Etikette "Goodbye to Yesterday" auf Platz sieben. Und der norwegische Geständnisschunkler "A Monster Like Me" endete auf Platz acht, was nicht übel ist für einen Song, in dem jemand bekennt, als Kind mal wen gelyncht zu haben.
Man konnte sich an der trotzigen Schnapsdrosselstimme der slowenischen Kopfhörerfrau erfreuen, am brennenden Klavier des sonst lauwarmen Österreichbeitrags, am Froschschenkeltanz des "Golden Boy" aus Israel, am beleuchtbaren Wearable-Tech-Showkleid des britischen Ulk-Swings. Auf dem Sofa mit den Mitguckern besprechen, ob der spanische Beitrag eine modernisierte Märchenfassung von "Rotkäppchen und der epilierte Wolf" darstellen sollte oder ob das Kleid der Hijahija-ha-Sängerin nun rot oder golden war. Und man konnte für einen kleinen, kurzsichtigen Moment angesichts der annähernd fleischfarbenen Enghose von Guy Sebastian denken, der Jubiläumsgast aus Australien hätte tatsächlich beschlossen, untenrum ohne aufzutreten. So als leicht subversiver Down-under-Witz.
So richtig funktionierte es diese Mal aber nicht mit dem sinnfreien, abendlangen Kürzesturlaub von politischen Debatten und Euro-Lagerkoller, dem kleinen Genderfasching als Gegenstatement. Moderatorin Alice Tumler musste während des Votings gar das Publikum in der Wiener Stadthalle zur Ordnung rufen, weil dort bei Punkten für die russische Friedensklage immer wieder gebuht wurden.
Apropos ausbuhen, verschmähen, gar nicht gut finden: Ja, der deutsche Beitrag "Black Smoke" von Ann Sophie landete tatsächlich auf dem letzten Platz. Die Punktenull stand bis zum Ende, was nach Ann Sophies Auftritt doch zumindest ein bisschen verwundert, weil sie die Perfomance gut meisterte: mit bratschenförmigen Poppesschwenkern, sehr passablem Gesang und schwarzem Federohrring, als sei das eine Kriegstrophäe, die sie der georgischen Düsterkrähen-Warriorin ausgerupft hatte. Selbst die No Angels und Grazia, in ihren ESC-Jahren ebenfalls letztplatzierte deutsche Beiträge, bekamen seinerzeit 14 beziehungsweise vier Punkte.
So ist dieser letzte deutsche Platz (gemeinsam mit den österreichischen Hipsterhängern von The Makemakes) eher sonderbar als schmerzhaft. Und wenigstens zwei heimliche Helden hat der diesjährige Gesangswettbewerb am Ende doch hervorgebracht: die finnische Verkünderin des Punktevotings (wer sind eigentlich all diese bizarr frisierten Punktevorlese-Menschen?), die erst einmal unter Luftkuss-Salven ihren Verlobungsring präsentierte: "Whoo-hoo, finally getting maaa-rried!" Und natürlich der sensationell grimassierende Pausentrommler Martin Grubinger, ein gedoptes Duracell-Häschen, dem man mit wachsender Fassungslosigkeit bei seiner irren Klöppelei zusehen konnte. Man sollte sofort ein Meme aus ihm basteln, "overly enthusiastic drummer" oder so, damit wir ihn nicht vergessen, denn für solche Momente gibt es den ESC.
Glatt gebügelt und gemäßigt, alle heimlichen Schrullen für eine angemessene Alltagsperformance ausgedellt, sind wir alle schon selbst leider viel zu oft.
Null Chance, dass Deutschland so weitermacht
Die Welt, 24.05.2015 - von Holger Kreitling
Deutschlands Ann Sophie erhielt beim Eurovision Song Contest 2015 in Wien null Punkte. Das gab es zuletzt 1965. Sieger wurde der Schwede Måns Zelmerlöw. Von ihm kann Deutschland viel lernen.
Seien wir fair und fangen mit dem Sieger an. Obwohl man die Verlierernachricht gleich jetzt ausrufen möchte. Null … nein, wir verkneifen uns das.
Måns Zelmerlöw nahm das Gewinnerdasein souverän an, beinahe als selbstverständlich, er wirkte eine Stunde nach der Show ruhig und abgeklärt. Sprach gefasst und analysierte klar, ohne Überhast und allzu große Leidenschaft. Sein Credo, dass wir nach seinem Songtitel "Heroes" alle Helden seien, die stolz auf sich sein können, hatte er schon in der Halle ausgerufen, nun wiederholte er das. Mission accomplished.
Immerhin wusste der 28-jährige Zelmerlöw gleich, wie man in Österreich einen Schokokuss aus Zuckerschaum nennt, nämlich "Schwedenbombe", und er konnte das Wort auch grinsend unfallfrei aussprechen.
Die Schwedenbombe gewinnt also den Eurovision Song Contest (ESC) mit 365 Punkten, Russland wird Zweiter mit 303 Punkten, Italien Dritter mit 292 Punkten. Es war ein ziemlich spannender Abend, denn die Jury zog die Entscheidung geschickt in die Länge. Lange führte die Russin Polina Gagarina mit ihrem Schmuse-Propaganda-Lied "A Million Voices", das um Frieden und Heilung barmt. Auch Deutschland gab zwölf Punkte für das fiese Stück. Immerhin: Im vergangenen Jahr wurde der harmlose russische Beitrag noch offen ausgebuht und angefeindet. Nun Belobigungen und Entspannungskurs.
Spät übernahm Schweden die Führung, mit wenigen Punkten Vorsprung, der sich erst kurz vor Schluss ausdehnte. Ein Dutzend Zwölf-Punkte-Wertungen insgesamt machten den Unterschied. Die Tenöre Il Volo mit dem Schmachtfetzen "Grande Amore" hätten fast noch Russland überholt und den zweiten Platz errungen. Überraschend auch der tolle vierte Platz für den coolen Song aus Belgien. Sechs Mal hat Schweden nun den ESC gewonnen, liegt aber immer noch hinter Irland, das sieben Titel geholt hat.
Jetzt aber: Und Deutschland bekommt keinen einzigen Punkt, wird Letzter, gemeinsam mit Österreich, das das gleiche Schicksal teilt.
Null Punkte. Zero Points. Überhaupt nix. Keinen Anstandspunkt. Keinen Ausnahme-von-der-Regel-Punkt. Nicht mal einen Mitleidspunkt. Ein Desaster.
Und dabei eigentlich unvorhersehbar. Denn sooo schlecht waren weder das Lied "Black Smoke" noch die Sängerin Ann Sophie. Der Auftritt auf dem Startplatz 17 war gut, es gab keinen Patzer, Ann Sophie hat alles gegeben. Und doch eine Nullnummer.
Das gleiche gilt für die Makemakes aus Österreich, die mit einem ordentlichen Lied antraten und mitten im Auftritt das Klavier in Brand setzten. Null Punkte für das Gastgeberland, das ist die vielleicht noch größere Blamage.
Dass sich Deutschland und Österreich gegenseitig keine Punkte gönnen, hat Tradition, mehr als 30 Mal hat etwa Deutschland nichts an Österreich gegeben. Aber auch keine Punkte von den zahlreichen Nachbarn? Niederlande, Schweiz, Dänemark? Erstaunlich.
Zero points.
Ann Sophie trat denn auch mit den Makemakes gemeinsam vor die Mikrofone und Kameras, und alle zuckten mit den Achseln. Später stand sie tapfer da – andere hätten gekniffen – und sagte "Null Punkte sind halt null Punkte". Klar habe es ihr Spaß gemacht, es sei wunderschön gewesen, auf einer so großen Bühne vor so vielen Zuschauern aufzutreten. Sie wolle weiter arbeiten, Musik machen, im nächsten Jahr stehe sie vielleicht auf einer anderen Bühne, sagte sie. Was man so sagt. Ein bisschen verlegen war Ann Sophie, schaute nach oben, als ob von da Antworten zu erwarten wären. Null Punkte sind halt null Punkte. Das wird ihr sicher lange nachhängen, die Öffentlichkeit vergisst so eine Pleite eher nicht.
1964 und 1965 wurde Deutschland zwei Mal in Folge mit null Punkten abgestraft, damals allerdings bei lediglich 16 und 18 Teilnehmern. Niemand erinnert sich an Nora Nova, die "Man gewöhnt sich so schnell an das Schöne" sang und an Ulla Wiesner mit "Paradies, wo bist Du?". Bei diesmal 40 votierenden Ländern ist die Schmach ungleich größer.
Die Loser-Liste des Schreckens: Erst 2008 landete Deutschland, vertreten durch die Band No Angels, auf dem letzten Rang, den es sich mit Polen und Großbritannien teilte. Drei Jahre zuvor wurde das weithin vergessene "Deutschland sucht den Superstar"-Gewächs Gracia Letzte mit vier Punkten. 1995 gab es ebenfalls den letzten Platz für Stone & Stone, und selbst da wurde ein Mitleidspunkt erzielt.
Selbst das stümperhafteste Lied des Abends aus Großbritannien bekam fünf Punkte, die Weltkriegs-Pathosmaschinerie aus Frankreich noch vier.
Es ist eine schlichte Weisheit, dass kein Erfolg da ist, wo die Unterstützung in der Heimat fehlt. Ann Sophie war die Zweitlösung, weil der mit überwältigender Mehrheit gewählte Andreas Kümmert sich plötzlich zurückzog. Es wurde danach nicht wirklich besser. Das Interesse an diesem Beitrag, an der unverhofft zu Ehren gekommenen Debütantin und am ESC lahmte seitdem. "Black Smoke" ist ein liebes Lied, das nicht wehtut und vielleicht deshalb auch kaum auffällt. Es polarisiert nicht – noch eine Binse – und ging unter.
Delegationsleiter und ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber fand wieder einmal diplomatische Worte, dankte, lobte und stellte eine Analyse in Aussicht. Beim 21. Platz für Cascada hatte Schreiber noch die Bundeskanzlerin als Grund für die europäische Abstrafung mit ins Boot genommen. Das fiel diesmal aus.
Die Bilanz ist bitter. Anders als in den Stefan-Raab-Jahren gelingt es der ARD nicht richtig, Musiker und Publikum zu animieren. Der Vorentscheid ging in die Hose, nicht bloß wegen Andreas Kümmert. Vom schwedischen Sieger lässt sich viel lernen. Er hat in seiner Heimat die seit Jahren extrem beliebte Vorentscheids-Show "Melodifestivalen" gewonnen, war außerdem bereits Sieger von "Let's Dance", hat "Romeo und Julia" gespielt und im Fernsehen moderiert.
Der Song hat eine denkbar große Zielgruppe, spricht Kinder an und erwachsene Wohlstandskinder, die im Text besungen werden. Das Lied verbindet Countrytöne am Anfang mit Discotanz. Zelmerlöws Inszenierung von "Heroes" mit den tanzenden Strichmännchen ist visuell enorm fein und mitreißend. Die Woge der Heimat-Begeisterung hat wiederum die Buchmacher-Anfragen und die europaweiten Google-Abrufe beeinflusst, weswegen er zum Favoriten wurde.
Bei alldem spielte Deutschland keinerlei Rolle. Das internationale Interesse an "Black Smoke" war gering. Kunststück. Wenn schon das eigene Land kalt bleibt. Twitter-Follower von Ann Sophie Mitte der Woche: 2507. Das ist praktisch null.
Es ist kein putziger Zufall, sondern tiefe Einsicht und Ausdruck der österreichischen Gemütslage, dass zum ESC im ehrwürdigen Leopold-Museum eine Ausstellung zu sehen ist, die "The Nul-Pointers" heißt. Der in Wien lebende deutsche Schriftsteller Tex Rubinowitz hat sie erstellt und dafür alle bisher 34 Sängerinnen und Sänger mit eiligem Strich auf Holztafeln gemalt, die im Wettbewerb null Punkte bekamen. Es ist eine witzige Schau mit traurigen Gesichtern, in einem Raum werden deren Lieder gespielt.
Rubinowitz hat noch in der Nacht angekündigt, an diesem Sonntag seine Ausstellung zu erweitern. The Makemakes und Ann Sophie bekommen ihre Bilder. Ruhm, der bleibt.
Beworben hatten sich die Hauptstadt Kopenhagen und die mitteljütländische Kleinstadt Herning (bereits Veranstaltungsort der dänischen Vorentscheidung). Außerdem waren Bewerbungen aus Fredericia, Aalborg und Horsens hinzugekommen, hier hätte ein ausgedientes Gefängnis als Open-Air-Arena zur Wahl gestanden. Aalborg zog seine Bewerbung zurück, da man die geforderten 3000 Hotelbetten nicht vorhalten könne. Auch Frederica zog die Bewerbung zurück, da die EBU eine Halle ohne Säulen fordert, das könne man nicht erfüllen. Die Direktion des Parken Stadions in Kopenhagen (Austragungsort 2001) erklärte, es sei nicht möglich, das Stadion für die Dauer der Vorbereitungen (Aufbau, Proben und Shows - insgesamt 6 Wochen) den Fußballvereinen vorzuenthalten.
Kroatien, die Türkei, Slowakei, Zypern, Bulgarien, Bosnien & Herzegowina und Serbien nahmen am ESC 2014 nicht teil. Portugal und Polen kehrten zurück, so dass insgesamt 37 Länder am Start waren.
Austragungsort waren die B&W Hallen, ein ehemaliger Werft-Komplex mit mehreren Hallen, der zu einer "Eurovisions-Insel" gemacht wurde. Der Komplex liegt im Stadtteil Refschaleøen unmittelbar am Wasser und in der Nähe der "Kleinen Meerjungfrau". Wenn auch die Umgebung der Industriebrache alles andere als einladend war und für alle Aktiven eine ziemliche Zumutung darstellte, so hatte man das Innere der Werfthalle doch mit einer der visuell besten Bühnen der ESC-Geschichte ausgestattet.
Die Auslosung der Zuordnung zu den beiden Semifinalen erfolgte am 20. Januar 2014. Zu diesem Zweck wurden sechs Töpfe gebildet, in die die Länder nach ihrem Stimmverhalten in den letzten zehn Jahren verteilt wurden, um Nachbarschaftsvoting und Blockbildungen möglichst zu vermeiden. Allerdings wurde Schweden schon dem 1. Semifinale zugelost und Norwegen dem 2. Semifinale, um den Ticketverkauf in Skandinavien zu entzerren, auch Israel wurde schon vorab auf Wunsch dem 2. Semifinale zugeteilt. Bei der Auslosung wurde ebenfalls bestimmt, in welcher Hälfte des Semifinales die einzelnen Länder antreten und in welchem der Semifinale die BIG 5 und Gastgeber Dänemark werten, wobei Italien um das 1. Semifinale und Deutschland um das 2. Semifinale gebeten hat. Gastgeber Dänemark wurde die Startnummer 23 im Finale zugelost. Die Startreihenfolge der Semifinale wurde (wie erstmals 2013) wieder durch die TV-Produzenten festgelegt. Die Startreihenfolge für das Finale wurde festgelegt, sobald alle Finalisten feststanden.
Die EBU hatte die Regeln bzgl. der Wertung etwas verschärft: So mussten die nationalen Juroren bereits am 1. Mai 2014 öffentlich bekannt gegeben werden, Juroren durften nicht in den vergangenen zwei Jahren in einer nationalen Jury gewesen sein, und unmittelbar nach dem Finale sollten alle Jurywertungen in allen Einzelheiten öffentlich gemacht werden.
Nachdem das schwedische TV im letzten Jahr wieder zurück zu den Wurzeln ging und mit Petra Mede nur eine Moderatorin alle drei Shows moderieren ließ, ging das dänische TV nun wieder in die Vollen und bot ein Moderatoren-Trio auf, und zwar eine Frau mit zwei Männern: Lise Rønne, Nikolaj Koppel und Pilou Asbæk.
Lise Rønne und Nikolaj Koppel sind Moderatoren des dänischen Fernsehen, während Pilou Asbæk Schauspieler ist. Er dürfte vielen deutschen TV-Zuschauern bekannt sein aus der Serie "Borgen", in der er den Spin-Doktor der Premierministerin spielte.
In den Postcards wurden die einzelnen Interpretinnen und Interpreten gezeigt, wie sie jeweils die Nationalflagge ihres Landes auf unterschiedlich Art und mit unterschiedlichen Materialien zusammstellten.
FAZIT
Man durfte gespannt sein, wie Danmarks Radio (DR) den ESC organisieren würde auf der Halbinsel Refshaleøen, dem sog. „Eurovision Island“, auf dem „wie Phönix aus der Asche“ eine ehemaligen Werfthalle zum hochprofessionellen Austragungsort der größten Musikshow der Welt umgebaut wurde, zumindest was das Technische angeht. Und es war ziemlich beeindruckend, was man aus der Halle gemacht hatte: Eine wirklich unglaubliche Bühne mit wunderschönen Inszenierungen der einzelnen Acts. Es gab ein sehr sympathisches und humorvolles Moderatoren-Trio, einen beeindruckenden Pausen-Act mit Emmelie de Forest und einer mitreißenden Inszenierung des Songs „Rainmaker“, bei der alle Interpret*innen mit auf die Bühne kamen und sangen.
Es gab zahlreiche musikalische und optische Highlights, so das niederländische Duo The Common Linnets, die mit einer grandiosen Inszenierung ihrer doch eher ruhigen Country-Ballade überraschenderweise den zweiten Platz erreichen konnten und wohl kommerziel den erfolgreichsten Titel des Jahrgangs beisteuerten.
Mehr hinsichtlich der Optik mit tiefen ausgeschnittenen Blusen ihrer Backgroundsängerinnen, die sich u.a. ziemlich anzüglich an einem Butterfass und einem Waschbrett zu schaffen machten, punkteten Donatan & Cleo für Polen, was ihnen Platz 14 einbrachte.
Eine erfrischende Performance von SeBalter und ein ins Ohr gehender Song brachte die Schweiz ins Finale und dort auf Platz 13.
Im dritten Anlauf schaffte es endlich auch Valentina Monetta für San Marino ins Finale, allerdings landete sie hier nur auf Platz 24.
Der zweite Versuch von Paula Seling & Ovi nach ihrem dritten Platz in Oslo 2010 sollte mit "Miracle" das Wunder des Sieges bringen, aber sie landeten trotz eines kreisrunden Klaviers nur auf Platz 12.
Nur knapp am Finale vorbei, auf Platz 11 im Semfinale, landete die Fanfavoritin Suzy aus Portugal.
Das deutsche Damentrio Elaiza aus Deutschland hatte das Pech, dass die Produzenten sie im Finale zwischen die beiden Favoritinnen Conchita Wurst und Sanna Nielsen aus Schweden platzierten. So gingen sie dort ziemlich unter und erreichten nur den 18. Platz. Aber es hätte noch schlimmer kommen können, wären nicht die Widrigkeiten der Proben noch rechtzeitig behoben worden: So hatte man die drei Mädel in einen in dunklem Lila gehaltenen optischen "Gemischtwarenladen" gestellt. Und die Einstellung der Streamerkanone war letztlich auch richtig eingestellt, nachdem sie vorher dem Trio noch voll ins Gesicht geschossen hatte.
Die Wertung war äußerst spannend. Es gab mehrere Favoriten und eine äußerst würdige Siegerin Conchita Wurst, die zudem mit ihrem Sieg noch eine Botschaft verband, nämlich Toleranz und Akzeptanz jedes Menschen, egal wer er ist und wie er sich gibt. Selten war ein Finale auch emotional so berührend. Die Atmosphäre in der Halle war nahezu einzigartig, und damit zählt dieser ESC in der Gesamtschau mit zu den besten aller Zeiten.
DIE TEILNEHMENDEN - FINALE
1.Ukraine
Mariya Yaremchuk
"Tick-Tock"
Punkte: 113 Platz: 6
M. & T.: Mariya Yaremchuk, Sandra Bjurman
2. Belarus
Teo
"Cheesecake"
Punkte: 43 Platz: 16
M.: Yury Vashchuk (Teo) T.: Dmitry Novik
3.
Aserbaidschan
Dilara Kazimova
"Start a Fire"
Punkte: 33 Platz: 22
M. & T.: Stefan Örn, Johan Kronlund, Alessandra Günthardt
4. Island
Pollapönk
"No Prejudice"
Punkte: 58 Platz: 15
M. & T.: Heidar Orn Kristjansson, Haraldur Freyr Gislason, John Grant
5. Norwegen
Carl Espen
"Silent Storm"
Punkte: 88 Platz: 8
M. & T.: Josefin Winther
6,
Rumänien
Paula Seling & OVI
"Miracle"
Punkte: 72 Platz: 12
M. & T.: Ovi, Philip Halloun, Frida Amundsen, Beyond51
7. Armenien
Aram Mp3
"Not Alone"
Punkte: 174 Platz: 4
M.: Aram Mp3 T.: Garik Papoyan
8. Montenegro
Sergej Ćetković
"Moj svijet"
Punkte: 37 Platz: 19
M.: Sergej Ćetković T.: Emina Sandal
9. Polen
Donatan & Cleo
"My Slowianie We Are Slavic"
Punkte: 62 Platz: 14
M.: Witold Czamara T.: Joanna Klepko
10. Griechenland
Freaky Fortune feat. Risky Kidd
"Rise Up"
Punkte: 35 Platz: 20
M.: Freaky Fortune T.: Freaky Fortune feat. Risky Kidd
11. Österreich
Conchita Wurst
"Rise Like a Phoenix"
Punkte: 290 Platz: 1
M. & T.: Alexander „Ali“ Zuckowski, Robin Grubert, Julian Maas, Charley Mason
12. Deutschland
Elaiza
"Is It Right"
Punkte: 39 Platz: 18
M.: Elzbieta Steinmetz, Frank Kretschmer T.: Elzbieta Steinmetz, Adam Kesselhaut
13. Schweden
Sanna Nielsen
"Undo"
Punkte: 218 Platz: 3
M. & T.: Fredrik Kempe, David Kreuger, Hamid „K-One“ Pirouzpanah
14. Frankreich
TWIN TWIN
"Moustache"
Punkte: 2 Platz: 26
M: Pierre Beyres, Kim N’Guyen T.: Lorent Ardouvin, François Ardouvin
15.Russland
Tolmachevy Sisters
"Shine"
Punkte: 89 Platz: 7
M.: Dimitris Kontopoulos, Philipp Kirkorow; T: John Ballard, Ralph Charlie, Gerard James Borg
16. Italien
Emma
"La mia città"
Punkte: 33 Platz: 21
M. & T.: Emma Marrone
17. Slowenien
Tinkara Kovač
"Round And Round"
Punkte: 9 Platz: 25
M.: Raay T.: Tinkara Kovač, Hannah Mancini, Tina Piš
18. Finnland
Softengine
"Something Better"
Punkte: 72 Platz: 11
M.:Topi Latukka T.: Henri Oskár, Topi Latukka
19. Spanien
Ruth Lorenzo
"Dancing In The Rain"
Punkte: 74 Platz: 10
M. & T.: Ruth Lorenzo, James Lawrence Irvin, Julian Emery
20. Schweiz
Sebalter
"Hunter of Stars"
Punkte: 64 Platz: 13
M. & T.: Sebastiano Paù-Lessi
21. Ungarn
András Kállay-Saunders
"Running"
Punkte: 143 Platz: 5
M. & T.: András Kállay-Saunders, Krisztián Szakos
22. Malta
Firelight
"Coming Home"
Punkte: 32 Platz: 23
M. & T.: Richard Edwards Micallef
23. Dänemark
Basim
"Cliché Love Song"
Punkte: 74 Platz: 9
M. & T.: Lasse Lindorff, Kim Novak-Zorde, Daniel Fält, Basim Moujahid
24. Niederlande
The Common Linnets
"Calm After The Storm"
Punkte: 238 Platz: 2
M. & T.: Ilse DeLange, JB Meijers, Rob Crosby, Matthew Crosby, Jake Etheridge
25. San Marino
Valentina Monetta
"Maybe"
Punkte: 14 Platz: 24
M.: Ralph Siegel T.: Mauro Balestri
26. Ver. Königreich
Molly
"Children of The Universe"
Punkte: 40 Platz: 17
M. & T.: Molly Smitten-Downes, Anders Hansson
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE - 1
1.Armenien
Aram Mp3
"Not Alone"
Punkte: 121 Platz: 4
M.: Aram Mp3 T.: Garik Papoyan
2. Lettland
Aarzemnieki
"Cake To Bake"
Punkte: 33 Platz: 13
M.& T.: Guntis Veilands
3.
Estland
Tanja
"Amazing"
Punkte: 36 Platz: 12
M.& T.: Timo Vendt, Tanja
4. Schweden
Sanna Nielsen
"Undo"
Punkte: 131 Platz: 2
M. & T.: Fredrik Kempe, David Kreuger, Hamid „K-One“ Pirouzpanah
5. Island
Pollapömk
"No Prejudice"
Punkte: 61 Platz: 8
M. & T.: Heidar Orn Kristjansson, Haraldur Freyr Gislason, John Grant
6,
Albanien
Hersi
"One Night's Anger"
Punkte: 22 Platz: 15
M.: Gentian Lako T.: Jorgo Papingji
7. Russland
Tolmachevy Sisters
"Shine"
Punkte: 63 Platz: 6
M.: Dimitris Kontopoulos, Philipp Kirkorow; T.: John Ballard, Ralph Charlie, Gerard James Borg
8. Aserbaidschan
Dilara Kazimova
"Start a Fire"
Punkte: 57 Platz: 9
M. & T.: Stefan Örn, Johan Kronlund, Alessandra Günthardt
9. Ukraine
Marija Yaremchuk
"Tick-Tock"
Punkte: 118 Platz: 5
M.: Mariya Yaremchuk T.: Mariya Yaremchuk, Sandra Bjurman
10. Belgien
Axel Hirsoux
"Mother"
Punkte: 28 Platz: 14
M. & T.: Ashley Hicklin, Rafael Artesero
11. Moldau
Cristina Scarlat
"Wild Soul"
Punkte: 13 Platz: 16
M.: Ivan Aculov T.: Lidia Scarlat
12. San Marino
Valentina Monetta
"Maybe"
Punkte: 40 Platz: 10
M.: Ralph Siegel T.: Mauro Balestri
13. Portugal
Suzy
"Quero ser tua"
Punkte: 39 Platz: 11
M. & T.: Emanuel
14. Niederlande
The Common Linnets
"Calm After The Storm"
Punkte: 150 Platz: 1
M. & T.: Ilse DeLange, JB Meijers, Rob Crosby, Matthew Crosby, Jake Etheridge
15.Montenegro
Sergej Ćetković
"Moj svijet"
Punkte: 63 Platz: 7
M.: Sergej Ćetković T.: Emina Sandal
16. Ungarn
András Kállay-Saunders
"Running"
Punkte: 127 Platz: 3
M. & T.: András Kállay-Saunders, Krisztián Szakos
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE - 2
1.Malts
Firelight
"Coming Home"
Punkte: 63 Platz: 9
M. & T.: Richard Edwards Micaleff
2. Israel
Mei Finegold
"Same Heart"
Punkte: 19 Platz: 14
M. & T.: Rami Talmid
3.
Norwegen
Carl Espen
"Silent Storm"
Punkte: 77 Platz: 6
M. & T.: Josefin Winther
4. Georgien
The Shin & Mariko
"Three Minutes to Earth"
Punkte: 15 Platz: 15
M.: Zaza Miminoshvili T.: Eugen Elio
5. Polen
Donatan & Cleo
"My Słowianie - We Are Slavic"
Punkte: 70 Platz: 8
M.: Witold Czamara T.: Joanna Klepko
6,
Österreich
Conchita Wurst
"Rise Like a Phoenix"
Punkte: 169 Platz: 1
M. & T.: Alexander „Ali“ Zuckowski, Robin Grubert, Julian Maas, Charley Mason
7. Litauen
Vilija Matačiūnaitė
"Attention"
Punkte: 36 Platz: 11
M.: Viktoras Vaupšas, Vilija Matačiūnaitė T.: Vilija Matačiūnaitė
8. Finnland
Softengine
"Something Better"
Punkte: 97 Platz: 3
M.: Topi Latukka T.: Topi Latukka, Henri Oskár
9. Irland
Can-Linn feat. Kasey Smith
"Heartbeat"
Punkte: 35 Platz: 12
M. & T.: Hazel Kaneswaran, Jonas Gladnikoff, Rasmus Palmgren, Patrizia Helander
10. Belarus
Teo
"Cheesecake"
Punkte: 87 Platz: 5
M.: Yuri Vaschuk (Teo) T.: Dmitry Novik
11. EJR Mazedonien
Tijana
"To The Sky"
Punkte: 33 Platz: 13
M.: Darko Dimitrov, Lazar Cvetkoski T.: Elena Risteska Ivanovska, Darko Dimitrov
12. Schweiz
Sebalter
"Hunter of Stars"
Punkte: 92 Platz: 4
M. & T.: Sebastiano Paù-Lessi
13. Griechenland
Freaky Fortune feat. Risky Kidd
"RIse Up"
Punkte: 74 Platz: 7
M.: Freaky Fortune T.: Freaky Fortune feat. Risky Kidd
14. Slowenien
Tinkara Kovač
"Round And Round"
Punkte: 52 Platz: 10
M.: Raay T.: Tinkara Kovač, Hannah Mancini, Tina Piš
15.Rumänien
Paula Seling & OVI
"Miracle"
Punkte: 125 Platz: 2
M. & T.: Ovidiu Cernăuțeanu, Phillip Halloun, Frida Amundsen,
Mit Conchita Wurst triumphieren Toleranz und Menschenrechte beim Eurovision Song Contest. Der Erfolg der bärtigen Lady ist nicht nur ein Sieg für Österreich, auch für ESC-Fans und Homosexuelle.
Drei Länder fehlen noch bis zum Ende der Abstimmung. Doch die Ukraine vergibt die entscheidenden Zähler: acht Punkte gehen an "Austria". Das reicht zum Sieg. Fans mit rot-weiß-roten Fahnen liegen sich jubelnd in den Armen. Mit lauten "Conchita, Conchita"-Rufen feiern die Österreicher das Ergebnis. Und nicht nur sie. Die ganze Arena von Kopenhagen steht Kopf. Egal ob Dänen, Deutsche, Spanier oder Isländer. Sogar Holländer, denen gerade alle Hoffnung auf den ersten Platz genommen wurde, freuen sich mit. Denn die Siegerin - und das ist das Neue und Einzigartige an diesem Triumph - hat nicht für ein Land gewonnen. Conchita Wurst siegt für eine Botschaft: von Akzeptanz, Toleranz und Menschenrechten.
Was sich da am Samstagabend in den B&W Hallen von Kopenhagen abspielte, kommt einer Sensation gleich. Mit dem viertbesten Ergebnis aller Zeiten und insgesamt 290 Punkten gewann Conchita Wurst mit deutlichem Abstand den Eurovision Song Contest. Vor den von Musikkritikern hoch gelobten Countrysängern The Common Linnets aus Holland (238 Punkte) und der schwedischen Helene Fischer, Sanna Nielsen (218 Punkte), errang sie den ersten Sieg für Österreich seit 48 Jahren. Wurst erhielt 13 Mal die Höchstwertung von zwölf Punkten. Dass eine Frau mit Bart den ESC gewinnt, wird in die Annalen des Wettbewerbs eingehen. Es ist aber vor allem das Wie, das diesen Sieg ausmacht.
Die Dragqueen vom Lande
Als schräger Vogel, von Favoriten wie dem Armenier Aram MP3 milde belächelt, startete Wurst in den ESC. "Was die?", hieß es noch Anfang der Woche empört, als einige es wagten zu mutmaßen, Wurst könnte eine Anwärterin auf die vorderen Plätze sein. Doch dann geschah das Unfassbare. Im zweiten Semifinale stieg Wurst wie der von ihr besungene Phönix aus der Asche empor. Wurst war maßlos unterschätzt worden. Als Drag Queen abgetan, die vielleicht in dunklen Kellerbars in Wien ihr Publikum findet, aber doch nicht vor 140 Millionen Fernsehzuschauern auf der größten Bühne der Welt. Von wegen!
Viele erkannten jetzt erst: Diese zierliche Person, hinter der eigentlich ein schwuler Mann mit dem bürgerlichen Namen Thomas Neuwirth steckt, kann wirklich singen. Das stellte Wurst am Samstagabend erneut unter Beweis. Divengleich trug sie ihr "Rise Like A Phoenix" vor. Nicht nur stimmlich einwandfrei, sondern auch von der Inszenierung grandios. In goldenes Scheinwerferlicht getaucht stand Wurst da und eroberte mit großen Gesten ihr Publikum. Langes Kleid, wallendes Haar, viva la Diva, die perfekte Interpretation einer österreichischen Sissi. Oder kurz: die Kaiserin.
Dabei kam es auf das Lied gar nicht so sehr an. Sicher, es passte perfekt zu dieser Geschichte vom schwulen Landjungen aus dem Salzkammergut, der auszieht in die Stadt, um eine große und gefeierte Diva zu werden. Aber die Qualität des Songs, der unter anderem von Ali Zuckowski, dem Sohn von Kinderliedsänger Rolf Zuckowski, geschrieben wurde, ist mittelmäßig. Die Kopie eines James-Bond-Songs. Da gab es bessere Balladen im Wettbewerb, aus Norwegen beispielsweise oder aus Montenegro. "Rise Like A Phoenix" wird erst in Kombination mit seiner Sängerin großartig.
Zwischen nervigen Fragen und Dauerlächeln
Viele ihrer Fans hatten in den vergangenen Tagen auf einen Sieg gehofft. Doch laut auszusprechen wagte es kaum einer. Erst nach dem zweiten Semifinale deutet sich das Unfassbare mehr und mehr an. Wurst stieg in den Wettquoten der Buchmacher auf Platz zwei, konnte sich vor Interviewanfragen aus aller Welt kaum noch retten. Jeder wollte den Favoritenschreck mit Bart und Konfektionsgröße 38 kennenlernen. Das Wunder von Kopenhagen nahm seinen Anfang.
Es erinnert ein wenig an die Geschichte einer gewissen Lena Meyer-Landruth vor vier Jahren in Oslo. Ebenso wie die Göre aus Deutschland versteht es Wurst perfekt, ihr Publikum für sich einzunehmen. Sie ist Princess Charming. Immer freundlich, immer lächelnd. Selbst nach dem 20. Interview und der hundertsten dummen Frage, ob sie sich zur Frau operieren lassen wolle, bleibt sie die coole, sympathische Lady ohne Starallüren. Eine Diva zum Anfassen, die mit Haut und Haaren für das lebt, was sie darstellt. "Ich bin froh, dass die Menschen meine Emotionen gespürt haben", sagt sie nach dem Sieg in Kopenhagen auf der Pressekonferenz. Und das haben sie.
Man kann diese Abstimmung auch als Machtdemonstration des alten Westen deuten, der Putin die Zunge rausstrecken mochte. Schließlich kommen zwölf von dreizehn Höchstwertungen für Wurst aus westlichen Nationen. Dazu passen würden auch die Buhrufe vor und nach dem russischen Auftritt, die es in dieser Form beim Eurovision Song Contest noch nie gegeben hat. Doch diese These lässt die vielen, vielen Stimmen, die Conchita auch aus Ländern wie Russland, der Ukraine und ja, selbst aus Aserbaidschan, erhalten hat, außer Acht. Auch dort haben Menschen ihre Stimme der Frau mit Bart gegeben und damit für Toleranz und Menschenrechte gestimmt. Bravo!
Kampf der Menschenrechte
Mit Wurst siegt nicht nur eine Lady mit Bart, sondern eine Missionarin für die Rechte von Schwulen und Lesben. "Sie ist unsere Siegerin", sagen viele homosexuelle ESC-Fans voller Stolz. Sie ist die Kämpferin für Menschenrechte, für Liebe, Frieden, Akzeptanz und Toleranz. Das klingt ein bisschen viel auf einmal. Doch die Weltverbesserin mit Bart passt offenbar hervorragend in eine Zeit, in der West- und Osteuropa in einer gegenseitigen Vertrauens- und Wertekrise steckt. Ein bisschen Conchita statt ein bisschen Frieden.
Getrübt wird der Abend von Kopenhagen aus deutscher Sicht nur durch das schlechte Abschneiden von Elaiza. Die drei Musikerinnen hätten einen besseren als den 18. Rang verdient. So gut wie am Samstag waren sie bei keiner Probe. Schade, dass Europa ihre Qualität nicht erkannt hat. Sängerin Ela Steinmetz bedankte sich danach für die Unterstützung der vielen deutschen Fans und sah's pragmatisch: "Wir haben versucht, nicht letzter zu werden. Das hat geklappt." Auch sie gratulierte der Siegerin Conchita Wurst: "Das war wirklich verdient." Wurst habe nicht nur eine tolle Stimme, sondern sei auch für Toleranz eingestanden. "Ich freue mich, dass Europa so weit ist", sagte Steinmetz.
Es ist 0.32 Uhr, als Conchita Wurst auf der Bühne in Kopenhagen steht und ihre Trophäe in Empfang nimmt. "Im Rampenlicht zu stehen, das ist das, was ich mir immer für mich und mein Leben gewünscht habe", hatte sie zu stern.de gesagt. Jetzt steht sie auf der größten Musikbühne der Welt und genießt, während Tausende in der Halle ihr zujubeln. Conchita, die stolze Siegerin. Eine Botschaft an alle Hasser da draußen lässt sie sich nicht nehmen. "Wir sind nicht mehr aufzuhalten", sagte sie ins Mikrofon. Die homosexuelle Fangemeinde dankt es ihr mit tosendem Applaus. Danke, Conchita. Oder um es mit Udo Jürgens zu sagen: Merci, Chérie.
Dragqueen siegt beim Eurovision Song Contest: Conchitas Liebesgrüße nach Moskau
Spiegel online, 11.05.2014 - Von Arno Frank
Triumph der bärtigen Conchita Wurst aus Österreich: Sie machte den Eurovision Song Contest zu einem Referendum darüber, was in Europa gesellschaftlich akzeptiert wird und was nicht. Sie siegte - Russland wurde ausgebuht.
Weit nach Mitternacht stand die Siegerin des "Eurovision Song Contest" offiziell fest. Es war nicht nur das viertbeste Ergebnis in der Geschichte des Wettbewerbs, es war auch ein im besten Sinne europäisches Ergebnis, der erste Sieg für Österreich seit 1966: Conchita Wurst konnte mit "Rise like a Phoenix" alle anderen Künstler auf die Plätze verweisen. Es war der Schicksalsabend einer Kaiserin.
War es auch ein unterhaltsamer Abend?
Kommt darauf an, ob man sich auf die Songs oder darauf konzentrierte, wofür diejenigen standen, die sie zum Vortrag brachten. Wer auf die Frage nach seiner Lieblingsmusik mit dem Namen seines favorisierten Radiosenders antwortet, für den dürfte es ein vergnüglicher Abend mit hohem Wiedererkennungswert gewesen sein. Es gab eine italienische Version von Pink, eine finnische Version von Coldplay, eine niederländische Version von The Police, eine maltesische Version von Mumford & Sons und eine dänische Version von ELO. Griechenland wagte einen zaghaften Ausfallschritt in den Hip-Hop, Island warf sich dem Kindergartenpunk in die Arme.
Ansonsten herrschte das übliche Nebeneinander von Augenzwinkern und Pathos, demonstrativer Lebensfreude und großen Gefühlen. Es wurden Anzüge und Kleider und Frisuren getragen. Wenn die Windmaschine lief, gab's auch mal Haut zu sehen. Tänzer tanzten, hüpften Trampolin oder fuhren auf Rollschuhen über die spiegelnde Bühne. Ganz bei sich war auch dieser ESC wieder in den obligatorischen Schnelldurchläufen, bei denen alle Nummern des Abends im Sekundentakt vorbeirauschten und so zu einem süßlichen, bunten und ungenießbaren akustischen Amalgam verschmolzen wurden.
Musik? Es geht um Politik beim ESC
Nun wird allenthalben so hartnäckig behauptet, bei dieser Veranstaltung ginge es um Musik, dass höchstwahrscheinlich das Gegenteil richtig ist. Es geht um Politik, immer, und diesmal noch wesentlich mehr als sonst.
Für die Schweiz trat ein pfeifender Wirtschaftsanwalt an, im Halbfinale warf sich ein junger Mann aus Bochum für Lettland ins Zeug. Für Deutschland ging eine Saarländerin mit polnischer Mutter und ukrainischem Vater ins Rennen - Elaiza belegten nur den 18. Platz. Das winzige San Marino hatte seine drei Minuten ebenso wie die letzte Diktatur auf europäischem Boden, Weißrussland.
Diese Vielfalt nationaler Identifikationsmöglichkeiten, verbunden mit dem Zwang, nur für die anderen und damit das Gute im anderen wählen zu dürfen, immunisieren den ESC eben gegen geschmäcklerische Einwände - und machen ihn zugleich zu einem gesellschaftlichen Großereignis, bei dem es um mehr als nur den Spaß geht und wo ganz andere Dinge verhandelt werden als "gute" oder "schlechte" Musik.
Punkte für Russland wurden im Saal mit Buh-Rufen quittiert
Spätestens bei der Stimmverteilung war es denn auch vorbei mit dem Spaß und der beschwipsten familiären Atmosphäre. Da wurde es frostig. Punkte für Russland wurden im Saal mit Buh-Rufen quittiert, was es in solcher Deutlichkeit bisher noch nicht gegeben haben dürfte. Moderator Peter Urban erklärte es zwar sogleich für "unklar", ob die Abneigung der Musik der beiden 17-jährigen Teilnehmerinnen oder doch ihrem Präsidenten galt. Das traurige Schauspiel wiederholte sich allerdings, als Russland seine 12 Punkte an Weißrussland vergab - dabei gab's auch 7 Punkte für die Ukraine.
Schließlich war es allein die Teilnahme von Tom Neuwirth alias Conchita Wurst aus Österreich, die diesen ESC zu einem paneuropäischen Referendum darüber machte, was auf diesem Kontinent gesellschaftlich akzeptiert wird - und was nicht.
"We are unstoppable"
Als Diva mit Vollbart, die übrigens mit "Rise like a Phoenix" einen tadellosen Bond-Song hinlegte, spaltete Neuwirth die Spaß- und Wirtschaftsgemeinschaft wieder entlang ihrer unsichtbaren Wertegrenze zwischen Ost und West.
In Minsk und Moskau war gegen seinen Auftritt scharf protestiert worden. Punkte für den Travestiekünstler mussten daher zwangsläufig zum freiheitlichen Glaubensbekenntnis zu genau dem "Gayropa" werden, als das der Kreml Europa gerne abfällig bezeichnet.
Am Ende kam es doch noch zu einem wirklich packenden Kopf-an-Wurst-Rennen zwischen Österreich und den Niederlanden. Die konnten sich mit dem Duo The Common Linnets und einem soliden Neo-Country-Beitrag auf der Bass-Basis von "Every Breath You Take" zwar musikalisch deutlich vom Rest des Feldes absetzen. An diesem Abend aber war die Wahl eine ideologische, und sie hätte deutlicher nicht ausfallen können.
Conchita Wurst war sich der symbolischen Qualität ihres Sieges durchaus bewusst. Sie wusste genau, wofür sie stand, als sie sichtlich erschüttert und unter Tränen auf der Bühne die Faust reckte: "We are unstoppable!" Wenn das so ist, sollte einer Rolle als Bond-Girl nichts mehr im Wege stehen.
Conchita Wurst beim ESC 2014 Triumph von Herz, Humor und Toleranz
Süddeutsche.de, 11.05.2014 – Von Hans Hoff
Auf einmal bietet der Eurovision Song Contest so etwas wie eine große Vision: Conchita Wurst geht als strahlende Siegerin aus dem Wettbewerb hervor und Europa beweist, dass es toleranter ist, als erwartet.
"Europa ist toleranter als manche vielleicht denken." Am Schluss, weit nach Mitternacht, sagt der altgediente ARD-Kommentator Peter Urban die schönsten Worte, und sie klingen so ergriffen, wie man es von einem ESC-Profi so wohl nicht erwartet hätte.
Conchita Wurst hat in Kopenhagen den Eurovision Song Contest gewonnen, hat zwölf Punkte aus Gegenden bekommen, von denen man bisher annahm, dass man dort das Wort Toleranz nicht einmal buchstabieren könnte. Und Humorverständnis hat man dort auch nicht vermutet. Aber in diesem Fall sind enttäuschte Erwartungen die schönsten. Europa hat abgestimmt und einen Menschen mit Bart, der Frauenkleider und einen weiblichen Phantasienamen trägt, zum Sieger des größten Trällerwettbewerbes der Welt erkoren.
In solch einem Fall wirken selbst Twittermeldungen wie warmer Regen. "This is Europe", schreibt dort eine kluge Frau, und ein ebensolcher Herr bekennt: "Bin irgendwie stolz auf Europa." Es ist kein einfacher Sieg, den Conchita Wurst da feiern darf, es ist ein Triumph von Herz, Humor und Toleranz, eine Bedeutungsexplosion, die aus der sonst gerne so seelenlosen Abfolge von durchprogrammierten Retortenhits eine bedeutsame Sache macht. Der ESC hat Europa nicht vereinigt, aber er hat gezeigt, dass Europa sich auf etwas einigen kann, wenn es um etwas geht.
Das sein, was man will
Sicherlich hat nicht jedem das Lied "Rise Like A Phoenix" gefallen. Es ist nach wie vor eine bombastische Kitschexplosion, die in jedem James-Bond-Vorspann besser aufgehoben wäre als bei einem Schlagerfest. Aber sie wurde halt eben von Conchita Wurst präsentiert, von einer Frau, die zeigen wollte, dass man das, was man sein will, sein kann. Wenn man das Wollen nur mit großer Ernsthaftigkeit und Mut betreibt.
"Wir sind eine Einheit", hat Wurst nach der Show gesagt und dann davon geredet, dass diese Einheit "unstoppable" sei. Unaufhaltsam. Nicht auszudenken, wenn nun aus diesem ESC auch noch so etwas wie eine kontinentale Bewegung für mehr Offenheit hervorginge. Es ist kaum anzunehmen, aber dass so etwas in Zeiten der Ukraine-Krise überhaupt denkbar ist, darf man als Wursts Verdienst betrachten.
Was dieser ESC-Sieg für Europa bedeutet, wird sich zeigen, wenn alle Wortwitze über den Namen gemacht sind, wenn jede Frau sich einmal einen Bart angeklebt hat, wenn sogar bärtige Männer sich einen Bart angeklebt haben.
Barbara Schöneberger stand nach der Siegerehrung mit einem künstlichen Bart auf der Reeperbahn, und sie sah ein bisschen so aus wie jene Frauen, die in "Das Leben des Brian" als Männer verkleidet zur Steinigung gekommen sind. Was normalerweise als Albernheit einer überdrehten Wuchtbrumme durchgegangen wäre, war in diesem Moment ein Ehrenbeweis, eine Reverenz an eine Kunstfigur, die wirklich zu wirken weiß.
Da trat rasch in den Hintergrund, dass Conchita Wurst gar nicht für Deutschland als Siegerin in die Geschichte eingehen wird, sondern als Nachfolgerin von Udo Jürgens, der 1966 den Wettbewerb für Österreich gewann.
Die braven Mädchen von Elaiza
Deutschlands Beitrag ist dagegen ein bisschen untergegangen. Für die braven drei Mädchen von Elaiza hat sich niemand wirklich interessiert. Sie sind im Schatten des großen Ereignisses gerade mal auf Rang 18 gekommen. Bei 26 Teilnehmern keine herausragende Position. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wo sie denn gelandet wären, wenn das mit Wurst nicht geschehen wäre. Es spielt schlicht keine Rolle. Nach dem Debakel im Vorjahr, als Cascada mit einer peinlichen Popnummer noch weiter hinten landete, reichte es schon, ein schönes Neofolkliedchen mit Würde zu präsentieren und alles zu geben. Elaiza haben alles gegeben und das war leider nicht genug. Pech gehabt. Kann passieren.
Dass man mit folkigen Klängen durchaus weit kommen kann, bewies der holländische Beitrag von The Common Linnets. "Calm After The Storm" hieß der Countrysong der beiden Holländer, die sich als Duo mit Gitarren auf der riesigen Bühne einfach gegenüber standen und nur einen Bruchteil der in Kopenhagen verfügbaren Monstertechnik nutzten. Sie sangen einfach ein sehr schönes einfaches Lied, und sie wurden Zweite, wobei es lange tatsächlich so aussah, als könnten sie Wurst die Spitzenposition noch streitig machen.
Herbeigeredetes Duell zwischen Ukraine und Russland
Auf dem dritten Platz landete Schweden, was in Ordnung ging und alle Lügen strafte, die vorab wieder einmal ein finsteres Ostkomplott prophezeit hatten. Natürlich schoben sich hier und da Nachbarländer ein paar Punkte zu, aber das mag am Ende einfach daran gelegen haben, dass in Nachbarländern, die möglicherweise noch die gleiche Sprache sprechen, nun mal oft die gleiche Musik populär ist. Auch das von vielen herbei geredete Duell zwischen der Ukraine und Russland fand nicht statt. Natürlich gab es aus den baltischen Staaten extrem wenige Punkte für den russischen Beitrag, aber das mag vielleicht einfach nur an der Musik gelegen haben.
Nicht zu überhören waren indes die Buhrufe in der Halle, die oftmals Punkte, die an Russland gingen, begleiteten. Der Unmut aber trat sehr schnell in den Hintergrund angesichts der Spannung, die sich abzeichnete, als deutlich wurde, dass Conchita Wurst tatsächlich gewinnen könnte. Auf einmal lag da etwas in der Luft, das nach großer Vision roch. Der Eurovision Song Contest hat sich mit dieser Ausgabe wieder seinen Platz zurückerobert als Veranstaltung, die Länder nicht durch Konkurrenz trennt, sondern durch die Kraft der Musik und der in ihr liegenden Idee eint.
Der deutsche Vertreter in Baku und sein Titel wurden nach dem Muster des Erfolgsformates USFO 2010 durch die Casting-Show "Unser Star für Baku" ermittelt. Präsident der Jury und Produzent des Siegersongs sowie künstlerischer Betreuer des Siegers war Thomas D von den Fantastischen Vier. Entgegen seiner Ankündigung, sich von der deutschen VE zurückzuziehen, war nun doch Stefan Raab festes Mitglied der Jury, zusammen mit Alina Süggeler, Sängerin von "Fridagold" und Mitglied der deutschen ESC - Jury 2011. Moderiert wurden die Sendungen von Sandra Rieß, Moderatorin der BR - Fernsehsendung "on3-Südwild", und Steven Gätjen, Moderator bei Pro Sieben und Co-Kommentator des ersten Semifinales 2011.
Neu war, dass die TV-Zuschauer bis zum Halbfinale in einem permanenten Echtzeit-Voting abstimmten, so dass der aktuelle Stand der Wertung in Form der sog. "Blitztabelle" jederzeit ersichtlich war! Ab der vierten Vorrunde gab es eine Countdown-Wertung, d.h. nacheinander wurden die ersten Plätze zu einem bestimmten Zeitpunkt "eingefroren" und der Kandidat auf dem ersten Platz war automatisch für die nächste Runde qualifiziert. Lt. Thomas D sei das eine "Revolution für Castingshows, transparentes Voting, keine künstlich erzeugten Spannungsmomente, keine einstudierten Sätze, alles live. Da bin ich stolz, Präsident zu sein."
Im Finale standen insgesamt vier Titel zur Wahl: Zwei Titel wurden sowohl von Roman Lob als auch von Ornella de Santis gesungen, und einen individuellen Titel stellte jeder der beiden Finalisten allein vor. Insgesamt sang jeder der beiden also drei Titel.
Durch Televoting wurde in der ersten Wertungsrunde für jeden der beiden eines ihrer Lieder ausgewählt. Den jeweils für sie ausgewählten Titel sangen dann beide in der Endrunde noch einmal, und dann fiel die endgültige Entscheidung über den deutschen Vertreter in Baku, wieder mit der "Blitztabelle".
Sieger wurde Roman Lob mit dem Titel "Standing still", geschrieben von Jamie Cullum, Steve Robson und Wayne Hector. Jamie Cullum ist ein englischer Singer-Songwriter und Multiinstrumentalist, der eigentlich eher Jazzmusiker ist, aber als "Crossover"- Künstler gilt. Zu seinen musikalischen Erfolgen zählt u.a. eine "Golden Globe" - Nominierung 2008 für die Filmmusik zu "Gran Torino" mit Clint Eastwood.
Roman Lob belegte beim ESC einen sehr guten achten Platz.
Finale
Nr
Interpret*in
Titel Komposition/ Text
%
Pl.
1.
Roman Lob
"Conflicted" Martin Mulholland
6,5
3.
2.
Ornella de Santis
"Quietly" Martin Mulholland
70,0
1.
3.
Roman Lob
"Alone" Gary Go, Emanuel Kiriakou
16,7
2.
4.
Ornella de Santis
"Alone"
17,6
2.
5.
Roman Lob
"Standing Still" Wayne Hector, Steve Robson, Jamie Cullum
Der Sänger aus Neustadt (Wied) machte zunächst eine Ausbildung zum Industriemechaniker und arbeitete als solcher in Troisdorf. Sein Markenzeichen ist eine Brusttätowierung in Form eines Mikrofons. Er spielte in verschiedenen Bands und bewarb sich 2007 bei der vierten Staffel von DSDS, muste aber wegen einer Kehlkopfentzündung abbrechen. Nach dem Erfolg beim ESC 2012 bekam er 2013 den "Radio-ECHO". Von 2016 bis 2018 spielte er in der Revue "The One" im Berliner Friedrichstadtpalast eine der Hauptrollen. Im Juni 2016 heiratete er seine langjährige Lebensgefährtin. Er ist Leadsänger der Kölschrock-Band "StadtRand".
Vorrunde 1 - 12. Januar 2012 Prozent Platz
1.
Katja Petri
Marry You
14,7
5.
2.
Jan Verweij
Closer To The Edge
1,0
10.
3.
Leonie Burgmer
Stronger Than Me
14,7
4.
4.
Yasmin Gueroui
Not Fair
2,4
8.
5.
Kai Notting
More
14,5
6.
6.
Shelly Philips
Valerie
15,5
1.
7.
Salih Özkan
Senorita
1,7
9.
8.
Céline Huber
Beautiful Disaster
14,7
3.
9.
Jil Rock
Moves Like Jagger
5,9
7.
10.
Roman Lob
After Tonight
14,9
2.
Vorrunde 2 - 19. Januar 2012
1.
Andrew Fischer
Tears In Heaven
9,4
7.
2.
Polly Zeiler
Grenade
3,4
10.
3.
Sebastian Dey
This Is Love
12,7
3.
4.
Jörg Müller-Lornsen
Maybe Tomorrow
4,0
9.
5.
Ornella de Santis
Slow Motion
12,3
5.
6.
Rachel Scharnberg
My Baby Left Me
13,3
1.
7.
Tina Sander
Geronimo
7,1
8.
8.
Umut Anil
Straight Up
12,5
4.
9.
Yana Gercke
Price Tag
13,0
2.
10.
Vera Reissmüller
Fooled Me Again
12,3
6.
Vorrunde 3 - 26. Januar 2012
1.
Rachel Scharnberg
Like A Star
9,4
10.
2.
Leonie Burgmer
I Love Your Smile
9,6
9.
3.
Sebastian Dey
Amnesie
9,9
5.
4.
Katja Petri
Lego House
9,6
8.
5.
Umut Anil
Weitergehen
9,8
7.
6.
Céline Huber
How Come You Don't Call me
10,3
2.
7.
Ornella de Santis
I Want You Back
10,1
3.
8.
Shelly Philips
Fuck You
9,8
6.
9.
Yana Gercke
Roxanne
10,1
4.
10.
Roman Lob
Easy
11,4
1.
Vorrunde 4 - 2. Februar 2012 (mit Countdown-Voting)
Unmittelbar nach dem Sieg von Lena in Oslo verkündeten Stefan Raab und Lena, sie solle 2011 ihren Titel in Deutschland verteidigen. Es gab daher 2011 keine zweite Staffel der Casting-Show "Unser Star für..." , sondern eine dreiteilige nationale Vorentscheidung. Am Montag, dem 31. Januar 2011 und am Montag, dem 7. Februar 2011 stellte Lena in zwei Semifinalen auf PRO 7 jeweils sechs Titel vor. Eine Jury aus bekannten Vertretern der Musik- und Entertainmentbranche kommentierte wieder unter Vorsitz von Stephan Raab die einzelnen Titel. Im 1. Semifinale waren dies Stephanie Kloß (Silbermond) und Der Graf (Unheilig), im 2. Semifinale Anke Engelke und Joy Denalane und im Finale werden es Barbara Schöneberger und Adel Tawil (Ich + Ich).
Die Entscheidung fiel allerdings ausschließlich durch Televoting und SMS-Voting. Aus jedem Semifinale kamen die besten drei Titel ins Finale.
ARD-Programmdirektor Volker Herres: "Schon in diesem Jahr haben die Zuschauer alles richtig gemacht, als sie mit Lenas Song für Oslo das Siegerlied gekürt haben. Wenn unser Publikum im nächsten Jahr wieder so geschmacksicher entscheidet, kann die Titelverteidigung im eigenen Land gelingen."
Thomas Schreiber, ARD-Koordinator Unterhaltung und Teamchef für den Eurovision Song Contest: "Lenas erfolgreiche Titelverteidigung in Düsseldorf ist Teil zwei der nationalen Aufgabe - dazu tritt eine bewährte und bereits siegreiche Mannschaft an. Mit der Unterstützung bekannter Komponisten und renommierter Jurymitglieder werden die Zuschauer den richtigen Song für Deutschland auswählen. Das war bei 'Unser Star für Oslo mit 'Satellite so - das wird auch bei 'Unser Song für Deutschland so sein."
Andreas Bartl, ProSiebenSat.1-TV-Vorstand: "Never Change a Winning Team! Gemeinsam haben wir uns vor gut einem Jahr dieser großen Aufgabe angenommen und nun wollen wir wieder gemeinsam ein neues Kapitel dieser fantastischen Erfolgsgeschichte schreiben. Ich bin mir sicher: Stefan Raab und Lena werden es den Herausforderern schwer machen."
Lena sagte über die Songauswahl: "Es wird sehr bunt und abwechslungsreich. Die Songs sind sehr unterschiedlich und deshalb werden wir sie auch sehr unterschiedlich präsentieren. Es gibt Balladen, akustische Jazz-Sachen, 60er-Jahre-Soul, Elektro-Zeugs." Außerdem betonte sie, nicht ihre Person solle im Mittelpunkt der Show stehen sondern die Musik.
Mit "Unser Song für Deutschland" setzten Stefan Raab, Das Erste, ProSieben und die Pop- und jungen Wellen der ARD ihre erfolgreiche Zusammenarbeit fort. Eine Kooperation, die beim Publikum ankam: Das Finale des Eurovision Song Contests 2010 hatte im Ersten im Schnitt 14,69 Millionen Zuschauer. Seit 30 Jahren begeisterte der Wettbewerb in Deutschland nicht mehr so viele Menschen.
Finale 18. Februar 2011 / Jury: Barbara Schöneberger & Adel Tawil
Nr
Titel
Komposition/ Text
TV%
Pl.
1.
Maybe
Daniel Schaub / Pär Lammers
2.
What Happened To Me
Lena Meyer-Landrut / Stefan Raab
3.
Push Forward
Daniel Schaub / Pär Lammers
21
2.
4.
Mama Told Me
Lena Meyer-Landrut / Stefan Raab
5.
A Million And One
Errol Rennalls / Stavros Ioannu
6.
Taken By A Stranger
Gus Seyffert / Nicole Mories / Monica Birkenes
79
1.
Semifinale 1 - 31. Januar 2011 / Jury: Stephanie Kloß (Silbermond) & Der Graf (Unheilig)
Nr
Titel
Komponisten/Autoren
1.
Good News
Audra Mae / Ferras Alqaisi
2.
Maybe
Daniel Schaub / Pär Lammers
3.
I Like you
Rosi Golan / Johnny McDaid
4.
That Again
Stefan Raab
5.
Taken By A Stranger
Gus Seyffert / Nicole Mories / Monica Birkenes
6.
What Happened To Me
Lena Meyer-Landrut / Stefan Raab
Semifinale 2 - 7. Februar 2011 / Jury: Anke Engelke und Joy Denalane
Der Sieg beim ESC 2010 war für Lena der Start zur großen Karriere, nicht nur als Sängerin, sondern auch als Werbe-Ikone, Influencerin und TV-Star, u.a. als Coach bei "The Voice Kids". Bis 2019 erschienen insgesamt fünf Studioalben. Sie machte mehrere erfolgreiche Tourneen und betätigte sich auch als Synchronsprecherin für Animationsfilme.
Eine Bühne von der Größe eines Fußballfeldes, umstellt von gigantischen Leinwänden, die individuell zu jedem Beitrag das entsprechende Film- und Bildmaterial lieferten, sollte der größten Musikshow der Welt die Krone aufsetzen – Hut ab vor den Russen, die ein erstklassiges ESC-Gastgeber-Debüt absolvierten.
Ein spezielles Motto gab es nicht, das Logo zeigte einen Fantasievogel.
Die Bühne in der Olympiahalle von Moskau war so groß, dass sie das bisher einzige Mal an der Längsseite der Halle aufgebaut wurde. EIn Drittel der weltweit verfügbaren LED-Wände wurden hier aufgestellt. Der damalige Premierminister Wladimir Putin überzeugte sich höchstpersönlich vom Fortschritt der Vorbereitungen, sowohl in der Halle als auch im Pressezentrum.
Zur Eröffnung des Finales hatte man den "Cirque du Soleil" aufgeboten, und der Pausen-Act mit "Fuerza Bruta" aus Argentinien war der bisher wohl spektakulärste in der ESC-Geschichte.
43 Länder hatten ihre Teilnahme zugesagt, doch die EBU verlangte statt des eingereichten Songs "We Don't Wanna Put In" (was als eine Anspielung auf Putin aufgefasst wurde und damit politisch und regelwidrig) einen anderen Song. Daraufhin verzichtete Georgien auf die Teilnahme!
Erstmals seit der Einführung der Semifinale gab es verschiedene Moderatorenpaare für die Halbfinalshows und das Finale: Während das Model Natalya Vodyanova und TV-Moderator Andrey Malakhov durch die Semifinals führten, moderierte die Zweitplatzierte von 2000, Alsou, das Finale gemeinsam mit Ivan Urgant.
Alsou baute nach dem zweiten Platz 2000 ihre Karriere weiter aus, so wurde sie 2001 mit dem "Wold Music Award" als "Best Selling Russian Act" ausgezeichnet und ging 2005 mit der Gruppe "Westlife" auf Tournee. Im gleichen Jahr debütierte sie auch als Schauspielerin. Seit 2013 ist sie eine der drei Moderatoren einer Samstagabend-Show.
Ivan Urgant ist ein sehr bekannter russischer TV-Moderator. Seit 1999 präsentierte er diverse Shows. Seit 2003 leitete er eine Castingshow, und von 2008 bis 2012 war er Mitglied im Team der Sendung "Prozhektor periskhilton", der russischen Version von "7 Tage, 7 Köpfe". Seit 2012 hat er eine eigene Late-Night-Show.
Der Eurovision Song Contest ist seit 1956 europäische Fernsehrealität, aber von alljährlicher Routine kann schon lange keine Rede mehr sein. Regeländerungen sind inzwischen fast Jahr für Jahr an der Tagesordnung. In diesem Jahr nun sollte die früher vielgeschmähte Jurywertung wieder mit zum Zuge kommen.
In den Semifinalen bestimmten nationale Jurys aus fünf Mitgliedern (allesamt Musikprofis) über den 10. Finalplatz (das kostete in diesem Jahr Serbien und EJR Mazedonien die Finalteilnahme). Im Finale setzte sich das Endergebnis zu gleichen Teilen aus den Wertungen der Jurys und des Televoting zusammen.
FAZIT
Der ESC 2009 sollte die Show der Superlative werden – nicht nur weil sie von den Russen ausgerichtet wurde, die ein Jahr zuvor keine Mühen gescheut hatten, endlich zu gewinnen, sondern weil auch viele bekannte Namen wie Andrew Lloyd Webber, Patricia Kaas oder Chiara engagiert wurden, um ihrem Land den gewünschten ESC-Ruhm zu(-rückzu)bringen.
Bunt war es nicht nur auf der Bühne, sondern auch klanglich, denn so vielfältig wie 2009 war der europäische Musik-Blumentopf lange nicht mehr. Dabei wurde weniger auf Bühnenshow als auf verschiedene Musikstile zurückgegriffen.
Der gute alte Rock’n Roll mit Elvis-Schmalz-Locke und Pettycoat sollte es den Belgien leichter machen, leider waren Oldies diesmal nicht gefragt – wieder keine Finalteilnahme für die Belgier …
Alteingesessenes wie Friedenssongs aus Israel oder Oriental-Beat aus der Türkei waren hier weitaus erfolgreicher, qualifizierten sich fürs Finale, und Hadise aus der Türkei schaffte es sogar unter die Top Fünf.
Auch die hohe Opernstimme von Malena Ernman aus Schweden (Mutter von Umweltaktivistin Greta Thunberg) konnte im Halbfinale überzeugen, wurde aber im Finale auf Platz 21 verwiesen.
Ruhig ließ es Sasha Son aus Litauen angehen, fetzig spritzig die Portugiesen. und AySel feat. Arash aus Aserbaidschan schafften es mit flottem Latin Pop sogar auf die unterste Stufe des Siegertreppchens.
Deutschland versuchte es nach 2007 wieder mit Swing: mit jungem Blut am Mikrofon, erfolgserfahrenen Händen am Komponisten-Flügel und dem Top-Model der Burlesque auf dem Sofa. Von der im vornehmen Smoking auf der Echo-Verleihung stilvoll uraufgeführten „Miss Kiss Kiss Bang“ hatten „Alex Swings Oscar Sings“ leider nicht mehr viel übrig gelassen. Goldene Glitterhosen und ein tiefes Dekolletée gaben dem Ganzen eher einen verruchten Reeperbahn-Touch. Der 20. Platz war sicherlich eine Enttäuschung, auch wenn von den Künstlern alles gegeben wurde. Weniger kann manchmal doch mehr sein – das gilt wohl auch für den ESC?!
Yohanna aus Island dagegen ließ es ruhiger angehen und fragte zweifelnd „Is it true?“ - und das mit einer wunderschönen glasklaren Stimme zu einem märchenhaften Bühnenbild. Auf der großen Leinwand hinter ihr wurde eine Ozean-Märchenwelt mit Delfinen dargestellt – eine großes Kompliment an die Arrangeure aus Island und Russland, die dieses perfekte Paket aus Stimme, Ausstrahlung, Bühnenbild und Ton gebastelt haben – ein Augenschmaus für ein Millionenpublikum und ein absolut verdienter zweiter Platz für Island!
Nicht nur Yohanna aus Island hatte 2009 Zweifel an der Realität: Es fiel auf, dass viele Titel sich mit Zweifeln, Täuschungen und Unwahrheiten beschäftigen: Israel suchte einen anderen Weg „There Must Be Another Way“, Malta wollte wissen „What If We …“, Bulgarien sang von „Illusion“, Norwegen zog mit und sang von „Fairytales“, Finnland wollte gleich die Kontrolle verlieren „Lose Control“.
Zweifel, Illusion und Unsicherheit waren beim Beitrag des Vereinigten Königreiches allerdings absolut fehl am Platze: „Meine Zeit ist gekommen“ = „It’s My Time“ sang Casting-Star Jade, begleitet vom Star-Komponisten Andrew Lloyd Webber. Ja, die Zeit war reif für einen Platz unter den Top Fünf für das Vereinigte Königreich, endlich waren sie wieder vorne mit dabei mit einer großen Stimme und einer sehr gelungenen Darbietung – Congratulations UK!
„Diese Nacht ist unsere“ = „This Is Our Night“ meinte ESC-Rückkehrer Sakis Rouvas. Nach seiner akrobatischen Tanznummer von 2004 ließ er diesmal lieber die Bühnen-Deko für sich arbeiten, die ihn auf einer großen Glasrampe während seines Songs in die Lüfte hob – die Nacht für Sakis und seine europäische Fan-Gemeinde sollte immerhin auf Platz sieben enden.
Einen textlich exotischen Ausreißer leisteten sich dieses Jahr die Zyprioten mit Christina Metaxas, die „Glühwürmchen“ besang, Es war eine durchaus gelungene Nummer mit passender Darstellung, die aber zu lange brauchte, um melodisch in Schwung zu kommen – leider konnte die sympathische Christina sich keine Finalteilnahme für Zypern angeln.
Ausreißer in puncto Outfit waren 2009 eindeutig und ungeschlagen die Niederländer. De Toppers in silbernen, blendenden Kombinationen machten zwar ihrem Titel „Shine“ alle Ehre und schienen über die Bildschirme noch in jeden Winkel Europas hinaus, der Stil ihres Songs hätte aber eher zu einem 1970er Jahre Schlager-Grand-Prix-Pausenknüller gepasst – Platz 17 von 19 Teilnehmern im Halbfinale sprach somit für sich.
Als „Geschmacksverstärker“ in puncto Haute Couture de la Chanson könnte man Inga & Anush Arshakyan aus Armenien bezeichnen, die traditionelle Kostüme und Gesänge aus ihrer Heimat vortrugen und einen erfolgreichen zehnten Platz ergatterten.
Für Ausreißer-Titel waren in den letzten Jahren nicht selten die Franzosen zuständig, doch gerade Frankreich wollte dieses Jahr gar nichts anbrennen lassen: Sie schickten eine der Grandes Dames des Chansons ins Rennen: Patricia Kaas sang mit vielen Vorschusslorbeeren für Frankreich. „Et s’il fallait le faire“ – „Und wenn ich es tun müsste” – Und wenn eine Stecknadel während ihres Auftritts im Publikum den Kampf gegen die Schwerkraft verloren hätte, wäre es zu hören gewesen. Ein gebanntes Publikum in der Halle und sicher auch Millionen an den Bildschirmen lauschten einer Sängerin, die zwar nicht mit jugendlichem Charme aber mit der kämpferischen Ausstrahlung einer erfahrenen gesangsstarken Diva ihren Beitrag vortrug und dafür tosenden Applaus kassierte – und Frankreich die Rückkehr unter die Top Ten des ESC bescherte – Platz acht für die Diva des ESC 2009.
Vom üblichen ESC-Getümmel abheben wollte sich sicher auch Svetlana Loboda aus der Ukraine. „Be My Valentine“ hieß ihr Titel, aber von Valentinsromantik war auf der Bühne NICHTS zu sehen – es war eher eine pure Akrobatik- und Klamauk-Show des selbsternannten "Anti-Crisis–Girls", „Let’s Get Loud“ hätte hier besser gepasst.
Den ESC gewinnen ist für viele junge Künstler ein Märchen, für einen wurde es am 16. Mai 2009 wahr. Der junge Alexander Rybak aus Norwegen kam, sah und überzeugte mit jugendlichem, unbeschwertem Charme, Virtuosität auf der Violine, Elan und einem Lied, das ganz Europa mitriss. Das Märchen von der nicht ganz einfachen Liebe, die tagsüber von Streit und nachts von Leidenschaft erfüllt war, bekam von allen stimmberechtigten Nationen Punkte und 16 von ihnen belohnten ihn mit der Höchstpunktzahl 12 – das ergab die märchenhafte Rekord-Punktzahl 387 Punkten, 169 Punkte vor dem zweitplatzierten Island – sicherlich ein neuer Meilenstein in der ESC-Geschichte: das Märchen von Moskau featuring Alexander, der großen ESC-Violinist.
DIE TEILNEHMENDEN - FINALE
1.Litauen
Sasha Son
"Love"
M. & T.: Dmitrij Savrov (Sasha Son)
2. Israel
Noa & Mira Awad
"There Must Be Another Way"
M. & T.: Gil Dor, Noa, Mira Anwar Awad
3.
Frankreich
Patricia Kaas
”Et s'il fallait le faire"
M.: Fred Blondin T.: Anse Lazio
4. Schweden
Malena Ernman
"La voix"
M.: Fredrik Kempe T.: Fredrik Kempe, Malena Ernman
5. Kroatien
Igor Cukrov feat. Andrea
"Lijepa Tena"
M.:Tonci Huljić T.: Vjekoslava Huljić
6. Portugal
Flor-de-Lis
"Todas as ruas de amor"
M.: Pedro Marques, Paulo Pereira T.: Pedro Marques
7. Island
Yohanna
"Is It True?"
M. & T.: Oskar Páll Sveinsson, Chris Neil, Tinatin Japaridze
8. Griechenland
Sakis Rouvas
"This Is Our Night"
M.: Dimitris Kontopoulos T.: Craig Porteils, Cameron Giles-Webb
9.Armenien
Inga & Anush
"Jan Jan"
M.: Mane Hakobyan T.: Avet Barseghyan, Vardan Zadoyan
10. Russland
Anastasia Prikhodko
"Mamo"
M.: Konstantin Meladze T.: Konstantin Meladze, Diana Golde
11. Aserbaidschan
AySel & Arash
"Always"
M.: Arash Labaf, Robert Uhlmann, Johan Bejerholm, Marcus Englof, Alex Papaconstantinou T.: Arash, R.Uhlmann, Elin & Anderz Wrethov
12. Bosnien & Herzegowina
Regina
"Bistra voda"
M. & T.: Aleksandar Cović
13. Moldau
Nelli Ciobanu
"Hora din Moldova"
M.: Veaceslav Daniliuc T.: Nelli Ciobanu
14. Malta
Chiara
"What If We"
M.: Marc Paelinck T.: Gregory Bilsen
15.Estland
Urban Symphony
"Randajad"
M. & T.: Sven Lõhmus
16. Dänemark
Brinck
"Believe Again"
M. & T.: Lars Halvor Jensen, Martin Michael Larsson, Ronan Keating
17.Deutschland
Alex Swings Oscar Sings!
"Miss Kiss Kiss Bang"
M. & T.: Alex Christensen
18. Türkei
Hadise
"Düm Tek Tek"
M.: Sinan Akçil T.: Sinan Akçil, Hadise Açikgöz, Stefaan Fernande
19. Albanien
Kejsi Tola
"Carry Me In Your Dreams"
M.: Edmond Zhulali T.: Agim Doci
20Norwegen
Alexander Rybak
"Fairytale"
M. & T.: Alexander Rybak
21Ukraine
Svetlana Loboda
"Be My Valentine (Anti-crisis-Girl)"
M.: Svetlana Loboda T.: Yevgeny Matyushenko
22.Rumänien
Elena
"The Balkan Girls"
M.: Laurentiu Duta, Ovidiu Bistriceanu, Daris Mangal T.: L. Duta, Alexandru Pelin
23.Ver. Königreich
Jade Ewen
"It's My Time"
M. & T.: A. Lloyd Webber, Diane Warren
24.Finnland
Waldo's People
"Lose Control
M.: Karima, Ari Erik Veikko Lehtonen T.: A. Lehtonen, Karima, Waldo,
Annie Kratz-Guta
25.Spanien
Soraya
"La noche es para mi"
M.: Irini Michas, Dimitri Stassos, Jason Gill T.: Felipe Perdroso
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE 1
1.Montenegro
Andrea Demirović
"Just Get Out of My Life"
M.: Ralph Siegel T.: Bernd Meinunger, José Juan Santana Rodriguez
2. Tschechische Republik
Gipsy.cz
"Aven romale"
M. & T.: Radoslav „Gipsy“ Banga
3.
Belgien
Copycat
”Copycat"
M.: Benjamin Schoos T.: Jacques Duvall
4. Belarus
Petr Elfimov
"Eyes That Never Lie"
M.: Petr Elfimov T.: Valery Prokhozhy
5. Schweden
Malena Ernman
"La voix"
M.: Fredrik Kempe T.: Fredrik Kempe, Malena Ernman
6. Armenien
Inga & Anush
"Jan Jan"
M.: Mane Hakobyan T.: Avet Barseghyan, Vardan Zadoyan
7. Andorra
Susanne Georgi
"La teva decisió (Get A Life)"
M. & T.: Rune Braager, Marcus Winther-John, Lene Dissing, Susanne Georgi, Pernilla Georgi
8. Schweiz
Lovebugs
"The Highest Heights"
M. & T.: Adrian Sieber, Thomas Rechberger, Florian Senn
9.Türkei
Hadise
"Düm Tek Tek"
M.: Sinan Akçil T.: Sinan Akçil, Hadise Açikgöz,
Stefaan Fernande
10. Israel
Noa & Mira Awad
"There Must Be Another Way"
M. & T.: Gil Dor, Noa, Mira Anwar Awad
11. Bulgarin
Krassimir Avramov
"Illusion"
M. & T.: Krassimir Avramov, William Tabanau
12. Island
Yohanna
"Is It True?"
M. & T.: Oskar Páll Sveinsson, Chris Neil, Tinatin Japaridze
13. EJR Mazedonien
Next Time
"Neshto shto ke ostane"
M.: Damjan Lazarov, Jovan Jovanov T.: Elvir Mekić
14. Rumänien
Elena
"The Balkan Girls"
M.: Laurentiu Duta, Ovidiu Bistriceanu, Daris Mangal T.: L. Duta, Alexandru Pelin
15.Finnland
Waldo's People
"Lose Control"
M.: Karima, Ari Erik Veikko Lehtonen T.: A. Lehtonen, Karima, Waldo, Annie Kratz-Guta
16. Portugal
Flor-de-Lis
"Todo as ruas de amor"
M.: Pedro Marques, Paulo Pereira T.: Pedro Marques
17.Malta
Chiara
"What If We"
M.: Marc Paelinck T.: Gregory Bilsen
18. Bosnien & Herzegowina
Regina
"Bistra voda"
M. & T.: Aleksandar Cović
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE 2
1.Kroatien
Igor Cukrov feat. Andrea
"Lijepa Tena"
M.:Tonci Huljić T.: Vjekoslava Huljić
2. Irland
Sinead Mulvey & Black Daisy
"Et Cetera"
M. & T.: Niall Mooney, Christina Schilling, Daniele Moretti, Jonas Gladnikoff
3.
Lettland
Intars Busulis
”Probka"
M.: Karlis Lacis T.: Janis Elsbergs, Sergej Timofejev
4. Serbien
Marko Kon & Milaan
"Cipela"
M.: Aleksandar Kobac, Marko Kon, Milan Nikolić T.: Aleksandar Kobac, Marko Kon
5. Polen
Lidia Kopania
"I Don't Wanna Leave"
M. & T.: Alex Geringas, Bernd Klimpel, Rike Boomgaarden, Dee Adam
6. Norwegen
Alexander Rybak
"Fairytale"
M. & T.: Alexander Rybak
7. Zypern
Christina Metaxas
"Firefly"
M. & T.: Nikolas Metaxas
8. Slowakische Republik
Kamil Mikulič & Nela Pocisková
"Let' tmou"
M.: Rastislav Dubovsky T.: Anna Zigová, Petronela Kolevská
9.Dänemark
Brinck
"Believe Again"
M. & T.: Lars Halvor Jensen, Martin Michael Larsson, Ronan Keating
10. Slowenien
Quartissimo feat. Martina
"Love Symphony"
M. & T.: Andrej Babić
11. Ungarn
Zoli Ádok
"Dance WIth Me"
M.: Szabó Zé T.: Kasai
12. Aserbaidschan
AySel & Arash
"Always"
M.: Arash Labaf, Robert Uhlmann, Johan Bejerholm, Marcus Englof, Alex Papaconstantinou T.: Arash, R.Uhlmann, Elin & Anderz Wrethov
13. Griechenland
Sakis Rouvas
"This Is Our Night"
M.: Dimitris Kontopoulos T.: Craig Porteils, Cameron Giles-Webb
von Frank Nienhuysen, Süddeutsche Zeitung, 18.05.2009
Im Fegefeuer der Peinlichkeiten: Beim Eurovision Song Contest war Pyrotechnik wichtiger als gute Musik
Es ist schon halb vier in der Früh, als Alex Christensen noch immer nach dem richtigen Schlüssel sucht und ihn doch nicht finden kann. Ratlos steht er da in Jeans und schwarzem Blouson und stellt Fragen, die doch eigentlich Antworten sein sollten. „Was muss man noch machen?“, sagt er. „Vielleicht noch mehr CDs verteilen? Den Schlüssel, wie man zwölf Punkte macht, den kenne ich noch nicht. Könnt ihr nicht mal bei den Osteuropäern nachfragen?“
Gerade eben ist die Punktevergabe beendet worden beim ESC in Moskau, und es ist wieder einmal nicht viel, was für Deutschland übrig blieb. Dass diesmal alle 42 angetretenen Länder ihre Ergebnisse verkünden durften, dehnte die Qual nur noch mehr, denn so mussten Christensen und sein Partner Oscar Loya erdulden, wie 30 Staaten das deutsche Lied „Miss Kiss Kiss Bang“ gleich ganz ignorierten. Punkte gab es nur aus elf Nationen, darunter jeweils sieben aus Großbritannien und Dänemark, 35 insgesamt. Platz 20 von 25 Ländern. Das war besser als der letzte Rang im Vorjahr, aber auch schlechter als ein einstelliges Ergebnis, das sich „Alex swings Oscar sings“ vorgenommen hatten.
Vor ein paar Tagen hatte Christensen für sein Dance-Album „Euphorie“ in Moskau noch Platin gewonnen, er ist ein sehr erfolgreicher Komponist, produzierte für Paul Anka, Right Said Fred, Tom Jones, Yvonne Catterfeld, und mit seiner Techno-Variante der Titelmelodie aus dem Film „Das Boot“ erreichte er in 22 Ländern Platz eins. Aber beim Eurovision Song Contest? Es ist schwer, in dem aufgeblähten Wettbewerb den Geschmack der Zuschauer an der Costa Brava ebenso zu treffen wie am Finnischen Meerbusen und dem Kaspischen Meer. Auch der Auftritt der Burlesque-Tänzerin Dita von Teese brachte nicht viel außer etwas Rummel am Rande. „Vielleicht ist es ein bisschen sehr viel Plastik gewesen“, sagt Guildo Horn aus der deutschen Jury. Und so gesteht Christensen bei einem Glas Wodka ein: Unser Auftritt war super, das Lied hat Qualität, aber Platz 20 ist eine echte Niederlage.“
Das deutsche Duo setzt außerdem vor allem auf den amerikanischen Markt. „In Deutschland haben wir das Lied ja nur mit der Brechstange ins Radio bekommen“, erzählt Christensens Manager Volker Neumüller, der auch Jury-Mitglied der RTL-Castingshow „DSDS“ ist. Irgendwie habe es ein „Gefühl gegen den Beitrag“ gegeben, gegen den amerikanischen Sänger Oscar Loya. Und auch gegen Dita von Teese. Dafür seien Christensen und Loya in Amerika als einzige der Eurovisionsteilnehmer bei Oprah Winfrey gewesen, und bei CNN waren sie auch.
Vielleicht lässt sich ihr neues Album „Heart 4 Sale“ ja in Amerika gut vermarkten, aber in Europa darf erst einmal der Norweger Alexander Rybak abschöpfen. Er scheint den Schlüssel gefunden zu haben. Sein Lied „Fairytale“ ist ein fröhliches Folklore-Feuerwerk, am Bühnenrand sprühten dazu die Funken-Fontänen, flott spielte er die Geige, sang auch noch gut, und so riss er mit seinem schmissigen Song ganz Europa mit. 16 Länder gaben dem jungen Sänger in dem Kellner-Anzug die höchste Punktzahl. „Das war Weltklasse“, sagt Alex Christensen, „er sieht gut aus, spielt gut, singt gut, ein Zauberkünstler.“
Über den Sieger dürften viele Menschen in den westeuropäischen Ländern erleichtert sein. Rybak entkräftet den Vorwurf, vor allem die osteuropäischen Staaten bündelten kartellartig ihre Stimmen und schütteten sie ausschließlich über ihre jeweiligen Nachbarn aus. Norwegen kann nachbarschaftliche Beziehungen allenfalls zu Schweden, Finnland und im Nordzipfel noch zu Russland pflegen.
Russland hat als Gastgeber der Eurovision immerhin gezeigt, zu was es fähig ist. Ein aufwändiges, farbiges Bühnenspektakel hat es geboten, eine Liveschaltung zur Raumstation ISS, und Alexander Barannikow, der Regierungsbeauftragte für den Musikwettbewerb, sagte, „wir haben allen bewiesen, dass Russland ein modernes und mächtiges Land ist“. Europa werde es schwer haben, „uns beim nächsten Mal zu übertreffen“. Einige Homosexuelle konnten sich die Show allerdings wohl nicht mehr live ansehen. Sie wurden vorübergehend festgenommen. Es war Samstagmittag, als sich ein paar Dutzend Schwule trotz eines Verbots an den Sperlingsbergen versammelten, wo sich sonst Brautpaare vor dem Moskauer Panorama fotografieren lassen. Es waren nicht viele, und schnell wurden es noch weniger. Den Organisatoren der Demo, Nikolaj Alexejew, packten gleich vier Sicherheitsbeamte an Händen und Füßen und brachten ihn in einen wartenden Bus. Auch der britische Menschenrechtsaktivist Peter Tatchell wurde mitgenommen. Als Letzten traf es einen Amerikaner aus Chicago. Die Protestparade war bereits aufgelöst worden, als er noch ein Interview gab. Die Traube der Journalisten um ihn herum war dicht, doch zwei Beamte nahmen ihn entschlossen mit in den Gefangenen-Bus, wo er mit Applaus begrüßt wurde.
Die Organisatoren der Parade hatten an die Künstler der Eurovision appelliert, den Grand Prix in der Moskauer Olympiahalle zu boykottieren, aber dazu waren diese natürlich nicht bereit. Nur die niederländische Gruppe The Toppers hatte erklärt, sie würde im Finale aus Protest nicht auftreten, sollte die Schwulendemonstration von der Polizei aufgelöst werden. Doch es kam gar nicht so weit, The Toppers schieden im Halbfinale aus, und so blieb die Bühne vor allem dem Norweger Rybak, den Sängerinnen aus Island, Aserbaidschan, der Türkei und Patricia Kaas überlassen. Sie nutzten sie, und Gastgeber Russland war rundum zufrieden. Auch wenn die russische Vertreterin nur Platz elf erreichte.
Bescheidener Wunderknabe
von Hans-Hermann Kotte, Frankfurter Rundschau, 18.05.2009
Wie der 23-jährige Alexander Rybak den Ost-West-Graben der Schlagerwelt überwand
Es ist wohl sein Bubencharme gewesen, der über alle Zielgruppen und Ländergrenzen hinweg funktionierte. Er knipste sein Lächeln an, das trotzdem nicht wie an angeknipst wirkte. Und dann wirbelte er mit seiner Geige und dieser altmodischen Weste über die Bühne – als Fiddler on the Roof, eine Figur, die seit Jahrzehnten im popkulturellen Gedächtnis herumfiedelt. „Fairytale“ hieß das schmissige Liebeslied – Märchen kennt man ja auch überall.
Alexander Rybak, 23, gebürtiger Weißrusse aus Norwegen, hat den Eurovision Song Contest (ESC) gewonnen – mit neuem Punkte-Rekord. Von mehr als der Hälfte der abstimmenden Länder erhielt Norwegen die maximalen 12 Punkte, am Ende waren es 387. Damit lag das Land weit vor Island und Aserbaidschan.
Alex Sings Oscar Swings, das deutsche Duo, kam mit der Swing-Disco-Nummer „Miss Kiss Kiss Bang“ nur auf Rang 20. Eine weitere Pleite für den deutschen ESC-Veranstalter NDR – im vergangenen Jahr waren die No Angels auf Platz 23 gekommen.
Rybak, der den dritten Sieg für Norwegen holte, ist Profi durch und durch. Er begann schon mit fünf Jahren Geige und Klavier zu spielen. Komponieren kann er auch, er leitetet ein Jugendsinfonieorchester. Eine Art Wunderkind, das aber nicht allzu streberhaft wirkt. Humor bewies er beim Wettkampf auch noch: Nach seinem Triumph sagte er auf Norwegisch: „Ich komme am Montag um 11 Uhr auf dem Osloer Flughafen an, wäre schön, wenn mich dort fünf, sechs Leute begrüßen würden...“
Gegen Rybak sahen viele alt aus, das deutsche Duo besonders. Weder die Personen noch der Song konnten überzeugen. Alex und Oscar waren als programmierter Erfolg gedacht: Man nehme einen Spezialisten für prolligen Pop („Du hast den schönsten Arsch der Welt“), einen schwulen Musical-Sänger und eine Edel-Stripperin. Sex sollte es bringen. Doch Burlesque-Tänzerin Dita von Teese wirkte wie ein Fremdkörper – mit viel Nacktheit konnte sie ohnehin nicht punkten, da die Veranstalter ihr nach der Probe untersagt hatten, Nippel zu zeigen – selbst bedeckte. So oder so ging die Kalkulation nicht auf, da fehlte die gewisse Restwärme. „Ungeil“ sei das Ergebnis, kommentierte Alex nach der Niederlage.
Wie der programmierte Erfolg dagegen funktionieren kann, zeigten die Briten und Franzosen. Für die Insel ging die Musical-Legende Andrew Lloyd-Webber mit einer monumentalen Schmonzette an den Start, gesungen von der jungen Interpretin Jade Ewen. Der Komponist, der wahrlich keine Schönheit ist, setzte sich selbst an den Flügel. Doch auch seine schildkrötenhafte Erscheinung konnte einen respektablen fünften Platz nicht verhindern.
Und die Franzosen schlugen sich mit dem modernen, aber sehr klischeehaften Chanson von Patricia Kaas ausgesprochen gut: immerhin achter Platz. Aber vielleicht hat der Erfolg dieser beiden Vertreter von „Old Europe“ auch mit den veränderten Regeln zu tun? Schwer zu sagen, welche Wirkung die nationalen Jurys hatten, die diesmal neben dem Televoting der Zuschauer wieder mit entscheiden durften. Die Jurys sollten die angebliche Vormachtstellung der Osteuropäer verhindern – die viel gescholtenen Freundschaftspunkte für benachbarte Nationen gab es dennoch. Der Song Contest war eine große Show: Bühne und Lichtanlage waren riesig und schufen für jeden Song eine originelle Atmosphäre, dazu Showeinlagen des Cirque du Soleil, eine Liveschalte zur Raumstation ISS. Es hätte ein Märchen, „Fairytale“, sein können. Hätte.
Denn es war eine Schande, wie die russische Staatsmacht brutal gegen Schwule und Lesben durchgriff, die die internationale Aufmerksamkeit für ihre Gay-Parade nutzen wollte. Nach den Verhaftungen blieben sichtbare Zeichen der Solidarität von Seiten der nach Moskau gereisten schwulen ESC-Fans aus. Auch die Künstler im Saal und die Offiziellen der Eurovision hielten still.
In der Auftakt-Show der ARD wurde der deutsch-russische Autor Wladimir Kaminer zum Polizeiübergriff befragt. Er meinte, dass man Russland noch Zeit geben müsse, damit sich dort eine Toleranz wie im Westen entwickeln könne; auch die Russen würden die Schwulen doch eigentlich lieben. Das waren schwache, letztlich feige Äußerungen und schwerlich als Kaminers übliche Ironie zu verstehen. Er erwies sich als ein etwas anderer Märchenerzähler.
Europa hat gewählt
von Christian Pohl, DIE WELT
Deutschland landet beim Eurovision Song Contest auf einem Schlussplatz.
Norwegen gewinnt haushoch. Warum nur?
Inzwischen müssten die Deutschen sich eigentlich daran gewöhnt haben: Beim Eurovision Song Contest gewinnen sie einfach nicht. Nur Platz 20 (von 25) für das Trio von Alex Swings Oscar Sings. Immerhin: Neben dem Totalausfall mit dem letzten Platz der No Angels im vergangenen Jahr nimmt sich das Ergebnis geradezu als Sensationserfolg aus. Den europäischen Nerv scheinen die deutschen Beiträge beim größten Musikevent der Welt einfach nicht mehr zu treffen. Am mangelnden Siegeswillen kann es nicht liegen. Dass Oscar Loya, Alex Christensen und vor allem Dita von Teese sich nicht mit vollem Körpereinsatz ins Zeug gelegt hätten, kann niemand behaupten. Der US-Muscialsänger Loya steppte energiegeladen über die die Bühne und ließ die blendend weißen Zähne mit seiner silbernen Paillettenhose um die Wette blitzen. Und wenn das, was Burlesque-Tänzerin Dita vorführte, die entschärfte Version ihres Auftritts gewesen sein soll, dann will man sich nicht vorstellen, was ursprünglich geplant war: Mit Reitergerte in der Hand ritt die laszive, notdürftig gekleidete Diva auf einem Kussmund-Sofa und riss dem kalifornischen Sonnyboy sein ohnehin schon weit offenes Hemd beinahe vom Körper. Sex sells, das war die Rechnung von Christensen und Co.
Doch diese Kalkulation wollte dummerweise so gar nicht aufgehen. Hinterher hatten das natürlich alle schon geahnt: „Ich glaube, dass es wichtig ist, dass jemand, der auf der Bühne steht, auch echt rüberkommt. Und vielleicht war die Dita ein bisschen sehr viel Plastik“, mutmaßte Guildo Horn, seines Zeichens ehemaliger Grand-Prix-Teilnehmer und Mitglied der deutschen Jury. Also alles Ditas Schuld? Am Song selbst zumindest sollte es wohl nicht gelegen haben. Denn auch wenn die Swing-Nummer „Miss Kiss Kiss Bang“ nicht gerade Musikgeschichte schreiben wird: Rein musikalisch gesehen waren mehr als fünf weitaus schlechtere Beiträge am Start. Darum deutet doch alles darauf hin, dass die deutsche Bühnenshow ein bisschen zu viel des Guten für gesamteuropäische Augen bot. Oder schlicht und ergreifend nicht den Nerv der Zeit getroffen hat.
Augenfällig wird das, nimmt man mal den Siegerbeitrag genauer unter die Lupe. Für Alexander Rybak hätte es mit „Fairytale“ märchenhafter nicht laufen können. Mit einem Rekordergebnis in der Grand-Prix-Geschichte von 387 Punkten deklassierten die Norweger die Konkurrenz und bekamen aus beinahe allen Teilnehmerländern hohe Wertungen. Das Erfolgskonzept: ein schmissiger, vor allem aber romantischer Titel. Und ein Sänger, der mit seinem verwuschelten Haar, jungenhaftem Grinsen und gerade mal 23 Jahren aussah, als sei er gerade eben der Schulbank entsprungen. Züchtig in weißem Oberhemd und schwarzer Weste, fiedelte Rybak sich mit der Geige in der Hand in die Herzen der Zuschauer. „Er ist der Harry Potter der Popmusik“, würdigte denn auch Alex Christensen den Gewinner. In Zeiten der Krise erscheint den Europäern jugendliche Unbedarftheit offenbar verheißungsvoller als schwüle Erotik. Aussagen für die Zukunft lassen sich daraus aber nicht ableiten. Denn schon beim nächsten Contest kann das alles ganz anders aussehen. Denn nach wie vor gilt: Der Grand Prix gehorcht seinen eigenen Gesetzen. Allerdings scheint die Experimentierfreude vorbei, eine neue Sachlichkeit hat Einzug gehalten. Kein Künstler tanzte aus der Reihe, die Songs waren mainstreamig, die Auftritte unkreativ. Gruppen wie die finnischen Hard-Rocker Lordi, die noch vor drei Jahren den Grand Prix gewannen, passen scheinbar nicht mehr ins Bild. Ein Verlust, war die Show doch in den letzten Jahren ein Garant für Schräges und Schrilles und zumindest in Deutschland gerade deshalb populär.
Und auch in anderer Hinsicht scheint der Song Contest am Beginn einer neuen Ära. Vorbei die Zeit, in der die Osteuropa-Mafia oder die Balkan-Connection den Sieger unter sich ausmachten. Zwar gab es auch dieses Mal wieder ein paar zugeschanzte Punkte unter guten Nachbarn, dominiert hat das die Vergabe allerdings nicht. Ob das neue Abstimmungsverfahren mit den zusätzlichen Stimmen der Experten-Jurys der einzelnen Länder dafür verantwortlich ist, muss sich aber erst noch beweisen.
Mensch… Oscar Loya!
von Dieter Lintz, Trierischer Volksfreund, 20.05.2009
Entschuldigung, dass es einen Moment gedauert hat, ich musste nur noch mal kurz Ihren Namen nachschlagen, ich hatte ihn seit Samstag schon wieder vergessen. Sie waren die eine Hälfte von dem debakulösen deutschen Duo beim Eurovision Song Contest.
„Eintagsfliege“ kann man Sie nicht nennen, denn die fliegen wenigstens 24 Stunden, bevor sie abstürzen.
War wohl gar nix in Moskau. Und man kann es nicht mal auf die Bruderhilfe der Ossi-Länder schieben, sonst hätte wohl kaum ein geigender Milchbubi aus Norwegen vor einer Tränendrüse aus Island gewonnen.
Also wenn ich ein großes Label wäre, ich würde sofort die Grand Prix - Verantwortlichen vom NDR als Talent – Scouts verpflichten. Denen braucht man nur alle Künstler zur Prüfung vorzulegen, und wenn die was toll finden, kann man die Produktion im Frühstadium gleich absagen und spart viel Geld.Aber ein Gutes hat die ganze Sache, auch wenn Sie das als Kalifornier wohl kaum ahnen: Je sieben Punkte aus Dänemark und Großbritannien, hingegen Nullkommagarnix aus der Schweiz, Spanien und Italien: Das erleichtert die nächste Urlaubsentscheidung enorm.
Kalkofes letzte Worte: Letzte Rettung
aus TV Spielfilm Nr. 13/09
(…) Auch die ARD braucht dringend Hilfe, vor allem beim Grand Prix. Wenn der Staat hier nicht schnell eingreift, ist Deutschland im internationalen Songvergleich rettungslos verloren. Seit Jahren wird vom NDR wirklich alles versucht, endlich wieder die Poleposition im musikalischen Europa zu erlangen, aber gereicht hat es bisher nur zum Arsch der Liste. Dabei sah beim letzten Mal alles so vielversprechend aus: Song-Auswahl von ausgewählten Fachleuten ohne Beteiligung des doofen Publikums, Ausbremsung der fiesen und sich immer nur gegenseitig die Punkte zuschiebenden Osteuropäer, eine cool gemeinte Pop-Swing-Nummer mit den zusammengeklauten Hooklines wirklich aller bekannten Welthits aus diesem Genre, ein schleimiger Sänger, der sich ungefragt das Hemd vom gestählten Körper reißt, plus das erfolgreichste Strip-Luder der Welt beim Sexy-Background-Herumräkeling – was konnte da schief gehen? Scheinbar alles. Offensichtliche Anbiederei wird halt doch schneller entlarvt, als man denkt. Und nun bittet man auf den Knien um Hilfe. Zum Beispiel Stefan Raab, der allerdings bereits nach drei Tagen merkte, dass der ARD nicht zu helfen ist, höchstens mit einem Bolzenschussgerät. Oder jetzt von Dieter Bohlen, der sofort bereit wäre, wenn der Staat ein paar Millionen dazuschießt. Ralph Siegel bietet der ARD übrigens seit Jahren täglich seine Hilfe an, wurde von dort aber mit Dank an Opel und Karstadt verwiesen.
Erstmals in der deutschen TV-Geschichte kam es bei der Auswahl des deutschen ESC-Vertreters zu einer Kooperation eines öffentlichen-rechtlichen (ARD) und eines privaten TV-Senders (Pro Sieben). Stefan Raab suchte gemeinsam mit dem Ersten, ProSieben sowie den Pop- und jungen Wellen des ARD-Hörfunks den deutschen Beitrag. Das von Raab maßgeblich entwickelte Konzept der Show "Unser Star für Oslo" führte über insgesamt acht Casting-Shows schließlich zur Auswahl des Ausnahme-Talents Lena Mayer Landrut, der damals 19-jährigen Abiturientin, die sich mit ihrer besonderen Art als neues deutsches "Fräuleinwunder" gegen ihre 19 Mitbewerber durchsetzen konnte. Der Sieg Lenas in der deutschen Vorentscheidung führte zu einem beispiellosen Medienhype und einer Erfolgsgeschichte, die letztlich den Sieg Lenas beim ESC in Oslo zur Folge hatte. Für das Format "USFO" erhielt Stefan Raab den Deutschen Fernsehpreis.
In den acht Shows kämpften 20 Finalisten, ermittelt durch ein bundesweites Casting, um das Ticket nachOslo. Ins Finale zogen per Televoting-Entscheidung die besten zwei Interpreten ein, die jeweils 18-jährigen Jennifer Braun und Lena Meyer-Landrut.
Durch Televoting wurde in der ersten Wertungsrunde für jede der beiden Sängerinnen eines ihrer Lieder ausgewählt. Den jeweils für sie ausgewählten Titel sangen dann beide in der Endrunde noch einmal, und dann fiel wieder per Televoting die endgültige Entscheidung über die deutsche Vertreterin in Oslo.
Es war Lena Meyer-Landrut mit dem Titel: "Satellite", geschrieben von Julie Frost und John Gordon.
John Gordon (Dänemark) und Julie Frost (USA) haben bereits für so erfolgreiche Interpreten wie Rihanna, Beyoncé, Mariah Carey und Britney Spears gearbeitet.
Weitere Details zur Vorentscheidung siehe unten.
Finale / Jury: Stephanie Kloß & Xavier Naidoo
Startnr.
Interpret*in
Titel Komposition/ Text
Platz
1.
Jennifer Braun
Bee Rosi Golan, Per Kristian Ottestad & Mayaeni Strauss
2.
2.
Lena Meyer-Landrut
Bee
3.
3.
Jennifer Braun
Satellite John Gordon & Julie Frost
3.
4.
Lena Meyer-Landrut
Satellite
1.
5.
Jennifer Braun
I Care For You Martin Fliegenschmidt, Claudio Pagonis & Max Mutzke
Der Sieg beim ESC 2010 war für Lena der Start zur großen Karriere, nicht nur als Sängerin, sondern auch als Werbe-Ikone, Influencerin und TV-Star, u.a. als Coach bei "The Voice Kids". Bis 2019 erschienen insgesamt fünf Studioalben. Sie machte mehrere erfolgreiche Tourneen und betätigte sich auch als Synchronsprecherin für Animationsfilme.
DIE VORENTSCHEIDUNG IM DETAIL
Wer Deutschland beim ESC vertreten wollte, konnte sich unter www.eurovision.de oder www.tvtotal.prosieben.de bewerben. Jeder, der zum Zeitpunkt des Castings sein 18. Lebensjahr vollendet hatte, hatte die Chance, sich und sein musikalisches Können zu präsentieren. Aus allen Bewerbern wurden die 20 talentiertesten für die acht Ausscheidungsshows bestimmt, in denen sie sich dem Votum der Zuschauer stellten.
In "Unser Star für Oslo" bewertete Stefan Raab als Präsident einer Jury aus namhaften Vertretern der Musik-und Entertainmentbranche die Auftritte der Kandidaten. Über Weiterkommen und Ausscheiden der Musiker entschieden die Zuschauer per Telefon und SMS.
Das Erste und ProSieben zeigten die acht Ausgaben von "Unser Star für Oslo" live im Februar und März. Die Shows produzierte Raab TV in Zusammenarbeit mit der BRAINPOOL TV GmbH im Auftrag von Das Erste und ProSieben. Hierzu auch ein Interview mit Thomas Schreiber (ARD). In der wechselnden Fachjury saßen u.a. Sarah Connor, Jan Delay und Marius Müller-Westernhagen,
Die Semifinals begannen am Dienstag, dem 02.02.2010, die weiteren Shows waren am 09.02., 16.02., 23.02., 02.03., das Viertelfinale am 05.03., das Halbfinale am 09.03. und das Finale wurde dann am Freitag, dem 12.03.2010 ausgetragen.
Das Besondere: Die Zuschauer bestimmten nicht nur, wer Deutschland beim Eurovision Song Contest 2010 in Oslo vertreten darf, sondern auch, mit welchem Song er antritt. Die Show begann zunächst mit zwei Shows, in denen jeweils zehn Teilnehmer*innen antraten, fünf davon werden rausgewählt. In Show drei traten die verbleibenden zehn an, acht kamen weiter. In Show vier wurden wiederum zwei Teilnehmer rausgewählt. Nach Show fünf musste ein Teilnehmer gehen. Die sechste Show war das Viertelfinale und wieder ging nur einer. Im Halbfinale schieden zwei Teilnehmer aus, so dass zwei Interpretinnen ins Finale gingen. Im Finale wurde zunächst der Song gewählt, danach die Siegerin.
NDR Intendant Lutz Marmor: "Die ARD, Stefan Raab und ProSieben - soviel Grand Prix war nie! Ich freue mich darauf, dass diese spannende Idee nun umgesetzt wird. Über Sendergrenzen hinweg verspreche ich mir eine Bündelung aller kreativen Kräfte für das größte europäische Musik-Event."
ProSiebenSat1-TV-Vorstand Andreas Bartel: "So wird der Grand Prix wieder zu einem echten nationalen TV-Erlebnis - Entertainment at its best!"
Stefan Raab: "ich freue mich sehr auf dieses außergewöhnliche Kooperation. Unser Anspruch ist es, musikalisches Entertainment auf hohem Niveau zu bieten."
Vorrunde 1 - 2. Februar 2010 / Jury: Yvonne Catterfeld & Marius Müller-Westernhagen
1.
Benjamin Peters
Bodies
2.
Kerstin Freking
My Immortal
3.
Johannes Böhm
Crazy
4.
Daliah Sharaf
At Last
5.
Cyril Krüger
Hotel California
6.
Michael Kraus
Loving You
7.
Meri Voskanian
Release Me
8.
Katrin Walter
Nobody Knows
9.
Sebatian Schwarzbach
Home
10.
Lena Meyer-Landrut
My Same
Vorrunde 2 - 9. Februar 2010 / Jury: Sarah Connor & Peter Maffay
Zum ersten Mal in der Eurovisionsgeschichte waren aller guten Dinge Drei. Nach den immer stärker werdenden Protesten insbesondere nach der Ostlastigkeit des ESC-Ergebnisses von Helsinki beschloss die EBU, das Format deutlich zu verändern. Es galt nun nicht mehr, dass sich die Top-Ten des Vorjahrganges automatisch für das nächste Finale qualifizierten, sondern es wurden zwei Semifinale eingeführt, und nur noch die sog. BIG 4 und der Gastgeber waren automatisch für das Finale gesetzt.
Außerdem kamen aus den Semifinalen jeweils die ersten 9 des Televoting ins Finale plus jeweils einem Titel, den die Wertung der Backup-Jurys bestimmte. So traten insgesamt 38 Länder in den beiden Semifinalen an. Unter dem Gesichtspunkt des Wertungsverhaltens seit 2005 und besonderer Nachbarschaftsverhältnisse wurden sie zunächst auf sechs Töpfe verteilt und den beiden Vorrunden zugelost. So kamen jeweils die Balkanländer in einen Topf, die skandinavischen Nachbarländer, die Ex-Sowjetrepubliken,die eher "neutralen" Länder usw. Mit 43 Ländern gab es einen neuen Teilnahmerekord!
Und was für eine tolle Mischung war da in der Belgradska Arena am Start, aus sowohl einfallsreicher Schauspielkunst (Bosnien & Herzegowina) als auch billiger Komödie (Irland), großen Stimmen, Feuerwerk, Mitsing-Ohrwurm-Akustik (Dänemark, Lettland), Kletter- und Umzieh-Kombis (Griechenland, Zypern) und schlechten I-Love-East-Einschmeichel- Versuchen (Malta) – Wow! Das konnte sich sehen lassen! Und viel wurde uns vermittelt über den Austragungsort, seine Kultur, seine Weltstars, seine Musik - Serbien präsentierte sich als würdiger ESC-Gastgeber!
Der gastgebender Sender RTS hatte ein Casting ins Leben gerufen, um das passende Moderatorenpaar zu finden. Allerdings gefiel das Ergebnis nicht, so dass man dann doch die Moderation Jovana Janković & Željko Joksimović anvertraute.
Jovana Janković studierte eigentlich Kunst, machte dann relativ schnell Karriere beim serbischen Fernsehen. So produzierte und moderierte sie zwei Kinomagazine, gefolgt von der langjährigen Moderation beim Frühstücksfernsehen. Als Teenager wurde sie dreimal mit dem Titel "Beste Handballerin Belgrads und Serbiens" ausgezeichnet.
Željko Joksimović belegte 2004 beim ESC mit "Lane moje" den zweiten Platz, damals noch für Serbien-Montenegro. Mit zwölf Jahren gewann er bereits ein erstes Musikfestival in Paris. In den 1990 Jahren hatte er große Erfolge als Komponist beim Belgrader Frühlingsfestival, internationale Festivalerfolge in Osteuropa schlossen sich an. Er schrieb zahlreiche Filmmusiken und begann dann 2000 eine Karriere als Sänger. Für seine ESC-Titel "Lane moje" und "Lejla" 2006 erhielt er jeweils den Marcel-Besançon-Award für die beste Komposition. 2012 trat er noch einmal beim ESC an und wurde Dritter.
Jovana Janković und Željko Joksimović sind seit dem ESC ein Paar und heirateten im Januar 2012. 2014 bekamen sie einen Sohn.
FAZIT
Es war auffällig, dass manche Teilnehmer dieses Jahrgangs sich nicht nur auf ihre persönliche Gesangskompetenz verließen, sondern sich auch nicht scheuten, höhere Mächte anzurufen wie z.B. Helden, Engel, den Glauben an das, was auch immer zum ESC-Sieg führt, und sogar den unverkennbaren Jesus-Look … Danke Dima Bilan für den seit dem 24. Mai 2008 unumstrittenen Beweis, dass Glauben nicht nur Berge versetzen, sondern auch jede Menge Punkte einholen kann. Aber nicht nur der von Timbaland in den USA produzierte Titel "Believe", sondern das ganze "Paket" mit dem ungarischen Geiger Edvin Marton und dem Eislauf-Superstar Eugeny Pluschenko, der auf einer Kunsteisfläche seine Pirouetten drehte, sorgte schließlich für den deutlichen Sieg Russlands. Da hatte man wirklich nichts dem Zufall überlassen!
Dass Jesus bereits Auto fahren konnte – wer das glaubt, wird selig! Jesus Christ Superstar alias Sebastién Tellier und sein „Divine“ wollten für Frankreich aus dem Rahmen fallen – Verzeihung, wohl eher aus der Punktewertung. Mit Platz 19 musste er sich punktgleich einen Platz hinter dem von Charlotte Perrelli besungenen „Hero“ aus Schweden einsortieren. Der „Hero“, der Charlotte Perrelli, geb. Nilsson, 2008 zu ihrem zweiten ESC-Triumph verhelfen sollte, hatte aber offensichtlich am Finalabend anderes vor (wahrscheinlich abgeschreckt von ihrem viel belächelten „Alien-Face“): nur Platz 18 für die ESC - Siegerin von 1999. Und sie war nur durch das Votum der Back-Up-Jury überhaupt ins Finale gekommen, denn sie war in ihrem Semifinale nur auf Platz 12 gelandet! Große Hoffnungen hatten sich die Schweden sicherlich gemacht, als sie eine erfahrene ESC-Sängerin ins Rennen schickten. Was lernen wir daraus? ESC-Lebenslauf und bisherige Chart-Erfolge sind in dem Moment, in dem es darauf ankommt, Millionen von Fernsehzuschauern zu beeindrucken, nicht von Bedeutung – Nur der Moment zählt!
Diese bittere Lektion mussten bedauerlicherweise auch unsere „No Angels“ lernen – mit noch so viel Vorschuss-Lorbeeren und Siegeshoffnung bedacht, sollten sie leider ihrem Titel „Disappear“ alle Ehre machen und in der Wertungsversenkung verschwinden – nur eine rettende Hand aus Bulgarien und ein kleines Händchen aus der Schweiz verhinderten das Allerschlimmste, die totale Nullrunde.
Da waren Engelchen und Teufelchen aus dem Newcomerland Aserbaidschan schon erfolgreicher. Der Kampf zwischen Gut und Böse wurde hier so wirkungsvoll veranschaulicht, dass es bei der ESC-Premiere sofort für das Finale und dort für die Top Ten reichte.
Doch wo blieben die Songs zum Mitsingen/-brüllen/-schunkeln und –klatschen. Wie erfolgreich man mit einfachen Mitbrüll-Nummern sein kann, hatten 2006 LT-United mit „We Are The Winners (of Eurovision) demonstriert. Beim Nachbarn Lettland wollte man dieses Rezept 2008 aufgreifen: Gut verkleidet in Piratenkostümen präsentierte man sich als Piraten zur See und sang von den Wölfen der See. Es wurde zwar gewunken und gesungen, aber es reichte auch hier nicht für die Top Ten.
Glückwunsch Herr Stockselius – ihre Neuregelungen zum Auswahl- und Votingverfahren anlässlich der stark osteuropäisch geprägten Ergebnisse 2007 haben Früchte getragen. Zum ersten Mal seit Einführung des Halbfinals waren die Portugiesen nicht nur im Finale dabei, sondern trugen auch noch die Halbfinal-Silbermedaille davon. Und Fanfavoritin Vânia Fernandes konnte ihr Glück kaum fassen. Platz 13 erreichte sie im Finale!
Serbien musste im Finale ohne den Nachbarn Montenegro auskommen. Dass der serbische Beitrag "Oro" vom Moderator Željko Joksimović geschrieben wurde, war nicht unumstritten, war der Moderator dadurch nicht unbedingt neutral.
Bei Belarus war das Abgucken von der erfolgreichen Vorjahresnummer wohl zu offensichtlich. Montenegro wollte mit einer eher landesuntypischen ESC-Nummer mal so richtig auftrumpfen – bitte ein Runde aussetzen hieß es aber auch hier. Und auch der "Truthahn" aus Irland war nur für eine spektakuläre Bühnenshow gut, aber nicht für einen Platz im Finale.
Was am ESC 2008 allerdings sehr, sehr nachdenklich gestimmt hat, war das Abschneiden vieler guter romantischer und stimmenstarker Lieder – allen voran Rumänien und Schweiz. Zugegeben, über den rumänischen Dresscode konnte man streiten, Andrea Bocelli und Sarah Brightman hätten „Pe-o margine de lume“ aber kaum wirkungsvoller vortragen können. U
Und endlich gab es mal wieder italienisch(-sprachige) Romantik im ESC – wo war Europa, als Paolo sang und die Funken sprühen ließ? Das konnte sich messen mit „What’s Another Year“ oder „The One That Love“ – das war Herz-Schmerz-Romantik-Amore-ESC à la 1980er/1990er Jahre, gepaart mit Dancefloor-Sound und einer Show des 21. Jahrhunderts. Super gemacht.
Isis Gee aus Polen erinnerte stark an den glanzvollen Auftritt von Shiri Maimon in Kiew: Dass Isis für ihr Leben gern singt, hat man ihr sofort abgekauft und auch das stilvoll aufgezogene Candle-Light-Dinner aus Ungarn mit der romantischen Ausstrahlung von Czésy wäre absolut finaltauglich gewesen. Haben Songs nach dem Strickmuster von „Hold Me Now“, „Après toi” oder „Neka mi ne svane“ im ESC ihre Chancen eingebüßt? Lieber nicht darüber nachdenken – schieben wir es einfach auf die unglückliche rumänische Startposition Nr. 1 im Finale, auf den Übereifer mancher Schweizer Pyrotechniker, die vielleicht doch etwas starke Ausstrahlung mancher polnischer Sonnenbänke und den eventuell mit zuviel Volant überspielten Schlitz im ungarischen Beinkleid …!
Sportliche Akrobatik wurde 2008 nicht nur vom Sieger demonstriert – auch dieses Jahr hieß es wieder: hoch das Bein, auf die Schulter, von hinten über die Brust – aber bitte nicht ins Auge … Ani Lorak aus der Ukraine brachte sogar ihre eigene Kletterwand mit und bewies auch sehr wirkungsvoll, dass sie damit umgehen konnte - wieder eine verdiente Silbermedaille für die Ukraine!
Dass die Kombination aus Sex-Appeal, gutem Gesang und Tanzkunst ein ziemlich sicheres Rezept ist für einen vorderen ESC-Rang, bewies ebenso Sirusho aus Armenien; hinzukommt, dass „Qele Qele“ echte Ohrwurm-Qualitäten hatte. Klettern, Ausziehen, Singen sollte auch Zypern ins Finale bringen. Evdokia Kadi hatte allerdings viel mehr von einer hilflosen Marlene Dietrich und ihrem „Männer umschwirren mich wie Motten das Licht“. Aber dennoch: Ein wenig Ablinsen von erfolgreichen Vorgängerinnen – das kann durchaus Punkte bringen. Und dies war das Geheimrezept von Kalomira aus Griechenland. Die „Secret Combination“ wirkte schon ein wenig abgeguckt von Helenas „My Number One“! Aber mit der Kombination aus Hüftschwung, Ausziehen und Singen waren die Griechen in den letzten Jahren mehr als einmal erfolgreich.
Russland hatte bei seinem erfolgreichen ESC-Titel 2008 an nichts gespart – und das sollten sie 2009 bei der ESC- Show ganz sicher auch nicht tun. Wer soviel investiert, um den ESC ins eigene Land zu holen, der würde es sich um keinen Preis nehmen lassen, eine Show zu veranstalten, die ohne Zweifel in die Eurovisionsgeschichte eingehen sollte.
DIE TEILNEHMENDEN - FINALE
1.Rumänien
Nico & Vlad
"Pe-o margine de lume"
M.: Andrei Tudor T.: Andreea Andrei, Adina Suteu
2. Ver. Königreich
Andy Abraham
"Even If"
M. & T.: Andy Abraham, Andy Watkins, Paul Wilson
3.
Albanien
Olta Boka
”Zemrën e lamë peng"
M.: Adrian Hila T.: Pandi Laco
4.
Deutschland
No Angels
”DIsappear"
M. & T.: Remee, Hanne Sorvaag, Thomas Troelsen
5. Armenien
Sirusho
"Qele Qele"
M.: H.A. Der-Hovagimian T.: Sirusho
6. Bosnien & Herzegowina
Laka
"Pokusaj"
M. & T.: Elvir Laković Laka
7. Israel
Boaz
"The Fire In Your Eyes"
M.: Dana International T.: Dana International, Shai Kerem
Finnland
Teräsbetoni
"Missä miehet ratsastaa"
M. & T.: Jarkko Ahola Axel Breitung
9.
Kroatien
Kraljevi Ulice & 75 cents
"Romanca"
M. & T.: Miran Hadzi Veljković
10. Polen
Isis Gee
"For Life"
M. & T.: Isis Gee
11. Island
Euroband
"This Is My Life"
M.: Örlygur Smari T.: Paul Oscar, Peter Fenner
12. Türkei
Mor ve Ötesi
"Deli"
M. & T.: Mor ve Ötesi
13. Portugal
Vânia Fernandes
"Senhora do Mar"
M.: Andrej Babić T.: Carlos Coelho
14. Lettland
Pirates of The Sea
"Wolves of The Sea"
M. & T.: Jonas Liberg, Johan Sahlen, Claes Andreasson, Torbjorn Wassenius
15.
Schweden
Charlotte Perrelli
"Hero"
M.: Fredrik Kempe, Bobby Ljunggren T.: Fredrik Kempe
16. Dänemark
Simon Matthew
"All Night Long"
M.: Simon Matthew T.: Jacob Launbjerg, Svend Gudiksen, Nis Bøgvad
17.Georgien
Diana Gurtskaya
"Peace Will Come"
M.: Kim Breitburg T.: Karen Kavaleryan
18. Ukraine
Ani Lorak
"Shady Lady"
M.: Philip Kirkorov T.: Karen Kavaleryan
19. Frankreich
Sébastian Tellier
"Divine"
M.: Sébastien Tellier, Amandine de la Richardière T.: Sébastien Tellier
20.Aserbaidschan
Elnur & Samir
"Day After Day"
M.: Govher Hasanzadeh T.: Zahra Badalbeyli
21.Griechenland
Kalomira
"Secret Combination"
M.: Konstantinos Pantzis T.: Poseidonas Yannopoulos
22.Spanien
Rodolfo Chicilicuatre
"Baila el Chici Chici"
M. & T.: Rodolfo Chicilicuatre & Friends
23.Serbien
Jelena Tomašević
"Oro"
M.: Željko Joksimović T.: Dejan Ivanović
24.Russland
Dima BIlan
"Believe"
M. & T.: Dima Bilan, Jim Beanz
25.Norwegen
Maria
"Hold On Be Strong"
M. & T.: Mira Craig
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE 1
1.Montenegro
Stefan Filipović
"Zauvijek volim te"
M.: Grigor Koprov T.: Ognen Nedelkovski
2. Israel
Boaz
"The Fire In Your Eyes"
M.: Dana International T.: Dana International, Shai Kerem
3.
Estland
Kreisiraadio
”Leto svet"
M. & T.: Priit Pajusaar, Glen Pilvre, Peeter Oja, Hannes Vörno, Tarmo Leinatamm
4.
Moldau
Geta Burlacu
"A Century of Love"
M.: Oleg Baraliuc T.: Viorica Demici
5. San Marino
Miodio
"Complice"
M. Francesco Sancisi T.: Nicola della Valle
6. Belgien
Ishtar
"O julissi"
M. & T.: Michel Vangheluwe
7. Aserbaidschan
Elnur & Samir
"Day After Day"
M.: Govher Hasanzadeh T.: Zahra Badalbeyli
8. Slowenien
Rebeka Dremelj
"Vrag nai vzame"
M.: Josip Miani-Pipi T.: Igor Amon Mazul
9.Norwegen
Maria
"Hold On Be Strong"
M. & T.: Mira Craig
10. Polen
Isis Gee
"For Life"
M. & T.: Isis Gee
11. Irland
Dustin The Turkey
"Irelande douze points"
M. & T.: Darren Smith, Simon Fine, Dustin The Turkey
12. Andorra
Gisela
"Casanova"
M. & T.: Jordi Cubino
13. Bosnien & Herzegowina
Laka
"Pokusaj"
M. & T.: Elvir Laković Laka
14. Armenien
Sirusho
"Qele Qele"
M.: H.A. Der-Hovagimian T.: Sirusho
15.Niederlande
Hind
"Your Heart Belongs To Me"
M.: Tjeerd van Zanen, Bas van den Heuvel, Hind Laroussi Tahiri T.: T.v.Zanen, Hind
16. FInnland
Teräsbetoni
"Missa miehet ratsastaa"
M. & T.: Jarkko Ahola
17.Rumänien
Nico & Vlad
"Pe-o margine de lume"
M.: Andrei Tudor T.: Andreea Andrei, Adina Suteu
18. Russland
Dima Bilan
"Believe"
M. & T.: Dima Bilan, Jim Beanz
19. Griechenland
Kalomira
"Secret Combination"
M.: Konstantinos Pantzis T.: Poseidonas Yannopoulos
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE
1.Island
Euroband
"This Is My Life"
M.: Örlygur Smari T.: Paul Oscar, Peter Fenner
2. Schweden
Charlotte Perrelli
"Hero"
M.: Fredrik Kempe, Bobby Ljunggren T.: Fredrik Kempe
3.
Türkei
Mor ve Ötesi
”Deli"
M. & T.: Mor ve Ötesi
4. Ukraine
Ani Lorak
"Shady Lady"
M.: Philip Kirkorov T.: Karen Kavaleryan
5. Litauen
Jeronimas Milius
"Nomads In The Night"
M.: Vytautas Diskevicius T.: Jeronimas Milius
6. Albanien
Olta Boka
"Zemrën e lamë peng"
M.: Adrian Hila T.: Pandi Laco
7. Schweiz
Paolo Meneguzzi
"Era stupendo"
M.: Paolo Meneguzzi T.: Paolo Meneguzzi, Vincenzo Incenzo
8. Tschechische Republik
Tereza Kerndlova
"Have Some Fun"
M.: Gordon Pogoda T.: Gordon Pogoda, Stano Simor
9.Belarus
Ruslan Alehno
"Hasta la vista"
M.: Taras Demschuk T.: Eleonora Melnik
10. Lettland
Pirates of The Sea
"Wolves of The Sea"
M. & T.: Jonas Liberg, Johan Sahlen, Claes Andreasson, Torbjorn Wassenius
11. Kroatien
Kraljevi Ulice & 75 cents
"Romanca"
M. & T.: Miran Hadzi Veljković
12. Bulgarien
Deep Zone & Balthazar
"DJ, Take Me Away"
M. & T.: Dian Savov
13. Dänemark
Simon Matthew
"All Night Long"
M.: Simon Matthew T.: Jacob Launbjerg, Svend Gudiksen, Nis Bøgvad
Bitterer geht’s kaum: Deutschland landet zum zweiten Mal binnen vier Jahren auf dem letzten Platz. Der russische Popsänger Dima Bilan schnulzte sich zum Sieg.
Vor acht Jahren kamen Lucy, Sandy, Nadja und Jessica aus dem Nichts: Die No Angels waren die Pop-Sensation des Jahres 2000, gewannen die Casting-Show „Popstars“, landeten Chart-Erfolge im In-und Ausland. Gut möglich, dass ihre Karriere in Belgrad kurz nach ihrer Wiedervereinigung wieder beendet wurde. Mickrige 14 Punkte (...) bedeuteten den letzten Platz (...) So eine Demütigung muss man erstmal verdauen.
Immerhin erwies sich das Quartett als fairer und mutiger Verlierer: Zur After-Show-Party kamen die vier trotz der Enttäuschung, und in der Live-Schaltung nach Deutschland lobten sie sogar die tolle Stimmung in Belgrad. Aber ein Blick in ihre versteinerten Mienen sprach Bände, und Lucy versuchte auch gar nicht erst, etwas schönzureden: „Das Ergebnis ist sehr, sehr schockierend für uns.“
Hand aufs Herz: Niemand hatte wirklich erwartet, dass sie ihr Song „Disappear“ zum Sieg tragen würde. Das eher balladesk angehauchte Lied taugt einfach nicht für eine mitreißende Bühnenshow, und Ohrwurm-Charakter kann man ihm auch nur schwer attestieren. Aber der letzte Platz? Den hätte man eher anderen schrägen Teilnehmern gegönnt: zum Beispiel der albernen Truppe aus Lettland, die ihren Piraten-Song in schlechten Kostümen schwankend zum Besten gab. Ergebnis: Platz elf. Eher zum Gruseln war auch der Auftritt der Schwedin Charlotte Perrelli – weniger wegen ihres Titels, als wegen ihres maskenhaften Gesichtsausdrucks, der auf den exzessiven Einsatz des Skalpells beim Schönheitschirurgen schließen ließ.
Dass am Ende wieder fast ausschließlich osteuropäische Staaten in der oberen Hälfte auftauchten, überrascht niemanden mehr. Die gegenseitigen Liebesbeweise dort sind wir ja schon gewöhnt. Ganz unverdient war der Sieg des Russen Dima Bilan aber nicht. Sein Schmuse-Pop-Song „Believe“ ging leicht ins Ohr und wurde professionell auf die Bühne gebracht. Begleitet wurde er von einem Geiger auf einer Stradivari, und derjenige, der auf Schlitzschuhen wilde Pirouetten um ihn herum drehte, war kein geringerer als Eiskunstlauf-Olympiasieger Jewgeni Pluschenko. Der Sänger selbst betrat mit nackter Brust unter dem offenen Hemd die Bühne und dürfte so insbesondere bei vielen Frauen zum Favoriten aufgestiegen sein. Regierungschef Wladimir Putin ließ es sich natürlich nicht nehmen, den Sieg gleich anschließend in einen „Triumph für ganz Russland“ umzudeuten. In diesem Stil wird er sicher auch dafür sorgen, dass das Finale nächstes Jahr in Moskau zu einer gigantischen Show wird. Ob wir das allerdings noch mal live erleben, ist noch nicht sicher. Bei der ARD gibt es nach den mehrfachen Blamagen in den vergangenen Jahren angeblich Überlegungen, den Sendeplatz mit volkstümlichen Angeboten zu füllen.
Russischer Siegeswille
Dima Bilan lässt beim Eurovision Song Contest die Konkurrenten souverän hinter sich
Von Hans-Hermann Kotte, Frankfurter Rundschau 26.05.2008
In seinem Lied singt er von einer Aufstiegsmission: Mission to keep climbing. Die hatte der russische Popstar Dima Bilan am Ende ganz zweifellos erfüllt: Er gewann den Eurovision Song Contest souverän mit 272 Punkten. In der Arena von Belgrad hielt er die Heimatflagge in die Kameras und umarmte seinen Bühnenpartner, den Eiskunstläufer Jewgeni Pluschenko. Der hatte nett lächelnd ein paar Pirouetten geliefert; der ungarische Geiger Edvin Marton wiederum hatte auf einer echten Stradivari (Baujahr 1697) wild streichend so getan, als ob er geigt. Und ganz vorn Bilan mit aufgerissenem Hemd.
Der Russe ließ sie alle hinter sich: den großartig singenden Israeli Boaz Mauda, Mor ve Ötesi, die schnörkellose Rockband aus der Türkei, den komischen Elektropop-Star Sébastien Tellier aus Frankreich. Und auch Portugals sentimentale Balladen-Königin Vânia Fernandes.
Dima Bilans Auftritt war alles andere als geschmackssicher, vor „russischem Neo-Protz“ hatte die taz gewarnt. Aber der unbedingte Siegeswille war da. Und letztlich konnten sowohl der Song „Believe“, an dem noch in der Soundwerkstatt des US-Produzenten Timbaland gebastelt worden war, als auch die stimmliche Performance überzeugen. Eine Ballade mit Geigen-Bombast und dicken Beats, ein Sänger, der sich auf dem Boden räkelt. Mehr ging nicht rein in die drei Minuten. Da standen sie nun, Bilan und Pluschenko, und mancher mochte an ein anderes Siegerduo denken, Medwedjew und Putin.
Der 26-jährige Dima Bilan ist in Russland längst ein Star. 2005, 2006 und 2007 wurde er von MTV Russia zum besten Künstler gewählt. Er nahm erstmals 2005 an einem Eurovisions-Vorentscheid teil und vertrat sein Land 2006 beim Song Contest in Athen. Mit „Never let you go“ belegte er den zweiten Platz – und schon damals war die Bühnenshow spektakulär kitschig: Einem weißen Flügel, auf dem sich Bilan räkelte, entstieg eine Ballerina. Der jetzige Sieg des Russen kam also nicht wirklich überraschend, zumal er gemeinsam mit der Griechin Kalomira und den lettischen Piraten zu den Favoriten zählte. Nun will es Bilan mit einer Weltkarriere probieren: Sein neues Album erscheint in russischer, englischer und spanischer Version.
Die No Angels, die für Deutschland antraten, können dagegen das erhoffte Comeback komplett vergessen. Die Ex-Castingband landete auf dem letzten Platz gemeinsam mit Polen und England. Null Punkte aus 40 Ländern – lediglich 12 Punkte aus Bulgarien, der Heimat von Sängerin Lucy, und zwei Punkte aus der Schweiz. Und das völlig zu Recht: Denn sie sangen so schief, wie man es selten gehört hat beim Eurovision Song Contest. Auch wenn ARD-Moderator Peter Urban gleich mehrfach betonte, dass die No Angels einen klasse Auftritt hingelegt hätten: Sie klangen erbarmungswürdig. Und ihre Choreographie war ziemlich ideenfrei, verglichen mit anderen klebten sie geradezu auf der Bühne.
Natürlich fragte die Bild am Sonntag gleich wieder: „Mag uns keiner? Oder sind wir zu blöd zum Siegen?“ Beides trifft zweifellos zu. Ersteres lässt sich nur schwer ändern, weil Deutschland nun mal wenige Freunde hat in der ganzen Welt. Zweiteres könnte ganz schnell besser werden, wenn der NDR – zuständig für die Auswahl der Künstler – endlich mal zeitgemäßen Pop und echte Stars ins Rennen schicken würde.
Immerhin: Mit wilden Verschwörungstheorien über die Punkte-Mafia Osteuropas, Nachbarschaftshilfe und Polit-Klimbim hielten sich diesmal sowohl die ARD-Leute als auch die Boulevardpresse zurück. Kein Wunder, schließlich gab es auch aus so gut wie allen Ländern Westeuropas keine Punkte für die No Angels. Schon ihr Titel war wohl nicht klug gewählt: "Disappear“.
Von Russland rundum eingewickelt
Dima Bilan gewinnt in Belgrad haushoch den Grand Prix und lädt schon mal nach Moskau ein.
Von Peter-Philipp Schmitt, Frankfurter Allgemeine 25.05.2008
Vor lauter Bodyguards war der kleine Gewinner in der Mitte fast nicht zu sehen. So treten wohl Stars auf. Megastars, die allerdings weniger um ihre Sicherheit fürchten, als auf sich aufmerksam machen wollen. Und so versuchte der kaum zu sehende Dima Bilan wenigstens sein gläsernes Mikrofon in die Höhe zu recken – über alle Köpfe hinweg. Die Eurovisions-Trophäe, die die erste Gewinnerin des Grand Prix aus dem Jahr 1956, die Schweizerin Lys Assia, und die serbische Vorjahressiegerin Maria Serifovic in Belgrad vorgestellt hatten, wurde in diesem Jahr zum ersten Mal vergeben. Es war nicht der einzige Preis, den der Russe bekommen sollte. Immerhin ist er auch – zusammen mit Jim Beanz – der Komponist und Texter seines Siegertitels „Believe“. So gab es für ihn noch einige gläserne Kleinigkeiten und goldene Statuetten. Still neben ihm saß derweil am Sonntagmorgen Jewgeni Pluschenko, eingehüllt in die Fahne seines Heimatlandes. Der Weltmeister und Olympiasieger im Eiskunstlaufen hatte zuvor, noch auf der Bühne der Beogradska Arena, seinen Triumph in Worte gefasst: „Nun habe ich noch einen Titel gewonnen – die Eurovision.“ In den vergangenen Tagen waren die Meinungen auf den Fluren des Belgrader Sava Centers heftig auseinander gegangen, dort also, wo Fans, Teilnehmer und Journalisten zusammentrafen. „Bloß nicht nächstes Jahr nach Russland“, sagten die meisten Gäste aus dem Westen. Dann, so hieß es, bleiben wohl noch mehr der sonst jährlich zum „Eurovision Song Contest“ (ESC) wiederkehrenden Besucher zu Hause. Schon in diesem Jahr waren weniger Grand-Prix-Touristen als sonst nach Belgrad gefahren. Sie wollten nicht nach Serbien reisen, spätestens nachdem sich das Kosovo für unabhängig erklärt hatte und im Februar Botschaften gebrannt hatten. Danach gab es Anfragen der EBU und etlicher Regierungen an Belgrad, auch in Berlin, und der Staatspräsident Serbiens, Boris Tadic, sah sich veranlasst, eine Garantieerklärung für die Sicherheit der ausländischen Gäste abzugeben. Trotzdem gab es zu Beginn des ESC einen Brief der Grand-Prix-Verantwortlichen, der klare Verhaltensregeln für die Tage in der serbischen Hauptstadt empfahl und zugleich Warnungen aussprach. So etwas hatte es noch nicht gegeben, doch so etwas wird es sicher auch in Russland wieder geben. Schon jetzt scheint festzustehen, dass der nächste Grand Prix in Moskau stattfinden wird – trotz einer Zeitverschiebung von zwei Stunden.
Wie erwartet, stürzten die großen Vier, die Hauptgeldgeber des ESC und gesetzten Finalisten, bis ans Ende des Feldes ab. Deutschland, Großbritannien und Polen erhielten jeweils 14 Punkte. Ohne die „Lucy-Stimmen“ – zwölf Punkte aus Bulgarien – wären die No Angels jämmerlich allein auf dem letzten Platz gelandet. Dann wären ihnen nur die zwei Punkte aus der Schweiz geblieben. (…) Weil Deutschland einmal die Höchstpunktzahl bekam, wird es nun auf Platz 23 geführt. Polen erhielt einmal zehn Punkte und damit die zweihöchste Punktzahl. Es liegt auf Rang 24, Großbritannien mit nur einmal acht Punkten ist offiziell das Schlusslicht.
Frankreich erreichte wie Schweden 47 Punkte, liegt aber hinter den Skandinaviern auf Platz 19, Spanien bekam wie Albanien 55 Punkte (auf Platz 17) und erreichte Rang 16. Wie frustriert die EBU mit der „Big 4“-Regelung inzwischen ist, wurde in Belgrad ebenfalls klar. Ein Vertreter der Union hatte am Freitag gesagt, dass über die künftige Position Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Spaniens sowie über ihre Ausnahmestellung gesprochen werden müsse.
Einige Fakten zum russischen Beitrag: Timbaland, der eigentlich Timothy Z. Mosles heißt und unter anderen schon Destinys Child, Jay-Z, Missy Elliott, Nelly Furtado, Madonna und Justin Timberlake zu ihren Erfolgen führte, war für die Produktion von Dima Bilans Siegertitel verantwortlich. Auf der Bühne neben dem Russen spielte der ungarische Starviolinist Edwin Marton auf, der vor allem als Komponist von Titeln für Weltklasse-Eisläufer wie Stéphane Lambiel und Jewgeni Pluschenko bekannt wurde. Pluschenko selbst tanzte für Bilan auf der Belgrader Bühne, sprang und drehte seine Pirouetten auf einer künstlichen Eisfläche. Insgesamt zehn Millionen Dollar soll Russland in die diesjährige Teilnahme ihres Vertreters gesteckt haben. Ob davon auch Call-Center finanziert wurden, die für den Sechsundzwanzigjährigen angerufen haben – darüber wird bestimmt spekuliert werden. Die EBU allerdings schließt das kategorisch aus.
Es zählt auch nur eines: Russland hat klar mit 272 Punkten vor der Ukraine (230 Punkte) und Griechenland (218 Punkte) gewonnen. Das Endergebnis stand schon fest, noch ehe überhaupt alle 43 Teilnehmerländer ihre Punktzahlen öffentlich bekannt gegeben hatten. Dabei hatte Bilan nur knapp im März den russischen Vorentscheid gewonnen. So knapp, dass er in Tränen ausbrach, als seine zweite ESC-Teilnahme für Russland in nur drei Jahren endlich feststand. Bilan, der als Viktor Belan geboren wurde, war 2006 in Athen von den Rockmonstern Lordi aus Finnland geschlagen worden. Mit seinem Lied „Never let you go“ kam er auf Platz zwei. Seither versucht er, den westlichen Markt zu erobern. Noch in diesem Jahr werden drei neue Alben erscheinen: ein russisches, ein englisches und ein spanisches, das von Rudy Perez produziert wurde und ein Duett mit Nelly Furtado zu bieten hat.
Russland erhielt im Schnitt mehr als sechs Punkte aus jedem Land. Sieben Mal bekam Dima Bilan zwölf Punkte – aus sechs ehemals sowjetischen Republiken und aus Israel, wo viele Russen leben. Zehn und acht Punkte gab es noch zehn Mal – aus sieben Ländern des ehemaligen Ostblocks sowie aus Zypern, Malta und Finnland. Deutschland stimmte mit sieben Punkten für Russland. Auf den ersten zehn Plätzen finden sich vier klassische Grand-Prix-Länder wieder – Griechenland, Norwegen, Türkei und Israel – und sechs Vertreter aus dem einstigen Ostblock. Hätten nur die 25 Nationen im Finale abgestimmt, die tatsächlich in der Endrunde standen, dann hätte trotzdem Russland gewonnen. (…) Zählt man nur die Stimmen aus dem Westen, dann hätte Armenien vorne gelegen. (..)
Deutschland wäre in diesen beiden Fällen auf dem letzten Platz gelandet. Dabei waren die No Angels am Samstagabend so gut wie kein einziges Mal zuvor in den Tagen in Belgrad gewesen. Jede Probe und Generalprobe war nicht optimal gelaufen. Zudem war das Quartett durch eine Virusinfektion geschwächt worden. Sängerin Jessica musste tagelang das Bett hüten. Sie stand zwar rechtzeitig wieder auf der Bühne, doch das durchaus eingängige Poplied der No Angels kam nicht an.
Nicht nur für die No Angels, auch für den Grand-Prix-Sender NDR war das Abschneiden eine bittere Lehre. Wenn man sieht, wie professionell Länder wie Russland, die Ukraine und sogar schon der Debütant Aserbaidschan an den ESC herangehen, müssen sich die Verantwortlichen eingestehen, dass man so nicht konkurrenzfähig ist. Es muss dringend etwas geändert werden. Die EBU wird wohl Konsequenzen ziehen. Ob sich Deutschland dann im nächsten Jahr noch auf eine Finalteilname in Moskau verlassen kann, ist ungewisser denn je.
Kraft von Gebetsmühlen
Total verloren: Deutschland beim Eurovision Song Contest
Von Hans Hoff, Süddeutsche Zeitung 26.05.2008
Man muss Thomas Hermanns nicht mögen. Zu oft hat er schon mit seinem penetrant gezoomten Dauergrinsen Nichtigkeiten zur großen Angelegenheit erklärt. Trotzdem gab es in der Nacht zu Sonntag einen Moment, da war man geneigt, dem Mann sozusagen um den Hals zu fallen, weil er wie das Kind vor dem nackten Kaiser das einzig wahre Urteil fällte. „Ein Desaster“, sagte Hermanns und meinte damit das Abschneiden des deutschen Beitrags beim diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC). Dazu stellte er gleich noch klar, auf welchem Platz die No Angels gelandet waren: auf dem letzten.
(…) So kann man das natürlich sehen, wenn man die Party wie die ARD mitveranstaltet. Man lässt dann einfach außer Acht, dass sich bei 25 Teilnehmern auf dem 23. Platz punktgleich drei Verlierer tummeln, Deutschland, Polen und Großbritannien. Da braucht es einen Kerl wie Hermanns, der die Dinge wieder gerade rückt. Dank sei ihm.
Dass die klaren Worte nach einer über dreistündigen Trillertortur fällig wurden, kann man letztlich nur erklären aus dem Hang zum Masochismus im deutschen Fernsehgewerbe. Jedes Jahr lässt die ARD wieder Künstler aus dem reichhaltigen deutschen Angebot der Mittelmaß-Industrie erwählen, die dann losziehen, um sich mangelnde Wettbewerbsfähigkeit attestieren zu lassen. Waren es 2006 noch mehr als zehn Millionen Menschen, die sich hierzulande für den ESC interessierten, so versammelten sich 2007 nur noch 7,38 Millionen vor dem Schirm. In diesem Jahr war es noch eine Million weniger, was einen vergleichsweise mageren Marktanteil von knapp 28 Prozent bedeutete. Auf die schon während der Sendung behaupteten hundert Millionen Zuschauer im ESC-Sendegebiet konnte wohl nur hoffen, wer an die Kraft von Gebetsmühlen glaubt.
Das magere Interesse dürfte kaum jemanden verwundern, der den deutschen Beitrag kennt – erst recht niemanden, der die quietschbunte Show mit 25 Liedern und dauerhaft durch die Luft fliegenden Kameras erlitten hat und erleben durfte, dass der russische Beitrag „Believe“, interpretiert von Dima Bilan und produziert von der amerikanischen Mischpultgröße Timbaland (Madonna, Destiny’s Child), völlig zu Recht abräumte. Wobei angemerkt werden muss, dass noch das letzte Miniland am Schwarzen Meer mehr Kraft auf die Bühne brachte als die deutschen Abgesandten.
Die präsentierten sich wie eine aufgescheuchte Herde beschwipster Hausfrauen, die im Harmoniegesang meist so klangen, als wollten sie ein Garagentor imitieren. Zwei Punkte gab es dafür aus der Schweiz und zwölf aus Bulgarien, der Heimat von No-Angels-Mitglied Lucy. Die restlichen 41 Länder mit Abstimmberechtigung sahen sich nicht in der Lage, den No Angels auch nur einen Mitleidspunkt zu geben. Völlig zu Recht.
Aller guten Dinge sind drei! Auch das schlechte Ergebnis Roger Ciceros in Helsinki schreckte den NDR nicht ab, bei dem seit 2006 angewandten Vorentscheidungsmodus zu bleiben. Zum dritten Mal traf man sich im Deutschen Schauspielhaus zu Hamburg, um den deutschen Beitrag auszuwählen. Die Moderation übernahm auch dieses Mal ESC- Experte Thomas Hermanns. Das Teilnehmerfeld wurde von 3 auf 5 Interpreten ausgeweitet, um eine größere Bandbreite an musikalischen Stilrichtungen anzubieten.
Es gab in diesem Jahr zwei Abstimmungsrunden, die beiden Bestplatzierten stellten sich noch einmal zur Wahl.
Nach der 1. Wertungsrunde schieden Marquess, Tommy Reeve und Cinema Bizarre aus. Das Super-Finale bestritten Caroline Fortenbacher und die No Angels. Hier setzten sich die No Angels ganz knapp mit 50,5% durch und vertraten somit Deutschland mit dem Titel "Disappear" in Belgrad, wo sie punktgleich mit Polen auf dem letzten Platz landeten.
Im Rahmenprogramm waren Roger Cicero, Ruslana (ESC 2004), Marija Šerifovic (Siegerin ESC 2007) und Charlotte Perrelli-Nilsson (Siegerin ESC 1999) zu sehen.
Es gab wieder prominente Paten für die Interpreten*innen:
Die No Angels gingen aus der ersten Staffel der Castingshow "Popstars" hervor. DIe fünf Sängerinnen waren Nadia Benaissa, Lucy Diakovska, Sandy Mölling, Vanessa Petruo und Jessica Wahls. Ihre erste Single "Daylight In Your Eyes" wurde ein Nummer Eins Hit in Deutschland und hatte europaweit und in Brasilien Erfolg. Insgesamt verkaufte die Gruppe über fünf Millionen Platten. Sie trennte sich 2014.
Beim ESC in Belgrad landeten sie auf dem letzten Platz, obwohl sie aus Bulgarien 12 Punkte bekommen hatte, aber die waren wohl eher für die gebürtige Bulgarin Lucy bestimmt, die in ihrer Heimat zu der Zeit Jurorin in einer Castingshow war.
Jaana Pelkonen und Mikko Leppilampi führten sympathisch, routiniert und mumorvoll durch die beiden Shows.
Jaana Pelkonen begann zunächst als Radiomoderatorin und bekam dann im finnischen Fernsehen eine Game-Show. Sie moderierte in der Folge viele weitere Shows, seit 2005 auch zweimal die finnische Vorentscheidung. Nebenbei studierte sie Politikwissenschaften und ist Abgeordnete des finnischen Parlaments.
Mikko Leppilampi hat einen Abschluss als Schauspieler an der finnischen Theaterakademie. Er wurde bereits mit dem Filmpreis "Jussi" als bester Schauspieler ausgezeichnet. Am finnischen Stadttheater spielte er auch schon in Musicals, da er auch Sänger ist. Seit 2018 moderiert er bei einem Privatsender die finnische Variante von "Gefragt-gejagt".
FAZIT
Der ESC 2007 hat eindeutig gezeigt: Glaube kann nicht nur Berge versetzen, sondern auch Punkte und Zuschauerstimmen sammeln. Marija Šerifović aus Serbien hat ihre Chance zu 100 Prozent genutzt und einen absolut einwandfreien professionellen Auftritt geboten.
Sicherlich hätten viele gerne DJ Bobo für die Schweiz oder Guri Schanke für Norwegen im Finale gesehen – doch das, was da aus dem Osten kam, war weitgehend modern, progressiv, einfallsreich, stimmenstark, toll inszeniert, ansteckend und hatte auch gute Chancen, als europäischer Chartstürmer zu brillieren.
Speziell erwähnt seien hier: Bulgarien, Georgien, Serbien, Belarus und Ungarn. Das, was aus dem Westen kam, war nett, kommerziell, größtenteils nach einer „Da-kann-man-nichts-mit-verkehrt-machen“-Masche geknüpft und hübsch anzusehen – aber schon 99 Mal da gewesen!
Das stellte auch Peter Urban nach dem Auftritt von Edsilia Rombley fest, als er sie als eine Vertreterin der alten ESC-Generation bezeichnete. Aerobic-Blutsauger, nordischer Drag-Queen-Glamour, belgische James-Brown-Parodien und kühle, blonde Pseudo-Latinas sind hübsch anzusehen, aber es fehlte einfach der gewisse Funke.
Einfache, aber stimmenstarke Nummern mit wenigen effektiven Mitteln in Szene gesetzt - das war in diesem Jahr das Erfolgsrezept einiger Osteuropäer im Halbfinale!
Man nehme … - ein serbisches Pummelchen, dessen Stimme auch der Putzfrau im Green Room noch durchs Rückenmark geht und stelle ihr die Anwärterinnen für „Serbia’s Next Top Model“ mit 1980er-Jahre-Fönwelle in den Rücken;
- die georgische Verkörperung von Chris de Burgh’s "Lady In Red" – durchaus auch vermarktbar als „Eimear Quinn digitally remastered“ - und gebe ihrer Stimme einen supermodernen ausgefallenen Song;
- einen talentierten Weißrussen mit unverkennbarem Siegeswillen in der Ausstrahlung und ihm auf den Leib geschnittenem James-Bond-Flair ;
- eine Bushaltestelle und eine einsame, im Second-Hand-Stil gekleidete Ungarin, deren Herzschmerz die Stimmbänder zur Höchstform auflaufen lässt, garniert mit einem absolut ausgefallenen Musikstil;
- ein junges bulgarisches Duett, das Stimme obendrein auch noch mit Instrumenten zu kombinieren weiß.
Und Deutschland? Stimme, einfaches Arrangement, ausgefallener Rhythmus - eigentlich war doch „ALLES ROGER“! Unser Roger Cicero: der ungekrönte "Chanteur de Charme" des ESC 2007 – was für ein Auftritt – "Guess Who Rules The World?", wie er im zweiten Teil des Auftritts in Englisch sang. Vielleicht hätte er die Auflösung des Rätsels auch noch auf Angelsächsisch verraten sollen, und die Frauen Europas hätten zu seinen Gunsten zu den Hörern gegriffen...? Auch, wenn es nur der 19. Platz war – Germany’s Latest Top Singer war ohne Zweifel einer der Exotic Diamonds of the ESC Night 2007.
Wer vermisst bitte noch die alte Sprachregelung – man nehme sich einfach die Sprache(n), die in einen Song am besten hineinpasst/-passen.
Zu einer echten Schmalz-Schunkel-Nummer gehört einfach die italienische Amore, Französisch war auch im Mittelmeerraum immer schon beliebt, und dass es nicht immer „Echtes Europäisch“ sein muss, sondern auch mal etwas bruchstückhaft Erfundenes, um vorne dabei zu sein, ist nicht erst Frau Serduchka eingefallen – das hat unser Stefan schon 2000 in Stockholm bewiesen! Aber Frau Serduchka wurde damit Zweite!
Alles in allem ist 2007 sehr angenehm aufgefallen, dass im Gegensatz zu den vergangenen Jahren nicht mehr so sehr auf Bühnenshows in Form von Tanz, Bondage, Stelzengang oder Part-Time-Striptease gesetzt wurde. Viele gute Stimmen haben den Wettbewerb bereichert.
Zum ersten Mal seit Eimear Quinn 1996 hatte wieder eine klassische Ballade das Rennen gemacht – und das dort, wo vor einem Jahr noch Monsterfiguren knallharten Rock zeigten! Das beweist, wie wandlungsfähig und vielseitig die alte Dame Eurovision Song Contest auch nach 52 Geburtstagen immer noch ist. Alle, die über den Sieg von Lordi 2006 noch den Kopf geschüttelt haben, müssten ja dieses Jahr richtig gejubelt haben, da endlich wieder „echte Qualität“ das Rennen gemacht hat.
Dennoch gab es nach dem doch sehr ost-lastigen Resultat (nur zwei klassische ESC-Länder unter den Top Ten) verstärkte Diskussionen über das Wertungssystem mit Nachbarschaftsvoting und Diasporavoting, was schließlich zu einem erneut veränderten System für 2008 führte.
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE
1.
Bosnien & Herzegowina
Marija Sestić
"Rijeka bez imena"
M.: Aleksandra Milutinović, Goran Kovacić T.: A. Milutinović
2. Spanien
D'Nash
"I Love You Mi Vida"
M.: Thomas G:son, Andreas Rickstrand T.: Antonio Sanchez, Rebeca
3.
Belarus
Koldun
”Work Your Magic"
M.: Philipp Kirkorov T.: Karen Kavaleryan
4. Irland
Dervish
"They Can't Stop The Spring"
M.: Tommy Moran T.: John Waters
5. Finnland
Hanna Pakarinen
"Leave Me Alone"
M.: Martti Vuorinen, Miikka Huttunen T.: M. Vuorinen, H. Pakarinen T.: Andrey Kostiugo
6.
EJR Mazedonien
Karolina Gočeva
"Mojot svet"
M.: Grigor Koprov T.: Ognen Nedelkovski
7. Slowenien
Alenka Gotar
"Cvet z juga"
M. & T.: Andrej Babić, Lisa Green
8. Ungarn
Magdi Rúzsa
"Unsubstantial Blues"
M.: Magdi Rúzsa T.: Imre Mózsik
9. LItauen
The 4Fun
"Love Or Leave"
M. & T.: Julija Ritciku
10. Griechenland
Sarbel
"Yassou Maria"
M. & T.: Marcus Englöf, Alex Papakonstantinou
11. Georgien
Sopho
"Visionary Dream"
M.: Beka Japaridze T.: Bibi Kvachadze
12. Schweden
The Ark
"The Worrying Kind"
M. & T.: Ola Salo
13. Frankreich
Les Fatals Picards
"L'amour à la française"
M.: Ivan Callot T.: I.Callot, Laurent Honel, Paul Léger
14. Lettland
Bonaparti.lv
"Questa notte"
M.: Kjell Jennstig T.: K. Jennstig, Torbjörn Wassenius, Francesca Russo
15.Russland
Serebro
"Song #1"
M.: Maxim Fadeev T.: Daniil Babichev
16. Deutschland
Roger Cicero
"Frauen regier'n die Welt"
M.: Matthias Hass T.: Frank Ramond
17.Serbien
Marija Šerifović
"Molitva"
M.: Vladimir Graić T.: Sasa Milosević Mare
18. Ukraine
Verka Serduchka
"Dancing lasha tumbai"
M. & T.: Andrei Danilko
19. Ver. Königreich
Scooch
"Flying My Flag (For You)"
M. & T.: Russ Spencer, Morten Schjolin, Andrew Hill, Paul Tarry
20.Rumänien
Todomondo
"Liubi, Liubi, I Love You"
M.: Marian Dogdan Tascan (Mister M) T.: Todomondo
21.Bulgarien
Elitsa & Stoyan
"Water (Voda)"
M.: E. Todorova. S. Yankulov T.: E. Todorova
22.Türkei
Kenan Doğulu
"Shake It Up Shekerim"
M. & T.: Kenan Doğulu
23.Armenien
Hayko
"Anytime You Need"
M. Hayko T.: Karen Kavaleryan
24.Moldau
Natalia Barbu
"Fight"
M.: Alexandr Brasovean T.: Elena Buga
DIE TEILNEHMENDEN - SEMIFINALE
1.Bulgarien
Elitsa & Stoyan
"Water (Voda)"
MM.: E. Todorova. S. Yankulov T.: E. Todorova
2. Israel
Teapacks
"Push The Button"
M.: Danail Milev T.: Elina Gavrilova
3.
Zypern
Evridiki
”Comme ci, comme ça"
M.: Dimitris Korgialas T.: Poseidonas Yannopoulos
4.
Belarus
Koldun
”Work Your Magic"
M.: Philipp Kirkorov T.: Karen Kavaleryan
5. Island
Eirikur Hauksson
"Valentine Lost"
M. Sveinn Runar Sigurdsson T.: Peter Fenner
6. Georgien
Sopho
"Visionary Dream"
M.: Beka Japaridze T.: Bibi Kvachadze
7. Montenegro
Stevan Faddy
"Ajde kroči"
M.: Slaven Knezović T.: Milan Perić
8. Schweiz
DJ Bobo
"Vampires Are Alive"
M. & T.: René Baumann, Axel Breitung
9.
Moldau
Natalia Barbu
"Fight"
M.: Alexandr Brasovean T.: Elena Buga
10. Niederlande
Edsilia Rombley
"On Top Of The World"
M.: Tjeerd P. Oosterhuis T.: Tj.Oosterhuis, Martin Gijzemijter, Maarten ten Hove
11. Albanien
Frederik Noci
"Hear My Plea"
M.: Adrian Hila T.: Pandi Laço
12. Dänemark
DQ
"Drama Queen"
M.: Peter Andersen, Simon Munk T.: P. Andersen, Claus Cristensen
13. Kroatien
Dragonfly & Dado Topić
"Vjerujem u ljubav"
M. & T.: Dado Topić
14. Polen
The Jet Set
"Time To Party"
M. Mateusz Kresan T.: Kamil Varen, David Junior Serame
15.
Serbien
Marija Šerifović
M.: Vladimir Graić T.: Sasa Milosević Mare
16. Tschechische Republik
Kabát
"Malá dáma"
M. & T.: Kabát
17.Portugal
Sabrina
"Dança comigo"
M.: Emanuel T.: Emanuel, Tó Maria Vinhas
18. EJR Mazedonien
Karolina Gočeva
"Mojot svet"
M.: Grigor Koprov T.: Ognen Nedelkovski
19. Norwegen
Guri Schanke
"Flying My Flag (For You)"
M. & T.: Thomas G:son
20.Malta
Olivia Lewis
"Vertigo"
M.: Philip Vella T.: Gerald James Borg
21.Andorra
Anonymous
"Salvem el món"
M. & T.: Anonymous
22.Ungarn
Magdi Rúzsa
"Unsubstantial Blues"
M.: Magdi Rúzsa T.: Imre Mózsik
23.Estland
Gerli Padar
"Partners In Crime"
M.: Hendrik Sal-Saller T.: Berit Veiber
24.Belgien
The KGMs
"Love Power"
M.: Paul Curtiz T.: P. Curtiz, Wakas Ashiq
25.Slowenien
Alenka Gotar
"Cvet z juga"
M. & T.: Andrej Babić
26.Türkei
Kenan Doğulu
"Shake It Up Shekerim"
M. & T.: Kenan Doğulu
27.Österreich
Eric Papilaya
"Get A Life - Get Alive"
M.: Greg Usek T.: Austin Howard
28.Lettland
Bonaparti.lv
"Questa notte"
M.: Kjell Jennstig T.: K. Jennstig, Torbjörn Wassenius, Francesca Russo
Eine große Stimme und eine gefühlvolle Ballade haben beim Eurovision Grand Prix die Musik wieder in den Vordergrund gerückt und Serbien zum ersten Sieg in der Geschichte des Schlagerfestivals verholfen. Für den deutschen Vertreter Roger Cicero gab es in Helsinki trotz starkem Auftritt nichts zu gewinnen.
Die serbische Ballade verhinderte, dass der Song Contest nach dem Vorjahressieg der finnischen Lordi-Monster erneut zur Freakshow ausartete. Denn schon auf Platz zwei landete die schrillste Nummer des Abends, die Blödel-Attacke der ukrainischen Drag-Tante Verka auf alle Regeln des guten Geschmacks. Auf Drei nochmals Osteuropa, nochmals ganz anders: die russischen Techno-Popgirls Serebro zelebrierten kalt, rhythmisch, lasziv die modernste Nummer des Abends. Auch die Ungarin Magdi Rusza mit schnörkellosem Blues und pulsierende Ethno-Pop-Rhythmen aus Bulgarien, Georgien und Mazedonien überzeugten die Juroren. Er habe noch nie einen derart vielschichtigen Wettbewerb erlebt, konstatierte der britische Musikjournalist Richard Crane, der den Eurovisions-Zirkus seit 40 Jahren verfolgt.
Dazu trug auch der deutsche Beitrag bei. Swing war ein Novum beim Grand Prix, doch der ungewöhnliche Stil kam nicht an. Seine Band nahm das Debakel mit Humor: „Bei deutschsprachiger Swingmusik sind wir Nummer eins, und Dritter im Westen, das ist doch super“, sagte Schlagzeuger Matthias Meusel auf der After-Party. „Wir wussten, dass es so enden kann“, meinte Saxophonist Stephan Abel, „doch der eine oder andere Zwölfer wäre schon schön gewesen.“
Jetzt betrachten die westlichen Vertreter die Charts und sehen sich „abgewatscht“, wie der bereits im Halbfinale gescheiterte DJ Bobo aus der Schweiz ausdrückte. Von Platz ein bis 16 dominierten die Länder vom Balkan und der ehemaligen Sowjetunion. Im dritten Drittel der Tabelle drängt sich der Westen. Ostmafia? Stimmenschacher? Schon fordern die schlimm abgestraften Skandinavier Regeländerungen, und die Schweizer denken gar ans Ausbleiben. Crane hält davon gar nichts: „Sollen sich die westlichen Länder eben ein bisschen anstrengen!“ 40 Jahre hätten sie den Contest beherrscht und dann nicht verstanden, dass sich mit der Teilnahme neuer Länder der Musikgeschmack ändere. Freundschaftsvoten hat es beim Grand Prix immer gegeben. Doch die Seilschaften sind nicht so stark, dass sie nicht von einem überzeugenden Beitrag gebrochen werden können. Im Vorjahr dominierten die Osteuropäer im Teilnehmerfeld auch, und dennoch siegten Lordi aus Finnland mit Rekordpunktzahl.
Der Osten wählt sich zum Triumph
(Jörn Wöbse - Der Tagesspiegel, 14.05.2007)
(…) Der „Kampf der Kulturen“ hat seine Demarkationslinie ziemlich genau dort, wo vor einigen Jahren noch der Eiserne Vorhang hing. Die Länder der ehemaligen Sowjetunion und Ex-Jugoslawiens schusterten sich hemmungslos gegenseitig die Höchstwertungen zu, so offensichtlich, dass es sogar dem geduldigen Saalpublikum zu viel wurde. Es skandierte den Namen des erwartbar höchstbewerteten Landes schon vor der offiziellen Bekanntgabe durch die TV-Präsentatoren, und es lag immer richtig: „12 points go to…Serbia“. Natürlich ist das keine „Verschwörung des Ostens“ gegen den Westen. Die Theorien, hier sei die einzige Gelegenheit für den „hungrigen“ Osten, es dem „satten“ Westen einmal so richtig zu zeigen, sind verständlich, aber überzogen. Es ist eben so, man kennt sich, mag sich, hat einen ähnlichen Musikgeschmack, und natürlich ist man ein guter Nachbar. Derlei Allianzen sind hierzulande nicht mehr vorhanden.
Vorhersehbar ist, dass es bei dieser Ausgangslage nur noch Sieger aus der Ostregion geben wird, der Westen ist chancenlos. Diese Aussichten lassen bei den ESC-Verantwortlichen die Alarmglocken schrillen. Schließlich könne es sein, dass die westlichen Länder – und größten Beitragszahler – die Lust verlieren, sich für den Contest überhaupt noch zu engagieren. Das wäre dann wohl das Ende des Wettbewerbs. Es muss also etwas geschehen, und es wird etwas geschehen, im übernächsten Wettbewerbsjahr. Von geänderten Halbfinal-Regularien ist die Rede, von „gerechten“ Abstimmungsmechanismen. Wie das genau aussehen soll, weiß noch keiner, ebenso wenig, ob solche Eingriffe tatsächlich die Machenschaften der landsmannschaftlichen Seilschaften verhindern können.
Wie auch immer: Um den ESC nicht zu einer Posse mit Musik verkommen zu lassen, sondern wieder zu einer musikalischen Leistungsschau mit zumindest annähernd gleichen Chancen für alle zu machen, ist Initiative nötig.
Italien ist schon lange nicht mehr dabei, Frankreich, England und Irland haben nur Alibi-Teilnehmer entsandt und damit ihre Interesselosigkeit dokumentiert. Die Einschaltquoten der Fernsehshow sind in Deutschland drastisch gesunken – und das lag nicht an der Qualität der Inszenierung, die ließ nichts zu wünschen übrig. Wenn man genau hingehört hat, gab es auch außergewöhnliche musikalische Qualität zu entdecken, wie beispielsweise beim „Unsubstantial Blues“ der ungarischen Sängerin Magdi Rusza. Im übrigen musste sich für unseren swingenden Roger Cicero auch niemand schämen, er hätte eine bessere Platzierung verdient gehabt.
Belgrad, wir kommen!
Marija Serifovic gewinnt überlegen für Serbien den Grand Prix
Die Hornbrille war zu ihrem Markenzeichen geworden. In entscheidenden Momenten aber trug sie das dunkle Gestell oft nicht – so bei der vorletzten Generalprobe. Die Serbin Marija Serifovic war bei jedem ihrer vielen Auftritte herausragend, und doch schien selbst ihr bei der Probe am Freitag etwa zu fehlen. Also kam die 22-jährige zum Finale am Samstagabend wieder mit dem auffälligen Accessoire auf die große Bühne der Hartwall Arena in Helsinki, um es – noch während sie sang, auf dem Höhepunkt ihres dramatischen Liedes „Moltiva“ – wieder verschwinden zu lassen. (…)
Warum die Brille? Das hatten viele Anhänger der kleinen Serbin gefragt. Damit kann man doch keinen Grand Prix gewinnen! Marija Serifovic konnte. Nicht allein die Brille machte sie zu etwas Besonderem zwischen all den langbeinigen Teilnehmerinnen aus den anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks. Mutig hatte die junge Frau in den Tagen von Helsinki über ihre Homosexualität gesprochen – und von ihrem tiefen Glauben an Gott. „Ich bete vor meinen Auftritten“, sagte sie zum wiederholten Mal nach ihrem Sieg. Ihm habe sie für den heutigen Triumph zu danken – und ihrer Mama, die sie nach Finnland begleitet hatte und die ebenfalls eine dicke Hornbrille trägt.
Ihren Sieg indes hat sie vor allem ihrer unvergleichlichen Stimme, ihrem gefühlvollen Vortrag und einer – leicht – gewagten Inszenierung auf der Bühne zu verdanken, die allerdings ohne große Effekthascherei auskam. (…) Wie schon 2006 in der griechischen Hauptstadt zeigte sich auch dieses Mal wieder, dass erfolgreiche Halbfinalisten auch im Finale vordere Plätze einnehmen.(...)Nur Griechenland und die Türkei schafften es unter die besten 16, alle anderen westeuropäischen Staaten liegen abgeschlagen auf den Plätzen 17 bis 24. (...) Damit schneiden die Geberländer in Folge verheerend ab. Ihre Beiträge waren insgesamt dem Abend nicht angemessen, besonders unangebracht erschien vielen Grand-Prix-Beobachtern der Eurotrash-Song „Flying the flag“ der britischen Popgruppe Scooch. Die „Flugbegleiter“ aus dem Königreich hatten sich nach nur einem Song vor Jahren schon wegen Erfolglosigkeit getrennt, nun fanden sie sich eigens für Helsinki wieder zusammen. Auf dem letzten Platz landete ausgerechnet Irland, der siebenfache Rekordgewinner des Grand Prix.
Damit hatte sich der „Ostblock“ auf der ganzen Linie durchgesetzt. Was viele Grand-Prix-Fans schon nach dem Halbfinale befürchtet hatten, spiegelt auch das Finale von Helsinki wider. Wären die vier großen Geldgeber der Veranstaltung nicht stets im Finale gesetzt, der ESC würde wohl seit Jahren schon mehr oder weniger ohne sie stattfinden. Natürlich hat Marija Serifovics „Gebet“ aus den ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Höchstwertungen bekommen, doch auch Frankreich, Deutschland, Schweden, Norwegen, die Niederlande und die Schweiz vergaben acht, zehn und sogar zwölf Punkte an Serbien.
Aussagen wie „Der Song war einfach zu gut für den Grand Prix“ oder „Die im Osten haben halt keine Ahnung von guter Musik – egal, ob Swing oder Country“ helfen kaum weiter. Es handelt sich um einen Wettbewerb, wer gewinnen will, muss sich an den Besten messen. Die diesjährigen Bestplatzierten beweisen, dass man durchaus immer wieder an die Spitze des Contest gelangen kann. Die Ukraine, Russland, Griechenland und die Türkei waren in den vergangenen Jahren meist ganz oben anzutreffen. Für Serbien war es der erste Grand Prix als unabhängiges Land. Was ihr Sieg für die junge Nation bedeute? Marija Serifovic, die als die herausragendste Sängerin ihrer Heimat gilt, fehlten auf die Frage zunächst die Worte, „Wir sind bereit für Europa“, sagte sie schließlich. (…)
Ihr Land wird ihr zu Füßen liegen, das ist gewiss. Auch das zeichnet den Osten vor dem Westen aus: eine Begeisterung, eine fast kindliche Freude an diesem Wettbewerb, der den Weg nach Europa zu ebnen scheint. „Europe, we love you!“, riefen etwa die Bulgaren Elitsa Todorova und Stoyan Yankoulov. „Europe, we are coming!“ , hieß es an vielen Stellen in Helsinki, wenn man auf Fans aus ehemaligen Ostblockländern traf. Tatsächlich aber sind die entfesselten Nationen schon längst in einem Europa angekommen, das viel weiter reicht, als es die Gründer des ESC je zu träumen gewagt hatten. (…) Heute wird die EBU kaum der Anmeldungen Herr. Schon klopfen weitere Länder an die Tür des ESC – unter ihnen Tunesien. Zu hoffen ist, dass die im Halbfinale schon ausgeschiedenen Länder aus dem alten Europa, die Schweiz, Österreich, Andorra, Dänemark, die Niederlande und Island, ihre Drohung nicht wahrmachen, sich aus dem Contest zurückzuziehen, und 2008 in Belgrad antreten werden.
Das Gesetz der Masse
Warum beim Eurovision Song Contest die osteuropäischen Beiträge dominieren
(...) Will man das Positive am ESC herausstellen, der diesmal in Helsinki ausgetragen wurde, dann lässt sich anführen, dass eine schöne Lektion in Sachen Europakunde erteilt wurde. So mancher, der sich durch die zähe Übertragung und die dramaturgisch komplett vergeigte Stimmabgabe gequält hat, weiß jetzt, dass Länder wie Moldau, Armenien und Andorra gar nicht so fern liegen und dass es bei europäischen Wettbewerben hilft, wenn man als Land vor nicht allzu langer Zeit in viele Einzelstaaten aufgeteilt wurde, sich deshalb vielleicht sehr verbunden fühlt, was durch üppige Punktevergabe bezeugt werden kann. Im Fall von Deutschland blieben Miteinander und Punkte ziemlich aus, auch wenn das sonst zurückhaltende Österreich Roger Cicero sieben Zähler schenkte.
Wer davon spricht, der Osten habe die Sache unter sich ausgemacht, liegt einerseits richtig, andererseits auch falsch. Natürlich rangieren auf den vorderen Plätzen nur Länder, die vom Westen gerne in Richtung Sonnenaufgang verortet werden. Das aber ist nicht so sehr auf eine konzertierte Aktion zurückzuführen, sondern auf das Gesetz der Masse. So gibt es nun mal in der Gegend Europas, die von den Entscheidungskritikern dem Osten zugeschlagen wird, mehr Staaten als im Westen, und diese pflegen in musikalischer Hinsicht so etwas wie den kleinen Grenzverkehr. Hat man solches kürzlich an Spanien und Frankreich beobachtet?
Ganz leicht lässt sich die Verschwörungstheorie beim Sieger entkräften. Der serbische Titel „Molitva“ erhielt acht Punkte aus Deutschland, zwölf aus der Schweiz und acht aus den Niederlanden, aus Ländern also, die kaum unter Verdacht sehen, zum Ostblock zu zählen.
Immerhin zeigte die Debatte, dass der Westen inzwischen unter schweren eurovisionsmusikalischen Minderwertigkeitskomplexen leidet, was insbesondere angesichts der indiskutablen Beiträge von Irland und England wenig verwundert. Wer Botschafter schickt, die schon vor 20 Jahren keine Chance gehabt hätten und dazu noch Weisen trällern müssen, die selbst im Musikantenstadl abgelehnt würden, darf sich nicht wundern, ans Ende der Liste durchgereicht zu werden. Und wer sich wundert, dass Roger Ciceros Schlager „Frauen regier’n die Welt“ nur auf den 19. Platz kam, verkennt, dass Swing zwar in Deutschland ein frisch recycelter Trend sein mag, dass das in anderen Ländern die Menschen aber nicht elektrisieren muss. Über das Ergebnis mokierte sich am Sonntag die Oberstudienratsstimme Heinz-Rudolf Kunze. Es gebe da Seilschaften, vermutete er sinister. Ja, ja, es ist schon ein Kreuz mit dieser Telefondemokratie, vor allem, wenn sie nicht die Ergebnisse liefert, die sich die professionellen Besserwisser wünschen. Und wenn das Stimmabgabeverfahren nicht verändert wird, ändert sich daran auch so schnell nichts mehr.
Gewonnen hat am Ende ein Lied, das in keinen Trend passte, das man aufgrund der leicht chansonartigen Struktur eher in Frankreich als in Serbien vermutet hätte. Es hat die Science-Fiction-Muppetshow aus der Ukraine ebenso deklassiert wie den kalkulierten Russen-Pop und die Schlagerschüttelei aus der Türkei. Immerhin inspirierte der unerwartete Erfolg den ARD-Kommentator Peter Urban, der immer dann gut war, wenn er sich wortkarg zeigte, kurz vor Schluss zu dem erkenntnisreichen Satz: „Serbien bekommt aus allen Ländern Punkte. Aber das ist typisch für einen Titel, der ganz an der Spitze liegt“.
Trotzdem wird „Molitva“ von Marija Serifovic nur ganz kurz in den europäischen Hitparaden auftauchen und dann in Windeseile wieder verschwinden. Schon in einem Monat dürfte kein Hahn nach irgendeinem der insgesamt 24 Endrundentitel mehr krähen, von in den Vorrunden gescheiterten Werken wie etwa „Vampires are alive“ des Schweizer Popverwesers DJ Bobo ganz zu schweigen. Sie alle werden dort landen, wo sie aufgrund des musikalischen Gehaltes hingehören: In der Restmülltonne der europäischen Rundfunkunion.
Frauen regier’n die Welt
(Jörg Isringhaus – Rheinische Post, Montag, 14.05.2007)
Manchmal hilft nur beten. Marija Serifovic nahm sich das zu Herzen, sang inbrünstig - und ihr Lied „Molitva“ (Gebet) wurde europaweit erhört.(...) „Heute Abend wird ein neues Kapitel für Serbien aufgeschlagen“ frohlockte die 22-Jährige, Belgrad schunkelte im Freudentaumel, und Ministerpräsident Kostunica gratulierte nach in der Nacht. Deutschlands Swing-Export Roger Cicero darf zwar demnächst auch für Angela Merkel singen – aber wohl nur als Trostpflaster (...) Dabei traf Ciceros Titel zumindest thematisch ins Schwarze. Frauenstimmen dominierten den Wettbewerb. Hinter der Siegerin Serifovic, die mit fünf Hintergrund-Sängerinnen auftrat, landete das russische Mädchentrio Serebro mit einer Britney-Spears-Kopie auf Rang drei. Dazwischen platzierte sich Verka Serduchka aus der Ukraine, ein Mann in Frauenkleidern, mit Atombusen und noch größerem Selbstbewusstsein. Der Song völlig sinnfrei, die Kostüme eine irrwitzige Mixtur aus Militäruniform, Pfadfinderkluft und Raumanzug, machte dieser Gaga-Beitrag zumindest Spaß. Und dem Motto des Abends alle Ehre: „True Fantasy“ war der (...) Wettbewerb überschrieben. Fantasie bewiesen die Teilnehmer vor allem darin, sich ihre Melodien in der Pop-Geschichte zusammenzuklauen. Die schwedischen Glam-Rocker The Ark bedienten sich in den 70ern, Dimitri Koldun aus Weißrussland stibitzte sich das Bond-Thema, die spanische Boygroup D’Nash zog die musikalische Quersumme aus Take That und N’Sync, Griechenland und die Türkei recycelten die Pop-Folklore vom vergangenen Contest. Deutscher Swing, dargeboten von einem netten Herrn in weißem Anzug inklusive Hut, wirkte da schon originell wie exotisch. Aber wenigstens um Lichtjahre stilvoller als die irische Gruppe Dervish, die Teestuben-Folk mit Kelly-Family-Kostümen kreuzte. Maskerade steht eben hoch im Kurs seit dem Sieg der finnischen Monsterrocker Lordi. Dass weder Swing, Boygroup-Pop noch Schalmeien-Töne punkten konnten, lag wohl auch am Herkunftsland der Interpreten. (...) Unter Beteiligten wie Zuschauern führte die osteuropäische Dominanz zu Unmut. Laut Björn Erichsen von der zuständigen EBU sei eine Manipulation – bei sechs Millionen abgegebenen Stimmen – unmöglich. Allerdings werde über eine Änderung des Wahlmodus diskutiert. So gebe es den Vorschlag, zwei Halbfinale zu veranstalten oder das Zuschauervotum mit dem Urteil einer Fachjury zu verbinden.
Vor allem eines bewegt die Gemüter: Dass das Interesse der Grand-Prix-Fans in Westeuropa abnehmen könnte. In Deutschland sahen mit 7,4 Millionen rund drei Millionen Zuschauer weniger zu als 2006. Was also tun? Ein großes Problem scheint der zwischen Ost und West stark differierende Geschmack zu sein – im Osten liebt man oft einfach strukturierten, treibenden Pop mit folkloristischem Einschlag oder getragene Balladen. Vielleicht sollte man sich darauf einstellen. Und 2008 Dieter Bohlen beauftragen, „Cherie Cherie Lady“ neu zu arrangieren – für einen Kosakenchor. Einen weiblichen Kosakenchor. In Miniröcken.
Mensch… Roger Cicero!
(Dieter Lintz - Trierischer Volksfreund, Mittwoch, 16. Mai 2007)
Da hätten Sie sich aber wirklich nicht so grämen müssen über Ihren 19. Platz beim Eurovision Song Contest letztes Wochenende. Als externer Gast bei der GUS- und Balkanmeisterschaft unter die ersten 20 zu kommen, ist doch ganz respektabel. Und immerhin hat es ja noch gereicht, um Frankreich und England souverän hinter sich zu lassen.
Gut: Dass selbst diese slowenische Opern-Heulboje vor Ihnen lag, könnte ein sensibles Musiker-Gemüt schon in leichte Depressionen treiben. Aber dann müsste sich DJ BoBo stante pede den Rheinfall bei Schaffhausen herunterstürzen, wurde er in der Qualifikation doch gar von Andorra abgehängt.
Was da ganz vorne in der Tabelle so abging, haben Sie wahrscheinlich auf die große Entfernung gar nicht mitgekriegt. Also das war schon ganz putzig. Eine kleine rundliche Serbin mit Brille hat gegen all die geklonten Supermodels und Eintänzer gewonnen, einfach nur, weil sie ganz passabel singen konnte. Und auf Platz 2 kam eine ukrainische Kreuzung aus Hella von Sinnen und Rumpelstilzchen – ein undefinierbares Wesen, das mit staksigen Storchenbeinen auf und ab hüpfte und dabei etwas von „sieben, sieben, eins, zwei, drei, tanzen“ radebrechte. Das klang fast ein bisschen wie dermaleinst „Piep piep piep, ich hab euch lieb“.
Aber irgendwann ist Schluss mit lustig. Was haben wir armen Deutschen in den letzten Jahren nicht alles aufgeboten: Swing, Soul, Pop, Schlager, Country, gesungen von schrägen Entertainern, blassen Sternchen, tiefgründigen Mädels oder grellen Jungs. Sogar eine Blinde haben wir mal ins Rennen geschickt und einen Analphabeten. Aber dessen „Waddehaddedudeda“ hat auch nix genützt. Dabei bezahlen wir doch den ganzen Scheiß.
So langsam ist das Murren nicht mehr zu überhören. Noch ein Debakel kann sich die ARD nicht leisten. Aber was tun? Darauf hoffen, dass Herr Putin sich die ganze UdSSR wieder einverleibt und damit nur noch über eine Stimme verfügt? Unrealistisch.
Die 28 Teilrepubliken von Ex-Jugoslawien rausschmeißen? Da bockt die EU.
Aber es gäbe ein probates Mittel. Was würde uns beispielsweise daran hindern, Bayern und das Saarland aus der Bundesrepublik auszugliedern? Die einen kann eh keiner leiden, die anderen liegen dem Rest der Republik nur auf der Tasche. Hamburg und Bremen könnten analog zu Monaco in selbstständige Stadtstaaten und Steuerparadiese umgewandelt werden. Die Sachsen sind schon rein sprachlich ein eigenes Volk, die Schleswig-Holsteiner im Grunde halbe Dänen.
Macht summa summarum sechs neue Länder und damit 72 Extra-Punkte für den deutschen Vertreter. Das wären für Sie, Herr Cicero, immerhin unterm Strich 121 gewesen und damit ein Plätzchen unter den Top Ten. So gesehen, wirklich kein Grund, Trübsal zu blasen.
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